22.05.2014 15:38 Uhr in Kultur & Kunst von Fraunhofer Gesellschaft

Fraunhofer IWU mit drei Weltneuheiten auf der AUTOMATICA 2014

Kurzfassung: Fraunhofer IWU mit drei Weltneuheiten auf der AUTOMATICA 2014Das Flugaufkommen hat in den letzten Jahrzehnten rasant zugenommen. Der Flugzeughersteller Airbus geht davon aus, dass es sich bis 2030 ver ...
[Fraunhofer Gesellschaft - 22.05.2014] Fraunhofer IWU mit drei Weltneuheiten auf der AUTOMATICA 2014
Das Flugaufkommen hat in den letzten Jahrzehnten rasant zugenommen. Der Flugzeughersteller Airbus geht davon aus, dass es sich bis 2030 verdreifachen wird. Um den entsprechend hohen Bedarf an Transportmitteln zu decken, ist eine Modernisierung der Fertigungsabläufe im Flugzeugbau unumgänglich. Bislang erfolgt die Tragflächenmontage überwiegend noch manuell, wodurch nur geringe Stückzahlen hergestellt werden können. Dies liegt am Aufbau der Tragflächen. Um die notwendige Belastbarkeit und Flexibilität gewährleisten zu können, setzen sich diese in der Regel aus voneinander abgetrennten, nur wenige Quadratmeter großen Kammern zusammen. Das Montagepersonal muss sich durch enge Öffnungen, sogenannte Mannlöcher, Zugang zu diesen Arbeitsräumen verschaffen, um dort die Tragflächenkomponenten mit Passschrauben zu befestigen und Nahtstellen abzudichten. Dementsprechend zeitaufwändig, körperlich anstrengend und ermüdend ist die Prozedur. Hinzu kommen die gesundheitlichen Belastungen durch die beim Abdichten entstehenden Dämpfe des Dichtmittels. Konventionelle Industrieroboter gelangen nicht durch die engen Öffnungen. Mit ihren starren Gliedern erreichen sie auch nicht den hintersten Winkel der bis zu fünf Meter langen Arbeitsräume. Erforderlich ist daher ein schlanker Roboter, der zudem extrem verschränkungsfähig ist.
Vorbild Natur: Flugzeugtragflächen automatisiert montieren
Eine solche Automatisierungslösung mit beweglichen Gliedern entwickeln derzeit Forscher am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz im Rahmen eines von der Sächsischen Aufbaubau (SAB) geförderten Projekts. Der Roboter setzt sich aus acht Achsgelenken zusammen. Durch die seriell verketteten kurzen Dreh- und Kippgelenke kann er sehr enge Bahnradien abfahren und sich in die entlegensten Ecken der Kammern schlängeln. Wir bezeichnen ihn daher auch gern als Schlangenroboter, sagt Marco Breitfeld, zuständiger Projektleiter am IWU. Der insgesamt 2.5 Meter lange Schlangenroboter ist in der Lage, bis zu 15 Kilogramm schwere Werkzeuge zu tragen - zusätzlich zu seiner Eigenlast. Neben der Tragfähigkeit war die Beweglichkeit jedes einzelnen Roboterglieds eine Herausforderung. Die Struktur und die Funktionsweise der einzelnen Glieder sind dem Muskelaufbau in der Hand nachempfunden. Ein speziell entwickelter Antriebsmechanismus aus Spindeltrieb und Seilzugsystem macht dabei überhaupt erst den Einsatz sehr kleiner Antriebsmotoren und damit die Umsetzung einer kompakten, für den begrenzten Arbeitsraum geeigneten, Bauweise möglich. Bei Aufbau und Bewegungsablauf des Roboters haben sich die Wissenschaftler an Vorbildern aus der Natur orientiert, so erhielt der Snake-Roboter seinen Spitznamen.
Geplant ist, den 60 Kilogramm schweren Roboter auf eine mobile Plattform oder eine Schiene zu montieren, so dass er unter den Tragflächen entlangfahren und sich in jede der Kammern schlängeln kann. Derzeit testen die Forscher vom IWU das mechanische Konzept sowie die Steuerung. Vom 3. bis 6. Juni präsentieren sie auf der Messe AUTOMATICA in München einen Demonstrator des Innenraumroboters
Intelligentes Justagesystem: Effizientere Qualitätsprüfung im Karosseriebau
Das Spaltmaß an einer Karosserie muss auf den Millimeter genau sein. Die Voraussetzung hierfür ist, dass die Abmaße aller Einzelkomponenten exakt aufeinander abgestimmt sind. Beim Zusammenbau werden die Baugruppen daher von typspezifischen Spannelementen präzise fixiert. Ob diese exakt justiert sind, wird von sogenannten Geometriepflegern im Zehntelmillimeterbereich überwacht. Da es durch Schwankungen im Material oder durch andere Randbedingungen zu Abweichungen kommt, müssen die Vorrichtungen häufig neu justiert werden, zum Teil mehrmals pro Schicht. Allein bei den Vorrichtungen für eine typische Türfertigung kann an etwa 430 Stellen nachgeregelt werden. Die korrekte Einstellung erfolgt manuell auf der Grundlage von Ehrfahrungswerten und weitestgehend nach dem Trial-and-Error-Prinzip, erklärt Rayk Fritzsche, Gruppenleiter Montageanlagen am Fraunhofer IWU. Mittels aufwendiger Qualitätsprüfung wird sichergestellt, dass die Parameter mit den Anforderungen übereinstimmen. Der Qualitätskreis ist entsprechend lang, die damit verbundenen Produktionsunterbrechungen und Nacharbeiten sind teuer und verringern die Produktivität signifikant. Unterstützen kann das Prüfpersonal in Zukunft ein IT-System, das vom Fraunhofer IWU im Rahmen eines SAB-Projektes entwickelt und auf der AUTOAMTICA erstmals vorgestellt wird. Auf der Grundlage eines künstlichen, neuronalen Netzes, das in seiner Wirkungsweise dem menschlichen Nervensystem nachempfunden ist, entwickeln die Forscher eine intelligente Software, die diese Beschreibung auch verdient. Das System ist lernfähig und überträgt die Erfahrungswerte der Geometriepfleger in eine Datenbank. Nach circa 30 Beispieldatensätzen sollten die Justagevorschläge des Systems bereits denen eines erfahrenen Geometriepflegers ähneln und im weiteren Verlauf immer besser werden, sagt Andreas Richter, der das Projekt am IWU betreut. Die Ziele der Wissenschaftler: Mit Hilfe der Software könnte die Einrichtungszeit von neuen Fertigungsstrecken im Anlagenanlauf von Monaten auf Wochen sowie die Justage im laufenden Betrieb von Minuten auf Sekunden verkürzt werden. Doch soweit sind die Forscher noch nicht, denn auf dem Weg zur selbststeuernden Karosseriebaueinrichtung liegt noch einiges an Entwicklungsarbeit vor ihnen. Auf der AUTOMATICA demonstrieren Richter und seine Kollegen den Entwicklungsstand der Lösung: Ein softwarebasierter Justage-Assistent, der die Mitarbeiter unterstützt und Vorschläge zu den Justageeinstellungen unterbreitet. Im nächsten Schritt könnte dies auf Knopfdruck vollautomatisiert erfolgen. Eine direkte Anbindung an die Qualitätsprüfung und neuartige Spannvorrichtungen sollen dann Fehler beim ersten Bauteil erkennen und die notwendigen Korrekturen vollautomatisch umsetzen. Der Mensch soll in diesem neuen Qualitätsregelkreis nicht ersetzt, sondern vielmehr sinnvoll in seiner Rolle als Entscheidungsträger unterstützt werden.
Ein Roboter mit Feingefühl: Automatisierungslösung für das Gewindelehren
Eine weitere Weltneuheit des Fraunhofer IWU betrifft einen grundlegenden Qualitätsprozess im Maschinen- und Anlagenbau: die Prüfung von Gewinden, auch als Gewindelehrung bezeichnet. Verschraubungen sind im Bereich der Verbindungstechnik ein zuverlässiges und daher weit verbreitetes Verfahren. Ein typisches Getriebegehäuse für einen Mittelklasse-PKW ist beispielsweise im Schnitt mit ca. 50 Gewindebohrungen versehen. Gemäß DIN-Vorschrift bzw. internen Qualitätsvorgaben müssen Gewindebohrungen hinsichtlich Leichtgängigkeit und Verschmutzungen stichprobenartig geprüft werden. Hierzu werden Lehrdorne eingesetzt. Die Lehrung erfolgt durch Einschrauben eines Gutlehrdorns, der sich über die gesamte Länge und ohne zu großen Widerstand in das Gewinde einschrauben lassen muss. Hier entscheidet das subjektive Gefühl des Prüfers. Teilweise werden auch elektrische Lehrdorne eingesetzt, die mittels einer Schlupfkupplung ein objektiveres Lehrergebnis zulassen. Nach diesem Vorgang wird ein Ausschusslehrdorn genutzt, um den maximal zulässigen Durchmesser des Gewindes zu prüfen. Dieser Lehrdorn darf sich entsprechend nicht einschrauben lassen. Der Prüfvorgang ist nicht nur eine sehr monotone und daher ermüdende Arbeit, sondern auch zeit- und personalintensiv.
Am Fraunhofer IWU wird im Rahmen eines von der Sächsischen Aufbaubank (SAB) geförderten Projektes an einer Automatisierungslösung gearbeitet, die nicht nur das Prüfpersonal entlasten, sondern den Qualitätsregelkreis zeit- und damit kosteneffizienter gestalten soll. Wir standen im Wesentlich vor zwei Problemstellungen: Zum einen mussten wir einen Roboter finden, der über das notwendige 'Fingerspitzengefühl' verfügt, den Lehrdorn richtig einzufädeln, erklärt Carsten Keller, Projektverantwortlicher und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fraunhofer IWU. Die zweite Herausforderung lag darin, die Drehbewegung im Getriebe so zu erfassen und interpretierbar zu gestalten, dass sich daraus allgemein gültige Annahmen für die Beschaffenheit des Gewindes ableiten lassen. Die Wissenschaftler am IWU arbeiten mit einem neuartigen Roboter sowie einem speziellen Prüfkopf mit Sensorik, mit deren Hilfe ohne weitere Messsysteme der Absatz des Gewindeganges prozesssicher gefunden werden kann. Das Anfädeln und Eindrehen des Lehrdorns funktioniert damit in nur etwa einem Viertel der Zeit einer manuellen Prüfung. In einem nächsten Schritt soll eine Datenbank aufgebaut werden, die ermöglicht, dass anhand des Widerstandes beim Eindrehen automatisch erkannt wird, welches Problem vorliegt. Unsere Vision ist der Aufbau eines neuen automatisierten Qualitätsregelkreises für die Lehrung von Gewinden, um Messung, Problemerkennung und Problemlösung effizienter gestalten und enger miteinander verzahnen zu können, erklärt Marko Pfeifer, Abteilungsleiter Montagetechnik am Fraunhofer IWU.

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