Wenn Kinderzähne einfach zerbröseln

Wenn Kinderzähne einfach zerbröseln
Kurzfassung: Die Zahnerkrankung MIH gibt Medizinern Rätsel auf: Sie zerstört die Zähne von immer mehr Kindern - unaufhaltsam und auch bei ordentlicher Mundhygiene. Dagegen tun kann man bislang wenig.
[Zahnarztpraxis dental total - 24.11.2015] Das beunruhigende Phänomen wurde erstmals in den späten 1980er-Jahren in Schweden beobachtet: Obwohl die betroffenen Kinder sich regelmäßig die Zähne geputzt hatten und ihre Ernährung sich nicht von der ihrer Altersgenossen unterschied, zeigten einige Backenzähne (selten auch Frontzähne) zunächst dunkle Verfärbungen, wurden dann immer berührungs- und kälteempfindlicher und zerbröselten schließlich einfach. Der Zahnschmelz war von einer Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) betroffen, einer bis heute unerklärlichen Krankheit, die mittlerweile Studien zufolge bis zu jedes sechste Schulkind heimsuchen soll. "Sie ist damit auf dem Weg, Karies als häufigste Zahnerkrankung bei Kindern abzulösen - auch wenn gestritten wird, ob sie wirklich häufiger vorkommt oder einfach nur häufiger diagnostiziert wird", erklärt Zahnarzt Dr. Martin Kaminsky, in dessen Praxis in Berlin-Waidmannslust Frau Dr. Karim Zadeh die Abteilung für Kinderzahnmedizin und Kieferorthopädie leitet. Fakt ist: In Skandinavien sind deutlich mehr Kinder betroffen als in Südeuropa; bei rund 40 Prozent soll die MIH-Rate etwa in Dänemark liegen. Eine schlüssige Erklärung für dieses Nord-Süd-Gefälle gibt es noch nicht.

MIH kein neues Phänomen

Bei etwa 75 Prozent der MIH-erkrankten Kinder bleibt es bei einer leichten Schädigung des Zahnschmelzes. Einige Forscher vermuten daher, dass der allgemeine Karies-Rückgang bei der Diagnose eine Rolle spielt: Die leichten Schädigungen wären demzufolge früher einfach viel öfter von einer Karies verdeckt worden. Heute dagegen fielen sie auf, wenn der "Ablenkungsfaktor" Karies entfalle. Dafür, dass früher wesentlich mehr MIH-Fälle unentdeckt blieben, spricht jedenfalls die Tatsache, dass MIH bereits im 18. Jahrhundert in England auftrat, wie erhaltene Gebisse belegen. Um ein neues Phänomen handelt es sich also nicht. Bis die Auslöser wissenschaftlich valide identifiziert sind, braucht es noch viel Forschung. Im Verdacht stehen beispielsweise die Gene, schädliche Einflüsse während der Schwangerschaft, Frühgeburten, Dioxine, Bisphenol A oder Antibiotika.

Die möglichen Gegenmaßnahmen beschränken sich bislang auf Schadensbegrenzung und Verzögerung des Verfalls, etwa mit einer Füllungstherapie. Auch das Ziehen des betroffenen Zahns kann empfehlenswert sein, da die Lücke dann noch von anderen Zähnen geschlossen werden kann. Das Ess- und Putzverhalten hat keinen Einfluss, denn die Erkrankung liegt bereits beim Durchbruch des jeweiligen Zahns vor. Darin liegt der einzige, kleine Trost für die oftmals verzweifelten Eltern MIH-erkrankter Kinder: Es liegt nicht an Fehlern in der individuellen Mundhygiene.
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