08.10.2014 14:49 Uhr in Wirtschaft & Finanzen von Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. IW Köln
Die Konfliktintensität von Tarifverhandlungen bei Tarifpluralität
Kurzfassung: Die Konfliktintensität von Tarifverhandlungen bei TarifpluralitätHagen Lesch und Lea M. Petters im WirtschaftsdienstSeitdem die höchstrichterliche Rechtsprechung im Jahr 2010 den Grundsatz der Tari ...
[Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. IW Köln - 08.10.2014] Die Konfliktintensität von Tarifverhandlungen bei Tarifpluralität
Hagen Lesch und Lea M. Petters im Wirtschaftsdienst
Seitdem die höchstrichterliche Rechtsprechung im Jahr 2010 den Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben hat, ist eine heftige Diskussion um die Beibehaltung des Prinzips entbrannt, schreibt IW-Tarifexperte in der Zeitschrift Wirtschaftsdienst. In einer gemeinsamen Initiative haben die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert und einen gemeinsamen Lösungsvorschlag erarbeitet.
Danach soll bei konkurrierenden Tarifverträgen nur der Tarifvertrag anwendbar sein, an den die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gebunden ist. Zudem soll ein solcher repräsentativer Tarifvertrag über seine Laufzeit hinweg eine allgemeine Friedenspflicht sichern. Eine konkurrierende, nicht-repräsentative Gewerkschaft darf demnach erst dann streiken, wenn der repräsentative Tarifvertrag ausgelaufen ist. Der DGB ist inzwischen aus dieser Gemeinschaftsinitiative ausgeschieden und auch die Politik hat bislang nicht reagiert. Die politische Zurückhaltung hat mehrere Ursachen. Neben dem DGB-Ausstieg und rechtlichen Problemen spielt auch eine Rolle, dass schon das Androhen einer gesetzlichen Regelung eine disziplinierende Wirkung entfalten kann und der Gesetzgeber erst einmal beobachten will, wie sich Tarifpluralität auf das deutsche Tarifsystem auswirkt.
Nicht zu übersehen ist, dass die Tarifpluralität kleinen Spezialgewerkschaften eine tarifpolitische Betätigungsfreiheit garantiert, die immer wieder zu Konflikten führt. Trotz der drohenden Regulierung haben sich zuletzt weder die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) noch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) von Arbeitskampfmaßnahmen zur Durchsetzung tarifpolitischer Ziele abschrecken lassen. Die GDL kämpfte 2011 monatelang für den Abschluss eines Bundes-Rahmen-Tarifvertrags für Lokomotivführer im Personen- und Güterverkehr und bestreikte dabei wiederholt verschiedene Privatbahnen. Die GdF setzte sich im Februar dieses Jahres fast zwei Wochen am Frankfurter Flughafen für eigenständige Tarifverträge der Vorfeldlotsen ein. Die Gewerkschaft rief sogar die Fluglotsen zu einem Unterstützungsstreik auf, der gerichtlich untersagt wurde.
Tarifeinheit bedeutet, dass in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag gelten soll. Konkurrieren Tarifverträge miteinander, setzt sich der sachnähere Tarifvertrag durch. Die Sachnähe wird neben dem fachlich-betrieblichen auch durch den räumlichen Geltungsbereich bestimmt. Danach geht der Firmentarifvertrag dem Flächentarifvertrag vor, oder der Tarifvertrag, der den gesamten Betrieb abbildet, der Regelung für eine einzelne Berufsgruppe. In diesem Sinne wird die Tarifeinheit als ein elementares Ordnungsprinzip gesehen. Allerdings steht dieses Prinzip dem Nebeneinander mehrerer konkurrierender Gewerkschaften ebenso wenig entgegen wie dem Abschluss mehrerer Tarifverträge über denselben Regelungsgegenstand (Tarifpluralität). Damit schützt die Tarifeinheit weder vor Gewerkschaftswettbewerb noch vor der Gründung durchsetzungsstarker Spartengewerkschaften. Die seit 2001 einsetzende Entwicklung des tarifpolitisch eigenständigen Auftretens von den oftmals als Spartengewerkschaften bezeichneten Berufsgruppengewerkschaften wie der Vereinigung Cockpit (VC), der GDL oder der GdF war trotz des Grundsatzes der Tarifeinheit möglich.
Die Autonomiebestrebungen der Spartengewerkschaften hingen eng mit dem Wegfall von Monopolrenten in ehemals öffentlichen Unternehmen zusammen. Einige Berufsgruppen, die in spezifischen Berufsverbänden organisiert waren, kündigten die Tarifgemeinschaften mit den großen Branchengewerkschaften auf, weil sie ihre Interessen nicht mehr angemessen vertreten sahen. Je erfolgreicher diese durchsetzungsstarken Spezialgewerkschaften operieren, desto größer wird der Anreiz für tarifpolitisch noch nicht eigenständig agierende Berufsgruppen mit einer betriebswirtschaftlichen Schlüsselstellung, das Modell zu imitieren. Mit der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit in der Rechtsprechung wird dieser Anreiz verstärkt, weil ein Tarifvertrag nicht nur erstritten werden kann, sondern auch angewendet werden darf (und zwar auch dann, wenn er Regelungen für eine Minderheit enthält, die bereits in einem anderen Tarifvertrag geregelt worden sind). Zur Tarifpluralität gehört, dass auch eine kleine Minderheit wie die knapp 200 Vorfeldlotsen am Frankfurter Flughafen einen eigenständigen Tarifvertrag durchsetzen darf. Je mehr Gruppen diesem Beispiel folgen, desto zerklüfteter wird allerdings die Tariflandschaft und desto intensiver wird der Wettbewerb zwischen den Gewerkschaften.
Bei diesem Wettbewerb sind zwei Formen voneinander zu unterscheiden: der Wettbewerb von Gewerkschaften, die komplementäre Berufsgruppen organisieren, und der Wettbewerb von Gewerkschaften, die substitutive Berufsgruppen vertreten. Bei einem substitutiven Wettbewerb konkurrieren die Gewerkschaften um dieselben Arbeitnehmer. Dabei können Branchengewerkschaften miteinander konkurrieren, z.B. die Christliche Gewerkschaft Metall und die IG Metall in der Metall- und Elektroindustrie. Es können aber auch Branchen- und Spartengewerkschaften um dieselben Mitglieder konkurrieren, beispielsweise die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Unabhängige Flugbegleiter-Organisation (UFO) bei den Flugbegleitern. Verhandeln "substitutive Gewerkschaften" getrennt, können sie gegeneinander ausgespielt werden. Das liegt daran, dass Gewerkschaften, die um dieselben Arbeitnehmer konkurrieren, nur eine begrenzte Streikmacht haben. Ruft nur eine der beiden Gewerkschaften zum Streik auf, kann der Arbeitgeber mithilfe der nicht streikenden Beschäftigten, die in der konkurrierenden Gewerkschaft organisiert sind, weiter produzieren. Damit kann eine Gewerkschaft nur über den Teil des Gesamtgewinns verhandeln, den sie durch einen Streik verhindern kann. Die Gewerkschaften können ihre Verhandlungsposition allerdings verbessern, wenn sie miteinander kooperieren und eine Tarifgemeinschaft bilden. Die disziplinierende Wirkung des Wettbewerbs würde dann entfallen.
Bei einem komplementären Wettbewerb konkurrieren die Gewerkschaften um unterschiedliche, im Produktionsprozess nicht austauschbare Arbeitnehmergruppen. Ruft eine Gewerkschaft ihre nicht ersetzbaren Mitglieder zum Streik auf, kann sie den Produktionsablauf vollständig stören. Der Arbeitgeber wird so gezwungen, mit allen Spartengewerkschaften zu verhandeln, ohne dabei die eine gegen die andere ausspielen zu können. Das führt dazu, dass jede Gewerkschaft über den Gesamtgewinn verhandeln kann. Im Vergleich zu dem substitutiven Wettbewerb kommt es zu einer Umverteilung zulasten des Unternehmens und zugunsten der in Berufsgewerkschaften organisierten Arbeitnehmer. Zudem besteht ein Anreiz für alle nicht austauschbaren Berufsgruppen, sich in einer solchen Spartengewerkschaft zu organisieren.
Spartengewerkschaften haben nicht nur eine höhere Streikmacht. Sie unterliegen auch anderen Präferenzen als Branchengewerkschaften. Da sie auf Märkten mit geringerer Wettbewerbsintensität agieren, müssen sie kaum befürchten, dass sich Lohnerhöhungen negativ auf die Beschäftigungschancen ihrer Mitglieder auswirken. Bei Branchengewerkschaften, die in der Regel auf Märkten mit höherer Wettbewerbsintensität agieren, ist der Zielkonflikt zwischen Lohnhöhe und Beschäftigungsniveau jedoch stärker ausgeprägt. Außerdem treffen die durch hohe Lohnsteigerungen angestoßenen Preiswirkungen die eigenen Mitglieder umso mehr, je größer eine Gewerkschaft ist. Kleine Spezialgewerkschaften internalisieren daher weniger Preiswirkungen ihrer Lohnabschlüsse als große Branchengewerkschaften.
Die ökonomischen Auswirkungen einer solchen Tarifpluralität können vielfältig sein. Denkbar ist, dass sich die Gewerkschaften gegenseitig überbieten. Schließt eine Gewerkschaft höher ab als eine andere, entstehen Neideffekte und Anreize zur Nachahmung. Um nicht überboten zu werden, können Tarifblockaden entstehen oder es werden Revisionsklauseln vereinbart, die Nachverhandlungen möglich machen. In den betroffenen Unternehmen kommt es häufiger zu Verhandlungen und öfter zu Konflikten. Dies entwertet die tarifvertragliche Friedenspflicht, lässt die Transaktionskosten steigen und mindert die Planungssicherheit. Die Wirkungen von Tarifpluralität beschränken sich aber nicht nur auf Branchen mit Gewerkschaftswettbewerb. Betroffen sind grundsätzlich alle Bereiche einer Volkswirtschaft, in denen abspaltungswillige und durchsetzungsstarke Berufsgruppen beschäftigt sind. Schon aus einem organisationspolitischen Interesse heraus wollen Branchengewerkschaften die Abspaltung solcher Berufsgruppen verhindern. Dazu müssen sie ihre solidarische Lohnpolitik aufgeben oder höhere Lohnforderungen stellen. Im ersten Fall würden die Interessen der durchsetzungsstarken Gruppen gezielter befriedigt. Im zweiten Fall würden Lohnsteigerungen durchgesetzt, die hoch genug sind, um diese Gruppen von Abspaltungen abzuhalten. Mit höheren Lohnforderungen nimmt das Konfliktrisiko zu. Zudem richten sich die Lohnunterschiede weniger nach der Leistungsfähigkeit als nach der faktischen Streikmacht einer bestimmten Berufsgruppe.
Deutschland ist jedoch weit von "britischen Verhältnissen" entfernt - in den 1970er Jahren legten dort mehr als 400 Gewerkschaften regelmäßig das Wirtschaftsleben lahm. Bislang lässt sich weder belegen, dass Spartengewerkschaften dauerhaft höhere Lohnabschlüsse durchsetzen als Branchengewerkschaften, noch, dass die Anzahl der durch Arbeitskämpfe ausgefallenen Arbeitstage stetig ansteigt. Daraus wird abgeleitet, dass eine gesetzliche Verankerung der Tarifeinheit nicht notwendig ist. Es ist aber nicht zu übersehen, dass die Konfliktintensität in Branchen mit Tarifpluralität und Gewerkschaftswettbewerb hoch ist.
Im Folgenden wird dies exemplarisch anhand von Tarifauseinandersetzungen in der Luftfahrt (Luftverkehr und Flugsicherung) belegt. Im Luftverkehr kündigte die VC 1999 die Tarifgemeinschaft mit der damaligen Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, die 2001 in ver.di aufging. Zwei Jahre nach Kündigung der Tarifgemeinschaft setzte die VC ihren ersten eigenen Tarifvertrag durch. Gleichzeitig strebte die UFO nach Unabhängigkeit. Sie wurde 2002 von der Deutschen Lufthansa als Tarifpartner anerkannt und setzte dort 2004 erstmals einen vollständigen Tarifvertrag für Flugbegleiter durch. Das Bodenpersonal verfügt zwar auch über einen eigenen Berufsverband (Vereinigung Boden). Die tarifpolitischen Interessen des Bodenpersonals werden aber immer noch von ver.di vertreten. Auch in der Flugsicherung bildete sich eine Berufsgruppengewerkschaft. Im Jahr 2002 kündigte der Verband deutscher Flugbegleiter an, die Kooperation mit ver.di zu beenden und ein Jahr später fusionierte der Verband mit dem Verband Deutscher Flugsicherungs-Techniker und -Ingenieure zur Gewerkschaft der Flugsicherung. Bei der Deutschen Flugsicherung (DFS) betätigt sich die GdF als Einheitsgewerkschaft für alle Tarifmitarbeiter, wobei die Fluglotsen in der Vertretungshierarchie eine Sonderstellung einnehmen. Ver.di hat seinen Einfluss nahezu vollständig verloren. Außerhalb der DFS betätigt sich die GdF bei verschiedenen Flughäfen als Berufsgruppengewerkschaft für Vorfeldlotsen (Mitarbeiter der Vorfeldkontrolle, Vorfeldaufsicht und Verkehrszentrale). Nach dem Tarifeinheitsurteil hat sich die GdF zum Ziel gesetzt, weitere eigenständige Tarifverträge abzuschließen.
Die Luftfahrt ist demnach eine Branche, in der der Gewerkschaftswettbewerb besonders intensiv ausgetragen wird. Seit 2001 hat es eine ganze Reihe von Tarifauseinandersetzungen gegeben, die einen ersten Eindruck über die Konfliktintensität und über den Umgang der Tarifparteien miteinander verschaffen. Insgesamt wurden 14 Tarifauseinandersetzungen tiefer analysiert. Berücksichtigt wurden Tarifverhandlungen zwischen Lufthansa und VC beziehungsweise UFO im Luftverkehr sowie Auseinandersetzungen zwischen der GdF und der DFS beziehungsweise dem Flughafen Stuttgart in der Flugsicherung. Die Auswahl der Konflikte richtete sich danach, wie gut sie dokumentiert werden konnten.
Bei der Analyse wurden im ersten Schritt zwei Formen von Konflikten unterschieden: klassische interessenbezogene Tarifkonflikte und organisationspolitische Statuskonflikte.7 Herkömmliche interessenbezogene Tarifkonflikte beziehen sich auf Entgelt- und Arbeitszeitfragen oder auf qualitative Ziele wie den Abschluss von Tarifverträgen zum demografischen Wandel oder zur Qualifizierung. Hier stehen Sachfragen im Vordergrund. Statuskonflikte sind Auseinandersetzungen, bei denen offene Machtfragen zwischen den Verhandlungspartnern Sachfragen überlagern. Bei Spartengewerkschaften ist die Durchsetzung eines eigenständigen Tarifvertrags ein typischer Statuskonflikt. Kennzeichnend ist, dass die Lösung eine "Entweder-Oder"-Entscheidung verlangt.
Unter den untersuchten Tarifauseinandersetzungen wurden drei als Statuskonflikte und elf als Tarifkonflikte klassifiziert. Zur Evaluierung der Konflikte wurden in einem zweiten Schritt verschiedene Kriterien herangezogen. Diese Kriterien sollen die Komplexität von Tarifauseinandersetzungen abbilden, ihren Eskalationsgrad sowie die Fähigkeit der Tarifparteien, Konflikte autonom zu lösen. Zur Bestimmung der Komplexität eines Konfliktes wurden dessen zeitliche Dauer, die Anzahl an vorzeitigen Verhandlungsabbrüchen (einschließlich der Anzahl der für gescheitert erklärten Tarifverhandlungen) und die Häufigkeit von Streikdrohungen ausgewertet. Der Eskalationsgrad wurde anhand der Streikhäufigkeit gemessen. Die Anzahl der Streiks wurde den Indikatoren Arbeitskampfvolumen (Anzahl der streikbedingt ausgefallenen Arbeitstage) und Streikdauer vorgezogen, weil sich das Arbeitskampfvolumen nicht exakt ermitteln ließ, in der Regel nur kurz gestreikt wurde und die Häufigkeit von Streiks besser darüber informiert, wie oft Verhandlungsphasen durch Konfliktphasen unterbrochen wurden. Die Fähigkeit, Konflikte autonom zu regeln, wurde daran gemessen, ob externe Schlichter oder rechtliche Instanzen beansprucht wurden. Ein Aufruf zur Schlichtung deutet darauf hin, dass sich die Tarifparteien nicht autonom einigen können, auf beiden Seiten aber die Bereitschaft zur Lösung des Konflikts besteht. Die Wahl juristischer Mittel steht hingegen eher für eine Verschärfung der Fronten, vor allem auf der Beziehungsebene. Juristische Mittel wurden häufig zur Regelung von Statuskonflikten ergriffen. Indem die Arbeitgeber die Tariffähigkeit von Spartengewerkschaften infrage stellten, versuchten sie den Konflikt zu unterdrücken, anstatt ihn zu lösen. Rechtsmittel wurden aber auch bei Tarifkonflikten eingelegt, beispielsweise in Form einstweiliger Verfügungen gegen angekündigte Streiks.
Statuskonflikte scheinen konfliktintensiver als Tarifkonflikte zu sein. Die Statuskonflikte dauerten zwischen fünf und 24,5 Monaten. Außerdem gab es zwischen drei und sechs Streikdrohungen. In zwei der drei Konflikte trat eine weitere Eskalation in Form von Streiks ein. Am längsten zog sich der 2003 begonnene Konflikt zwischen der GdF und der Deutschen Flugsicherung hin. Grund hierfür war, dass die Deutsche Flugsicherung sich weigerte, die GdF als tariffähige Gewerkschaft anzuerkennen. Diese offene Statusfrage stand auch beim Konflikt zwischen der GdF und dem Stuttgarter Flughafen im Raum. So mobilisierte die GdF während ihrer Verhandlungen für die Vorfeldlotsen mit dem Flughafen Stuttgart insgesamt fünfmal zu Arbeitskampfmaßnahmen. Neben der Aktivierung der vertretenen Berufsgruppe - den Vorfeldlotsen - rief sie auch die Fluglotsen zu einem Unterstützungsstreik auf, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Letztlich wurden die beiden Konflikte aufgelöst, indem die Tariffähigkeit durch die Arbeitsgerichtsbarkeit anerkannt wurde und damit auch der Weg für Streiks frei war. Dies zwang die Arbeitgeberseite zum Einlenken. Auch der Statuskonflikt der Piloten konnte nicht autonom, sondern nur durch Heranziehen eines Schlichters gelöst werden.
In den elf als interessenbezogenen Tarifverhandlungen eingestuften Konflikten konnten sich die Tarifverhandlungspartner zum Teil relativ schnell einigen, beispielsweise in den Verhandlungen der Lufthansa mit der VC 2008 und 2011. Allerdings ist die Bandbreite der Verhandlungsdauer recht groß. Der mittlere Wert liegt bei vier Monaten, der Maximalwert bei 14 Monaten. In acht Konflikten kam es zu Verhandlungsabbrüchen oder die Tarifverhandlungen wurden für gescheitert erklärt. Entsprechend wurden auch recht häufig Streikdrohungen ausgesprochen. Hier liegt der Maximalwert bei fünf Streikdrohungen im Tarifkonflikt zwischen GdL und Deutscher Flugsicherung 2011. Zumeist blieb es aber bei der Streikdrohung. Eine Eskalation in Form eines Arbeitskampfes gab es nur in drei der elf Tarifkonflikte. Bei vier Auseinandersetzungen gelang den Tarifparteien keine autonome Einigung. Hier wurde entweder ein Schlichter bestellt oder es wurde die Arbeitsgerichtsbarkeit eingeschaltet.
Die untersuchten Auseinandersetzungen deuten an, dass Statuskonflikte im Vergleich zu Tarifkonflikten schwieriger zu lösen sind. Um diesen Befund empirisch besser stützen zu können, müssten weitere Konflikte ausgewertet und neben der Luftfahrt auch Krankenhäuser und der Schienenverkehr einbezogen werden, wo ebenfalls Tarifpluralität und komplementärer Gewerkschaftswettbewerb besteht. Beim Marburger Bund, der die Kooperation mit ver.di 2005 kündigte, und bei der Lokführergewerkschaft GdL, die erstmals 2003 einen eigenen Spartentarifvertrag für das Fahrpersonal forderte, zogen sich die Statuskonflikte ebenfalls über längere Zeiträume hin. Es kam wiederholt zu Arbeitskämpfen und es wurden auch einstweilige Verfügungen gegen angekündigte Streiks erlassen.
Aufgrund des Wegfalls der Tarifeinheit könnten Statuskonflikte künftig häufiger auftreten. Entscheidend ist, in welcher Anzahl sich neue Gewerkschaften gründen, die nach Tariffähigkeit streben und diese auch durchsetzen können. Seit dem Wegfall der Tarifeinheit 2010 ist es zu keinem starken Anstieg der Neugründungen von Gewerkschaften gekommen. Daraus ist jedoch keine Entwarnung ableitbar. Statuskonflikte entstehen nämlich nicht nur durch Neugründungen, sondern auch, wenn die bereits agierenden Spartengewerkschaften ihren Organisationsbereich auf weitere Berufsgruppen ausweiten und für diese ebenfalls eigenständige Tarifverträge durchsetzen wollen, oder, wenn sie bei neuen Arbeitgebern eigenständige Tarifverträge fordern. Dies war in der Vergangenheit bei den Fluggesellschaften ebenso wie bei den Flughäfen und bei den Kliniken zu beobachten, in denen überwiegend Firmentarifverträge existierten.
Die Auswertung der Luftfahrtbranche zeigt, dass auch Tarifkonflikte von Spartengewerkschaften konfliktintensiv sein können. Spartengewerkschaften müssen sich legitimieren, um den Zuspruch ihrer Mitglieder zu behalten. Das zwingt sie, Abschlüsse durchzusetzen, die die vertretenen Berufsgruppen nicht realisieren könnten, wenn sie in Branchengewerkschaften organisiert wären. Durch diesen organisationspolitischen Bezug wohnt auch künftigen Tarifkonflikten ein hohes Eskalationspotenzial inne. Wie bereits ausgeführt, beschränkt sich dieses Problem nicht allein auf die agierenden Spartengewerkschaften. Es setzt auch die Branchengewerkschaften unter Druck.
Es ist eine politische Entscheidung, ob der Gesetzgeber die weitere Entwicklung beobachtet oder die in den Konflikten konkurrierender Gewerkschaften angelegten Probleme frühzeitig durch geeignete Rahmenbedingungen zu minimieren versucht. Die Tarifautonomie setzt dem Gesetzgeber allerdings enge Grenzen. Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz schützt nach überwiegender juristischer Auffassung auch die Betätigungsfreiheit von Berufsgewerkschaften. Andererseits haben die Konflikte von Spartengewerkschaften ein besonderes Gewicht. Da diese in Bereichen der Daseinsvorsorge agieren, treffen Arbeitskämpfe in besonderer Weise unbeteiligte Dritte. Außerdem hat schon eine Streikdrohung negative wirtschaftliche Auswirkungen, weil sie Konsumenten davon abhalten kann, eine Dienstleistung nachzufragen. Ein solcher Nachfrageausfall kann in den meisten Fällen auch nicht mehr nachgeholt werden.
Die Tarifparteien stehen aber auch unabhängig vom Gesetzgeber in der Pflicht, mit Tarifpluralität verantwortlich umzugehen. Herkömmliche Tarifverhandlungen sind ebenso wie die einschlägigen Regeln der Schlichtung weitgehend ritualisiert und institutionalisiert. Tarifkonflikte mit Spartengewerkschaften folgen offenbar weniger festen Regeln, ohne dabei irrational zu sein. Das wechselseitige Signalisieren und Demonstrieren der eigenen hohen Konfliktbereitschaft gehört zur Logik von Machtproben, in denen der Verhandlungsgegner zum Einlenken gezwungen werden soll. Mit den üblichen Verhandlungsritualen sind statusbetonte Tarifkonflikte nur schwer beizulegen. Es ist daher an der Zeit, über neue Formen eines Konfliktmanagements in Tarifverhandlungen nachzudenken.
Zum Gastbeitrag auf wirtschaftsdienst.eu
Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. IW Köln
Konrad-Adenauer-Ufer 21
50459 Köln
Deutschland
Telefon: 0221 4981-1
Telefax: 0221 4981-533
Mail: presse@iwkoeln.de
URL: www.iwkoeln.de
Hagen Lesch und Lea M. Petters im Wirtschaftsdienst
Seitdem die höchstrichterliche Rechtsprechung im Jahr 2010 den Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben hat, ist eine heftige Diskussion um die Beibehaltung des Prinzips entbrannt, schreibt IW-Tarifexperte in der Zeitschrift Wirtschaftsdienst. In einer gemeinsamen Initiative haben die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert und einen gemeinsamen Lösungsvorschlag erarbeitet.
Danach soll bei konkurrierenden Tarifverträgen nur der Tarifvertrag anwendbar sein, an den die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gebunden ist. Zudem soll ein solcher repräsentativer Tarifvertrag über seine Laufzeit hinweg eine allgemeine Friedenspflicht sichern. Eine konkurrierende, nicht-repräsentative Gewerkschaft darf demnach erst dann streiken, wenn der repräsentative Tarifvertrag ausgelaufen ist. Der DGB ist inzwischen aus dieser Gemeinschaftsinitiative ausgeschieden und auch die Politik hat bislang nicht reagiert. Die politische Zurückhaltung hat mehrere Ursachen. Neben dem DGB-Ausstieg und rechtlichen Problemen spielt auch eine Rolle, dass schon das Androhen einer gesetzlichen Regelung eine disziplinierende Wirkung entfalten kann und der Gesetzgeber erst einmal beobachten will, wie sich Tarifpluralität auf das deutsche Tarifsystem auswirkt.
Nicht zu übersehen ist, dass die Tarifpluralität kleinen Spezialgewerkschaften eine tarifpolitische Betätigungsfreiheit garantiert, die immer wieder zu Konflikten führt. Trotz der drohenden Regulierung haben sich zuletzt weder die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) noch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) von Arbeitskampfmaßnahmen zur Durchsetzung tarifpolitischer Ziele abschrecken lassen. Die GDL kämpfte 2011 monatelang für den Abschluss eines Bundes-Rahmen-Tarifvertrags für Lokomotivführer im Personen- und Güterverkehr und bestreikte dabei wiederholt verschiedene Privatbahnen. Die GdF setzte sich im Februar dieses Jahres fast zwei Wochen am Frankfurter Flughafen für eigenständige Tarifverträge der Vorfeldlotsen ein. Die Gewerkschaft rief sogar die Fluglotsen zu einem Unterstützungsstreik auf, der gerichtlich untersagt wurde.
Tarifeinheit bedeutet, dass in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag gelten soll. Konkurrieren Tarifverträge miteinander, setzt sich der sachnähere Tarifvertrag durch. Die Sachnähe wird neben dem fachlich-betrieblichen auch durch den räumlichen Geltungsbereich bestimmt. Danach geht der Firmentarifvertrag dem Flächentarifvertrag vor, oder der Tarifvertrag, der den gesamten Betrieb abbildet, der Regelung für eine einzelne Berufsgruppe. In diesem Sinne wird die Tarifeinheit als ein elementares Ordnungsprinzip gesehen. Allerdings steht dieses Prinzip dem Nebeneinander mehrerer konkurrierender Gewerkschaften ebenso wenig entgegen wie dem Abschluss mehrerer Tarifverträge über denselben Regelungsgegenstand (Tarifpluralität). Damit schützt die Tarifeinheit weder vor Gewerkschaftswettbewerb noch vor der Gründung durchsetzungsstarker Spartengewerkschaften. Die seit 2001 einsetzende Entwicklung des tarifpolitisch eigenständigen Auftretens von den oftmals als Spartengewerkschaften bezeichneten Berufsgruppengewerkschaften wie der Vereinigung Cockpit (VC), der GDL oder der GdF war trotz des Grundsatzes der Tarifeinheit möglich.
Die Autonomiebestrebungen der Spartengewerkschaften hingen eng mit dem Wegfall von Monopolrenten in ehemals öffentlichen Unternehmen zusammen. Einige Berufsgruppen, die in spezifischen Berufsverbänden organisiert waren, kündigten die Tarifgemeinschaften mit den großen Branchengewerkschaften auf, weil sie ihre Interessen nicht mehr angemessen vertreten sahen. Je erfolgreicher diese durchsetzungsstarken Spezialgewerkschaften operieren, desto größer wird der Anreiz für tarifpolitisch noch nicht eigenständig agierende Berufsgruppen mit einer betriebswirtschaftlichen Schlüsselstellung, das Modell zu imitieren. Mit der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit in der Rechtsprechung wird dieser Anreiz verstärkt, weil ein Tarifvertrag nicht nur erstritten werden kann, sondern auch angewendet werden darf (und zwar auch dann, wenn er Regelungen für eine Minderheit enthält, die bereits in einem anderen Tarifvertrag geregelt worden sind). Zur Tarifpluralität gehört, dass auch eine kleine Minderheit wie die knapp 200 Vorfeldlotsen am Frankfurter Flughafen einen eigenständigen Tarifvertrag durchsetzen darf. Je mehr Gruppen diesem Beispiel folgen, desto zerklüfteter wird allerdings die Tariflandschaft und desto intensiver wird der Wettbewerb zwischen den Gewerkschaften.
Bei diesem Wettbewerb sind zwei Formen voneinander zu unterscheiden: der Wettbewerb von Gewerkschaften, die komplementäre Berufsgruppen organisieren, und der Wettbewerb von Gewerkschaften, die substitutive Berufsgruppen vertreten. Bei einem substitutiven Wettbewerb konkurrieren die Gewerkschaften um dieselben Arbeitnehmer. Dabei können Branchengewerkschaften miteinander konkurrieren, z.B. die Christliche Gewerkschaft Metall und die IG Metall in der Metall- und Elektroindustrie. Es können aber auch Branchen- und Spartengewerkschaften um dieselben Mitglieder konkurrieren, beispielsweise die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Unabhängige Flugbegleiter-Organisation (UFO) bei den Flugbegleitern. Verhandeln "substitutive Gewerkschaften" getrennt, können sie gegeneinander ausgespielt werden. Das liegt daran, dass Gewerkschaften, die um dieselben Arbeitnehmer konkurrieren, nur eine begrenzte Streikmacht haben. Ruft nur eine der beiden Gewerkschaften zum Streik auf, kann der Arbeitgeber mithilfe der nicht streikenden Beschäftigten, die in der konkurrierenden Gewerkschaft organisiert sind, weiter produzieren. Damit kann eine Gewerkschaft nur über den Teil des Gesamtgewinns verhandeln, den sie durch einen Streik verhindern kann. Die Gewerkschaften können ihre Verhandlungsposition allerdings verbessern, wenn sie miteinander kooperieren und eine Tarifgemeinschaft bilden. Die disziplinierende Wirkung des Wettbewerbs würde dann entfallen.
Bei einem komplementären Wettbewerb konkurrieren die Gewerkschaften um unterschiedliche, im Produktionsprozess nicht austauschbare Arbeitnehmergruppen. Ruft eine Gewerkschaft ihre nicht ersetzbaren Mitglieder zum Streik auf, kann sie den Produktionsablauf vollständig stören. Der Arbeitgeber wird so gezwungen, mit allen Spartengewerkschaften zu verhandeln, ohne dabei die eine gegen die andere ausspielen zu können. Das führt dazu, dass jede Gewerkschaft über den Gesamtgewinn verhandeln kann. Im Vergleich zu dem substitutiven Wettbewerb kommt es zu einer Umverteilung zulasten des Unternehmens und zugunsten der in Berufsgewerkschaften organisierten Arbeitnehmer. Zudem besteht ein Anreiz für alle nicht austauschbaren Berufsgruppen, sich in einer solchen Spartengewerkschaft zu organisieren.
Spartengewerkschaften haben nicht nur eine höhere Streikmacht. Sie unterliegen auch anderen Präferenzen als Branchengewerkschaften. Da sie auf Märkten mit geringerer Wettbewerbsintensität agieren, müssen sie kaum befürchten, dass sich Lohnerhöhungen negativ auf die Beschäftigungschancen ihrer Mitglieder auswirken. Bei Branchengewerkschaften, die in der Regel auf Märkten mit höherer Wettbewerbsintensität agieren, ist der Zielkonflikt zwischen Lohnhöhe und Beschäftigungsniveau jedoch stärker ausgeprägt. Außerdem treffen die durch hohe Lohnsteigerungen angestoßenen Preiswirkungen die eigenen Mitglieder umso mehr, je größer eine Gewerkschaft ist. Kleine Spezialgewerkschaften internalisieren daher weniger Preiswirkungen ihrer Lohnabschlüsse als große Branchengewerkschaften.
Die ökonomischen Auswirkungen einer solchen Tarifpluralität können vielfältig sein. Denkbar ist, dass sich die Gewerkschaften gegenseitig überbieten. Schließt eine Gewerkschaft höher ab als eine andere, entstehen Neideffekte und Anreize zur Nachahmung. Um nicht überboten zu werden, können Tarifblockaden entstehen oder es werden Revisionsklauseln vereinbart, die Nachverhandlungen möglich machen. In den betroffenen Unternehmen kommt es häufiger zu Verhandlungen und öfter zu Konflikten. Dies entwertet die tarifvertragliche Friedenspflicht, lässt die Transaktionskosten steigen und mindert die Planungssicherheit. Die Wirkungen von Tarifpluralität beschränken sich aber nicht nur auf Branchen mit Gewerkschaftswettbewerb. Betroffen sind grundsätzlich alle Bereiche einer Volkswirtschaft, in denen abspaltungswillige und durchsetzungsstarke Berufsgruppen beschäftigt sind. Schon aus einem organisationspolitischen Interesse heraus wollen Branchengewerkschaften die Abspaltung solcher Berufsgruppen verhindern. Dazu müssen sie ihre solidarische Lohnpolitik aufgeben oder höhere Lohnforderungen stellen. Im ersten Fall würden die Interessen der durchsetzungsstarken Gruppen gezielter befriedigt. Im zweiten Fall würden Lohnsteigerungen durchgesetzt, die hoch genug sind, um diese Gruppen von Abspaltungen abzuhalten. Mit höheren Lohnforderungen nimmt das Konfliktrisiko zu. Zudem richten sich die Lohnunterschiede weniger nach der Leistungsfähigkeit als nach der faktischen Streikmacht einer bestimmten Berufsgruppe.
Deutschland ist jedoch weit von "britischen Verhältnissen" entfernt - in den 1970er Jahren legten dort mehr als 400 Gewerkschaften regelmäßig das Wirtschaftsleben lahm. Bislang lässt sich weder belegen, dass Spartengewerkschaften dauerhaft höhere Lohnabschlüsse durchsetzen als Branchengewerkschaften, noch, dass die Anzahl der durch Arbeitskämpfe ausgefallenen Arbeitstage stetig ansteigt. Daraus wird abgeleitet, dass eine gesetzliche Verankerung der Tarifeinheit nicht notwendig ist. Es ist aber nicht zu übersehen, dass die Konfliktintensität in Branchen mit Tarifpluralität und Gewerkschaftswettbewerb hoch ist.
Im Folgenden wird dies exemplarisch anhand von Tarifauseinandersetzungen in der Luftfahrt (Luftverkehr und Flugsicherung) belegt. Im Luftverkehr kündigte die VC 1999 die Tarifgemeinschaft mit der damaligen Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, die 2001 in ver.di aufging. Zwei Jahre nach Kündigung der Tarifgemeinschaft setzte die VC ihren ersten eigenen Tarifvertrag durch. Gleichzeitig strebte die UFO nach Unabhängigkeit. Sie wurde 2002 von der Deutschen Lufthansa als Tarifpartner anerkannt und setzte dort 2004 erstmals einen vollständigen Tarifvertrag für Flugbegleiter durch. Das Bodenpersonal verfügt zwar auch über einen eigenen Berufsverband (Vereinigung Boden). Die tarifpolitischen Interessen des Bodenpersonals werden aber immer noch von ver.di vertreten. Auch in der Flugsicherung bildete sich eine Berufsgruppengewerkschaft. Im Jahr 2002 kündigte der Verband deutscher Flugbegleiter an, die Kooperation mit ver.di zu beenden und ein Jahr später fusionierte der Verband mit dem Verband Deutscher Flugsicherungs-Techniker und -Ingenieure zur Gewerkschaft der Flugsicherung. Bei der Deutschen Flugsicherung (DFS) betätigt sich die GdF als Einheitsgewerkschaft für alle Tarifmitarbeiter, wobei die Fluglotsen in der Vertretungshierarchie eine Sonderstellung einnehmen. Ver.di hat seinen Einfluss nahezu vollständig verloren. Außerhalb der DFS betätigt sich die GdF bei verschiedenen Flughäfen als Berufsgruppengewerkschaft für Vorfeldlotsen (Mitarbeiter der Vorfeldkontrolle, Vorfeldaufsicht und Verkehrszentrale). Nach dem Tarifeinheitsurteil hat sich die GdF zum Ziel gesetzt, weitere eigenständige Tarifverträge abzuschließen.
Die Luftfahrt ist demnach eine Branche, in der der Gewerkschaftswettbewerb besonders intensiv ausgetragen wird. Seit 2001 hat es eine ganze Reihe von Tarifauseinandersetzungen gegeben, die einen ersten Eindruck über die Konfliktintensität und über den Umgang der Tarifparteien miteinander verschaffen. Insgesamt wurden 14 Tarifauseinandersetzungen tiefer analysiert. Berücksichtigt wurden Tarifverhandlungen zwischen Lufthansa und VC beziehungsweise UFO im Luftverkehr sowie Auseinandersetzungen zwischen der GdF und der DFS beziehungsweise dem Flughafen Stuttgart in der Flugsicherung. Die Auswahl der Konflikte richtete sich danach, wie gut sie dokumentiert werden konnten.
Bei der Analyse wurden im ersten Schritt zwei Formen von Konflikten unterschieden: klassische interessenbezogene Tarifkonflikte und organisationspolitische Statuskonflikte.7 Herkömmliche interessenbezogene Tarifkonflikte beziehen sich auf Entgelt- und Arbeitszeitfragen oder auf qualitative Ziele wie den Abschluss von Tarifverträgen zum demografischen Wandel oder zur Qualifizierung. Hier stehen Sachfragen im Vordergrund. Statuskonflikte sind Auseinandersetzungen, bei denen offene Machtfragen zwischen den Verhandlungspartnern Sachfragen überlagern. Bei Spartengewerkschaften ist die Durchsetzung eines eigenständigen Tarifvertrags ein typischer Statuskonflikt. Kennzeichnend ist, dass die Lösung eine "Entweder-Oder"-Entscheidung verlangt.
Unter den untersuchten Tarifauseinandersetzungen wurden drei als Statuskonflikte und elf als Tarifkonflikte klassifiziert. Zur Evaluierung der Konflikte wurden in einem zweiten Schritt verschiedene Kriterien herangezogen. Diese Kriterien sollen die Komplexität von Tarifauseinandersetzungen abbilden, ihren Eskalationsgrad sowie die Fähigkeit der Tarifparteien, Konflikte autonom zu lösen. Zur Bestimmung der Komplexität eines Konfliktes wurden dessen zeitliche Dauer, die Anzahl an vorzeitigen Verhandlungsabbrüchen (einschließlich der Anzahl der für gescheitert erklärten Tarifverhandlungen) und die Häufigkeit von Streikdrohungen ausgewertet. Der Eskalationsgrad wurde anhand der Streikhäufigkeit gemessen. Die Anzahl der Streiks wurde den Indikatoren Arbeitskampfvolumen (Anzahl der streikbedingt ausgefallenen Arbeitstage) und Streikdauer vorgezogen, weil sich das Arbeitskampfvolumen nicht exakt ermitteln ließ, in der Regel nur kurz gestreikt wurde und die Häufigkeit von Streiks besser darüber informiert, wie oft Verhandlungsphasen durch Konfliktphasen unterbrochen wurden. Die Fähigkeit, Konflikte autonom zu regeln, wurde daran gemessen, ob externe Schlichter oder rechtliche Instanzen beansprucht wurden. Ein Aufruf zur Schlichtung deutet darauf hin, dass sich die Tarifparteien nicht autonom einigen können, auf beiden Seiten aber die Bereitschaft zur Lösung des Konflikts besteht. Die Wahl juristischer Mittel steht hingegen eher für eine Verschärfung der Fronten, vor allem auf der Beziehungsebene. Juristische Mittel wurden häufig zur Regelung von Statuskonflikten ergriffen. Indem die Arbeitgeber die Tariffähigkeit von Spartengewerkschaften infrage stellten, versuchten sie den Konflikt zu unterdrücken, anstatt ihn zu lösen. Rechtsmittel wurden aber auch bei Tarifkonflikten eingelegt, beispielsweise in Form einstweiliger Verfügungen gegen angekündigte Streiks.
Statuskonflikte scheinen konfliktintensiver als Tarifkonflikte zu sein. Die Statuskonflikte dauerten zwischen fünf und 24,5 Monaten. Außerdem gab es zwischen drei und sechs Streikdrohungen. In zwei der drei Konflikte trat eine weitere Eskalation in Form von Streiks ein. Am längsten zog sich der 2003 begonnene Konflikt zwischen der GdF und der Deutschen Flugsicherung hin. Grund hierfür war, dass die Deutsche Flugsicherung sich weigerte, die GdF als tariffähige Gewerkschaft anzuerkennen. Diese offene Statusfrage stand auch beim Konflikt zwischen der GdF und dem Stuttgarter Flughafen im Raum. So mobilisierte die GdF während ihrer Verhandlungen für die Vorfeldlotsen mit dem Flughafen Stuttgart insgesamt fünfmal zu Arbeitskampfmaßnahmen. Neben der Aktivierung der vertretenen Berufsgruppe - den Vorfeldlotsen - rief sie auch die Fluglotsen zu einem Unterstützungsstreik auf, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Letztlich wurden die beiden Konflikte aufgelöst, indem die Tariffähigkeit durch die Arbeitsgerichtsbarkeit anerkannt wurde und damit auch der Weg für Streiks frei war. Dies zwang die Arbeitgeberseite zum Einlenken. Auch der Statuskonflikt der Piloten konnte nicht autonom, sondern nur durch Heranziehen eines Schlichters gelöst werden.
In den elf als interessenbezogenen Tarifverhandlungen eingestuften Konflikten konnten sich die Tarifverhandlungspartner zum Teil relativ schnell einigen, beispielsweise in den Verhandlungen der Lufthansa mit der VC 2008 und 2011. Allerdings ist die Bandbreite der Verhandlungsdauer recht groß. Der mittlere Wert liegt bei vier Monaten, der Maximalwert bei 14 Monaten. In acht Konflikten kam es zu Verhandlungsabbrüchen oder die Tarifverhandlungen wurden für gescheitert erklärt. Entsprechend wurden auch recht häufig Streikdrohungen ausgesprochen. Hier liegt der Maximalwert bei fünf Streikdrohungen im Tarifkonflikt zwischen GdL und Deutscher Flugsicherung 2011. Zumeist blieb es aber bei der Streikdrohung. Eine Eskalation in Form eines Arbeitskampfes gab es nur in drei der elf Tarifkonflikte. Bei vier Auseinandersetzungen gelang den Tarifparteien keine autonome Einigung. Hier wurde entweder ein Schlichter bestellt oder es wurde die Arbeitsgerichtsbarkeit eingeschaltet.
Die untersuchten Auseinandersetzungen deuten an, dass Statuskonflikte im Vergleich zu Tarifkonflikten schwieriger zu lösen sind. Um diesen Befund empirisch besser stützen zu können, müssten weitere Konflikte ausgewertet und neben der Luftfahrt auch Krankenhäuser und der Schienenverkehr einbezogen werden, wo ebenfalls Tarifpluralität und komplementärer Gewerkschaftswettbewerb besteht. Beim Marburger Bund, der die Kooperation mit ver.di 2005 kündigte, und bei der Lokführergewerkschaft GdL, die erstmals 2003 einen eigenen Spartentarifvertrag für das Fahrpersonal forderte, zogen sich die Statuskonflikte ebenfalls über längere Zeiträume hin. Es kam wiederholt zu Arbeitskämpfen und es wurden auch einstweilige Verfügungen gegen angekündigte Streiks erlassen.
Aufgrund des Wegfalls der Tarifeinheit könnten Statuskonflikte künftig häufiger auftreten. Entscheidend ist, in welcher Anzahl sich neue Gewerkschaften gründen, die nach Tariffähigkeit streben und diese auch durchsetzen können. Seit dem Wegfall der Tarifeinheit 2010 ist es zu keinem starken Anstieg der Neugründungen von Gewerkschaften gekommen. Daraus ist jedoch keine Entwarnung ableitbar. Statuskonflikte entstehen nämlich nicht nur durch Neugründungen, sondern auch, wenn die bereits agierenden Spartengewerkschaften ihren Organisationsbereich auf weitere Berufsgruppen ausweiten und für diese ebenfalls eigenständige Tarifverträge durchsetzen wollen, oder, wenn sie bei neuen Arbeitgebern eigenständige Tarifverträge fordern. Dies war in der Vergangenheit bei den Fluggesellschaften ebenso wie bei den Flughäfen und bei den Kliniken zu beobachten, in denen überwiegend Firmentarifverträge existierten.
Die Auswertung der Luftfahrtbranche zeigt, dass auch Tarifkonflikte von Spartengewerkschaften konfliktintensiv sein können. Spartengewerkschaften müssen sich legitimieren, um den Zuspruch ihrer Mitglieder zu behalten. Das zwingt sie, Abschlüsse durchzusetzen, die die vertretenen Berufsgruppen nicht realisieren könnten, wenn sie in Branchengewerkschaften organisiert wären. Durch diesen organisationspolitischen Bezug wohnt auch künftigen Tarifkonflikten ein hohes Eskalationspotenzial inne. Wie bereits ausgeführt, beschränkt sich dieses Problem nicht allein auf die agierenden Spartengewerkschaften. Es setzt auch die Branchengewerkschaften unter Druck.
Es ist eine politische Entscheidung, ob der Gesetzgeber die weitere Entwicklung beobachtet oder die in den Konflikten konkurrierender Gewerkschaften angelegten Probleme frühzeitig durch geeignete Rahmenbedingungen zu minimieren versucht. Die Tarifautonomie setzt dem Gesetzgeber allerdings enge Grenzen. Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz schützt nach überwiegender juristischer Auffassung auch die Betätigungsfreiheit von Berufsgewerkschaften. Andererseits haben die Konflikte von Spartengewerkschaften ein besonderes Gewicht. Da diese in Bereichen der Daseinsvorsorge agieren, treffen Arbeitskämpfe in besonderer Weise unbeteiligte Dritte. Außerdem hat schon eine Streikdrohung negative wirtschaftliche Auswirkungen, weil sie Konsumenten davon abhalten kann, eine Dienstleistung nachzufragen. Ein solcher Nachfrageausfall kann in den meisten Fällen auch nicht mehr nachgeholt werden.
Die Tarifparteien stehen aber auch unabhängig vom Gesetzgeber in der Pflicht, mit Tarifpluralität verantwortlich umzugehen. Herkömmliche Tarifverhandlungen sind ebenso wie die einschlägigen Regeln der Schlichtung weitgehend ritualisiert und institutionalisiert. Tarifkonflikte mit Spartengewerkschaften folgen offenbar weniger festen Regeln, ohne dabei irrational zu sein. Das wechselseitige Signalisieren und Demonstrieren der eigenen hohen Konfliktbereitschaft gehört zur Logik von Machtproben, in denen der Verhandlungsgegner zum Einlenken gezwungen werden soll. Mit den üblichen Verhandlungsritualen sind statusbetonte Tarifkonflikte nur schwer beizulegen. Es ist daher an der Zeit, über neue Formen eines Konfliktmanagements in Tarifverhandlungen nachzudenken.
Zum Gastbeitrag auf wirtschaftsdienst.eu
Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. IW Köln
Konrad-Adenauer-Ufer 21
50459 Köln
Deutschland
Telefon: 0221 4981-1
Telefax: 0221 4981-533
Mail: presse@iwkoeln.de
URL: www.iwkoeln.de
Weitere Informationen
Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. IW Köln,
, 50459 Köln, Deutschland
Tel.: 0221 4981-1; www.iwkoeln.de
, 50459 Köln, Deutschland
Tel.: 0221 4981-1; www.iwkoeln.de
Weitere Meldungen dieses Unternehmens
10.11.2015 Staat verdrängt Mittelständler
13.10.2015 Weniger statt mehr
23.09.2015 Brexit wird für Briten teuer
Pressefach abonnieren
via RSS-Feed abonnieren
via E-Mail abonnieren
Pressekontakt
Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. IW Köln
50459 Köln
Deutschland
Drucken
Weiterempfehlen
PDF
Schlagworte
Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. IW Köln
50459 Köln
Deutschland
https://www.prmaximus.de/pressefach/institut-der-deutschen-wirtschaft-köln-e.v.-iw-köln-pressefach.html
Die Pressemeldung "Die Konfliktintensität von Tarifverhandlungen bei Tarifpluralität" unterliegt dem Urheberrecht.
Jegliche Verwendung dieses Textes, auch auszugsweise, erfordert die vorherige schriftliche Erlaubnis des Autors.
Autor der Pressemeldung "Die Konfliktintensität von Tarifverhandlungen bei Tarifpluralität" ist Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. IW Köln, vertreten durch .