05.12.2014 10:35 Uhr in Gesellschaft & Familie von Bundesverfassungsgericht
Zeitpunkt der Einholung eines Abstammungsgutachtens unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Kurzfassung: Zeitpunkt der Einholung eines Abstammungsgutachtens unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichtem Beschl ...
[Bundesverfassungsgericht - 05.12.2014] Zeitpunkt der Einholung eines Abstammungsgutachtens unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichtem Beschluss eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die Einholung eines Abstammungsgutachtens im Verfahren auf Umgang und Auskunft des mutmaßlichen Vaters richtet. Wegen der familiären Auswirkungen der Abstammungsklärung kann es zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geboten sein, diese erst dann herbeizuführen, wenn das Gericht festgestellt hat, dass die sonstigen
Voraussetzungen eines Umgangs- oder Auskunftsanpruchs vorliegen. Hier ist die von den Fachgerichten gewählte Prüfungsreihenfolge jedoch nicht zu beanstanden.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführer sind ein Ehepaar mit seiner Tochter. Der Ehemann ist rechtlicher Vater der Tochter, der Antragsteller des Ausgangsverfahrens hält sich selbst für ihren leiblichen Vater. Er macht ein Umgangs- und Auskunftsrecht nach 1686a des Bürgerlichen
Gesetzbuches (BGB) geltend. Nachdem das Amtsgericht den Antrag insgesamt zurückgewiesen hatte, ordnete das Oberlandesgericht die Einholung eines Abstammungsgutachtens an. Die Beschwerdeführer verweigerten hieran ihre Mitwirkung. Das Oberlandesgericht entschied daraufhin durch Zwischenbeschluss, dass die Weigerung rechtswidrig sei. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Anordnung und Durchführung einer Abstammungsuntersuchung greift zwar insbesondere in das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familienleben der bestehenden Familie ein. Der Grundrechtseingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt; er beruht auf gesetzlicher Grundlage und ist verhältnismäßig.
a) Der Schutz der bestehenden Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) findet im verfassungsrechtlich grundsätzlich anzuerkennenden Wunsch des leiblichen
Vaters nach Umgang und Auskunft über das Kind eine verfassungsimmanente Schranke. In deren gesetzlicher Konkretisierung ermächtigt 167a des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) die Gerichte zur Anordnung einer Abstammungsuntersuchung, sofern dies in Verfahren nach 1686a BGB zur Klärung der leiblichen Vaterschaft erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat damit in Reaktion auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dem mutmaßlichen leiblichen Vater zur Durchsetzung des neu geschaffenen Umgangs- oder Auskunftsanspruchs eine Abstammungsklärung auch dann ermöglicht, wenn - wie hier - eine Vaterschaftsanfechtung wegen der sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind nicht in Betracht kommt.
b) Die aufgrund der genannten Regelungen ergangene Anordnung einer Abstammungsuntersuchung genügt den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
aa) Der Anspruch auf Umgang sowie Auskunft gemäß 1686a Abs. 1 BGB setzt neben der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers voraus, dass dieser ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat und dass der Umgang dem Kindeswohl dient (Nr. 1), bzw. dass die Auskunft über die persönlichen Verhältnisse dem Wohl des Kindes nicht widerspricht und der Antragsteller an der Auskunft ein berechtigtes Interesse hat (Nr. 2). Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, in welcher Reihenfolge die Anspruchsvoraussetzungen durch das Gericht zu klären sind.
Von Verfassungs wegen darf diese Reihenfolge jedoch nicht im Belieben des Gerichts stehen, weil die Betroffenen nicht mit Grundrechtseingriffen belastet werden dürfen, die nicht erforderlich sind. Insbesondere dürfen die Gerichte sich hierbei nicht alleine von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen. Wegen der familiären Auswirkungen der Abstammungsklärung kann es zur Vermeidung unnötiger Eingriffe in das Familiengrundrecht vielmehr geboten sein, die Abstammungsklärung erst dann herbeizuführen, wenn das Gericht festestellt hat, dass die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen; ist hingegen absehbar, dass die Klärung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen für die Betroffenen ungleich belastender ist, kann es umgekehrt geboten sein, zuerst die Abstammungsklärung vorzunehmen. Wenn sich die Frage der Kindeswohldienlichkeit oder -verträglichkeit ohne großen Aufwand klären lässt, wird das Gericht in der Regel vorab keine Abstammungsuntersuchung anordnen dürfen. Die Anordnung einer Abstammungsuntersuchung vor Klärung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen scheidet regelmäßig auch dann aus, wenn nach dem Stand der Ermittlungen unwahrscheinlich ist, dass die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Je wahrscheinlicher hingegen ist, dass die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und je geringer die damit verbundenen Beeinträchtigungen des Familienlebens sind, desto eher darf eine Abstammungsuntersuchung vor der abschließenden Klärung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen angeordnet werden. Hierbei kann insbesondere dem Umstand Bedeutung zukommen, ob die Möglichkeit der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers zwischen den Beteiligten streitig ist oder nicht.
bb) Dies zugrunde gelegt, begegnet die Anordnung der Abstammungsuntersuchung im vorliegenden Fall keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, obwohl die weiteren Anspruchsvoraussetzungen noch nicht abschließend geklärt sind. Das Oberlandesgericht nimmt in nicht zu beanstandender Weise an, dass erhebliche psychische Auswirkungen der Abstammungsklärung auf die Beteiligten nicht zu befürchten sind, weil unstreitig ist, dass eine leibliche Vaterschaft des Antragstellers in Betracht kommt. Zudem sieht es derzeit die Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs nach 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB - mit Ausnahme der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers - als gegeben an. Dies erscheint nicht unplausibel, denn die Beschwerdeführer haben selbst einen solchen Anspruch "anerkannt" und damit zu erkennen gegeben, dass aus ihrer Sicht der Auskunft über das Kind keine unüberwindbaren Kindeswohlbelange entgegenstehen.
Bundesverfassungsgericht
Schloßbezirk 3
76131 Karlsruhe
Deutschland
Telefon: 0721/91010
Telefax: 0721/9101-382
Mail: bverfg@bundesverfassungsgericht.de
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Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichtem Beschluss eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die Einholung eines Abstammungsgutachtens im Verfahren auf Umgang und Auskunft des mutmaßlichen Vaters richtet. Wegen der familiären Auswirkungen der Abstammungsklärung kann es zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geboten sein, diese erst dann herbeizuführen, wenn das Gericht festgestellt hat, dass die sonstigen
Voraussetzungen eines Umgangs- oder Auskunftsanpruchs vorliegen. Hier ist die von den Fachgerichten gewählte Prüfungsreihenfolge jedoch nicht zu beanstanden.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführer sind ein Ehepaar mit seiner Tochter. Der Ehemann ist rechtlicher Vater der Tochter, der Antragsteller des Ausgangsverfahrens hält sich selbst für ihren leiblichen Vater. Er macht ein Umgangs- und Auskunftsrecht nach 1686a des Bürgerlichen
Gesetzbuches (BGB) geltend. Nachdem das Amtsgericht den Antrag insgesamt zurückgewiesen hatte, ordnete das Oberlandesgericht die Einholung eines Abstammungsgutachtens an. Die Beschwerdeführer verweigerten hieran ihre Mitwirkung. Das Oberlandesgericht entschied daraufhin durch Zwischenbeschluss, dass die Weigerung rechtswidrig sei. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Anordnung und Durchführung einer Abstammungsuntersuchung greift zwar insbesondere in das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familienleben der bestehenden Familie ein. Der Grundrechtseingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt; er beruht auf gesetzlicher Grundlage und ist verhältnismäßig.
a) Der Schutz der bestehenden Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) findet im verfassungsrechtlich grundsätzlich anzuerkennenden Wunsch des leiblichen
Vaters nach Umgang und Auskunft über das Kind eine verfassungsimmanente Schranke. In deren gesetzlicher Konkretisierung ermächtigt 167a des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) die Gerichte zur Anordnung einer Abstammungsuntersuchung, sofern dies in Verfahren nach 1686a BGB zur Klärung der leiblichen Vaterschaft erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat damit in Reaktion auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dem mutmaßlichen leiblichen Vater zur Durchsetzung des neu geschaffenen Umgangs- oder Auskunftsanspruchs eine Abstammungsklärung auch dann ermöglicht, wenn - wie hier - eine Vaterschaftsanfechtung wegen der sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind nicht in Betracht kommt.
b) Die aufgrund der genannten Regelungen ergangene Anordnung einer Abstammungsuntersuchung genügt den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
aa) Der Anspruch auf Umgang sowie Auskunft gemäß 1686a Abs. 1 BGB setzt neben der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers voraus, dass dieser ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat und dass der Umgang dem Kindeswohl dient (Nr. 1), bzw. dass die Auskunft über die persönlichen Verhältnisse dem Wohl des Kindes nicht widerspricht und der Antragsteller an der Auskunft ein berechtigtes Interesse hat (Nr. 2). Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, in welcher Reihenfolge die Anspruchsvoraussetzungen durch das Gericht zu klären sind.
Von Verfassungs wegen darf diese Reihenfolge jedoch nicht im Belieben des Gerichts stehen, weil die Betroffenen nicht mit Grundrechtseingriffen belastet werden dürfen, die nicht erforderlich sind. Insbesondere dürfen die Gerichte sich hierbei nicht alleine von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen. Wegen der familiären Auswirkungen der Abstammungsklärung kann es zur Vermeidung unnötiger Eingriffe in das Familiengrundrecht vielmehr geboten sein, die Abstammungsklärung erst dann herbeizuführen, wenn das Gericht festestellt hat, dass die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen; ist hingegen absehbar, dass die Klärung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen für die Betroffenen ungleich belastender ist, kann es umgekehrt geboten sein, zuerst die Abstammungsklärung vorzunehmen. Wenn sich die Frage der Kindeswohldienlichkeit oder -verträglichkeit ohne großen Aufwand klären lässt, wird das Gericht in der Regel vorab keine Abstammungsuntersuchung anordnen dürfen. Die Anordnung einer Abstammungsuntersuchung vor Klärung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen scheidet regelmäßig auch dann aus, wenn nach dem Stand der Ermittlungen unwahrscheinlich ist, dass die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Je wahrscheinlicher hingegen ist, dass die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und je geringer die damit verbundenen Beeinträchtigungen des Familienlebens sind, desto eher darf eine Abstammungsuntersuchung vor der abschließenden Klärung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen angeordnet werden. Hierbei kann insbesondere dem Umstand Bedeutung zukommen, ob die Möglichkeit der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers zwischen den Beteiligten streitig ist oder nicht.
bb) Dies zugrunde gelegt, begegnet die Anordnung der Abstammungsuntersuchung im vorliegenden Fall keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, obwohl die weiteren Anspruchsvoraussetzungen noch nicht abschließend geklärt sind. Das Oberlandesgericht nimmt in nicht zu beanstandender Weise an, dass erhebliche psychische Auswirkungen der Abstammungsklärung auf die Beteiligten nicht zu befürchten sind, weil unstreitig ist, dass eine leibliche Vaterschaft des Antragstellers in Betracht kommt. Zudem sieht es derzeit die Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs nach 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB - mit Ausnahme der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers - als gegeben an. Dies erscheint nicht unplausibel, denn die Beschwerdeführer haben selbst einen solchen Anspruch "anerkannt" und damit zu erkennen gegeben, dass aus ihrer Sicht der Auskunft über das Kind keine unüberwindbaren Kindeswohlbelange entgegenstehen.
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