26.08.2014 16:18 Uhr in Wirtschaft & Finanzen von VolkswagenStiftung

Intelligent Reverse Engineering

Kurzfassung: Intelligent Reverse EngineeringFreigeist-Fellow Jonas Rose erforscht die Intelligenz von KrähenAm 29. April erhielt der Neurowissenschaftler Dr. Jonas Rose das Freigeist-Fellowship der VolkswagenStif ...
[VolkswagenStiftung - 26.08.2014] Intelligent Reverse Engineering

Freigeist-Fellow Jonas Rose erforscht die Intelligenz von Krähen
Am 29. April erhielt der Neurowissenschaftler Dr. Jonas Rose das Freigeist-Fellowship der VolkswagenStiftung. Mit seiner Förderung wechselte er vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge an die Universität Tübingen. Dort beschäftigt Rose sich in seinem Projekt "A Birds Eye View on the Evolution of Cognition: Crows as a New Model for Cognitive Neuroscience" mit den neuronalen Grundlagen von kognitivem, intelligentem Verhalten - vor allem am Beispiel von Krähen.
Herr Rose, seit Ende April sind Sie offiziell ein Freigeist-Fellow. In dieser Zeit werden Sie sich mit der Intelligenz von Krähen beschäftigen. Sind Krähen Ihnen eigentlich sympathisch?
Ja, ich finde Krähen faszinierend. Auch wenn sie bedrohlich wirken mögen, sind Krähen doch hochintelligente Tiere.
Sie sind einer der ersten Wissenschaftler, der sich mit der Intelligenz von Krähen auseinandersetzt. Warum ist das ein neues Forschungsfeld?
Früher bestand kaum Anreiz darin, sich intelligentes Verhalten von Krähen anzusehen. Man ist davon ausgegangen, dass es sinnvoll ist, Tiere zu untersuchen, die evolutionär nahe am Menschen liegen. Vögel waren konsequenterweise nie spannende Untersuchungsobjekte.
Warum nicht?
Die Entwicklungslinien der Vögel und Säugetiere haben sich in der Evolution schon vor ca. 300 Millionen Jahren voneinander getrennt. Da sich dementsprechend die Gehirnstruktur der Menschen und der Vögel sehr unterschiedlich ausgeprägt haben, sprach man Vögeln sogar die Fähigkeit ab, überhaupt Intelligenz entwickeln zu können. Mittlerweile wissen wir aber aus Beobachtungen, dass Vögel sehr viele Intelligenzleistungen hervorbringen.
Und denen möchten Sie auf den Grund gehen?
Ja, für mich ist spannend: Wenn man der Schule folgt, dass man Intelligenz nur begreifen kann, indem man möglichst menschenähnliche Tiere untersucht, befindet man sich notgedrungen in einem Szenario, in dem man sich immer nur sehr ähnliche Gehirne anschaut. Es besteht dann die Gefahr, alle auffälligen Befunde als biologische Grundprinzipien zu sehen, auch wenn sie sich eventuell nur zufällig in unserer evolutionären Linie so entwickelt haben.
Dr. Jonas Rose erforscht die Intelligenz von Krähen. Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung.
Sie wollen das alte Denkmuster hinterfragen?
Genau. Bei den Vögeln haben wir die Möglichkeit, uns ein Gehirn anzuschauen, in dem sich Intelligenz evolutionär weitgehend unabhängig entwickelt hat. Der Vergleich dieser unterschiedlichen evolutionären Lösungen kann also dabei helfen, zwischen zufälligen Lösungen und neurologischen Grundprinzipien zu unterscheiden.
Meine Metapher ist immer, wir machen "Reverse Engineering". Wir schauen uns eine Maschine an, die schon funktioniert und bestimmte Aufgaben übernimmt. Wenn wir uns immer die gleiche Baureihe, z.B. einen VW Golf, anschauen und versuchen abzuleiten, wie ein Auto generell aussehen muss, dann kommen wir beispielsweise zu dem Ergebnis, dass der Benzinmotor unabdinglich ist. Würden wir uns aber ein anderes Fahrzeug, z.B. das Tesla Elektroauto ansehen, kämen wir eventuell auch auf andere Lösungsstrategien. In ähnlicher Weise erlaubt uns auch die Untersuchung des Vogelhirns, die allgemeingültigen Ergebnisse, die wir aus der Forschung mit Säugetieren gewonnen haben, zu überprüfen.
Spannend. Wie lautet nun also Ihre Arbeitsthese in Bezug zur Intelligenz?
Meine These lässt sich in etwa folgendermaßen fassen: Intelligenz hat sich weitgehend unabhängig in der Säugetier- und in der Vogellinie entwickelt. Dementsprechend zeigt sie auch unterschiedliche Gehirnstrukturen, die intelligentes Verhalten produzieren können. Spannend ist nun, nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser Gehirnstrukturen zu suchen.
Dr. Jonas Rose erforscht die Intelligenz von Krähen. Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung.
Welche Unterschiede sind bereits in der Hirnstruktur von Vögeln und Menschen erkennbar?
Unterschiede lassen sich schon auf den ersten Blick erkennen: Das Deutlichste ist, dass das Vogelgehirn nicht die Schichtung und Faltung besitzt, die den Kortex der Säugetiere auszeichnet. Erstaunlicherweise wird aber genau dieser Region beim Säugetier die Intelligenz zugesprochen. Da Vögel ohne Kortex allerdings ebenfalls in der Lage sind, intelligentes Verhalten zu produzieren, kann die Struktur des Kortex also nicht alleinige Voraussetzung für Intelligenz sein.
Mittlerweile wissen wir auch aus der Neuroanatomie, dass es bei Vögeln eine andersartige Struktur gibt, die Aufgaben des Kortex übernimmt. Obwohl diese Struktur auf den ersten Blick sehr anders aussieht, gibt es auch Gemeinsamkeiten. Mich interessiert deshalb die Frage: Wie erreicht dieses anders aussehende Gehirn vergleichbare Leistungen?
Das ist eine gute Frage. Wie untersuchen Sie das?
Im ersten Schritt gilt es zu überprüfen, wie gut Krähen überhaupt die Leistungen erbringen können, die mich interessieren. Informationen darüber erhalte ich, indem ich mir anschaue, wie gut sie beispielsweise Kurzzeitgedächtnisaufgaben beherrschen; also wie viele Informationen sie sich gleichzeitig merken können.
Durch das Messen der neuronalen Aktivitäten im Gehirn als zweiten Schritt kann ich untersuchen, wo der Flaschenhals sitzt. Ich schaue mir an, wo Informationen verloren gehen und wie zwischen verschiedenen Hirnarealen Information aufrechterhalten werden. Anschließend möchte ich diese Daten mit Primatendaten vergleichen.
Wie sieht so ein Experiment in der Praxis aus?
Die Kapazität von Kurzzeitgedächtnis kann ich durch Verhaltensaufgaben untersuchen. Wenn man sich vorstellt, man muss sich für kurze Zeit eine Zahlenkette merken - zum Beispiel eine Telefonnummer aus dem Telefonbuch auf dem Weg zum Telefon - dann ist der Schwierigkeitsgrad wesentlich höher, je länger die Zahlenkette ist.
Ähnliche Gedächtnisaufgaben, die allerdings krähentauglich sind, führen wir ebenso durch, indem wir uns ihre visuellen Fähigkeiten zu Nutze machen: Wir platzieren sie vor einem Touchscreen, auf dem wir verschiedene Farben zeigen, die sie sich für eine kurze Zeit merken. Nach Ablauf dieser Zeit erscheinen die Farben ein weiteres Mal, jedoch wurde eine Farbe ausgetauscht. Die Krähen müssen dann anzeigen, was sich genau verändert hat, indem sie an die entsprechende Stelle picken. Ähnlich wie bei der Telefonnummer hängt die Schwierigkeit der Aufgabe von der Anzahl der Farben ab. Das lässt Rückschlüsse auf die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses zu.
Im nächsten Schritt kann ich dann die neuronale Aktivität messen, während die Tiere die Aufgabe lösen. So kann ich untersuchen, wie diese Prozesse im Krähenhirn ablaufen und auch welche Hirnstrukturen oder Prozesse das Kurzzeitgedächtnis begrenzen. Diese Ergebnisse lassen sich dann wiederum mit denen ähnlicher Untersuchungen, die ich zu meiner Zeit am MIT mit Makaken durchgeführt habe, vergleichen.
Gibt es schon ein paar Erkenntnisse?
Bei Untersuchungen an Affen konnte gezeigt werden, dass ihre Gehirnhälften ein Stück weit unabhängige Kapazitäten besitzen. Das heißt, die Informationen in der rechten und in der linken Gehirnhälfte sind voneinander unabhängig und beide Hemisphären lassen sich gleichzeitig auffüllen, ohne dass die andere darunter leidet.
Meine Untersuchungen bei Vögeln sind aufgrund der kurzen Laufzeit meines bisherigen Fellowships natürlich noch nicht weit fortgeschritten (*Rose hat im Juni 2014 das Fellowship angetreten). Bei Vögeln würde ich aber erwarten, dass diese Unabhängigkeit noch stärker zum Tragen kommt, da zwischen den Hirnhälften deutlich weniger kommuniziert wird. Das heißt, das Kurzzeitgedächtnis könnte noch viel stärker darauf zurückgreifen, die beiden Hirnhälften unabhängig voneinander zu nutzen.
Anmerkung: Am 5. August veröffentlichte Rose zusammen mit weiteren Wissenschaftlern die Studie "Dopamine modulation of learning and memory in the prefrontal cortex: insights from studies in primates, rodents, and birds" im Open Science Netzwerk "Frontiers".
Dr. Jonas Rose erforscht die Intelligenz von Krähen. Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung.
Die Arbeit mit Vögeln ist sicherlich nicht unproblematisch. Gibt es auch Schwierigkeiten, mit denen Sie in Ihrer Forschung rechnen müssen?
Ja, im Kleinen beginnt dies schon damit, dass Krähen Wildtiere sind und von Hand aufzogen werden müssen. Sie können also nicht wie andere Versuchstiere einfach vom Züchter gekauft werden. Außerdem haben die Tiere starke Persönlichkeiten. Es kann also immer passieren, dass eine Krähe mal bei einem Experiment nicht mitmachen möchte oder einen schlechten Tag hat.
Die größere Schwierigkeit ist jedoch: Gerade weil mein Vorhaben ein so neuer Forschungszweig ist, gibt es wenig Studiendaten und Technikstandards, auf die ich zurückgreifen kann. Zwar existieren ein Paar Arbeitsgruppen, die Verhaltensuntersuchungen an Krähen durchführen, allerdings tun sie dies mit Methoden, die ich auf meine neurowissenschaftlichen Untersuchungen nicht anwenden kann. Zwar hat in den letzten Jahren die Arbeitsgruppe von Prof. Nieder hier in Tübingen begonnen, auch neurowissenschaftlich mit Krähen zu arbeiten, und damit den wichtigen Grundstein für diesen Forschungsbereich gelegt, dennoch fehlen für die Arbeit mit Krähen noch Techniken, die etwa in der Primatenforschung seit langem Standard sind: Dazu gehört beispielsweise ein System um die Blickrichtung der Tiere feststellen zu können und moderne physiologische Techniken, die es erlauben die Aktivität mehrerer Hirnareale gleichzeitig aufzuzeichnen. Üblicherweise könnte man in unserem Bereich auch immer einen Hirnatlas als Standardnachschlagewerk benutzen, doch auch solch ein Atlas liegt mir nicht vor.
Mit dem Freigeist-Fellowship konnten Sie sich Ihr wissenschaftliches Umfeld in großen Teilen selbst aussuchen. Was war ausschlaggebend dafür, das Projekt in Universität Tübingen umzusetzen?
Die Uni Tübingen bietet sehr viel neurowissenschaftliche Forschung mit interessanten Kollegen, guten Studenten und einer guten Ausstattung. Ausschlaggebend war aber vor allem die Nähe zum Lehrstuhl von Prof. Nieder. Dies ist der erste Lehrstuhl der neurophysiologisch mit Krähen arbeitet. Damit finde ich hier Erfahrungen und Ressourcen vor, die unersetzlich sind.
Herr Rose, Sie haben Erfahrungen an wissenschaftlichen Einrichtungen im Ausland gesammelt. Was haben Sie aus diesen Aufenthalten persönlich und für Ihre wissenschaftliche Arbeit mitgenommen?
Die persönliche und die wissenschaftlichen Erfahrung geht hier ein Stück weit Hand in Hand. Es war mir sehr wichtig, viel rumzukommen. Das würde ich auch jedem wärmstens empfehlen. Die Auslandsaufenthalte haben mir darüber hinaus aber auch beruflich die Möglichkeit geben, sehr unterschiedliche Laborkulturen und Universitätsstrukturen kennenzulernen. Für mich resultierten aus diesen Erfahrungen Fragen, wie ich mein eigenes Labor leiten, aber auch in welchem Umfeld ich längerfristig arbeiten möchte.
Wie sieht dieser Wunsch aus?
Mir ist es wichtig, eine offene Forschungskultur zu pflegen, in der früh Ideen geteilt werden und in der viel Wert auf eine kollaborative, neugierige Forschung gelegt wird. Diese Vision kann ich nun sehr stark für meine eigene Arbeitsgruppe mitgestalten, weil ich mit dem Fellowship eine große Unabhängigkeit besitze.
Herr Rose, haben Sie vielen Dank für das ausführliche Interview. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der weiteren Forschung.

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