10.09.2014 12:25 Uhr in Gesellschaft & Familie von Auswärtiges Amt

Rede von Staatsminister für Europa Michael Roth bei der Internationalen Konferenz 'Invest in Tunisia: Start-up Democracy'

Kurzfassung: Rede von Staatsminister für Europa Michael Roth bei der Internationalen Konferenz "Invest in Tunisia: Start-up Democracy"es gilt das gesprochene WortSehr geehrte Damen und Herren,Es ist mir eine Ehre ...
[Auswärtiges Amt - 10.09.2014] Rede von Staatsminister für Europa Michael Roth bei der Internationalen Konferenz "Invest in Tunisia: Start-up Democracy"

es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Damen und Herren,
Es ist mir eine Ehre und besondere Freude, gerade in dieser Zeit großer Bewährungsproben in der arabischen Welt mit Ihnen hier in Tunis zusammen zu kommen. Ich zolle Ihnen Respekt und Anerkennung für diese Konferenz und das erarbeitete Dokument, das eine sehr gute Grundlage für Investitionen in Ihrem Land sein kann.
Tunesien hat in den vergangenen dreieinhalb Jahren seit der friedlichen Revolution eine beeindruckende Wegstrecke von einem autokratischen System hin zu mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und einem besseren Schutz der Menschenrechte bewältigt. Dieser beschwerliche Weg ist noch lange nicht zu Ende. Jetzt müssen weitere Schritte folgen, um diese Fortschritte dauerhaft zu festigen. Ich kann Ihnen aber für die deutsche Bundesregierung versichern: Wir werden Tunesien weiterhin mit Rat und Tat auf diesem Weg begleiten und unterstützen.
Ich bin nicht nur Staatsminister für Europa sondern auch Beauftragter der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit.
Deutschland und Frankreich sind sich einig: Gemeinsam wollen wir Tunesien auf seinem Weg hin zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterstützen. Dies war das Signal des gemeinsamen Besuchs von Bundesaußenminister Steinmeier mit Ihnen, lieber Herr Kollege Fabius, in Tunis am 24. und 25. April. Diese Reise war nicht nur Ausdruck der tiefen Freundschaft, die Deutschland und Frankreich verbindet. Sie zeigt auch unsere Einigkeit in dem Bestreben, die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Tunesien weiter zu festigen und auszubauen. Tunesien ist für uns weit mehr als nur ein geographischer Nachbar im südlichen Mittelmeerraum: Denn wir teilen nicht nur politische und wirtschaftliche Interessen, sondern auch gemeinsame Werte. Die Europäische Union ist auf verlässliche und stabile Partner in seiner Nachbarschaft angewiesen.
Die deutsch-tunesischen Beziehungen haben in den vergangenen Jahren ein hohes Maß an Dynamik und Intensität erreicht. Davon konnten Sie, sehr geehrter Herr Premierminister Jomaa, sich bei Ihrem letzten Besuch in Berlin persönlich überzeugen. Die von Ihnen am 19. Juni eröffneten zweiten Regierungskonsultationen zwischen unseren beiden Ländern mit über zehn teilnehmenden Fachressorts sind ein sichtbares Zeugnis für unsere hervorragende Zusammenarbeit.
Bereits kurz nach der Jasmin-Revolution hat Deutschland seine volle Unterstützung für das Streben des tunesischen Volkes nach Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zum Ausdruck gebracht. Zahlreiche hochrangige Besuche von Regierungsvertretern, Parlamentariern, aber auch von Vertretern der Zivilgesellschaften in Tunis und Berlin haben seitdem wechselseitig viel Verständnis, Wertschätzung und Sympathie entstehen lassen. Das ist ein solides Fundament für den weiteren Ausbau unserer Beziehungen, ja mehr noch, für die freundschaftliche Verbundenheit zwischen unseren Ländern.
Wir haben nach der Revolution rasch gehandelt und bereits im Januar 2012 eine gemeinsame Erklärung über eine "Transformationspartnerschaft" vereinbart, mit der wir den Prozess des demokratischen Übergangs in Tunesien gezielt unterstützen wollen. Alleine in diesem Rahmen konnten seitdem über hundert Projekte in den Bereichen Berufsbildung, Beschäftigungsförderung, gute Regierungsführung, Demokratie und Menschenrechte sowie Förderung der Zivilgesellschaft, professioneller Medien und der Bildungs- und Hochschulzusammenarbeit initiiert werden. Die Bundesregierung hat nunmehr die Mittel bis 2017 bereitgestellt, um diese Transformationspartnerschaft auch künftig erfolgreich fortzusetzen. Das gibt uns Planungssicherheit und ermöglicht eine nachhaltige Zusammenarbeit.
Mit diesen Projekten investiert Deutschland in die weitere demokratische Entwicklung Tunesiens. Tunesien braucht aber vor allem auch wirtschaftliche Investitionen - denn eine stabile wirtschaftliche Entwicklung und die Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedingen sich gegenseitig. Wir unterstützen daher die Zielsetzung der tunesischen Regierung, Ihr Land noch besser in die Weltwirtschaft zu integrieren und höherwertige Produkte im Land herzustellen.
Für lohnende Investitionen in Infrastruktur und Wirtschaft bietet Tunesien einen fruchtbaren Boden. Tunesien hat eine gut entwickelte Infrastruktur und industrielle Basis, im regionalen Vergleich ein gutes Bildungs- und Hochschulsystem - und zwar für Männer und Frauen gleichermaßen. Gerade der gleichberechtigte Zugang von Frauen zum Bildungssystem und ihre Integration in den Arbeitsmarkt ist in dieser Region keine Selbstverständlichkeit. Erst mit voller Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen und Männern vermag eine Gesellschaft ihr gesamtes Potenzial an Wissen, Kreativität und Inspiration auszuschöpfen. Es ist erfreulich, dass Tunesien hier mit gutem Beispiel vorangeht! Inbesondere die gut qualifizierten Arbeitskräfte machen Tunesien so attraktiv für umfangreiche in- und ausländische Investitionen in der Produktion von Textilien, Autozubehör und Elektronik, um nur einige wichtige Branchen zu nennen.
Die deutsche Wirtschaft hat dieses Potenzial bereits früh erkannt und ist seit Jahrzehnten in Tunesien präsent - zum Vorteil beider Seiten. Ich bin dankbar, dass während der nicht immer einfachen Umbruchphase der vergangenen Jahre kein einziges deutsches Unternehmen Tunesien den Rücken gekehrt hat. Die rund 250 deutschen Unternehmen sichern hierzulande über 50.000 Arbeitsplätze. Dies zeigt: Die deutsche Wirtschaft hat Vertrauen in Tunesien und seine Gesellschaft - und dies zu Recht.
Ohne solide Wirtschaftsstruktur, seine breite urbane Mittelschicht und aktive Zivilgesellschaft wäreTunesien nicht da, wo es heute steht: Nach der Verabschiedung der neuen Verfassung im Januar 2014 stehen im Oktober bis Dezember die ersten regulären Wahlen für das tunesische Parlament und das Amt des Staatspräsidenten bevor. Damit ist der Fahrplan für den politischen Übergangsprozess vorerst abgeschlossen.
Diese Errungenschaften hat Tunesien aber nicht ohne Hindernisse erreicht: 2013 gab es mehrere Rückschläge, die den friedlichen Übergangsprozess bedroht haben. Mehr als einmal schaute Tunesien in den Abgrund. Entscheidend ist jedoch, dass es den politischen und gesellschaftlichen Kräften schließlich gemeinsam gelungen ist, die Wogen zu glätten und die notwendigen Kompromisse zu schließen.
Damit haben die politisch Verantwortlichen gezeigt, dass sie bereit sind, das gesellschaftliche Wohl über ihre Einzelinteressen zu stellen. Dies war nur möglich durch das einzigartige Zusammenspiel von Politik und einer starken Zivilgesellschaft sowie der Bereitschaft zu inklusivem Handeln: Der "Nationale Dialog" unter Beteiligung von Gewerkschaften, Arbeitgebern, Anwälten und Menschenrechtsvertretern war der entscheidende Schlüssel, um den schwierigen Verfassungsprozess zu einem erfolgreichen Ende zu führen.
Die aktive und kritische Zivilgesellschaft Tunesiens hat nicht zugelassen, dass feige Mordanschläge das Projekt von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zunichte machen. Tunesien hat seine Fähigkeit zu souveräner Selbsthilfe im Krisenfall und damit eine hohe innere Stabilität bewiesen. Hierzu gratuliere ich und ermutige alle Bürgerinnen und Bürger Tunesiens, diesen hoffnungsvollen Weg konsequent weiterzugehen. Das Land und seine Zukunft liegt in den Händen des tunesischen Volkes!
Angesichts dieser großen Fortschritte hat es Tunesien verdient, dass sich die internationale Wirtschaft und Finanzwelt noch stärker hierzulande engagieren. Die Regierung hat sich mit ihrer heute präsentierten strategischen Ausrichtung ambitionierte Ziele gesetzt, um in den kommenden Jahren neben politischer Stabilität auch wirtschaftlichen Wohlstand für viele zu schaffen. Tunesien ist auf einem guten Wege, ein politischer Stabilitätsanker in einer unruhigen Region zu sein und bringt auch alle Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte mit.
Demokratie, soziale Teilhabe, eine aktive Zivilgesellschaft und eine gute wirtschaftliche Entwicklung sind die besten Voraussetzungen für langfristige Stabilität. Mein Land steht an Ihrer Seite! Wir werden Tunesien, seine Bürgerinnen und Bürger, tatkräftig begleiten und unterstützen. Meine guten Wünsche begleiten Sie!

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