18.05.2015 11:39 Uhr in Gesellschaft & Familie von Transparency International Deutschland
Anwendungsbeobachtungen - Instrumente für Korruption?
Kurzfassung: Anwendungsbeobachtungen - Instrumente für Korruption?Nach zwei erfolgreichen Klageverfahren auf Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes hat die Antikorruptionsorganisation Transparen ...
[Transparency International Deutschland - 18.05.2015] Anwendungsbeobachtungen - Instrumente für Korruption?
Nach zwei erfolgreichen Klageverfahren auf Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes hat die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland e.V. mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit nach insgesamt vier Jahren zu Anwendungsbeobachtungen bisher nicht öffentliche Informationen erhalten und ausgewertet. Die Ergebnisse legen nahe, dass Anwendungsbeobachtungen lediglich Scheinforschung und ein mögliches Instrument für unzulässige Einflussnahme und Korruption im Gesundheitswesen sind.
Anwendungsbeobachtungen (AWB) sollen nach dem deutschen Arzneimittelgesetz (AMG) und den dazu erlassenen Richtlinien des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) der Gewinnung von Erkenntnissen über bereits zugelassene oder registrierte Arzneimittel dienen. Die pharmazeutischen Unternehmen und Medizinproduktehersteller oder die von ihnen beauftragten Clinical Research Organisations müssen AWB gegenüber der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und dem BfArM anzeigen. Nach dem AMG sind Ort, Zeit, Ziel und Beobachtungsplan sowie die teilnehmenden Ärzte und die Art und Höhe der an sie gezahlten Honorare an KBV und GKV anzugeben. Auch die mit den Ärzten geschlossenen Verträge sind an die KBV zu übermitteln.
Die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland e.V. stellte im Jahr 2011 an die oben genannten, nach 67 AMG zuständigen Adressaten gleichlautende Auskunftsanträge über die:
- Anzahl der gemeldeten Anwendungsbeobachtungen (AWB) 2008-2010
- Hersteller oder meldenden Clinical Research Organisation (CRO)
- Orte der AWB, Präparate, Dauer der AWB
- Anzahl der Patienten pro AWB, Anzahl der teilnehmenden Ärzte
- Höhe der gezahlten Honorare
- Anteil neu zugelassener Medikamente (< 2 Jahre vor AWB)
- Informationen über Auswertungen und Ergebnisse oder Publikationen.
Der GKV Spitzenverband erteilte die gewünschten Auskünfte unverzüglich. Allerdings wurden die Honorare an die Ärzte als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse angesehen und daher ausgespart.
Zwei Urteile mussten erst von Transparency mit anwaltlicher Unterstützung durch RA Dr. Partsch, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit, vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin im Juni 2012 gegenüber der KBV und im Juli 2014 vor dem VG Köln gegenüber dem BfArM zur Herausgabe der AWB-Informationen erstritten werden. Die 48-seitige Auflistung des GKV Spitzenverbandes und die von der KBV überlassenen Aktenkopien mit insgesamt 6925 Seiten konnten von Mitgliedern der aus Arbeitsgruppen Informationsfreiheit und Gesundheitswesen von Transparency bis März 2014 vollständig ausgewertet werden. Demgegenüber erwies sich das BfArM bei der Auskunftserteilung trotz des Urteils als besonders abweisend. Erst nach 9 Monaten und der Androhung einer Zwangsvollstreckung hat man schließlich im April 2015 142 Tabellenseiten mit Vorgängen aus den Jahren 2008 bis 2010 zu Anwendungsbeobachtungen herausgegeben.
Für Dieter Hüsgen, Leiter der Arbeitsgruppe Informationsfreiheit bei Transparency ein unverständliches Verhalten: "Gerade von der zuständigen Bundesoberbehörde hatten wir erwartet, dass für unser Auskunftsbegehren großes Verständnis und ein hohes Interesse an den Anwendungsbeobachtungen besteht. Aber schon während der gerichtlichen Verhandlung wurden wir eines Besseren belehrt." Denn wie sich herausstellte, wurden anstatt einer systematischen Registrierung und Überwachung der zum Teil durch die Behörde selbst angeordneten Studien im BfArM bis Ende 2014 die Meldungen und weiteren Dokumente zu AWB lediglich mit einer Posteingangsnummer abgeheftet. Somit gestaltete sich die Erfüllung des Informationsbegehrens zu AWB für das BfArM letztlich als unlösbares Problem.
Entsprechend unterschiedlich fiel der Vergleich zwischen den Meldungen an die verschiedenen Stellen aus: Dr. Angela Spelsberg, die die Untersuchung bei Transparency koordinierte, stellt fest: "Die Einhaltung der AMG-Vorschriften zu Anwendungsbeobachtungen wurde offensichtlich nie kontrolliert. Die nun erstmals vorliegenden Daten der drei Stellen weichen erheblich voneinander ab: Unterschiedliche AWB-Zahlen, unvollständige Meldungen, fehlende Beobachtungspläne (ab 2009 gesetzlich vorgeschrieben), fehlende Ärzte-, Patienten- und Honorarangaben. Beispielsweise wurden für 2008 bis 2010 der GKV 598 AWB gemeldet, der KBV 558, dem BfArM sogar nur 499 AWB, die Richtigkeit der Auskünfte unterstellt. Es erfolgte offensichtlich seitens der Institutionen kein Abgleich untereinander, auch gegenüber den Meldenden wurden kaum Beanstandungen erhoben. Ebenso wenig interessierte man sich für den Verlauf oder die Ergebnisse der AWB, vor allem hinsichtlich der Arzneimittelsicherheit."
"Der wissenschaftliche Nutzen von AWB für die Allgemeinheit ist also gleich Null", urteilt Dr. Ulrich Keil, Professor für Epidemiologie und Mitglied der Arbeitsgruppe Gesundheitswesen bei Transparency, "der potentielle Schaden dieser schlechten Studien jedoch immens. Denn eine verlässliche öffentliche Registrierung sowie wissenschaftlich adäquate Veröffentlichungen der Ergebnisse sind nicht gegeben, geschweige denn Transparenz über Nebenwirkungsmeldungen aus diesen Studien." Die in den AWB erhobenen Daten unterliegen nach den Transparency vorliegenden Dokumenten vielmehr einer vertraglich vereinbarten Geheimhaltung und sind Eigentum der Sponsoren.
Gleichwohl ist der aus den Unterlagen ersichtliche Aufwand für die AWB beträchtlich: In den drei untersuchten Jahren von 2008 bis 2010 war die Teilnahme von insgesamt über einer Million PatientInnen und 126.764 ÄrztInnen (Mehrfachnennungen möglich) aus den AWB-Anzeigen ersichtlich. Dafür veranschlagt wurden pro AWB durchschnittlich rund eine halbe Million allein an Honorarkosten. Für den einzelnen Arzt belief sich nach den vorliegenden Daten das Honorar auf rund 19.000 Euro im Durchschnitt. Damit können AWB als ein Instrument von unzulässiger Einflussnahme auf Ärzte und Korruption im Gesundheitswesen angesehen werden.
Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse fordert Transparency eine sofortige Änderung des Arzneimittelgesetzes. Studien nach der Zulassung von Arzneimitteln müssen künftig verpflichtend registriert werden. Studienprotokolle sowie fallbezogene Patientendaten einschließlich aller Nebenwirkungsmeldungen müssen darüber hinaus grundsätzlich für unabhängige Überprüfungen transparent gemacht werden. Dieses entspräche der 2014 vom Europäischen Parlament verabschiedeten Gesetzgebung für klinische Studien vor der Zulassung von Medikamenten. Dann könnten Ethikkommissionen, Ärztekammern und Aufsichtsbehörden anhand verlässlicher Kriterien die Teilnahme von PatientInnen und der sie behandelnden ÄrztInnen an Studien nach der Arzneimittelzulassung auch guten Gewissens befürworten.
Kontakt
Dr. Angela Spelsberg, Arbeitsgruppe Gesundheitswesen
Dieter Hüsgen, Arbeitsgruppe Informationsfreiheit
Dr. Anna-Maija Mertens, Geschäftsführerin
Transparency International Deutschland e.V.
Tel.: 030 - 54 98 98 0
Transparency International Deutschland e.V.
Alte Schönhauser Str. 44
10119 Berlin
Deutschland
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Mail: office@transparency.de
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Nach zwei erfolgreichen Klageverfahren auf Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes hat die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland e.V. mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit nach insgesamt vier Jahren zu Anwendungsbeobachtungen bisher nicht öffentliche Informationen erhalten und ausgewertet. Die Ergebnisse legen nahe, dass Anwendungsbeobachtungen lediglich Scheinforschung und ein mögliches Instrument für unzulässige Einflussnahme und Korruption im Gesundheitswesen sind.
Anwendungsbeobachtungen (AWB) sollen nach dem deutschen Arzneimittelgesetz (AMG) und den dazu erlassenen Richtlinien des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) der Gewinnung von Erkenntnissen über bereits zugelassene oder registrierte Arzneimittel dienen. Die pharmazeutischen Unternehmen und Medizinproduktehersteller oder die von ihnen beauftragten Clinical Research Organisations müssen AWB gegenüber der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und dem BfArM anzeigen. Nach dem AMG sind Ort, Zeit, Ziel und Beobachtungsplan sowie die teilnehmenden Ärzte und die Art und Höhe der an sie gezahlten Honorare an KBV und GKV anzugeben. Auch die mit den Ärzten geschlossenen Verträge sind an die KBV zu übermitteln.
Die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland e.V. stellte im Jahr 2011 an die oben genannten, nach 67 AMG zuständigen Adressaten gleichlautende Auskunftsanträge über die:
- Anzahl der gemeldeten Anwendungsbeobachtungen (AWB) 2008-2010
- Hersteller oder meldenden Clinical Research Organisation (CRO)
- Orte der AWB, Präparate, Dauer der AWB
- Anzahl der Patienten pro AWB, Anzahl der teilnehmenden Ärzte
- Höhe der gezahlten Honorare
- Anteil neu zugelassener Medikamente (< 2 Jahre vor AWB)
- Informationen über Auswertungen und Ergebnisse oder Publikationen.
Der GKV Spitzenverband erteilte die gewünschten Auskünfte unverzüglich. Allerdings wurden die Honorare an die Ärzte als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse angesehen und daher ausgespart.
Zwei Urteile mussten erst von Transparency mit anwaltlicher Unterstützung durch RA Dr. Partsch, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit, vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin im Juni 2012 gegenüber der KBV und im Juli 2014 vor dem VG Köln gegenüber dem BfArM zur Herausgabe der AWB-Informationen erstritten werden. Die 48-seitige Auflistung des GKV Spitzenverbandes und die von der KBV überlassenen Aktenkopien mit insgesamt 6925 Seiten konnten von Mitgliedern der aus Arbeitsgruppen Informationsfreiheit und Gesundheitswesen von Transparency bis März 2014 vollständig ausgewertet werden. Demgegenüber erwies sich das BfArM bei der Auskunftserteilung trotz des Urteils als besonders abweisend. Erst nach 9 Monaten und der Androhung einer Zwangsvollstreckung hat man schließlich im April 2015 142 Tabellenseiten mit Vorgängen aus den Jahren 2008 bis 2010 zu Anwendungsbeobachtungen herausgegeben.
Für Dieter Hüsgen, Leiter der Arbeitsgruppe Informationsfreiheit bei Transparency ein unverständliches Verhalten: "Gerade von der zuständigen Bundesoberbehörde hatten wir erwartet, dass für unser Auskunftsbegehren großes Verständnis und ein hohes Interesse an den Anwendungsbeobachtungen besteht. Aber schon während der gerichtlichen Verhandlung wurden wir eines Besseren belehrt." Denn wie sich herausstellte, wurden anstatt einer systematischen Registrierung und Überwachung der zum Teil durch die Behörde selbst angeordneten Studien im BfArM bis Ende 2014 die Meldungen und weiteren Dokumente zu AWB lediglich mit einer Posteingangsnummer abgeheftet. Somit gestaltete sich die Erfüllung des Informationsbegehrens zu AWB für das BfArM letztlich als unlösbares Problem.
Entsprechend unterschiedlich fiel der Vergleich zwischen den Meldungen an die verschiedenen Stellen aus: Dr. Angela Spelsberg, die die Untersuchung bei Transparency koordinierte, stellt fest: "Die Einhaltung der AMG-Vorschriften zu Anwendungsbeobachtungen wurde offensichtlich nie kontrolliert. Die nun erstmals vorliegenden Daten der drei Stellen weichen erheblich voneinander ab: Unterschiedliche AWB-Zahlen, unvollständige Meldungen, fehlende Beobachtungspläne (ab 2009 gesetzlich vorgeschrieben), fehlende Ärzte-, Patienten- und Honorarangaben. Beispielsweise wurden für 2008 bis 2010 der GKV 598 AWB gemeldet, der KBV 558, dem BfArM sogar nur 499 AWB, die Richtigkeit der Auskünfte unterstellt. Es erfolgte offensichtlich seitens der Institutionen kein Abgleich untereinander, auch gegenüber den Meldenden wurden kaum Beanstandungen erhoben. Ebenso wenig interessierte man sich für den Verlauf oder die Ergebnisse der AWB, vor allem hinsichtlich der Arzneimittelsicherheit."
"Der wissenschaftliche Nutzen von AWB für die Allgemeinheit ist also gleich Null", urteilt Dr. Ulrich Keil, Professor für Epidemiologie und Mitglied der Arbeitsgruppe Gesundheitswesen bei Transparency, "der potentielle Schaden dieser schlechten Studien jedoch immens. Denn eine verlässliche öffentliche Registrierung sowie wissenschaftlich adäquate Veröffentlichungen der Ergebnisse sind nicht gegeben, geschweige denn Transparenz über Nebenwirkungsmeldungen aus diesen Studien." Die in den AWB erhobenen Daten unterliegen nach den Transparency vorliegenden Dokumenten vielmehr einer vertraglich vereinbarten Geheimhaltung und sind Eigentum der Sponsoren.
Gleichwohl ist der aus den Unterlagen ersichtliche Aufwand für die AWB beträchtlich: In den drei untersuchten Jahren von 2008 bis 2010 war die Teilnahme von insgesamt über einer Million PatientInnen und 126.764 ÄrztInnen (Mehrfachnennungen möglich) aus den AWB-Anzeigen ersichtlich. Dafür veranschlagt wurden pro AWB durchschnittlich rund eine halbe Million allein an Honorarkosten. Für den einzelnen Arzt belief sich nach den vorliegenden Daten das Honorar auf rund 19.000 Euro im Durchschnitt. Damit können AWB als ein Instrument von unzulässiger Einflussnahme auf Ärzte und Korruption im Gesundheitswesen angesehen werden.
Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse fordert Transparency eine sofortige Änderung des Arzneimittelgesetzes. Studien nach der Zulassung von Arzneimitteln müssen künftig verpflichtend registriert werden. Studienprotokolle sowie fallbezogene Patientendaten einschließlich aller Nebenwirkungsmeldungen müssen darüber hinaus grundsätzlich für unabhängige Überprüfungen transparent gemacht werden. Dieses entspräche der 2014 vom Europäischen Parlament verabschiedeten Gesetzgebung für klinische Studien vor der Zulassung von Medikamenten. Dann könnten Ethikkommissionen, Ärztekammern und Aufsichtsbehörden anhand verlässlicher Kriterien die Teilnahme von PatientInnen und der sie behandelnden ÄrztInnen an Studien nach der Arzneimittelzulassung auch guten Gewissens befürworten.
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Dr. Angela Spelsberg, Arbeitsgruppe Gesundheitswesen
Dieter Hüsgen, Arbeitsgruppe Informationsfreiheit
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