28.08.2014 08:38 Uhr in Gesellschaft & Familie von Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa
Russlands staatlich verordnete Modernisierung des Agrarsektors hat grundsätzliche Schwächen
Kurzfassung: Russlands staatlich verordnete Modernisierung des Agrarsektors hat grundsätzliche SchwächenIm Zusammenhang mit dem kürzlich verhängten Importstopp für westliche Agrargüter verstärkt die russisc ...
[Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa - 28.08.2014] Russlands staatlich verordnete Modernisierung des Agrarsektors hat grundsätzliche Schwächen
Im Zusammenhang mit dem kürzlich verhängten Importstopp für westliche Agrargüter verstärkt die russische Regierung ihre Bemühungen, die einheimische Produktion durch subventionierte Kredite anzukurbeln. Im Policy Brief 18 erläutert IAMO-Wissenschaftler Prof. Dr. Martin Petrick, dass diese Maßnahmen an die Erzeugung von Fleisch, Milch und anderen Nahrungsmitteln gekoppelt sind und daher im Widerspruch zu den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) stehen. Die Investitionsförderung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in der EU liefert allerdings ein schlechtes Vorbild für eine WTO-konforme Ausgestaltung, da sie ebenfalls auf die Steigerung bestimmter Produktionslinien abzielt. Im Blick auf die Milchleistung je Kuh steht Russland heute dort, wo sich Ostdeutschland vor 20 Jahren befand. Zwar hat die ostdeutsche Landwirtschaft von milliardenschweren Finanztransfers profitiert, die unmittelbare Geltung des westdeutschen Rechtssystems, die zügige Einrichtung von demokratisch legitimierten, berufsständigen Organisationen und die Entwicklung eines lokal verankerten vor- und nachgelagerten Sektors waren jedoch von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Modernisierung der ostdeutschen Landwirtschaft.
"Die Agrarpolitik Russlands nähert sich zur Zeit wieder einer Strategie an, die wir seit dem Ende der Sowjetunion für erledigt gehalten haben", stellt der Agrarökonom Petrick bei der Vorstellung der Studie fest. "Die Regierung gibt die nationalen Produktionsziele vor, kontrolliert über staatliche Banken ihre Finanzierung, entscheidet über die gewünschten Nahrungsmittelimporte und nimmt dabei in Kauf, dass sich Bürokraten entlang der Subventionskanäle auf Kosten der Landwirtschaft und des Steuerzahlers bereichern." Obwohl Russland erst 2012 der WTO beigetreten ist, droht die grundsätzliche Idee der Welthandelsorganisation vom Freihandel zum Nutzen aller im derzeitigen politischen Klima vollends unter die Räder zu geraten. Die jüngsten Ankündigungen verstärken einen Trend, den das aktuelle staatliche Programm für die Entwicklung der Landwirtschaft (2013-2020) bereits vorgegeben hatte: Gewissen Erleichterungen beim Marktzugang steht eine gezielte finanzielle Unterstützung bestimmter Produktionslinien in der Tierhaltung gegenüber. Die Regierung setzt hierfür vor allem auf Zinssubventionen, die sie über die staatliche Landwirtschaftsbank (Rosselkhozbank) vergibt. Nichttarifäre Handelshemmnisse, etwa durch vermeintlich nicht erfüllte Veterinärstandards, behindern seit Jahren den Marktzugang aus dem Ausland, der durch das aktuelle Embargo vollständig ausgehebelt wird. Konkrete Zielmarken für die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln bestehen, seit der russische Präsident 2010 die "Doktrin für Ernährungssicherheit" verabschiedete. Im vergangenen Jahr führte die Regierung als "entkoppelt" deklarierte Zahlungen auf Hektarbasis ein. Da diese aber nur unter der Bedingung gewährt werden, dass die Empfänger auf den Flächen Dünger- und Pflanzenschutzmittel ausbringen, kann von einer produktionsneutralen Subvention keine Rede sein. Russische Experten beklagen die Intransparenz der Mittelvergabe und ihre Anfälligkeit für Korruption. Aus diesen Gründen ist nur mit mäßigen Erfolgen der neuerlichen staatlichen Investitionskampagne zu rechnen.
"Allerdings wäre es verfehlt, die GAP als Modellfall für eine effektive und WTO-konforme Modernisierungspolitik im Agrarsektor darzustellen", führt Petrick weiter aus. Zahlreiche Studien belegen, dass die konkreten Ziele etwa der landwirtschaftlichen Investitionsförderung in Deutschland unklar sind und ihre Umsetzung von Mitnahmeeffekten beeinträchtigt wird. Ein großer Teil der Mittel fließt in die Errichtung von Tierställen und stellt somit eine klare Verletzung der WTO-Prinzipien dar, nach denen Politikmaßnahmen in keiner Weise die künftige Erzeugung von bestimmten Agrargütern vorherbestimmen sollen. Untersuchungen des IAMOs zufolge trug die Agrarinvestitionsförderung in Ostdeutschland zwar zum Erhalt von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft bei, jedoch zu enormen Kosten von rund 50 Tsd. Euro je Arbeitskraft und Jahr. Aufgrund großzügiger Ausnahmeregelungen fällt die Investitionsförderung der GAP nicht unter die WTO-Bestimmungen zum Abbau von handelsverzerrenden Maßnahmen. "Die russische Regierung schaut sich anhand der GAP an, wie eine interventionistische Agrarpolitik vermeintlich WTO-konform gemacht werden kann", ergänzt Petrick.
"Die erfolgreiche Transformation des ostdeutschen Agrarsektors hält dennoch einige Einsichten bereit, von denen Russland im Sinne einer zielgerichteten Modernisierungsstrategie lernen könnte", so der IAMO-Wissenschaftler. "Praktiker und Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass die rasche Etablierung eines leistungsfähigen institutionellen Rahmens eine entscheidende Voraussetzung für die wirtschaftliche Erholung des Agrarsektors war." Zwar brachen auch in Ostdeutschland die Tierbestände nach der politischen Wende 1989 ein. Doch blickt man etwa auf die Milchleistung je Kuh, so hat sich die Produktivität in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Verantwortlich hierfür waren maßgeblich die unternehmerischen Fähigkeiten der ostdeutschen Landwirte, unterstützt durch die rasche Einrichtung von mitgliederorientierten Dienstleistern wie Landeskontroll- und Tierzuchtverbänden sowie einer breit aufgestellten Interessensvertretung. Lokal verankerte Genossenschaften, Handelsunternehmen und Banken und nicht zuletzt eine leistungsfähige öffentliche Verwaltung und ein funktionierendes Rechtssystem tragen entscheidend dazu bei, dass die Produktionsimpulse im ostdeutschen Agrarsektor von Verbrauchern und Agrarunternehmern, nicht aber von Politikern gesetzt werden.
Eine Grundidee des Freihandels besteht in der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil, die die Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation zum Nutzen der Weltgemeinschaft vereinbart haben. Während Handelseinschränkungen in der Regel Nullsummenspiele darstellen, eröffnet der Austausch von Waren und Dienstleistungen nachhaltige Wachstumschancen und damit zunehmenden Wohlstand für alle beteiligten Partner. "Es ist zu wünschen, dass sich die russische Regierung bald wieder auf diese Einsichten besinnt", folgert Petrick.
Text: 6.559 Zeichen (mit Leerzeichen)
Weiterführende Informationen
Petrick, M. (2014): Russias agricultural modernisation policy under WTO commitments: Why the EUs Common Agricultural Policy is a poor model. IAMO Policy Brief No. 18, Halle (Saale).
http://www.iamo.de/dok/IAMOPolicyBrief18.pdf
Petrick, M. (2014): Modernising Russia's cattle and dairy sectors under WTO conditions: Insights from East Germany, IAMO Discussion Paper No. 150, Halle (Saale).
http://www.iamo.de/dok/dp150.pdf
Glauben, T., Belyaeva, M., Bobojonov, I., Djuric, I., Götz, L., Hockmann, H., Müller, D., Perekhozhuk, O., Petrick, M., Prehn, S., Prishchepov, A., Renner, S., Schierhorn, F. (2014): Die Kornkammer des Ostens blockiert ihre Markt- und Wachstumschancen. IAMO Policy Brief No. 16, Halle (Saale).
http://www.iamo.de/dok/IAMOPolicyBrief16_de.pdf
Über das IAMO
Das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) widmet sich der Analyse von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungsprozessen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie in den ländlichen Räumen. Sein Untersuchungsgebiet erstreckt sich von der sich erweiternden EU über die Transformationsregionen Mittel-, Ost- und Südosteuropas bis nach Zentral- und Ostasien. Das IAMO leistet dabei einen Beitrag zum besseren Verständnis des institutionellen, strukturellen und technologischen Wandels. Darüber hinaus untersucht es die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Agrar- und Ernährungssektor sowie die Lebensumstände der ländlichen Bevölkerung. Für deren Bewältigung werden Strategien und Optionen für Unternehmen, Agrarmärkte und Politik abgeleitet und analysiert. Seit seiner Gründung im Jahr 1994 gehört das IAMO als außeruniversitäre Forschungseinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft an.
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Tel.: +49 345 2928-120
Fax: +49 345 2928-199
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Britta Paasche
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Im Zusammenhang mit dem kürzlich verhängten Importstopp für westliche Agrargüter verstärkt die russische Regierung ihre Bemühungen, die einheimische Produktion durch subventionierte Kredite anzukurbeln. Im Policy Brief 18 erläutert IAMO-Wissenschaftler Prof. Dr. Martin Petrick, dass diese Maßnahmen an die Erzeugung von Fleisch, Milch und anderen Nahrungsmitteln gekoppelt sind und daher im Widerspruch zu den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) stehen. Die Investitionsförderung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in der EU liefert allerdings ein schlechtes Vorbild für eine WTO-konforme Ausgestaltung, da sie ebenfalls auf die Steigerung bestimmter Produktionslinien abzielt. Im Blick auf die Milchleistung je Kuh steht Russland heute dort, wo sich Ostdeutschland vor 20 Jahren befand. Zwar hat die ostdeutsche Landwirtschaft von milliardenschweren Finanztransfers profitiert, die unmittelbare Geltung des westdeutschen Rechtssystems, die zügige Einrichtung von demokratisch legitimierten, berufsständigen Organisationen und die Entwicklung eines lokal verankerten vor- und nachgelagerten Sektors waren jedoch von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Modernisierung der ostdeutschen Landwirtschaft.
"Die Agrarpolitik Russlands nähert sich zur Zeit wieder einer Strategie an, die wir seit dem Ende der Sowjetunion für erledigt gehalten haben", stellt der Agrarökonom Petrick bei der Vorstellung der Studie fest. "Die Regierung gibt die nationalen Produktionsziele vor, kontrolliert über staatliche Banken ihre Finanzierung, entscheidet über die gewünschten Nahrungsmittelimporte und nimmt dabei in Kauf, dass sich Bürokraten entlang der Subventionskanäle auf Kosten der Landwirtschaft und des Steuerzahlers bereichern." Obwohl Russland erst 2012 der WTO beigetreten ist, droht die grundsätzliche Idee der Welthandelsorganisation vom Freihandel zum Nutzen aller im derzeitigen politischen Klima vollends unter die Räder zu geraten. Die jüngsten Ankündigungen verstärken einen Trend, den das aktuelle staatliche Programm für die Entwicklung der Landwirtschaft (2013-2020) bereits vorgegeben hatte: Gewissen Erleichterungen beim Marktzugang steht eine gezielte finanzielle Unterstützung bestimmter Produktionslinien in der Tierhaltung gegenüber. Die Regierung setzt hierfür vor allem auf Zinssubventionen, die sie über die staatliche Landwirtschaftsbank (Rosselkhozbank) vergibt. Nichttarifäre Handelshemmnisse, etwa durch vermeintlich nicht erfüllte Veterinärstandards, behindern seit Jahren den Marktzugang aus dem Ausland, der durch das aktuelle Embargo vollständig ausgehebelt wird. Konkrete Zielmarken für die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln bestehen, seit der russische Präsident 2010 die "Doktrin für Ernährungssicherheit" verabschiedete. Im vergangenen Jahr führte die Regierung als "entkoppelt" deklarierte Zahlungen auf Hektarbasis ein. Da diese aber nur unter der Bedingung gewährt werden, dass die Empfänger auf den Flächen Dünger- und Pflanzenschutzmittel ausbringen, kann von einer produktionsneutralen Subvention keine Rede sein. Russische Experten beklagen die Intransparenz der Mittelvergabe und ihre Anfälligkeit für Korruption. Aus diesen Gründen ist nur mit mäßigen Erfolgen der neuerlichen staatlichen Investitionskampagne zu rechnen.
"Allerdings wäre es verfehlt, die GAP als Modellfall für eine effektive und WTO-konforme Modernisierungspolitik im Agrarsektor darzustellen", führt Petrick weiter aus. Zahlreiche Studien belegen, dass die konkreten Ziele etwa der landwirtschaftlichen Investitionsförderung in Deutschland unklar sind und ihre Umsetzung von Mitnahmeeffekten beeinträchtigt wird. Ein großer Teil der Mittel fließt in die Errichtung von Tierställen und stellt somit eine klare Verletzung der WTO-Prinzipien dar, nach denen Politikmaßnahmen in keiner Weise die künftige Erzeugung von bestimmten Agrargütern vorherbestimmen sollen. Untersuchungen des IAMOs zufolge trug die Agrarinvestitionsförderung in Ostdeutschland zwar zum Erhalt von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft bei, jedoch zu enormen Kosten von rund 50 Tsd. Euro je Arbeitskraft und Jahr. Aufgrund großzügiger Ausnahmeregelungen fällt die Investitionsförderung der GAP nicht unter die WTO-Bestimmungen zum Abbau von handelsverzerrenden Maßnahmen. "Die russische Regierung schaut sich anhand der GAP an, wie eine interventionistische Agrarpolitik vermeintlich WTO-konform gemacht werden kann", ergänzt Petrick.
"Die erfolgreiche Transformation des ostdeutschen Agrarsektors hält dennoch einige Einsichten bereit, von denen Russland im Sinne einer zielgerichteten Modernisierungsstrategie lernen könnte", so der IAMO-Wissenschaftler. "Praktiker und Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass die rasche Etablierung eines leistungsfähigen institutionellen Rahmens eine entscheidende Voraussetzung für die wirtschaftliche Erholung des Agrarsektors war." Zwar brachen auch in Ostdeutschland die Tierbestände nach der politischen Wende 1989 ein. Doch blickt man etwa auf die Milchleistung je Kuh, so hat sich die Produktivität in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Verantwortlich hierfür waren maßgeblich die unternehmerischen Fähigkeiten der ostdeutschen Landwirte, unterstützt durch die rasche Einrichtung von mitgliederorientierten Dienstleistern wie Landeskontroll- und Tierzuchtverbänden sowie einer breit aufgestellten Interessensvertretung. Lokal verankerte Genossenschaften, Handelsunternehmen und Banken und nicht zuletzt eine leistungsfähige öffentliche Verwaltung und ein funktionierendes Rechtssystem tragen entscheidend dazu bei, dass die Produktionsimpulse im ostdeutschen Agrarsektor von Verbrauchern und Agrarunternehmern, nicht aber von Politikern gesetzt werden.
Eine Grundidee des Freihandels besteht in der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil, die die Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation zum Nutzen der Weltgemeinschaft vereinbart haben. Während Handelseinschränkungen in der Regel Nullsummenspiele darstellen, eröffnet der Austausch von Waren und Dienstleistungen nachhaltige Wachstumschancen und damit zunehmenden Wohlstand für alle beteiligten Partner. "Es ist zu wünschen, dass sich die russische Regierung bald wieder auf diese Einsichten besinnt", folgert Petrick.
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http://www.iamo.de/dok/IAMOPolicyBrief18.pdf
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