25.06.2014 10:52 Uhr in Energie & Umwelt von Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW Berlin
Kohleverstromung gefährdet Klimaschutzziele und Energiewende: DIW Berlin und IASS sehen dringenden Handlungsbedarf
Kurzfassung: Kohleverstromung gefährdet Klimaschutzziele und Energiewende: DIW Berlin und IASS sehen dringenden Handlungsbedarf - CO2-Zertifikatehandel setzt keine ausreichenden Anreize für Wechsel zu emissionsa ...
[Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW Berlin - 25.06.2014] Kohleverstromung gefährdet Klimaschutzziele und Energiewende: DIW Berlin und IASS sehen dringenden Handlungsbedarf
- CO2-Zertifikatehandel setzt keine ausreichenden Anreize für Wechsel zu emissionsarmen Technologien
- Europäischer Emissionshandel derzeit nicht vollständig funktionsfähig
- DIW Berlin und IASS diskutieren flankierende Maßnahmen
Angesichts der anhaltend hohen Kohleverstromung in Deutschland sehen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) die kurzfristigen Klimaschutzziele der Bundesregierung und die deutsche Energiewende in Gefahr. "Der Handlungsbedarf ist sehr groß, denn derzeit gibt es keine Marktsignale, die die Kohleverstromung reduzieren würden", sagen Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin, und Klaus Töpfer, Exekutivdirektor des IASS. Auch weil der europäische Emissionsrechtehandel nicht richtig funktioniere, sei Kohle derzeit eine der preiswertesten Energieformen. "Da müssen wir dringend gegensteuern", so Kemfert und Töpfer. Kohlekraftwerke verursachen aktuell etwa ein Drittel des Kohlendioxidausstoßes in Deutschland. Neben der Strukturreform des europäischen Emissionshandelssystems sucht die Bundesregierung daher sowohl für ihr Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 als auch für den Klimaschutzplan 2050 nach Instrumenten zur Eindämmung der CO2-Emissionen, insbesondere für den Kraftwerkssektor. DIW Berlin und IASS haben in unterschiedlichen Studien ergänzende Klimaschutzinstrumente analysiert.
Auch nationale Instrumente konkret prüfen
Das DIW Berlin hat sich in seinen Untersuchungen auf die Rolle der Stein- und Braunkohle und aktuelle Instrumentenvorschläge zur CO2-Reduktion konzentriert. Dazu zählen etwa Mindestpreise für CO2-Zertifikate. Allerdings würden diese vermutlich zu gering ausfallen, als dass sie einen Brennstoffwechsel von Kohle zum CO2-ärmeren Erdgas bewirken könnten. Mindestwirkungsgrade von Kraftwerken und Flexibilitätsanforderungen würden nicht unmittelbar auf eine Verminderung der Kohlenstoffdioxidemissionen zielen und je nach Ausgestaltung auch Gaskraftwerke betreffen, die aufgrund ihrer Flexibilität besser zur Energiewende passen als Kohlekraftwerke. Ein Kohleausstiegsgesetz mit festgelegten Reststrom- oder Restemissionsmengen für Kohlekraftwerke könnte einen klaren Fahrplan für das Auslaufen der Kohleverstromung vorgeben, wäre politisch aber vermutlich kaum durchsetzbar.
Äußerst dringend ist nach Ansicht der beiden Institute eine Reform des europäischen Emissionshandels. Eigentlich sollte dieser für hohe CO2-Preise sorgen, die einen Anreiz bieten, nicht mehr so viel Kohle zu verstromen. Aufgrund struktureller Defizite, einer geringen Anpassungsfähigkeit, der hohen Volatilität und fehlendem politischen Konsens auf europäischer Ebene fällt die Lenkungswirkung derzeit aber weitgehend aus. So kostet die Berechtigung, eine Tonne CO2 auszustoßen, lediglich sechs Euro - um die Braunkohleverstromung zu verringern, wären aber Preise in einer Größenordnung von 40 bis 50 Euro pro Tonne notwendig. "Da dies eher unwahrscheinlich ist, muss man über flankierende Maßnahmen diskutieren", so Claudia Kemfert.
CO2-Emissionsgrenzwerte als zielführendes Instrument in Erwägung ziehen
Zu diesen flankierenden Maßnahmen könnten auch CO2-Emissiongrenzwerte gehören, die das IASS genauer untersucht hat. Das Ziel einer Einführung von CO2-Emissionsgrenzwerten für Kraftwerke ist die kurz- und mittelfristige Verminderung der CO2-Emissionen der deutschen Stromerzeugung. Emissionsgrenzwerte können Investitionen in emissionsintensive Neu- und Bestandsanlagen verhindern und so einer Verfestigung der bestehenden Kraftwerksstruktur mit potentiell negativer Rückwirkung auf die Klimapolitik vorbeugen. Zusätzlich können Emissionsgrenzwerte die CO2-Emissionen von Bestandskraftwerken beschränken. Intelligent ausgestaltete Emissionsgrenzwerte erlauben eine graduelle Verminderung der Stromerzeugung aus Kohle. "Sie können dazu beitragen einen Kohlekonsens - eine Übereinkunft zwischen den entscheidenden Akteursgruppen über eine kohärente Übergangsstrategie für den Kohlesektor - zu erreichen", sagt Klaus Töpfer.
Szenariorahmen der Übertragungsnetzbetreiber setzt weiterhin auf Braunkohle
Den Handlungsbedarf verdeutlicht auch der Szenariorahmen 2025, den die Übertragungsnetzbetreiber und die Bundesnetzagentur jüngst als Grundlage der Netzentwicklungsplanung für die kommenden zwei Jahrzehnte vorgelegt haben. Im Gegensatz zu früheren Versionen geht die aktuelle Version von weniger umweltfreundlichen Erdgaskraftwerken aus; dafür sind zwei neue Braunkohlekraftwerke vorgesehen. "Der für 2025 vorgelegte Szenariorahmen der Übertragungsnetzbetreiber macht deutlich, wie wichtig die Diskussion um die klimapolitischen Maßnahmen der Bundesregierung ist", sagt Christian von Hirschhausen, Forschungsdirektor am DIW Berlin.
K U R Z G E S A G T
Claudia Kemfert (Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin): "Die festgelegten nationalen CO2-Ziele sind mit dem Betrieb von Kohlekraftwerken kaum noch zu erreichen, weil bei der Kohleverbrennung sehr hohe Mengen an Treibhausgasen entstehen. Um die Emissionen zu senken, müsste in Deutschland vor allem in den Bereichen Verkehr und Wärme sehr viel mehr gemacht werden. Wenn man das nicht schafft, werden die Klimaziele schwer zu erreichen sein."
Klaus Töpfer (Exekutivdirektor des IASS Potsdam): "Durch die ausbleibende Verringerung der CO2-Emissionen der letzten Jahre, für die neben witterungsbedingten Einflüssen die Zunahme der Kohleverstromung verantwortlich war, wird sowohl die Akzeptanz der Energiewende im Inland als auch der internationale Vorbildcharakter der Energiewende gefährdet. Kurz- und mittelfristige Erfolge bei der Minderung der CO2-Emissionen sind deshalb wichtig und für das Erreichen der deutschen Klimaziele für 2020 unerlässlich. CO2-Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke sollten daher als zielführendes Instrument in Erwägung gezogen werden."
Christian von Hirschhausen (Forschungsdirektor am DIW Berlin): "Berechnungen des DIW Berlin sowie andere Fachexpertisen belegen, dass speziell die Braunkohle auf längere Sicht keinen Platz mehr im deutschen Energiesystem hat. Sollten die Preise für CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandelssystem aber auf absehbare Zeit nicht erheblich steigen, ist ein marktgetriebener Übergang von Kohle zu weniger CO2-intensiven Energieträgern wie Erdgas nicht zu erwarten."
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- CO2-Zertifikatehandel setzt keine ausreichenden Anreize für Wechsel zu emissionsarmen Technologien
- Europäischer Emissionshandel derzeit nicht vollständig funktionsfähig
- DIW Berlin und IASS diskutieren flankierende Maßnahmen
Angesichts der anhaltend hohen Kohleverstromung in Deutschland sehen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) die kurzfristigen Klimaschutzziele der Bundesregierung und die deutsche Energiewende in Gefahr. "Der Handlungsbedarf ist sehr groß, denn derzeit gibt es keine Marktsignale, die die Kohleverstromung reduzieren würden", sagen Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin, und Klaus Töpfer, Exekutivdirektor des IASS. Auch weil der europäische Emissionsrechtehandel nicht richtig funktioniere, sei Kohle derzeit eine der preiswertesten Energieformen. "Da müssen wir dringend gegensteuern", so Kemfert und Töpfer. Kohlekraftwerke verursachen aktuell etwa ein Drittel des Kohlendioxidausstoßes in Deutschland. Neben der Strukturreform des europäischen Emissionshandelssystems sucht die Bundesregierung daher sowohl für ihr Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 als auch für den Klimaschutzplan 2050 nach Instrumenten zur Eindämmung der CO2-Emissionen, insbesondere für den Kraftwerkssektor. DIW Berlin und IASS haben in unterschiedlichen Studien ergänzende Klimaschutzinstrumente analysiert.
Auch nationale Instrumente konkret prüfen
Das DIW Berlin hat sich in seinen Untersuchungen auf die Rolle der Stein- und Braunkohle und aktuelle Instrumentenvorschläge zur CO2-Reduktion konzentriert. Dazu zählen etwa Mindestpreise für CO2-Zertifikate. Allerdings würden diese vermutlich zu gering ausfallen, als dass sie einen Brennstoffwechsel von Kohle zum CO2-ärmeren Erdgas bewirken könnten. Mindestwirkungsgrade von Kraftwerken und Flexibilitätsanforderungen würden nicht unmittelbar auf eine Verminderung der Kohlenstoffdioxidemissionen zielen und je nach Ausgestaltung auch Gaskraftwerke betreffen, die aufgrund ihrer Flexibilität besser zur Energiewende passen als Kohlekraftwerke. Ein Kohleausstiegsgesetz mit festgelegten Reststrom- oder Restemissionsmengen für Kohlekraftwerke könnte einen klaren Fahrplan für das Auslaufen der Kohleverstromung vorgeben, wäre politisch aber vermutlich kaum durchsetzbar.
Äußerst dringend ist nach Ansicht der beiden Institute eine Reform des europäischen Emissionshandels. Eigentlich sollte dieser für hohe CO2-Preise sorgen, die einen Anreiz bieten, nicht mehr so viel Kohle zu verstromen. Aufgrund struktureller Defizite, einer geringen Anpassungsfähigkeit, der hohen Volatilität und fehlendem politischen Konsens auf europäischer Ebene fällt die Lenkungswirkung derzeit aber weitgehend aus. So kostet die Berechtigung, eine Tonne CO2 auszustoßen, lediglich sechs Euro - um die Braunkohleverstromung zu verringern, wären aber Preise in einer Größenordnung von 40 bis 50 Euro pro Tonne notwendig. "Da dies eher unwahrscheinlich ist, muss man über flankierende Maßnahmen diskutieren", so Claudia Kemfert.
CO2-Emissionsgrenzwerte als zielführendes Instrument in Erwägung ziehen
Zu diesen flankierenden Maßnahmen könnten auch CO2-Emissiongrenzwerte gehören, die das IASS genauer untersucht hat. Das Ziel einer Einführung von CO2-Emissionsgrenzwerten für Kraftwerke ist die kurz- und mittelfristige Verminderung der CO2-Emissionen der deutschen Stromerzeugung. Emissionsgrenzwerte können Investitionen in emissionsintensive Neu- und Bestandsanlagen verhindern und so einer Verfestigung der bestehenden Kraftwerksstruktur mit potentiell negativer Rückwirkung auf die Klimapolitik vorbeugen. Zusätzlich können Emissionsgrenzwerte die CO2-Emissionen von Bestandskraftwerken beschränken. Intelligent ausgestaltete Emissionsgrenzwerte erlauben eine graduelle Verminderung der Stromerzeugung aus Kohle. "Sie können dazu beitragen einen Kohlekonsens - eine Übereinkunft zwischen den entscheidenden Akteursgruppen über eine kohärente Übergangsstrategie für den Kohlesektor - zu erreichen", sagt Klaus Töpfer.
Szenariorahmen der Übertragungsnetzbetreiber setzt weiterhin auf Braunkohle
Den Handlungsbedarf verdeutlicht auch der Szenariorahmen 2025, den die Übertragungsnetzbetreiber und die Bundesnetzagentur jüngst als Grundlage der Netzentwicklungsplanung für die kommenden zwei Jahrzehnte vorgelegt haben. Im Gegensatz zu früheren Versionen geht die aktuelle Version von weniger umweltfreundlichen Erdgaskraftwerken aus; dafür sind zwei neue Braunkohlekraftwerke vorgesehen. "Der für 2025 vorgelegte Szenariorahmen der Übertragungsnetzbetreiber macht deutlich, wie wichtig die Diskussion um die klimapolitischen Maßnahmen der Bundesregierung ist", sagt Christian von Hirschhausen, Forschungsdirektor am DIW Berlin.
K U R Z G E S A G T
Claudia Kemfert (Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin): "Die festgelegten nationalen CO2-Ziele sind mit dem Betrieb von Kohlekraftwerken kaum noch zu erreichen, weil bei der Kohleverbrennung sehr hohe Mengen an Treibhausgasen entstehen. Um die Emissionen zu senken, müsste in Deutschland vor allem in den Bereichen Verkehr und Wärme sehr viel mehr gemacht werden. Wenn man das nicht schafft, werden die Klimaziele schwer zu erreichen sein."
Klaus Töpfer (Exekutivdirektor des IASS Potsdam): "Durch die ausbleibende Verringerung der CO2-Emissionen der letzten Jahre, für die neben witterungsbedingten Einflüssen die Zunahme der Kohleverstromung verantwortlich war, wird sowohl die Akzeptanz der Energiewende im Inland als auch der internationale Vorbildcharakter der Energiewende gefährdet. Kurz- und mittelfristige Erfolge bei der Minderung der CO2-Emissionen sind deshalb wichtig und für das Erreichen der deutschen Klimaziele für 2020 unerlässlich. CO2-Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke sollten daher als zielführendes Instrument in Erwägung gezogen werden."
Christian von Hirschhausen (Forschungsdirektor am DIW Berlin): "Berechnungen des DIW Berlin sowie andere Fachexpertisen belegen, dass speziell die Braunkohle auf längere Sicht keinen Platz mehr im deutschen Energiesystem hat. Sollten die Preise für CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandelssystem aber auf absehbare Zeit nicht erheblich steigen, ist ein marktgetriebener Übergang von Kohle zu weniger CO2-intensiven Energieträgern wie Erdgas nicht zu erwarten."
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