Wunsch nach höheren Strafen wächst

Kurzfassung: Wunsch nach höheren Strafen wächstFür diese einzigartige Langzeitstudie hat Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Streng, Emeritus am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie, zwischen 1989 und ...
[Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg - 01.09.2014] Wunsch nach höheren Strafen wächst
Für diese einzigartige Langzeitstudie hat Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Streng, Emeritus am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie, zwischen 1989 und 2012 rund 3100 Jurastudierende befragt, die gerade mit ihrem Studium begonnen hatten. Bewusst wählte der Rechtswissenschaftler Studienanfänger aus, da sie zum einen über noch wenig Fachwissen verfügen und damit gut als Abbild der allgemeinen Bevölkerung dienen und zum anderen da sie später einmal als Richter, Staatsanwälte, Verteidiger oder in Ministerien einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Rechtsprechung und Gesetzgebung haben werden. Sein Ziel war es, herauszufinden, wie die jungen Frauen und Männer die allgemeine Kriminalitätslage bewerten, inwieweit sie sich bedroht fühlen und wie hart sie bestrafen würden. Diese Daten verglich der Forscher zusätzlich mit der offiziellen Kriminalitätsstatistik.
Es stellte sich heraus, dass das allgemeine Bedrohungsgefühl durch Kriminalität kurz nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung erheblich anstieg und danach wieder zurückging. Das Risiko, selbst Opfer eines körperlichen Angriffs zu werden, schätzten die Befragten im Lauf der Jahre zunehmend geringer ein - aktuell ist diese Angst nur noch schwach ausgeprägt. Im gleichen Zeitraum veränderte sich bei den Befragten jedoch die Einstellung darüber, wie hart bestraft werden sollte: Die Studierenden der nachfolgenden Jahrgänge würden bei gleichen Delikten mittlerweile höhere Strafen verhängen als noch zu Beginn der Studie - und das, obwohl sie sich eigentlich sicherer fühlen.
Doch wie hat sich die Kriminalität in diesem Zeitraum entwickelt - könnte die veränderte Strafmentalität sich dadurch erklären lassen? Ein Blick auf die Kriminalstatistiken zeigt, dass die Zahl der Gewaltdelikte seit Beginn von Strengs Studie angestiegen ist. Seit 2007 jedoch laufen die Entwicklungen auseinander: Seitdem nämlich sinkt die Anzahl der Gewalttaten im Gegensatz zur Strafhärte, die weiterhin zunimmt. Was dabei besonders irritierend ist: Die Haltung der Befragten gegenüber Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag wird ebenfalls unerbittlicher, obwohl seitdem auch die Anzahl dieser Verbrechen zurückgeht. Die Gesamtkriminalität - hierzu zählen neben Gewaltverbrechen unter anderem auch Diebstahl, Sachbeschädigung oder Wirtschaftsdelikte - sinkt übrigens bereits seit kurz nach Wiedervereinigung kontinuierlich und kann daher ebenfalls nur schwer als Erklärung für den Wunsch nach härteren Strafen dienen.
Zieht man neben der offiziellen Kriminalitätsstatistik, die nur die registrierten Fälle erfasst, weitere Informationen zur Kriminalitätsentwicklung heran, zeigt sich ein weiteres interessantes Ergebnis. In der Langzeitstudie wurden die Teilnehmer auch gefragt, ob sie selbst schon einmal Opfer einer Gewalttat geworden sind. Der Anteil derer, die bereits einen körperlichen Angriff erlebt haben, ist über die komplette Langzeitstudie weitgehend konstant geblieben - doch der Anstieg in der Kriminalstatistik, wenn er denn real wäre, hätte sich laut Streng in irgendeiner Weise auch unter den Befragten widerspiegeln müssen. So legen die Ergebnisse der Befragungen nahe, dass die Opfer, insbesondere jene, die bei einer Straftat auch verletzt wurden, mittlerweile eher bereit sind, das Verbrechen anzuzeigen - ein Befund, den andere Studien stützen und der die Diskrepanz zur offiziellen Statistik erklären könnte.
Doch warum nimmt der Wunsch nach höheren Strafen zu, obwohl sich die Befragten sicherer fühlen und die Kriminalität zurückgeht? Der Rechtswissenschaftler führt dafür eine ganze Reihe von Erklärungsansätzen an. So greifen Medien das vorhandene Interesse an Kriminalitätsthemen nicht nur auf, sondern verstärken es durch ihre intensive Berichterstattung. Hinzu kommen politische Akteure, die das Thema "Kriminalität und Strafe" weniger sachlich als vielmehr medienwirksam behandeln. Darüber hinaus nimmt seit Jahren die Zahl der Unterhaltungssendungen, in denen es um Mord geht, zu. So sind laut Strengs Studie Befragte, die viele dieser Sendungen konsumieren, auch die strengeren Bestrafer. Als eine weitere mögliche Erklärung für eine veränderte Strafmentalität führt Streng die Verunsicherung durch gesellschaftliche Umbrüche wie der Wiedervereinigung oder der Globalisierung an. Der Wunsch nach härteren Strafen könnte ein intuitiver Versuch sein, mit sozialen Problemen umzugehen und Unsicherheiten symbolisch zu bekämpfen. Ein anderer Grund könnte der zunehmende Fokus auf die Opferperspektive sein, der die Identifikation mit den Opfern steigert und so die Tendenz zu strengeren Strafen unterstützt.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Streng
Tel.: 09131/85-29280 bzw. -24755
franz.streng@fau.de
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