RWE-Betriebsrat Reinhold Gispert vor Ethikkommission

  • Pressemitteilung der Firma RWE Aktiengesellschaft, 28.04.2011
Pressemitteilung vom: 28.04.2011 von der Firma RWE Aktiengesellschaft aus Essen

Kurzfassung: Heute hat die von der Bundesregierung einberufene Ethikkommission "Sichere Energieversorgung" in Berlin getagt. In verschiedenen Gesprächsblöcken hatten Vertreter unterschiedlicher Institutionen, Verbände und Organisationen die Möglichkeit, ihre ...

[RWE Aktiengesellschaft - 28.04.2011] RWE-Betriebsrat Reinhold Gispert vor Ethikkommission


Heute hat die von der Bundesregierung einberufene Ethikkommission "Sichere Energieversorgung" in Berlin getagt. In verschiedenen Gesprächsblöcken hatten Vertreter unterschiedlicher Institutionen, Verbände und Organisationen die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge in die Diskussion einzubringen. Im Block "Gesellschaftliche Aspekte einer sicheren Energieversorgung" konnte Reinhold Gispert, Betriebsratsvorsitzender am Standort Biblis, stellvertretend für die Kolleginnen und Kollegen in den Kernkraftwerken, seine Position vortragen.

Neben Gispert waren Prof. Uwe Schneidewind, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, Dr. Dieter Salomon, Oberbürgermeister der Stadt Freiburg, Dr. Felix Matthes, Öko-Institut, Dirk U. Hindrichs, Schüco International KG Bielefeld, Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, und Hildegard Müller, Hauptgeschäftsführerin des BDEW, Teilnehmer des Blocks, der aus jeweils siebenminütigen Statements und einer anschließenden Fragerunde bestand. Die gesamte Sitzung der Kommission wurde live von Phoenix übertragen.

Nachfolgend finden Sie das Statement, das Reinhold Gispert vorgetragen hat, im Wortlaut:

"Mein herzlicher Dank gilt der Ethikkommission, dass ich stellvertretend für die Beschäftigten der deutschen Kraftwerke heute unsere Sicht der Dinge erläutern darf. An meinem Kraftwerkstandort Biblis arbeiten 1.000 Menschen, in der Kerntechnik in Deutschland mehr als 30.000, die mit Spannung und Sorge Ihren Empfehlungen entgegensehen. Dass ich hier heute sprechen kann, ist bei den Kolleginnen und Kollegen positiv angekommen. Denn aktuell ist es leider oft so, dass über uns, aber nicht mit uns gesprochen wird.
Die schreckliche Katastrophe in Japan macht auch uns betroffen. Wir denken an die Kollegen, die dort unter Einsatz ihrer Gesundheit versuchen, die Auswirkungen so gut es geht zu begrenzen. Dass über die Zukunft der Kernenergie eine heftige Debatte entbrannt ist, ist für uns nachvollziehbar. Aber ich betone: Sicherheit ist unser wichtigstes Ziel. Dafür arbeiten wir in Biblis und an allen anderen Standorten Tag für Tag. Als Familienvater weiß ich worüber ich spreche. Gerade weil wir vom hohen technischen Niveau unserer Anlagen und dem exzellenten Fachwissen unserer Kolleginnen und Kollegen überzeugt sind, kämpfen wir für die Kernenergie. Daher unterstützen wir ausdrücklich die Sicherheitsüberprüfung unserer Anlagen.

Unter Hochdruck und mit großer Sorgfalt haben unsere Kolleginnen und Kollegen an der umfänglichen Beantwortung aller uns übermittelten Fragen gearbeitet. Unsere größte Sorge ist: Erfolgt die Bewertung tatsächlich vorurteilsfrei? Die Bilder aus Fukushima haben große Wirkung und dennoch: Wir hoffen darauf, dass gerade die Ethikkommission ergebnisoffen und ohne Vorfestlegung prüft! Unsere Arbeit in der Kernenergie war und ist demokratisch legitimiert. Sie wurde und sie wird permanent kontrolliert. Wir haben keinen Anlass geboten, dass wir heute diffamiert und moralisch angegangen werden, dass wir uns auch im privaten Bereich gegen manchmal massive Beleidigungen zur Wehr setzen müssen. Viele Kollegen haben den Eindruck, dass wir diesen Diffamierungen schutzlos ausgesetzt sind. Das weiß ich aus meinen vielen Gesprächen.

Meine Damen und Herren,

als Mitarbeiter eines Kernkraftwerks kommt man sich im eigenen Land derzeit vor wie auf der Anklagebank. Was erwarten die Kolleginnen und Kollegen von Ihnen, den Mitgliedern der Ethikkommission? Helfen Sie dabei solchen Auswüchsen, der Panikmache und Diskreditierung einer ganzen Branche, ihrer Mitarbeiter und ihrer Familien Einhalt zu gebieten.

Noch im Herbst ist die Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke als unverzichtbare Brückentechnologie beschlossen worden. Wir, die Beschäftigten, haben das als Ansporn verstanden, mit unserem Wissen und unserem Einsatz weiterhin einen wichtigen Beitrag für eine sichere Stromversorgung in unserem Land zu leisten. Fukushima bedeutet einen Einschnitt – ja. Aber warum dies in Deutschland so viel radikaler bewertet wird als sonst wo auf der Welt und insbesondere in Europa, das kann uns niemand erklären. Und außerhalb Deutschlands versteht wohl kaum jemand diese Art unserer Debatte!

Meine Damen und Herren,

die aktuelle Situation wirft viele Fragen auf:
• Warum entkoppeln wir uns von den europäischen Vorgehensweisen?
• Wie reagieren wir zum Beispiel, wenn beim EU-Stresstest die Maßstäbe sogar noch kritischer sein sollten als in Deutschland?
• Wie reagieren wir aber, wenn nach der EU-weiten Prüfung dann außerhalb Deutschlands Anlagen weiter Strom produzieren dürfen – und das bei geringerem Sicherheitsniveau?
• Und: Wenn wir uns in Deutschland tatsächlich von der Kernenergie verabschieden, dann muss dies doch auch bedeuten: keine Atomstromimporte. Oder?

Ich kann nur für unsere Anlagen sprechen:
Sie bieten im internationalen Vergleich den bestmöglichen Schutz. Bereits jetzt ist klar, dass sie gegenüber Fukushima deutlich höhere Sicherheitsreserven haben. Deshalb haben wir keine Angst vor den Ergebnissen der Überprüfung. Das setzt aber voraus, dass die Bewertung objektiv und ergebnisoffen erfolgt und nicht nach Maßstäben, die kein Kernkraftwerk weltweit erfüllen kann.

Wir sind Realisten: Wenn die Politik, wenn unsere Gesellschaft sich
für eine andere Form der Stromerzeugung entscheidet, dann werden wir das natürlich akzeptieren. Aber es besteht überhaupt kein Anlass, dies fluchtartig und ungeordnet zu tun. Aber zu Realismus gehört auch die Forderung, uns nicht im Regen stehen zu lassen. Konkret: Unsere hochqualifizierten Kolleginnen und Kollegen brauchen eine angemessene Perspektive. Ich frage Sie: Was sagen Sie unseren Ingenieuren, Technikern, Meistern und Handwerkern? Wollen Sie, dass viele von uns, die für Spitzentechnologie und Spitzenleistung stehen in unserem Land, keine Perspektive mehr sehen und ins Ausland ausweichen müssen?

Wollen wir das? Sollte also die Politik als Auftrag der Gesellschaft zum Beschluss bzw. der Entscheidung kommen zukünftig auf die Kernenergie verzichten zu wollen, dann gehört untrennbar zu dieser Entscheidung die Verantwortung für die Arbeitsplätze. Es darf doch nicht sein, dass durch den Willen der Politik Arbeitsplätze vernichtet werden.

Wenn es aber so käme, dann darf es doch nicht sein, dass wir als Arbeitnehmer allein die Zeche zahlen!

Dann sind auch Sie, dann ist die Politik in der Pflicht und Verantwortung:
• Mit arbeitspolitischen Maßnahmen und finanziellen Mitteln.
• Mit klaren Regelungen und konkreten Beschäftigungsalternativen für uns, unsere Kolleginnen und Kollegen.

Meine Damen und Herren,

Sie tragen mit dazu bei, wie in Deutschland die energiepolitischen Weichen künftig gestellt werden. Daher appelliere ich heute im Namen der Beschäftigten und ihrer Familien an Sie:
• Sorgen Sie dafür, dass wir zu einer sachlichen Debatte über die Energieversorgung der Zukunft zurückkommen. Hören Sie auch auf unseren Sachverstand, obwohl das von vielen derzeit nicht gewollt ist.
• Sorgen Sie mit dafür, dass die Ergebnisse der Sicherheitsüberprüfung vorurteilsfrei und in Kenntnis der notwendigen Fakten bewertet werden und lassen Sie dabei die Situation in anderen europäischen Ländern nicht außer Acht!
• Verabschieden Sie sich nicht voreilig von einer Technologie, ohne die Konsequenzen für den Standort Deutschland und seine Beschäftigten sorgsam geprüft zu haben und zeigen sie entsprechende Alternativen auf!
• Sorgen Sie mit dafür, dass durch klare und rechtssichere Regelungen die dann betroffenen Arbeitnehmer abgesichert werden und bleiben.

Meine Damen und Herren,

vergessen Sie bitte bei Ihren Entscheidungen nicht:
Auch wir, die Beschäftigten in der Kerntechnik und ihre Familien, sind ein Teil
dieser, unserer Gesellschaft."


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