23.09.2015 10:11 Uhr in Gesellschaft & Familie von Bundesverfassungsgericht
Zur Reichweite des Parlamentsvorbehalts für Streitkräfteeinsätze bei Gefahr im Verzug
Kurzfassung: Zur Reichweite des Parlamentsvorbehalts für Streitkräfteeinsätze bei Gefahr im VerzugUrteil vom 23. September 2015 - 2 BvE 6/11Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute verkünde ...
[Bundesverfassungsgericht - 23.09.2015] Zur Reichweite des Parlamentsvorbehalts für Streitkräfteeinsätze bei Gefahr im Verzug
Urteil vom 23. September 2015 - 2 BvE 6/11
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute verkündetem Urteil die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für das Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages über den Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten im Ausland konkretisiert. Der Parlamentsvorbehalt gilt allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte; eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle muss im Einzelfall nicht überschritten sein. Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz vorläufig alleine zu beschließen. Sie muss jedoch zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Entscheidung des Bundestages über die Fortsetzung des Einsatzes herbeiführen. Ist der Einsatz zu diesem Zeitpunkt bereits beendet, muss die Bundesregierung den Bundestag unverzüglich und qualifiziert über die Grundlagen ihrer Entscheidung und den Verlauf des Einsatzes unterrichten; es besteht jedoch keine Pflicht, nachträglich eine Zustimmung des Bundestages einzuholen.
Der von der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN gestellte Antrag im Organstreitverfahren blieb deshalb im Ergebnis ohne Erfolg. Bei der Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen am 26. Februar 2011 handelte es sich um einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte, der den Parlamentsvorbehalt auslöste, jedoch zum Zeitpunkt frühestmöglicher Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen war.
Sachverhalt:
Gegenstand des Organstreitverfahrens ist die Frage, ob die Bundesregierung die Rechte des Deutschen Bundestages dadurch verletzt hat, dass sie nicht nachträglich dessen Zustimmung für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen am 26. Februar 2011 durch Soldaten der Bundeswehr eingeholt hat. Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Pressemitteilung Nr. 105/2014 vom 25. November 2014 verwiesen.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
1. a) Der für den bewaffneten Streitkräfteeinsatz unmittelbar kraft Verfassung geltende Parlamentsvorbehalt begründet ein wirksames Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages. Die parlamentarische Zustimmung ist grundsätzlich vor Beginn eines Einsatzes einzuholen. Die Notwendigkeit parlamentarischer Mitwirkung ist nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt, sondern gilt darüber hinaus allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im Ausland.
b) Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist angesichts seiner Funktion und Bedeutung parlamentsfreundlich auszulegen. Insbesondere kann das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts - auch im Falle von Gefahr im Verzug - nicht von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden. Soweit dem Grundgesetz eine Zuständigkeit des Deutschen Bundestages in Form eines wehrverfassungsrechtlichen Mitentscheidungsrechts entnommen werden kann, besteht kein eigenverantwortlicher Entscheidungsraum der Bundesregierung.
2. a) Gegenstand der Parlamentsbeteiligung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der "Einsatz bewaffneter Streitkräfte". Ein Einsatz in diesem Sinne liegt vor, wenn deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind. Dafür kommt es nicht darauf an, ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich bereits im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklicht haben, sondern ob die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen qualifiziert zu erwarten ist. Hierfür bedarf es zum einen greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann. Zum anderen muss die Einbeziehung von Bundeswehrsoldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen unmittelbar zu erwarten sein. Dabei kann auch eine Betrachtung der Einsatzplanung und der Einsatzbefugnisse ergeben, dass eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt. Anhaltspunkte für die drohende Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen bestehen, wenn sie im Ausland Waffen mit sich führen und ermächtigt sind, von ihnen Gebrauch zu machen. Solange es sich allerdings rechtlich nur um eine Ermächtigung zur Selbstverteidigung handelt und der Einsatz selbst einen nicht-militärischen Charakter hat, ist die Schwelle zur Zustimmungsbedürftigkeit nicht schon durch diese Ermächtigung erreicht.
b) Grundsätzlich unterliegt jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung. Der Parlamentsvorbehalt ist in der Begründung zwar auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten, in seiner Funktion aber nicht auf eine parlamentarische Mitentscheidung bei kriegerischen oder kriegsähnlich ausgerichteten Außeneinsätzen beschränkt. Die verfassungsrechtlich gebotene Wahrnehmung konstitutiver parlamentarischer Verantwortung für jedweden bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr beginnt nicht erst dann, wenn ein von der Bundesregierung geplanter Einsatz von vornherein dem Leitbild eines Kriegseintritts entspricht. Ein Streitkräfteeinsatz muss - jenseits der qualifizierten Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen - im Einzelfall daher keine bestimmte militärische Erheblichkeitsschwelle überschreiten oder einen auf offensive Gewaltanwendung angelegten Charakter aufweisen, um den Parlamentsvorbehalt auszulösen; humanitäre Zielsetzungen als solche suspendieren das Erfordernis parlamentarischer Zustimmung nicht. Generell können auch Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind, dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen.
3. a) Ohne vorherige parlamentarische Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte unter dem Grundgesetz grundsätzlich nicht zulässig. Bundesregierung und Bundestag müssen daher sicherstellen, dass die Zustimmung des Parlaments in der Regel zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die materielle Entscheidung über eine Anwendung von Waffengewalt noch nicht getroffen ist und auch nicht vor dem Abschluss des Zustimmungsverfahrens getroffen wird.
b) Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Der Bundestag muss dem Einsatz jedoch umgehend zustimmen, damit dieser fortgesetzt werden darf. Die gebotene unverzügliche parlamentarische Befassung nach Beginn des Einsatzes hat nicht die Wirkung einer Genehmigung mit der Folge, dass im Falle einer Versagung der parlamentarischen Zustimmung der Einsatz von Anfang an rechtswidrig wäre. Die Eilentscheidung der Bundesregierung entfaltet vielmehr die gleiche Rechtswirkung wie die unter regulären Umständen im Verbund mit dem Bundestag getroffene Entscheidung. Für eine konstitutive parlamentarische Zustimmung ist bei einem von der Exekutive im Eilfall beschlossenen und bereits begonnenen Einsatz daher nur ex nunc Raum. Durch die Verweigerung der Zustimmung wird die Bundesregierung verpflichtet, den Einsatz zu beenden und die Streitkräfte zurückzurufen.
4. Die Fragen, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen vorlag und ob Gefahr im Verzug gegeben war, sind verfassungsgerichtlich voll überprüfbar. Insbesondere stößt die verfassungsgerichtliche Kontrolle des Merkmals "Gefahr im Verzug" nicht an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung. Derartige Funktionsgrenzen sind namentlich für das politische Ermessen im Bereich der auswärtigen Gewalt sowie in verteidigungspolitischen Fragen anerkannt. Die tatsächliche und rechtliche Wertung der Bundesregierung bei der Annahme von Gefahr im Verzug ist jedoch keine politische Entscheidung, sondern eine anhand objektiver Kriterien überprüfbare Subsumtion eines Sachverhalts unter die tatbestandliche Voraussetzung einer Eilkompetenz, die der Bundesregierung erst den Raum für eine einstweilen alleinige (politische) Entscheidung über den bewaffneten Außeneinsatz der Bundeswehr erschließt. Für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung kommt es dabei auf die Sachlage an, wie sie sich der Bundesregierung zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung darstellt.
5. a) Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt nachträglicher Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen und eine parlamentarische Einflussnahme auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte deshalb nicht mehr möglich, ist für eine konstitutive Zustimmung des Bundestages kein Raum mehr. Die Einsatzentscheidung der Bundesregierung bedarf in einem solchen Fall trotz der Subsidiarität der exekutiven Eilkompetenz zu ihrer Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit keiner nachträglichen Genehmigung durch den Bundestag. Der Bundestag ist auch nicht dazu berufen, über die Rechtmäßigkeit des exekutiven Handelns verbindlich zu urteilen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass einem nachträglichen parlamentarischen Beschluss keine Rechtserheblichkeit mehr zukommen kann. Demgemäß verpflichtet der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt die Bundesregierung nicht, eine Entscheidung des Bundestages über den beendeten Einsatz herbeizuführen.
b) Es ist aber Aufgabe des Deutschen Bundestages und seiner Untergliederungen, im Falle eines von der Exekutive wegen Gefahr im Verzug beschlossenen und vor einer möglichen Parlamentsbefassung beendeten Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, seine parlamentarischen Kontrollbefugnisse wahrzunehmen. Als Ausfluss des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts ist die Bundesregierung verpflichtet, den Bundestag unverzüglich und qualifiziert über den abgeschlossenen Streitkräfteeinsatz zu unterrichten. Gegenstand der Pflicht zu förmlicher Unterrichtung sind die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Einsatzentscheidung der Bundesregierung sowie Verlauf und Ergebnis des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte. Die Unterrichtung des Bundestages muss in sachlicher Hinsicht umfassend sein und sich in ihrer Intensität an der militärischen und politischen Bedeutung des Streitkräfteeinsatzes orientieren. In zeitlicher Hinsicht ist der parlamentarische Informationsanspruch unverzüglich zu erfüllen. Die Bundesregierung muss das Parlament darüber hinaus in einer zweckgerechten Weise unterrichten. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer, damit sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Informationen über den Streitkräfteeinsatz den Abgeordneten in klarer, vollständiger und reproduzierbarer Form zur Verfügung stehen.
6. Nach diesen Maßstäben war die am 26. Februar 2011 von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah in Libyen ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Die Antragsgegnerin war jedoch nicht verpflichtet, den Bundestag nachträglich um eine rechtlich unverbindliche politische Billigung des abgeschlossenen Einsatzes zu ersuchen. Die Frage einer Verletzung des parlamentarischen Anspruchs auf unverzügliche qualifizierte Unterrichtung über den abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht Gegenstand des hier zu entscheidenden Organstreits. Zwar kann grundsätzlich ein Antrag auf Feststellung einer Kompetenzverletzung zugleich den weniger weitgehenden Antrag auf Feststellung der Verletzung eines damit in Zusammenhang stehenden Anspruchs auf Unterrichtung enthalten. Die Antragstellerin hat jedoch weder in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag noch in dessen Begründung einen Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Unterrichtungspflicht ausdrücklich geltend gemacht. Auch der im Wege der Auslegung zu ermittelnde eigentliche Sinn des mit dem Antrag verfolgten prozessualen Begehrens gibt keinen Anlass, von einem entsprechenden subsidiären Rechtsschutzziel der Antragstellerin auszugehen.
Pressekontakt
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Urteil vom 23. September 2015 - 2 BvE 6/11
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute verkündetem Urteil die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für das Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages über den Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten im Ausland konkretisiert. Der Parlamentsvorbehalt gilt allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte; eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle muss im Einzelfall nicht überschritten sein. Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz vorläufig alleine zu beschließen. Sie muss jedoch zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Entscheidung des Bundestages über die Fortsetzung des Einsatzes herbeiführen. Ist der Einsatz zu diesem Zeitpunkt bereits beendet, muss die Bundesregierung den Bundestag unverzüglich und qualifiziert über die Grundlagen ihrer Entscheidung und den Verlauf des Einsatzes unterrichten; es besteht jedoch keine Pflicht, nachträglich eine Zustimmung des Bundestages einzuholen.
Der von der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN gestellte Antrag im Organstreitverfahren blieb deshalb im Ergebnis ohne Erfolg. Bei der Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen am 26. Februar 2011 handelte es sich um einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte, der den Parlamentsvorbehalt auslöste, jedoch zum Zeitpunkt frühestmöglicher Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen war.
Sachverhalt:
Gegenstand des Organstreitverfahrens ist die Frage, ob die Bundesregierung die Rechte des Deutschen Bundestages dadurch verletzt hat, dass sie nicht nachträglich dessen Zustimmung für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen am 26. Februar 2011 durch Soldaten der Bundeswehr eingeholt hat. Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Pressemitteilung Nr. 105/2014 vom 25. November 2014 verwiesen.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
1. a) Der für den bewaffneten Streitkräfteeinsatz unmittelbar kraft Verfassung geltende Parlamentsvorbehalt begründet ein wirksames Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages. Die parlamentarische Zustimmung ist grundsätzlich vor Beginn eines Einsatzes einzuholen. Die Notwendigkeit parlamentarischer Mitwirkung ist nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt, sondern gilt darüber hinaus allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im Ausland.
b) Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist angesichts seiner Funktion und Bedeutung parlamentsfreundlich auszulegen. Insbesondere kann das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts - auch im Falle von Gefahr im Verzug - nicht von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden. Soweit dem Grundgesetz eine Zuständigkeit des Deutschen Bundestages in Form eines wehrverfassungsrechtlichen Mitentscheidungsrechts entnommen werden kann, besteht kein eigenverantwortlicher Entscheidungsraum der Bundesregierung.
2. a) Gegenstand der Parlamentsbeteiligung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der "Einsatz bewaffneter Streitkräfte". Ein Einsatz in diesem Sinne liegt vor, wenn deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind. Dafür kommt es nicht darauf an, ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich bereits im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklicht haben, sondern ob die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen qualifiziert zu erwarten ist. Hierfür bedarf es zum einen greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann. Zum anderen muss die Einbeziehung von Bundeswehrsoldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen unmittelbar zu erwarten sein. Dabei kann auch eine Betrachtung der Einsatzplanung und der Einsatzbefugnisse ergeben, dass eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt. Anhaltspunkte für die drohende Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen bestehen, wenn sie im Ausland Waffen mit sich führen und ermächtigt sind, von ihnen Gebrauch zu machen. Solange es sich allerdings rechtlich nur um eine Ermächtigung zur Selbstverteidigung handelt und der Einsatz selbst einen nicht-militärischen Charakter hat, ist die Schwelle zur Zustimmungsbedürftigkeit nicht schon durch diese Ermächtigung erreicht.
b) Grundsätzlich unterliegt jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung. Der Parlamentsvorbehalt ist in der Begründung zwar auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten, in seiner Funktion aber nicht auf eine parlamentarische Mitentscheidung bei kriegerischen oder kriegsähnlich ausgerichteten Außeneinsätzen beschränkt. Die verfassungsrechtlich gebotene Wahrnehmung konstitutiver parlamentarischer Verantwortung für jedweden bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr beginnt nicht erst dann, wenn ein von der Bundesregierung geplanter Einsatz von vornherein dem Leitbild eines Kriegseintritts entspricht. Ein Streitkräfteeinsatz muss - jenseits der qualifizierten Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen - im Einzelfall daher keine bestimmte militärische Erheblichkeitsschwelle überschreiten oder einen auf offensive Gewaltanwendung angelegten Charakter aufweisen, um den Parlamentsvorbehalt auszulösen; humanitäre Zielsetzungen als solche suspendieren das Erfordernis parlamentarischer Zustimmung nicht. Generell können auch Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind, dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen.
3. a) Ohne vorherige parlamentarische Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte unter dem Grundgesetz grundsätzlich nicht zulässig. Bundesregierung und Bundestag müssen daher sicherstellen, dass die Zustimmung des Parlaments in der Regel zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die materielle Entscheidung über eine Anwendung von Waffengewalt noch nicht getroffen ist und auch nicht vor dem Abschluss des Zustimmungsverfahrens getroffen wird.
b) Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Der Bundestag muss dem Einsatz jedoch umgehend zustimmen, damit dieser fortgesetzt werden darf. Die gebotene unverzügliche parlamentarische Befassung nach Beginn des Einsatzes hat nicht die Wirkung einer Genehmigung mit der Folge, dass im Falle einer Versagung der parlamentarischen Zustimmung der Einsatz von Anfang an rechtswidrig wäre. Die Eilentscheidung der Bundesregierung entfaltet vielmehr die gleiche Rechtswirkung wie die unter regulären Umständen im Verbund mit dem Bundestag getroffene Entscheidung. Für eine konstitutive parlamentarische Zustimmung ist bei einem von der Exekutive im Eilfall beschlossenen und bereits begonnenen Einsatz daher nur ex nunc Raum. Durch die Verweigerung der Zustimmung wird die Bundesregierung verpflichtet, den Einsatz zu beenden und die Streitkräfte zurückzurufen.
4. Die Fragen, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen vorlag und ob Gefahr im Verzug gegeben war, sind verfassungsgerichtlich voll überprüfbar. Insbesondere stößt die verfassungsgerichtliche Kontrolle des Merkmals "Gefahr im Verzug" nicht an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung. Derartige Funktionsgrenzen sind namentlich für das politische Ermessen im Bereich der auswärtigen Gewalt sowie in verteidigungspolitischen Fragen anerkannt. Die tatsächliche und rechtliche Wertung der Bundesregierung bei der Annahme von Gefahr im Verzug ist jedoch keine politische Entscheidung, sondern eine anhand objektiver Kriterien überprüfbare Subsumtion eines Sachverhalts unter die tatbestandliche Voraussetzung einer Eilkompetenz, die der Bundesregierung erst den Raum für eine einstweilen alleinige (politische) Entscheidung über den bewaffneten Außeneinsatz der Bundeswehr erschließt. Für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung kommt es dabei auf die Sachlage an, wie sie sich der Bundesregierung zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung darstellt.
5. a) Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt nachträglicher Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen und eine parlamentarische Einflussnahme auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte deshalb nicht mehr möglich, ist für eine konstitutive Zustimmung des Bundestages kein Raum mehr. Die Einsatzentscheidung der Bundesregierung bedarf in einem solchen Fall trotz der Subsidiarität der exekutiven Eilkompetenz zu ihrer Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit keiner nachträglichen Genehmigung durch den Bundestag. Der Bundestag ist auch nicht dazu berufen, über die Rechtmäßigkeit des exekutiven Handelns verbindlich zu urteilen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass einem nachträglichen parlamentarischen Beschluss keine Rechtserheblichkeit mehr zukommen kann. Demgemäß verpflichtet der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt die Bundesregierung nicht, eine Entscheidung des Bundestages über den beendeten Einsatz herbeizuführen.
b) Es ist aber Aufgabe des Deutschen Bundestages und seiner Untergliederungen, im Falle eines von der Exekutive wegen Gefahr im Verzug beschlossenen und vor einer möglichen Parlamentsbefassung beendeten Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, seine parlamentarischen Kontrollbefugnisse wahrzunehmen. Als Ausfluss des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts ist die Bundesregierung verpflichtet, den Bundestag unverzüglich und qualifiziert über den abgeschlossenen Streitkräfteeinsatz zu unterrichten. Gegenstand der Pflicht zu förmlicher Unterrichtung sind die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Einsatzentscheidung der Bundesregierung sowie Verlauf und Ergebnis des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte. Die Unterrichtung des Bundestages muss in sachlicher Hinsicht umfassend sein und sich in ihrer Intensität an der militärischen und politischen Bedeutung des Streitkräfteeinsatzes orientieren. In zeitlicher Hinsicht ist der parlamentarische Informationsanspruch unverzüglich zu erfüllen. Die Bundesregierung muss das Parlament darüber hinaus in einer zweckgerechten Weise unterrichten. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer, damit sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Informationen über den Streitkräfteeinsatz den Abgeordneten in klarer, vollständiger und reproduzierbarer Form zur Verfügung stehen.
6. Nach diesen Maßstäben war die am 26. Februar 2011 von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah in Libyen ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Die Antragsgegnerin war jedoch nicht verpflichtet, den Bundestag nachträglich um eine rechtlich unverbindliche politische Billigung des abgeschlossenen Einsatzes zu ersuchen. Die Frage einer Verletzung des parlamentarischen Anspruchs auf unverzügliche qualifizierte Unterrichtung über den abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht Gegenstand des hier zu entscheidenden Organstreits. Zwar kann grundsätzlich ein Antrag auf Feststellung einer Kompetenzverletzung zugleich den weniger weitgehenden Antrag auf Feststellung der Verletzung eines damit in Zusammenhang stehenden Anspruchs auf Unterrichtung enthalten. Die Antragstellerin hat jedoch weder in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag noch in dessen Begründung einen Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Unterrichtungspflicht ausdrücklich geltend gemacht. Auch der im Wege der Auslegung zu ermittelnde eigentliche Sinn des mit dem Antrag verfolgten prozessualen Begehrens gibt keinen Anlass, von einem entsprechenden subsidiären Rechtsschutzziel der Antragstellerin auszugehen.
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