08.05.2014 09:51 Uhr in Wirtschaft & Finanzen von -
Pflege am Boden - Flashmobs in Frankfurt Main
Kurzfassung: (Mynewsdesk) Zu einem Flashmob-Auftritt verabreden sich Menschen, um an einem vereinbarten Ort für zehn Minuten z. B. einfach still zu stehen. Am 19. Oktober 2013 geschah dies auf dem Frankfurter Römerberg, denn rund 20 Pflegekräfte trafen sich dort. Sie standen jedoch nicht still, sondern lagerten auf Decken. Damit beteiligten sie sich am ersten bundesweiten Flashmob „Pflege am Boden“ in der Mainmetropole. Gleiches ereignete sich in rund 40 weiteren Städten zum selben ...
[- - 08.05.2014] (Mynewsdesk) Zu einem Flashmob-Auftritt verabreden sich Menschen, um an einem vereinbarten Ort für zehn Minuten z. B. einfach still zu stehen. Am 19. Oktober 2013 geschah dies auf dem Frankfurter Römerberg, denn rund 20 Pflegekräfte trafen sich dort. Sie standen jedoch nicht still, sondern lagerten auf Decken. Damit beteiligten sie sich am ersten bundesweiten Flashmob „Pflege am Boden“ in der Mainmetropole. Gleiches ereignete sich in rund 40 weiteren Städten zum selben Zeitpunkt. Bundesweit machten damals rund 3000 Personen mit, um auf die personelle Unterbesetzung in Alten- und Krankenpflege hinzuweisen. Am Römerberg legten sich auch fünf Heimleitende aus dem Frankfurter Forum für Altenpflege (FFA) dazu. Sie forderten mit den Pflegenden, die Beitragssätze zur Pflegeversicherung zu erhöhen, sodass Pflegeteams durch mehr Personal mehr Zeit für Pflegebedürftige haben. Der 34-jährige Roger Konrad erklärt im folgenden Interview, wie Flashmobs in Frankfurt und bundesweit wirken, was sie vertreten und schon erreicht haben. FFA: Herr Konrad, wie viele Städte nehmen gegenwärtig an den Flashmobs teil? Roger Konrad: Aktuell machen im Durchschnitt pro Aktionstag gut 80 Städte mit und es kommen bundesweit nahezu um die 5000 Personen zusammen. An manchen Flashmobs haben sich sogar schon bis zu 100 Städte beteiligt. FFA: Warum nehmen Frankfurter Pflegekräfte daran teil? Roger Konrad: Das ist etwas schwierig zu beantworten. Aber man muss sagen, dass es im Rhein-Main-Gebiet einen starken Fachkräftemangel in der Pflege gibt. Da kommt es vor, dass Pflegefachkräfte mit Aushilfskräften oder Pflegeschülern im Heim unterwegs sind, um die Versorgung sicherzustellen, weil andere Kollegen z. B. erkrankt sind. Bei knapper Fachkraftbesetzung kommt dann auch die praktische Pflegeausbildung zu kurz, weil die Pflegeprofis, die Schüler anleiten, rasch an ihre Grenzen stoßen. Auch hier muss verbessert werden. Vielen anderen Städten geht´s ebenso. Zu erwähnen sind auch strukturelle Unterschiede in den Bundesländern, wo die Ausbildung der Altenpflege jeweils anders geregelt ist. Es gibt Auszubildende, die ihre Ausbildung sogar noch selbst bezahlen müssen. FFA: Wie wirkt Frankfurts multikulturelle Vielfalt auf die Pflegeberufe? Roger Konrad: Was Frankfurt auszeichnet, ist die Zunahme der integrativen und interkulturellen Dienste in Pflege und Betreuung, die sich besonders auf die Menschen anderer Nationalität einstellen. Die Stadt wird zunehmend offener, interkultureller und vielfältiger und die Pflegenden anderer Nationalität werden immer selbstbewusster. FFA: Was bedeuten Unterbesetzung und Überbürokratisierung in der Pflege für Patienten und Heimbewohner? Roger Konrad: Wenn mit minimalen Personalschlüsseln gearbeitet wird, ist die Arbeitsbelastung in der Pflege höher. Hinzu kommt die erhöhte Dokumentationsleistung, die nicht vernachlässigt werden darf. „Was nicht aufgeschrieben ist, ist nicht gemacht!“ Dadurch fehlt es an Zuwendung für die Pflegebedürftigen. Es entsteht eine strukturell bedingte Vernachlässigung am Patienten oder am Bewohner im Heim. Auch die Hygiene wird vielleicht nicht so umgesetzt wie erforderlich, weil zu wenig Zeit für Desinfektion besteht. Multiresistente Keime – Stichwort MRSA – treten gehäuft in Kliniken hierzulande auf. In den Niederlanden soll das weniger der Fall sein, weil dort jeder Patient bei Klinikaufnahme zunächst auf diese Keime hin untersucht wird, um die Infektionsgefahr einzudämmen. Es fehlt bei uns an Erhebungen, die die Ursachen dafür in Deutschland differenziert untersuchen. FFA: Was sind die Ursachen für das Vernachlässigungsproblem der Pflege hierzulande? Roger Konrad: Wir sind in der Altenpflege noch immer mehr auf körperliche Pflege festgelegt, was sich für demenziell Erkrankte gar nicht eignet. Die WHO definiert den Menschen als Ganzheit von Körper, Seele und Geist und so soll er auch umfassend wahrgenommen, versorgt und gepflegt werden. Das ist unter den hiesigen gegebenen Verhältnissen nicht machbar. In Studien wurde nachgewiesen, dass desorientierte Menschen durch Psychopharmaka still gestellt werden, was eine freiheitseinschränkende Maßnahme ist. Wenn ein Mensch eine Weglauftendenz hat, dann reicht eine körperorientierte Satt-sauber-Pflege nach 21 körperlichen Verrichtungen, die nach Pflegeversicherung bezahlt werden, nicht aus. FFA: Wären hierbei die Wissenschaften für die Pflege politisch hilfreich, oder stellen diese an die unterbesetzte Pflege eher unerfüllbare Ansprüche? Roger Konrad: Die theoretische Pflegewissenschaft kümmert sich z. B. um die Weiterentwicklung und die Professionalisierung in der Pflege. Für die sogenannte Hessenstudie, ein empirisches Gutachten zur Situation der Pflege in hessischen Akutkrankenhäusern, wurde in 27 Kliniken Hessens u. a. das Personal nach den Istzuständen befragt. Um das alles zu erheben und auszuwerten, gingen wohl drei Jahre ins Land. So etwas hilft der Pflege weiter, weil die Verschlechterung der Arbeitssituation nachgewiesen und der Personalmangel belegt wurden. Die Studie bestätigt, dass durch diese Entwicklung die Behandlungssicherheit und Behandlungsqualität nicht mehr zureichend gewährleistet werden können. Das ist u. a. ein Grund, sich weiterhin auf den Boden zu legen! FFA: Die Wirtschaft erkennt, dass pflegende Mitarbeiter entlastet werden müssen, um im Beruf fit zu bleiben. Sollten sich Unternehmen für Pflegeberufe stark machen? Roger Konrad: Es wäre schön, wenn diese auf die Probleme der Pflegeberufe aufmerksam würden. Ein Urteil hat ja zudem gerade klargestellt, dass die Pflegearbeit von Angehörigen nicht so hoch honoriert werden kann, wie die von Pflegekräften. Das alles ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, dass die Arbeitnehmer zur Kenntnis nehmen müssen. Dies vor allem vor dem Hintergrund, wenn das Personal prozentual in den nächsten Jahren älter wird. Die Aktion „Pflege am Boden“ wendet sich ja auch an pflegende Angehörige. Warum sollte sie sich nicht auch an Unternehmen wenden? FFA: Was hat denn die bundesweit aktive Flashmob-Gemeinde kommunal-, landes- und bundesweit politisch mit ihren Aktionen bislang erreicht? Roger Konrad: Im Januar 2014 hatten wir den ersten „Deutschen Pflegetag“ in Berlin. Da wurde beim Eintreffen von Gesundheitsminister Gröhe und Staatssekretär Laumann im Empfangsbereich des Veranstaltungshotels ein Flashmob organisiert. Darauf hin berichtete sogar das Handelsblatt darüber und die Tagesschau zeigte das Logo „Pflege am Boden“ kurz – aber immerhin. In der Folge haben wir damit begonnen, die Facebook-Seiten von Herrn Gröhe und Herrn Laumann zu „liken“, um zu beobachten, was dort veröffentlicht wird. FFA: Wie läuft die Hintergrundarbeit für die Flashmobs ab? Roger Konrad: Der Gedanke „act local, think global“ ist die Grundlage für unsere Aktivität und er bedeutet für uns, dass wir uns weiterhin „lokal“ am gleichen Tag auf den Boden legen und „global“ die Sache am Laufen halten, um sie authentisch in die Gesellschaft und in die Politik zu tragen. Wir sind miteinander vernetzt, tauschen uns regelmäßig aktiv aus. Es finden bereits überregionale Orga-Treffen statt. Ein zentrales Anliegen von „Pflege am Boden“ ist, dass sich bundesweit und in immer mehr Städten „Runde Tische“ für die Pflege entwickeln. Stück für Stück soll sich der Druck auf die Politik in Kommune, Land und Bund erhöhen. In manchen Städten wird das schon aktiv umgesetzt. Das zeigt sich darin, dass neben Pressevertretern auch zunehmend Politiker zu den Flashmobs eingeladen werden. Die Politik soll spüren: Pflegekräfte meinen es diesmal ernst und lassen nicht locker. „Pflege am Boden“ ist ein bundesweites Personenbündnis, das sich unabhängig von Gewerkschaften, Berufsverbänden und Parteien für bessere Pflege engagiert. Uns allen ist klar, dass ein paar Flashmobs nicht reichen. Wir brauchen einen langen Atem, aber den haben wir und unser Netzwerk wird täglich größer.FFA: Welche Bedeutung hat der „Runde Tisch Pflege Osnabrück“? Roger Konrad: Der „Runde Tisch Pflege Osnabrück“ (RTP) ist in gewissem Sinne die Mutter von „Pflege am Boden“. Denn seine aktiven Mitglieder - wie u. a. Guy Hofmann und Michael Thomsen – brachten alles ins Rollen. Sie haben im letzten Oktober eine Veranstaltung im baden-württembergischen Aalen aufgegriffen. Die Medien berichteten darüber. Im Anschluss haben die Osnabrücker die ersten bundesweiten Flashmobs über Facebook initiiert. Auch die formulierten Ziele vom „RTP“ Osnabrück haben durchaus Vorbildcharakter für „Pflege am Boden“. Neben dem „RTP“, der seit drei Jahren besteht, und der bundesweiten „Pflege am Boden“-Gemeinde gibt es aber auch noch andere lokale Initiativen wie etwa „Pflege steht auf“ aus Bremen - auch drei Jahre aktiv. Im letzten Jahr haben die Bremer noch die Aktion „Pflege am Limit“ durchgeführt. Aktuell haben sie eine nachahmenswerte Kampagne zur „Entbürokratisierung und zur sofortigen Aussetzung der aktuellen Qualitätsprüfungen der Pflegeunternehmen im Rahmen der Pflege-Transparenzvereinbarungen nach § 114 SGB XI“ gestartet. Zusammenfassend kann ich sagen: „Die Zeit der selbstbestimmten Pflegeberufe ist da!“ FFA: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
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