16.07.2014 11:37 Uhr in Kultur & Kunst von VolkswagenStiftung

Rückenwind für Kreative: Erstes 'Forum Experiment!'

Kurzfassung: Rückenwind für Kreative: Erstes "Forum Experiment!"Wagnis geglückt? Zwölf Monate nach dem Start der ersten in der Initiative "Experiment!" geförderten Forschungsprojekte präsentieren die Beteili ...
[VolkswagenStiftung - 16.07.2014] Rückenwind für Kreative: Erstes "Forum Experiment!"

Wagnis geglückt? Zwölf Monate nach dem Start der ersten in der Initiative "Experiment!" geförderten Forschungsprojekte präsentieren die Beteiligten ihre Zwischenergebnisse.
704 Bewerberinnen und Bewerber gab es seinerzeit, die sich für das neue, unkonventionelle Förderangebot "Experiment!" der VolkswagenStiftung interessiert hatten - 13 von ihnen schafften letztlich alle Hürden in dem mehrstufigen Auswahlverfahren. Sie erhielten Mitte 2013 jeweils 100.000 Euro, um ihren unkonventionellen Ideen aus den Natur-, Lebens- und Ingenieurwissenschaften Leben einzuhauchen.
18 Monate haben sie dafür insgesamt Zeit, jetzt aber, nach einem Jahr, galt es, beim ersten "Forum Experiment!" zu zeigen, was gelungen war - und was vielleicht auch nicht. Um zunächst zur Eingangsfrage zurückzukommen: Ja, das Wagnis ist geglückt, auch wenn die 13 Wissenschaftler - hinter denen sich zumeist Teams verbergen - mit ihren Projekten natürlich auf unterschiedlichen Treppen der Erfolgsleiter stehen. Doch interessante Zwischenergebnisse präsentierten sie alle am vergangenen 11. Juli im Tagungszentrum Schloss Herrenhausen.
Zum Beispiel Professor Dr. Matthias Weiss von der Universität Bayreuth. Sein Interesse gilt der Komplexität der Transportprozesse in einer Zelle und der Vielfalt molekularer Interaktionen dort. Konkret will er wissen: Wie funktioniert explizit die Selbstorganisation der zentralen Bausteine und Schaltstellen der Körperzellen, der sogenannten Organellen? Bei den Organellen handelt es sich um strukturell abgrenzbare Bereiche einer Zelle, die eine besondere Funktion haben - so stellen einige beispielsweise sicher, dass die nötige Energie für zelluläre Prozesse bereitsteht, oder sie sind die Maschinerie für die Proteinbiosynthese.
Bei seiner Arbeit musste Weiss quasi bei null anfangen. Er konzentrierte sich auf das Endoplasmatische Retikulum (ER) und auf den Golgi Apparat. Das ER ist ein reich verzweigtes Kanalsystem flächiger Hohlräume, das von Membranen umschlossen ist. Man findet es mit Ausnahme von ausgereiften roten Blutkörperchen in allen Zellen höherer (eukayotischer) Lebensformen. Der Golgi-Apparat zählt ebenfalls zu den Organellen eukaryotischer Zellen und bildet einen membranumschlossenen Reaktionsraum innerhalb der Zelle. Er ist an der Sekretbildung und weiteren Aufgaben des Zellstoffwechsels beteiligt.
Weiss ist es nun zunächst gelungen, die genannten Zellbausteine zu extrahieren und sie aufzureinigen. Derzeit steckt er in der ersten Runde sich anschließender Rekonstruktionsexperimente. Hier gelang es ihm bereits, die Bildung der Organellen zu beeinflussen - nicht unerheblich, denkt man daran, dass manche Krankheiten bis hinunter auf die Ebene zellulärer Organellen durchschlagen. So hat man etwa bei Parkinson jüngst Veränderungen auch an den Mitochondrien zeigen können; jenen Organellen, die die Energie für zelluläre Prozesse bereitstellen. Ein Stück des Wegs liegt noch vor ihm, aber eben das ist ja auch typisch für die Initiative "Experiment!". Doch ebenso sichtbar wurde auch, dass seine Forschung Grundlegendes hervorbringen und die Basis legen könnte für reichlich neue Aktivitäten auf dem Gebiet.
Professor Dr. Carsten Beta von der Universität Potsdam ist Beispiel Nummer zwei. Er sucht nach neuen Wegen, wie in Mikrofluidik-Kanälen polarisierte Zellen als Transporter für kleinste Lasten genutzt werden können, zudem in einem weitgehend eigenständigen, sich selbst organisierenden Prozess. Also "Mikro-Frachten" transportiert von "Mikro-Trucks" - vereinfacht ausgedrückt. Zwar gibt es schon ähnliche Verfahren, diese jedoch nutzen meist eine eigens induzierte magnetische Anziehung zwischen den agierenden Partnern, z.B. mittels an die Zelle angehefteter Magnetpartikel. Doch eben das greift nicht für alle denkbaren Einsatzmöglichkeiten.
In mehreren Einspielfilmen konnte Carsten Beta zeigen, dass mit seinem Versuchsvehikel, dem Schleimpilz Dictyostelium, der Transport in Mikrofluidik-Kanälen bereits über kurze Strecken funktioniert. Auch hier sind längst noch nicht alle Fragen geklärt - etwa, wie die Transportvehikel oder deren Bausteine den Mikrokanal wieder verlassen, oder auch, wie der gerichtete Transport zielsicher über größere Strecken in einer komplexen Kanalgeometrie funktionieren könnte.
Und zum Beispiel Professorin Dr. Sidney Omelon, die für ihr Projekt eigens von Kanada ins Brandenburgische, an das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung nach Potsdam-Golm gekommen ist. Sie interessiert die große unbeantwortete Frage in der Knochenbiologie, die zunächst scheinbar einfach klingt: Wie mineralisieren Knochen? Wie also schaffen es kleine Zellen, unser hartes Skelett zu bauen und durch Reparatur zu erhalten?
"Das Phänomen als Ganzes ist noch nicht so weit verstanden, dass sich Knochen problemlos nachbauen ließen", umreißt Professorin Sidney Omelon eingangs noch einmal die Intention ihres "Experiments". Über den Vorgang der Mineralisation weiß man, dass Osteoblasten - also jene Zellen, die den Knochenaufbau steuern - Ca2+ und Phosphat aufnehmen und diese Minerale auch gezielt abzugeben vermögen. Muss Knochen an einem Ort, etwa nach einer Beschädigung, wieder aufgebaut werden, können die Zellen eine "Übersättigung" herbeiführen. In der Folge bildet sich die neue Knochen-Grundsubstanz: nanometerkleine Calciumphosphat-Partikel. So weit, so bekannt.
Die zentrale, unverstandene Rolle bei der Knochenmineralisation spielt ein während des gesamten Prozesses äußerst aktives Enzym: die alkalische Phosphatase. Sie ist an der Außenseite der Osteoblasten-Zellmembran verankert und stellt die benötigten Phosphat-Ionen zur Verfügung; vermutlich, indem sie diese aus organischen Molekülen abspaltet. Im Zuge ihrer Präsentation konnte Sidney Omelon nun eindrucksvoll zeigen, dass es ihr gelungen ist, den Prozess rund um die alkalische Phosphatase und damit die Knochenmineralisation ein merkliches Stück weit aufzuklären. Damit, das machte sie deutlich, rückt ein weiteres ihrer Ziele in Reichweite: die Herstellung eines synthetischen Knochenmaterials, das in Funktionalität und Haltbarkeit dem Original möglichst nahe kommt. Solch einem Prototyp könnte dann ebenso zügig der Schritt in den klinischen Einsatz folgen.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Beim ersten "Forum Experiment!" wurden eines deutlich: Alle 13 Projekte eint, dass sie neue, oft den gängigen wissenschaftlichen Hypothesen widersprechende Ansätze verfolgen. Sie hätten in regulären Förderprogrammen so gut wie keine Chance auf Unterstützung gehabt. Die VolkswagenStiftung als risikobereiter Förderer aber steht bereit, um die Tragfähigkeit solch gewagten Ideen in einer explorativen Phase erproben zu lassen.
Projektbeschreibungen aller 13 geförderten "Experimente" finden Sie zum Nachlesen im Wissenschaftsmagazin "Impulse 2/2014" der VolkswagenStiftung (Seite 8 ff.).
Der nächste Stichtag der Förderinitiative "Experiment!" ist der 1. September 2015. Weitere Informationen unter www.volkswagenstiftung.de/experiment.

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