06.06.2014 09:28 Uhr in Kultur & Kunst von Ruhr-Universität Bochum

Sowjetischer Schlager hatte revolutionäres Potenzial

Kurzfassung: Sowjetischer Schlager hatte revolutionäres PotenzialVollständiger Beitrag mit Bildern im NetzEinen ausführlichen Beitrag mit Bildern zum Forschungsprojekt "Estrada!" finden Sie online auf der Webse ...
[Ruhr-Universität Bochum - 06.06.2014] Sowjetischer Schlager hatte revolutionäres Potenzial
Vollständiger Beitrag mit Bildern im Netz
Einen ausführlichen Beitrag mit Bildern zum Forschungsprojekt "Estrada!" finden Sie online auf der Webseite des Wissenschaftsmagazins "RUBIN":
http://rubin.rub.de/de/stiefkind-der-sowjetkultur
Aus der Tristesse wegträumen
Ingo Grabowsky stellt die These auf, dass der Schlager für die Gesellschaft in der Sowjetunion ein Motor der Verwestlichung war. "Die Leute haben den Schlager benutzt, um sich mit seiner Hilfe Illusionsräume außerhalb der Sowjetunion zu erschaffen und sich aus der Tristesse wegzuträumen", erklärt der Slavist. "Der Schlager war ein Mittel, um diese durchideologisierte Welt überhaupt auszuhalten." Für sein Projekt, das von der DFG gefördert wurde, hat er zahlreiche Zeitzeugen interviewt und Quellen in russischen Archiven bemüht.
RocknRoll und Lederjacken
Im Jahr 1948 hatte es in der Sowjetunion eine staatliche Kampagne gegen den Einfluss westlicher Musik gegeben, sowohl in der Klassik als auch in der Estrada, der leichten Musik. Wer sich nicht an die Vorgaben hielt, landete im Straflager. Nach dem Tod Stalins im Jahr 1953 änderte sich einiges: Bei den Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1957 in Moskau kamen 34.000 junge Menschen aus aller Welt, unter anderem aus dem Westen, zusammen und brachten "ihre" Musik und "ihren" Modestil mit: Jazz, RocknRoll, Skiffle, gepaart mit Jeans und Lederjacken. "Diese neuen Einflüsse kamen in das im Grunde völlig abgeschottete Land und brachen einiges auf", so Grabowsky. Sowjetische Künstler begannen daraufhin, sich an den westlichen Musikern zu orientieren.
Kontrolle durch künstlerische Räte
Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, traten sogenannte künstlerische Räte auf den Plan. Diese saßen zum Beispiel in Konzertagenturen oder in der Schallplattenfirma Melodija und fungierten als Zensurkommissionen. Unter anderem waren sie dafür zuständig, ein Bühnenprogramm abzusegnen, bevor es zur Aufführung kam. Dennoch schafften es Musiker immer wieder, diese Räte zu unterwandern.
Wirtschaftlicher Plan
Verschiedene musikalische Trends schwappten in den Folgejahren vom Westen in die Sowjetunion: Twist, die Beatlemanie - vom Volk geliebt, von den künstlerischen Räten verpönt. Im Gegensatz zum Radio und Fernsehen, die ausstrahlten, was sie für ideologisch korrekt hielten, mussten die staatlichen Konzertorganisationen ab Anfang der 70er-Jahre einen wirtschaftlichen Plan erfüllen. Und das taten sie mit Künstlern, die westlichen Mustern folgten. Das ermöglichte es sowjetischen Musikern und Bands zum ersten Mal, die Musik zu machen, die sie wirklich machen wollten. Die großen Stars traten in Kultur- und Sportpalästen auf, wo bis zu 12.000 Personen hineinpassten. Die Verwestlichung war damit nicht mehr aufzuhalten.
Weitere Informationen
Dr. Ingo Grabowsky, Lotman-Institut, Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-25032, E-Mail:
ingo.grabowsky@rub.de

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