Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen das Ausbleiben einer Rentenerhöhung und die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge zum 1. Juli 2005

Kurzfassung: Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen das Ausbleiben einer Rentenerhöhung und die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge zum 1. Juli 2005 Das Ausbleiben einer Rentenerhöhung und die Erhöhung der Kr ...
[Bundesverfassungsgericht - 29.07.2014] Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen das Ausbleiben einer Rentenerhöhung und die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge zum 1. Juli 2005

Das Ausbleiben einer Rentenerhöhung und die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge der Rentner zum 1. Juli 2005 verstoßen nicht gegen
das Grundgesetz. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden. Mit beiden Maßnahmen hat sich der Gesetzgeber innerhalb seines Gestaltungsermessens im Bereich des Sozialrechts bewegt.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführer wenden sich u. a. gegen das Ausbleiben einer Rentenerhöhung zum 1. Juli 2005 sowie gegen Änderungen bei der
Krankenversicherung der Rentner zu diesem Termin. Mit ihren Verfassungsbeschwerden greifen sie den jeweiligen Bescheid ihres Rentenversicherungsträgers sowie die diesen bestätigenden sozialgerichtlichen Entscheidungen an.
Die Fortschreibung der Rentenwerte ist im Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) geregelt. Wesentliche Faktoren sind zum einen die Entwicklung der Löhne und Gehälter und zum anderen die Entwicklung der Rentenversicherungsbeiträge, in die seit 2002 ein sogenannter
Altersvorsorgeanteil für die private Altersversorgung eingerechnet wird. Seit 2004 gilt zudem ein Nachhaltigkeitsfaktor, der die ungünstige demografische Entwicklung in Deutschland abfedern soll. Bei der Fortschreibung des aktuellen Rentenwerts zum 1. Juli 2005 konnte die dämpfende Wirkung des ansteigenden Altersvorsorgeanteils und des Nachhaltigkeitsfaktors durch die geringe positive Lohnentwicklung von 0,12 % in den alten Ländern nicht kompensiert werden. Rechnerisch hätte sich der Rentenwert trotz einer positiven Lohnentwicklung vermindert; wegen einer gesetzlichen Schutzklausel blieb es jedoch bei der bisherigen Höhe des Rentenwerts.
Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung beschloss der Gesetzgeber im Jahr 2003, dass die Versicherten ab 1. Januar 2006 einen zusätzlichen Beitrag in Höhe von 0,5 % tragen sollen. Hintergrund war die Absicht, die Arbeitgeber und Rentenversicherungsträger in einem Umfang zu entlasten, der in etwa den Aufwendungen der Krankenkassen für das Krankengeld entspricht. Darüber hinaus sollte zum 1. Januar 2005 der Zahnersatz aus dem Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung herausgenommen werden. Nachdem sich Schwierigkeiten bei der Einführung einer eigenständigen Zahnersatzversicherung gezeigt hatten, nahm der Gesetzgeber diese Änderung im Jahr 2004 zurück. Um die geplante Entlastung der Arbeitgeber dennoch zu erreichen, wurde nunmehr bereits ab 1. Juli 2005 ein zusätzlicher Beitrag der Arbeitnehmer und Rentner in Höhe von 0,9 % erhoben.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise unzulässig, im Übrigen jedenfalls unbegründet.
1. Grundrechte der Beschwerdeführer werden durch die unterbliebene Erhöhung der Renten zum 1. Juli 2005 nicht verletzt.
a) Ob der Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 Abs. 1 Satz 1
GG) auch die jährliche Rentenanpassung umfasst, kann im Ergebnis offen bleiben, denn die angegriffene Fortschreibung des Rentenwerts zum 1. Juli 2005 ist jedenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt und bestimmt zugleich Inhalt und Schranken des Eigentums in verfassungsgemäßer Weise.
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat anerkannt, dass dem Gesetzgeber eine ausreichende Flexibilität erhalten bleiben muss, um das
Rentenversicherungssystem und insbesondere dessen Finanzierung zu gewährleisten. Gesetzliche Maßnahmen, die der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung dienen, müssen allerdings von einem gewichtigen öffentlichen Interesse getragen und verhältnismäßig sein.
bb) Die Änderungen der Formel zur Fortschreibung des aktuellen Rentenwerts, insbesondere die Einfügung des Altersvorsorgeanteils und
des Nachhaltigkeitsfaktors, sind von dem gewichtigen öffentlichen Interesse bestimmt, die Finanzierbarkeit des Systems der gesetzlichen
Rentenversicherung zu sichern. Dabei sah der Gesetzgeber die Bewahrung der Generationengerechtigkeit als für die gesetzliche Rentenversicherung existenziell an, weil Jung und Alt, Beitragszahler und Leistungsbezieher aufgrund der praktizierten Umlagefinanzierung im sogenannten Generationenvertrag miteinander verbunden sind.
Maßgebend für die Einführung des Altersvorsorgeanteils war die vor dem Hintergrund des demografischen Wandels unter jüngeren Menschen weit verbreitete Unsicherheit, ob sie trotz hoher Beiträge im Alter noch eine ausreichende Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten werden. Es wurde zunehmend bezweifelt, dass künftige Beitragszahler ab dem Jahr 2030 bereit sein werden, eine Belastung ihres Einkommens durch die Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von möglicherweise 24 bis 26 % zu akzeptieren.
Die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors geht auf wissenschaftliche Erkenntnisse zum Ausmaß des demografischen Wandels zurück. Die
Zielorientierung war, dass die Beiträge zur Rentenversicherung bis zum Jahr 2020 nicht über 20 % und bis zum Jahr 2030 nicht über 22 % steigen sollten, um sicherzustellen, dass auch bei einer angemessenen Versorgung im Alter die Versicherten nicht überfordert werden.
cc) Der Gesetzgeber durfte sowohl die Einfügung des Altersvorsorgeanteils als auch die Einfügung des Nachhaltigkeitsfaktors als geeignet und erforderlich ansehen. Es liegt innerhalb seines Gestaltungsermessens, wenn er der Stabilisierung und Begrenzung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung aus systemimmanenten Gründen zur Wahrung des Grundsatzes der Generationengerechtigkeit
Priorität einräumt. Vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage war er auch nicht gehalten, den sich abzeichnenden Finanzbedarf über einen höheren Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung sicherzustellen.
dd) Die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen gesetzlichen Maßnahmen sind, jedenfalls mit Blick auf die Fortschreibung der
Rentenwerte zum 1. Juli 2005, verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Lohnentwicklung als wesentlicher Maßstab wird lediglich ergänzt um strikt regelgebundene Mechanismen, die die steigenden, aber auch gegebenenfalls sinkenden Aufwendungen der jüngeren Generation für die Alterssicherung bei der Rentenanpassung berücksichtigen. Damit die beiden Dämpfungsfaktoren im Ergebnis nicht zu einer Kürzung des aktuellen Rentenwerts führen, wurde zudem eine Schutzklausel eingefügt, nach der sie nur insoweit angewendet werden, wie sie eine positive Lohn- und Gehaltsentwicklung neutralisieren. Die Bewertung der erbrachten Vorleistungen hat der Gesetzgeber damit nicht geändert. Auch die rentenrechtliche Rangstelle der Versicherten in der Solidargemeinschaft, die ihren Anteil an der Umverteilung bestimmt, wird nicht berührt.
b) Ein Verstoß gegen das Rechts- und Sozialstaatsprinzip des Art. 20
Abs. 1 und 3 GG ist gleichfalls nicht ersichtlich. Wo konkret der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der
Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung seine Grenze findet, weil die Rente ihre Funktion als substantielle Alterssicherung verlöre,
bedarf mit Blick auf die hier angegriffene Rentenanpassung zum 1. Juli 2005 keiner Entscheidung. Denn es ist offensichtlich, dass diese Grenze hierdurch nicht erreicht wird.
2. Auch die den Rentnerinnen und Rentnern auferlegte Pflicht, einen zusätzlichen Krankenkassenbeitrag zur Krankenversicherung der Rentner allein zu tragen, ist mit der Verfassung vereinbar.
a) Auch hier kann im Ergebnis offen bleiben, ob der Schutzbereich des Eigentumsgrundrechtes (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) eröffnet ist, denn die Einführung des Zusatzbeitrags ist jedenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt und bestimmt zugleich Inhalt und Schranken des Eigentums in verfassungsgemäßer Weise.
b) Die angestrebte Senkung der Lohnnebenkosten ist ein Regelungsziel, das im öffentlichen Interesse liegt, denn mit der finanziellen
Entlastung der Arbeitgeber und auch der Rentenversicherung sollte die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung dazu beitragen,
Beschäftigung zu fördern, was wiederum zu mehr Einnahmen und damit zu einer Stabilisierung der Finanzgrundlagen der Sozialversicherung insgesamt führen sollte. Ziel war es, die gesetzliche Krankenversicherung vor dem Hintergrund des damaligen Ausgabenanstiegs und der dadurch verursachten Finanzierungslücke vor allem durch strukturelle Änderungen finanziell zu entlasten.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer veranlasst der Umstand, dass der Gesetzentwurf die Erhebung des Zusatzbeitrags im Zusammenhang mit einer Umfinanzierung des Krankengelds nennt, insoweit keine andere Beurteilung. Zu Recht geht das Bundessozialgericht davon aus, dass der von den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung zu entrichtende zusätzliche Krankenversicherungsbeitrag rechtlich nicht an die Finanzierung bestimmter Leistungen, insbesondere des Krankengeldes, gebunden ist, sondern allenfalls die Größenordnung bezeichnet werden sollte, in dem Arbeitgeber und Rentenversicherungsträger entlastet werden sollten.
c) Der Gesetzgeber durfte die Einführung des Zusatzbeitrags unter Ausschöpfung seines Gestaltungsspielraums als geeignet und erforderlich ansehen. Gegen die Einschätzung, die Maßnahme ermögliche das Beitragssatzniveau und damit die Lohnnebenkosten von Arbeitgebern zu senken, ist nichts einzuwenden. Allein für die gesetzliche Rentenversicherung sollten sich im Vergleich zu 2004 im Jahr 2005
Minderausgaben in einer finanziellen Größenordnung von 450 Millionen Euro und ab 2006 von 900 Millionen Euro ergeben, welche indirekt über einen Dämpfungseffekt auf den Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung die Arbeitskosten entlasten sollten.
d) Bei einem Vergleich der Schwere der Beeinträchtigung und der Bedeutung des verfolgten öffentlichen Belangs ist den Rentnern die ihnen auferlegte zusätzliche Beitragslast zumutbar. Sie ist nicht derart gravierend, dass sie von ihnen nicht getragen werden könnte, zumal die auferlegte zusätzliche Belastung einkommensproportional ausgestaltet ist. Bezogen auf eine monatliche Standardrente im Juli 2005 in Höhe von 1.176 Euro in den alten Ländern erfolgte eine Minderung des monatlichen Rentenzahlbetrags um 5,29 Euro.

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