11.06.2014 12:27 Uhr in Kultur & Kunst von Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU)
Das Genom des Blindmulls: Schlüssel für ein langes Leben ohne Krebs?
Kurzfassung: Das Genom des Blindmulls: Schlüssel für ein langes Leben ohne Krebs?Vor etwa 50 Millionen Jahren kühlt sich die Erde nach einer Hitze-Periode deutlich ab. Offenere Lebensräume wie Savannen entsteh ...
[Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) - 11.06.2014] Das Genom des Blindmulls: Schlüssel für ein langes Leben ohne Krebs?
Vor etwa 50 Millionen Jahren kühlt sich die Erde nach einer Hitze-Periode deutlich ab. Offenere Lebensräume wie Savannen entstehen, zahlreiche neue Arten bilden sich und passen sich an die veränderten Bedingungen an. Ein unscheinbares, rattengroßes Nagetier, der heute in Südosteuropa, Vorderasien und Nordafrika heimische Blindmull Spalax galili, entscheidet sich dabei für ein Leben unter Tage. Meist allein in seinen unterirdischen Gängen, findet er dort genug Wurzeln und Rüben als Nahrung und entgeht manchem Unbill an der Erdoberfläche. Augen werden nicht mehr gebraucht und überwachsen mit Fell. Die Kehrseite dieses Lebensstils ist jedoch anderer Stress: zu wenig lebensnotwendiger Sauerstoff, besonders wenn der Boden durch regionale Starkregen überflutet wird, und ein Zuviel an tödlichem Kohlendioxid. Doch Spalax passt sich perfekt an. Mit weniger als einem Drittel des normalerweise verfügbaren Sauerstoffs kann der Blindmull problemlos für viele Stunden ohne Schäden an empfindlichen Organen wie dem Gehirn überleben. Für Ratten oder Menschen wäre dies binnen kurzer Zeit tödlich, auch hiesige Maulwürfe können da nicht mithalten.
Dabei entwickeln sich weitere phantastisch klingende Fähigkeiten, die Biologen staunen lassen. Der Blindmull erreicht problemlos ein Alter von mehr als 20 Jahren, während seine engen Verwandten Maus und Ratte mit 3 Jahren bereits wahre Methusalems ihrer Art sind. Doch nicht genug, Spalax bekommt natürlicherweise und selbst nach einer Behandlung mit kanzerogenen Chemikalien im Labor keinen Krebs. Diese einzigartigen zellulären Mechanismen sind es, die den Blindmull für die Forschung hochgradig attraktiv machen. Hier kann die Wissenschaft untersuchen, wie Sauerstoffmangel etwa nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt, Krebs und Altern innovativ und erfolgreich zu bekämpfen wären.
Der potenzielle Schatz an biomedizinischem Wissen, der in Spalax ruht, wird nun mit Methoden der modernen Genomforschung untersucht. Ein internationales Konsortium, koordiniert von israelischen Wissenschaftlern der Universität Haifa um Prof. Dr. Eviatar Nevo, hat soeben die gesamte Erbinformation des Blindmulls entschlüsselt und initial ausgewertet. Daran beteiligt waren auch Molekulargenetiker der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU).
Zwar liefert die Entschlüsselung des genetischen Bauplans nur die Vorarbeit zum Verständnis der Biologie von Spalax, doch die Mainzer Forscher fanden bereits auffällige Veränderungen in manchen Blutfarbstoff-Genen, die Teil der Anpassung an akuten Sauerstoffmangel sein könnten. Dem durch Kohlendioxidanhäufung im Blut erzeugten Säureschmerz entgeht der Blindmull durch eine Mutation in einem Schmerzrezeptor-Gen. Auch erste Hinweise auf die möglichen Ursachen der Krebstoleranz erhielt das Wissenschaftler-Konsortium. Durch eine auffällige Mutation im wichtigen Schaltergen p53 reduziert Spalax wohl den Prozess des kontrollierten Zell-Selbstmords (Apoptose), was den Verlust von Zellen nach Sauerstoffmangel-Stress minimieren kann. Die Apoptose ist aber eigentlich auch für die effiziente Beseitigung von Krebszellen erforderlich. Diese Schwächung überkompensiert Spalax möglicherweise durch besonders starke Aktivierung eines alternativen Weges, entartete Zellen zu entfernen.
Der Mainzer Arbeitsgruppenleiter Thomas Hankeln betont: "Wir haben durch die Genomsequenz jetzt jede Menge molekularer Ansatzpunkte. Aber erst weitere Forschung im Labor wird die genauen biologischen Zusammenhänge zu Tage fördern." Die Mainzer verfolgen dabei einen evolutionären Ansatz: "Wir wollen die Gene von Spalax im Detail mit denen eines zweiten besonderen Nagetiers vergleichen, nämlich des afrikanischen Nacktmulls. Er hat ähnliche Eigenschaften wie der Blindmull, ist aber nur ein sehr weit entfernter Verwandter. Beide Arten haben vermutlich ihre speziellen Überlebensfähigkeiten unabhängig und auf unterschiedliche Weise entwickelt. Aus dem Vergleich versprechen wir uns quasi doppelt so viele Hinweise auf neuartige Stoffwechselprozesse, die irgendwann für die Medizin nützlich sein könnten."
In den vom Land Rheinland-Pfalz unterstützen Arbeiten werden nun unter anderem durch "Next-Generation"-Sequenziertechnologien die Abläufe bestimmt, nach denen Mulle ihre Gene unter verschiedenen Stressbedingungen in einzelnen Organen aktivieren.
Foto:
http://www.uni-mainz.de/bilder_presse/10_molekulargenetik_spalax_genom.jpg
Blindmull Spalax galili
Foto: Prof. Dr. Eviatar Nevo, Haifa, Israel
Veröffentlichung:
Xiaodong Fang et al.
Genome-wide adaptive complexes to underground stresses in blind mole rats Spalax
Nature Communications, 3. Juni 2014
DOI: 10.1038/ncomms49665:3966
Weitere Informationen:
Univ.-Prof. Dr. Thomas Hankeln, Dr. Hanno Schmidt
Institut für Molekulargenetik, gentechnologische Sicherheitsforschung und Beratung
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
D 55099 Mainz
Tel. +49 6131 39-23277
E-Mail: hankeln@uni-mainz.de; schmi014@uni-mainz.de
http://molgen.biologie.uni-mainz.de/
Weitere Links:
http://www.nature.com/ncomms/2014/140603/ncomms4966/abs/ncomms4966.html
Vor etwa 50 Millionen Jahren kühlt sich die Erde nach einer Hitze-Periode deutlich ab. Offenere Lebensräume wie Savannen entstehen, zahlreiche neue Arten bilden sich und passen sich an die veränderten Bedingungen an. Ein unscheinbares, rattengroßes Nagetier, der heute in Südosteuropa, Vorderasien und Nordafrika heimische Blindmull Spalax galili, entscheidet sich dabei für ein Leben unter Tage. Meist allein in seinen unterirdischen Gängen, findet er dort genug Wurzeln und Rüben als Nahrung und entgeht manchem Unbill an der Erdoberfläche. Augen werden nicht mehr gebraucht und überwachsen mit Fell. Die Kehrseite dieses Lebensstils ist jedoch anderer Stress: zu wenig lebensnotwendiger Sauerstoff, besonders wenn der Boden durch regionale Starkregen überflutet wird, und ein Zuviel an tödlichem Kohlendioxid. Doch Spalax passt sich perfekt an. Mit weniger als einem Drittel des normalerweise verfügbaren Sauerstoffs kann der Blindmull problemlos für viele Stunden ohne Schäden an empfindlichen Organen wie dem Gehirn überleben. Für Ratten oder Menschen wäre dies binnen kurzer Zeit tödlich, auch hiesige Maulwürfe können da nicht mithalten.
Dabei entwickeln sich weitere phantastisch klingende Fähigkeiten, die Biologen staunen lassen. Der Blindmull erreicht problemlos ein Alter von mehr als 20 Jahren, während seine engen Verwandten Maus und Ratte mit 3 Jahren bereits wahre Methusalems ihrer Art sind. Doch nicht genug, Spalax bekommt natürlicherweise und selbst nach einer Behandlung mit kanzerogenen Chemikalien im Labor keinen Krebs. Diese einzigartigen zellulären Mechanismen sind es, die den Blindmull für die Forschung hochgradig attraktiv machen. Hier kann die Wissenschaft untersuchen, wie Sauerstoffmangel etwa nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt, Krebs und Altern innovativ und erfolgreich zu bekämpfen wären.
Der potenzielle Schatz an biomedizinischem Wissen, der in Spalax ruht, wird nun mit Methoden der modernen Genomforschung untersucht. Ein internationales Konsortium, koordiniert von israelischen Wissenschaftlern der Universität Haifa um Prof. Dr. Eviatar Nevo, hat soeben die gesamte Erbinformation des Blindmulls entschlüsselt und initial ausgewertet. Daran beteiligt waren auch Molekulargenetiker der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU).
Zwar liefert die Entschlüsselung des genetischen Bauplans nur die Vorarbeit zum Verständnis der Biologie von Spalax, doch die Mainzer Forscher fanden bereits auffällige Veränderungen in manchen Blutfarbstoff-Genen, die Teil der Anpassung an akuten Sauerstoffmangel sein könnten. Dem durch Kohlendioxidanhäufung im Blut erzeugten Säureschmerz entgeht der Blindmull durch eine Mutation in einem Schmerzrezeptor-Gen. Auch erste Hinweise auf die möglichen Ursachen der Krebstoleranz erhielt das Wissenschaftler-Konsortium. Durch eine auffällige Mutation im wichtigen Schaltergen p53 reduziert Spalax wohl den Prozess des kontrollierten Zell-Selbstmords (Apoptose), was den Verlust von Zellen nach Sauerstoffmangel-Stress minimieren kann. Die Apoptose ist aber eigentlich auch für die effiziente Beseitigung von Krebszellen erforderlich. Diese Schwächung überkompensiert Spalax möglicherweise durch besonders starke Aktivierung eines alternativen Weges, entartete Zellen zu entfernen.
Der Mainzer Arbeitsgruppenleiter Thomas Hankeln betont: "Wir haben durch die Genomsequenz jetzt jede Menge molekularer Ansatzpunkte. Aber erst weitere Forschung im Labor wird die genauen biologischen Zusammenhänge zu Tage fördern." Die Mainzer verfolgen dabei einen evolutionären Ansatz: "Wir wollen die Gene von Spalax im Detail mit denen eines zweiten besonderen Nagetiers vergleichen, nämlich des afrikanischen Nacktmulls. Er hat ähnliche Eigenschaften wie der Blindmull, ist aber nur ein sehr weit entfernter Verwandter. Beide Arten haben vermutlich ihre speziellen Überlebensfähigkeiten unabhängig und auf unterschiedliche Weise entwickelt. Aus dem Vergleich versprechen wir uns quasi doppelt so viele Hinweise auf neuartige Stoffwechselprozesse, die irgendwann für die Medizin nützlich sein könnten."
In den vom Land Rheinland-Pfalz unterstützen Arbeiten werden nun unter anderem durch "Next-Generation"-Sequenziertechnologien die Abläufe bestimmt, nach denen Mulle ihre Gene unter verschiedenen Stressbedingungen in einzelnen Organen aktivieren.
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http://www.uni-mainz.de/bilder_presse/10_molekulargenetik_spalax_genom.jpg
Blindmull Spalax galili
Foto: Prof. Dr. Eviatar Nevo, Haifa, Israel
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Xiaodong Fang et al.
Genome-wide adaptive complexes to underground stresses in blind mole rats Spalax
Nature Communications, 3. Juni 2014
DOI: 10.1038/ncomms49665:3966
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Institut für Molekulargenetik, gentechnologische Sicherheitsforschung und Beratung
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D 55099 Mainz
Tel. +49 6131 39-23277
E-Mail: hankeln@uni-mainz.de; schmi014@uni-mainz.de
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