09.05.2014 15:25 Uhr in Kultur & Kunst von VolkswagenStiftung

Hundert Jahre und ein Ende

Kurzfassung: Hundert Jahre und ein EndeIm zweiten Teil der 14er-Reihe hieß das Thema "1814 - Der Wiener Kongress bewegt Europa". Zwei Vorträge und eine Lesung gaben interessante Einblicke in die Zeit nach den Na ...
[VolkswagenStiftung - 09.05.2014] Hundert Jahre und ein Ende

Im zweiten Teil der 14er-Reihe hieß das Thema "1814 - Der Wiener Kongress bewegt Europa". Zwei Vorträge und eine Lesung gaben interessante Einblicke in die Zeit nach den Napoleonischen Kriegen.
Veranstaltungsbericht zum zweiten Teil der Reihe "14 ! Deutsch-Britische Collagen"
"1814 - Der Wiener Kongress bewegt Europa" mit Harald Schandry, Prof. Dr. Claudia Schnurmann und Dr. Torsten Riotte.
Jahre mit der Endziffer "14" haben in der Geschichte der Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland, und hier insbesondere Hannover, immer wieder eine Rolle gespielt: 1714 - die Thronbesteigung der Welfen in London; 1814 - der Wiener Kongress nach dem Ende der Napoleonischen Kriege und damit die Erhebung Hannovers zum Königreich; 1914 - der Beginn des Ersten Weltkriegs, in dem sich der deutsche Kaiser und seine britische Verwandtschaft als Feinde gegenüberstanden; 2014 - das Nachdenken über die Rolle Großbritanniens in Europa sowie Hannover als Schauplatz der Landesausstellung zur hannoversch-britischen Personalunion von 1714 bis 1837 ("Als die Royals aus Hannover kamen"). Zum Rahmenprogramm der Landesausstellung steuert die VolkswagenStiftung eine vierteilige Vortragsreihe bei, die sich den Jahren mit der Endziffer "14" widmet. Ihr Titel: "14! Deutsch-Britische Collagen". Katja Lemke, Direktorin des Niedersächsischen Landesmuseums, begrüßte die rund 250 Gäste im Auditorium von Schloss Herrenhausen zum zweiten Teil der Reihe: "1814 - Der Wiener Kongress bewegt Europa".
Den Auftakt machte der hannoversche Schauspieler Harald Schandry mit einer Lesung von zeitgenössischen Texten zum Wiener Kongress. Darunter waren bissige Kommentare zu britischen und deutschen Kongressteilnehmern, aber auch solche, die der Enttäuschung Ausdruck verliehen, dass Hoffnungen auf deutsche Freiheit und Einheit nicht erfüllt wurden, die die Kriege geweckt hatten.
Dem schloss sich ein Vortrag von Claudia Schnurmann an, Historikerin an der Universität Hamburg, die über England und Europa 1914 - 1814 sprach. Was auf den ersten Blick nach einem Zahlendreher im Titel aussah, war jedoch keiner. In der Tat lassen sich beide Jahre und beide Ereignisse, also der Wiener Kongress und der Beginn des Ersten Weltkriegs, sinnvoll miteinander verknüpfen. 1814 wurde eine europäische Ordnung geschaffen, die in ihrer Grundstruktur für ein Jahrhundert Bestand hatte. Sie verkraftete das vorläufige Ausscheiden Russlands aus der mitteleuropäischen Politik nach dem Krimkrieg. Zudem überstand sie den Niedergang Österreich-Ungarns im Zeichen des Nationalismus und die Etablierung des Deutschen Reichs als neues Machtzentrum auf Kosten Frankreichs sowie einen britisch-französischen Interessenausgleich unter gleichem Vorzeichen bis hin zum Bündnis. Es wurden im 19. Jahrhundert zwar Kriege geführt, aber keiner davon erreichte die Dimension der Napoleonischen Kriege - und erst recht nicht die des Ersten Weltkriegs. 1914 ging diese Ordnung unter.
Rückblick aus der Perspektive von 1914
Von 1914 aus blickte Claudia Schnurmann also auf 1814, um die Hintergründe aufzudecken, die erklären, warum Großbritannien am 4. August 1914 in den Krieg gegen Deutschland eintrat. Die Gründe dafür sah sie in der Insellage sowie dem daraus resultierenden Bestreben der Briten, in Europa keine Hegemonialmacht aufkommen zu lassen, die das Land hätte bedrohen können. Großbritannien war tief geprägt von einer Invasionsfurcht, die noch aus der Zeit der Römer, Wikinger und Normannen herrührte und später von Spaniern und Franzosen neu geschürt wurde.
Die Neuaufteilung Europas, die auf dem Wiener Kongress beraten wurde, wollten die Briten vor allem dazu nutzen, ihr Land gegen potenzielle Invasoren abzupuffern - indem man die Küste jenseits des Ärmelkanals unter politischen Einfluss brachte. 1814/15 unterstützten die Briten die Errichtung eines niederländischen Königreichs, das aber bereits 1830 wieder zerbrach. Dies hatte die Gründung Belgiens zur Folge, das die Garantiemächte Preußen, England, Frankreich, Russland, Österreich-Ungarn und Italien für neutral erklärten. Als die Deutschen 1914 in Belgien einmarschierten, ließ ihr Absicherungsbedürfnis den Briten keine Wahl. Sie traten in den Krieg ein.
100 Jahre Personalunion - was taten die Briten?
Eine andere Perspektive auf die deutsch-hannoversch-britischen Beziehungen eröffnete Torsten Riotte von der Universität Frankfurt am Main. Sein Vortrag ging der Frage nach, wie die Briten 1814 auf den 100. Jahrestag der Personalunion reagierten. Während Schnurmann ihren Beitrag mit patriotischer britischer Musik untermalt hatte, zeigte Riotte zu seinen Ausführungen zeitgenössische Bilder und Karikaturen. Auffällig war für ihn, dass die Briten die Personalunion zwar als "Event" in London feierten, das tatsächliche Ereignis von 1714 dabei aber in den Hintergrund trat. Gefeiert wurde vor allem das Ende der blutigen und ruinösen Napoleonischen Kriege.
Das Herrscherhaus sah sich bereits seit 1714 bissiger öffentlicher Kritik ausgesetzt, dargestellt etwa in den Karikaturen George Cruikshanks. Dahinter standen zum einen Vorwürfe, dass Staatsmittel für private Bedürfnisse des Hofes verschwendet würden. Zum anderen wurde immer wieder behauptet, Großbritannien werde für hannoversche Interessen eingespannt. Ein Beispiel dafür ist, dass bereits 1715 Georg I. - hart am Rande eines Gesetzesverstoßes - im Großen Nordischen Krieg gegen Schweden eine Flotte in die Ostsee entsandte, was Hannover Landbesitz einbrachte. Denn eigentlich hätte Großbritannien neutral bleiben müssen. Hannover, so Riotte, wurde in der britischen Öffentlichkeit in der Regel negativ gesehen und positiv nur dann, wenn man britische Einflüsse wirken sah.
Das britische Überlegenheitsgefühl hatte auch Frau Schnurmann zuvor in einer Metapher zugespitzt, der zufolge die Briten ihre Insel stets als stolzes Schiff auf hoher See sahen, während Hannover irgendwo dahinter im Brackwasser dümpeln würde. Solche Dünkel gehören heute längst der Vergangenheit an. Das bewies auch die gute Nachricht, die Katja Lemke dem Publikum überbringen konnte: Prinz Charles habe ausrichten lassen, dass er die Schirmherrschaft über die niedersächsische Landesausstellung zum 300. Jahrestag der Personalunion übernehmen werde.
Ekkehard Böhm
Die nächsten Termine in der Vortragsreihe "14! Deutsch-Britische Collagen":
27.05.2014 "1914 - Zwischen den Fronten des Ersten Weltkriegs"
15.07.2014 "2014 - Großbritannien und Deutschland im Zeitalter der Herausforderungen"

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