Bundesgerichtshof entwickelt Grundsätze zur Berechnung laufender Zinsen in Prämiensparverträgen bei unwirksamer Zinsänderungsklausel fort
- Pressemitteilung der Firma Bundesgerichtshof (BGH), 21.12.2010
Pressemitteilung vom: 21.12.2010 von der Firma Bundesgerichtshof (BGH) aus Karlsruhe
Kurzfassung: Der u. a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Bank bei Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel in einem Prämiensparvertrag kein geschäftspolitisches Ermessen bei Festlegung des statt ...
[Bundesgerichtshof (BGH) - 21.12.2010] Bundesgerichtshof entwickelt Grundsätze zur Berechnung laufender Zinsen in Prämiensparverträgen bei unwirksamer Zinsänderungsklausel fort
Der u. a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Bank bei Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel in einem Prämiensparvertrag kein geschäftspolitisches Ermessen bei Festlegung des statt dessen geltenden laufenden Zinssatzes zusteht. Die entstandene Vertragslücke ist vielmehr im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133,157 BGB) durch Heranziehung von Zinssätzen zu schließen, die der Zinsentwicklung des konkreten Prämiensparvertrags möglichst nahe kommen.
Die Klägerin begehrt von den beklagten Banken aus eigenem und aus abgetretenem Recht ihrer Geschwister die Nachzahlung von Zinsen aus 24 ausgelaufenen Sparverträgen. Die Sparverträge wurden zwischen dem 25. September 1986 und dem 30. März 1989 mit einer Laufzeit von jeweils 15 Jahren und einer Kündigungsfrist von vier Jahren geschlossen. Sie sahen laufende, nach den Bedingungen der Beklagten für Sparkonten "jeweils durch Aushang im Kassenraum der kontoführenden Stelle bekannt gegebene Zinsen" sowie abschließende Bonuszahlungen von bis zu 15 % der Sparsumme vor. Auf Grundlage einer von der Bundesbank veröffentlichten "Zeitreihe WZ9816" und fünfjähriger gleitender Durchschnittszinsen wurden von den Beklagten die Zinsen angepasst und am Ende der regulären Vertragslaufzeit das sich daraus ergebende Guthaben zuzüglich des jeweiligen Bonus ausbezahlt. Die Klägerin, die die Zinsänderungsklausel für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge gewährte Verzinsung für zu niedrig hält, hat die Beklagten auf Zahlung von 38.698,62 € bzw. 37.812,57 € jeweils zuzüglich Zinsen in Anspruch genommen. Die Klage ist in erster Instanz abgewiesen worden. Auf die Berufung der Klägerin sind die Beklagten zur Zahlung von jeweils 4.074,24 € nebst Zinsen verurteilt worden. Die von dem Senat zugelassene Revision der Klägerin, mit der diese ihre Zahlungsanträge weiterverfolgt, führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Der Bundesgerichtshof hat entsprechend den zuletzt in seinem Urteil vom 13. April 2010 (XI ZR 197/09; Pressemitteilung 76/2010) dargestellten Grundsätzen entschieden, dass die Zinsänderungsklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten gemäß § 308 Nr. 4 BGB unwirksam ist, weil sie nicht das erforderliche Mindestmaß an Kontrollierbarkeit möglicher Zinsänderungen aufweist. Die durch die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel entstandene Vertragslücke konnte - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht durch ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht der beklagten Banken zur Zinsanpassung gemäß § 315 Abs. 1 BGB geschlossen werden. Die erforderliche ergänzende Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) verlangt vielmehr die Klärung, welche Regelung die Parteien in Kenntnis der Unwirksamkeit der Klausel nach dem Vertragszweck und unter angemessener Abwägung der beiderseitigen Interessen gewählt hätten. Dagegen besteht kein Raum für ein einseitiges geschäftspolitisches Ermessen der beklagten Banken.
Der Referenzzins, dessen Veränderung nach dem mutmaßlichen Parteiwillen Anlass und Höhe der Zinsanpassungen bestimmt, hat sich bei Spareinlagen, die wegen des damit verbundenen Verlustes der Abschlussboni wirtschaftlich sinnvoll nicht vorzeitig gekündigt werden, grundsätzlich an Zinsen für vergleichbare langfristige Spareinlagen zu orientieren. Diesen Anforderungen entspricht die vom Berufungsgericht akzeptierte Berechnung der beklagten Banken nicht.
Schließlich hat der Bundesgerichtshof beanstandet, dass das Berufungsgericht Ansprüche der Klägerin auf Zinsnachzahlung um fiktive Kapitalertragsteuer gekürzt hat, die angefallen wäre, wenn die beklagten Banken in zurückliegenden Jahren höhere Zinsen gezahlt hätten. Da solche Steuern bisher weder entstanden noch von den Banken für die Klägerin an die Finanzbehörden abgeführt worden sind, konnten sie das von den Beklagten zu verzinsende Kapital bisher nicht reduzieren und beeinflussen damit – ungeachtet einer künftigen Abführungspflicht der Banken im Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung nachträglicher Zinsen – das bei Beendigung der Sparverträge bestehende Guthaben nicht.
Urteil vom 21. Dezember 2010 – XI ZR 52/08
LG Köln – Urteil vom 19. Januar 2006 – 15 O 393/05
OLG Köln – Urteil vom 16. Januar 2008 – 13 U 27/06
Karlsruhe, den 21. Dezember 2010
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
Der u. a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Bank bei Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel in einem Prämiensparvertrag kein geschäftspolitisches Ermessen bei Festlegung des statt dessen geltenden laufenden Zinssatzes zusteht. Die entstandene Vertragslücke ist vielmehr im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133,157 BGB) durch Heranziehung von Zinssätzen zu schließen, die der Zinsentwicklung des konkreten Prämiensparvertrags möglichst nahe kommen.
Die Klägerin begehrt von den beklagten Banken aus eigenem und aus abgetretenem Recht ihrer Geschwister die Nachzahlung von Zinsen aus 24 ausgelaufenen Sparverträgen. Die Sparverträge wurden zwischen dem 25. September 1986 und dem 30. März 1989 mit einer Laufzeit von jeweils 15 Jahren und einer Kündigungsfrist von vier Jahren geschlossen. Sie sahen laufende, nach den Bedingungen der Beklagten für Sparkonten "jeweils durch Aushang im Kassenraum der kontoführenden Stelle bekannt gegebene Zinsen" sowie abschließende Bonuszahlungen von bis zu 15 % der Sparsumme vor. Auf Grundlage einer von der Bundesbank veröffentlichten "Zeitreihe WZ9816" und fünfjähriger gleitender Durchschnittszinsen wurden von den Beklagten die Zinsen angepasst und am Ende der regulären Vertragslaufzeit das sich daraus ergebende Guthaben zuzüglich des jeweiligen Bonus ausbezahlt. Die Klägerin, die die Zinsänderungsklausel für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge gewährte Verzinsung für zu niedrig hält, hat die Beklagten auf Zahlung von 38.698,62 € bzw. 37.812,57 € jeweils zuzüglich Zinsen in Anspruch genommen. Die Klage ist in erster Instanz abgewiesen worden. Auf die Berufung der Klägerin sind die Beklagten zur Zahlung von jeweils 4.074,24 € nebst Zinsen verurteilt worden. Die von dem Senat zugelassene Revision der Klägerin, mit der diese ihre Zahlungsanträge weiterverfolgt, führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Der Bundesgerichtshof hat entsprechend den zuletzt in seinem Urteil vom 13. April 2010 (XI ZR 197/09; Pressemitteilung 76/2010) dargestellten Grundsätzen entschieden, dass die Zinsänderungsklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten gemäß § 308 Nr. 4 BGB unwirksam ist, weil sie nicht das erforderliche Mindestmaß an Kontrollierbarkeit möglicher Zinsänderungen aufweist. Die durch die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel entstandene Vertragslücke konnte - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht durch ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht der beklagten Banken zur Zinsanpassung gemäß § 315 Abs. 1 BGB geschlossen werden. Die erforderliche ergänzende Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) verlangt vielmehr die Klärung, welche Regelung die Parteien in Kenntnis der Unwirksamkeit der Klausel nach dem Vertragszweck und unter angemessener Abwägung der beiderseitigen Interessen gewählt hätten. Dagegen besteht kein Raum für ein einseitiges geschäftspolitisches Ermessen der beklagten Banken.
Der Referenzzins, dessen Veränderung nach dem mutmaßlichen Parteiwillen Anlass und Höhe der Zinsanpassungen bestimmt, hat sich bei Spareinlagen, die wegen des damit verbundenen Verlustes der Abschlussboni wirtschaftlich sinnvoll nicht vorzeitig gekündigt werden, grundsätzlich an Zinsen für vergleichbare langfristige Spareinlagen zu orientieren. Diesen Anforderungen entspricht die vom Berufungsgericht akzeptierte Berechnung der beklagten Banken nicht.
Schließlich hat der Bundesgerichtshof beanstandet, dass das Berufungsgericht Ansprüche der Klägerin auf Zinsnachzahlung um fiktive Kapitalertragsteuer gekürzt hat, die angefallen wäre, wenn die beklagten Banken in zurückliegenden Jahren höhere Zinsen gezahlt hätten. Da solche Steuern bisher weder entstanden noch von den Banken für die Klägerin an die Finanzbehörden abgeführt worden sind, konnten sie das von den Beklagten zu verzinsende Kapital bisher nicht reduzieren und beeinflussen damit – ungeachtet einer künftigen Abführungspflicht der Banken im Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung nachträglicher Zinsen – das bei Beendigung der Sparverträge bestehende Guthaben nicht.
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Über Bundesgerichtshof (BGH):
Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das oberste Gericht der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit, d.h. der Zivil- und Strafrechtspflege, die in den unteren Instanzen von den zur Zuständigkeit der Länder gehörenden Amts-, Land- und Oberlandesgerichten ausgeübt wird.
Im Anschluss an die Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 wurde am 1. Oktober 1950 der Bundesgerichtshof in Karlsruhe eingerichtet.
Der Bundesgerichtshof ist – bis auf wenige Ausnahmen – Revisionsgericht. Er hat vor allem die Sicherung der Rechtseinheit durch Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und die Fortbildung des Rechts zur Aufgabe.
Der Bundesgerichtshof ist in 12 Zivilsenate und fünf Strafsenate mit insgesamt 127 Richterinnen und Richtern aufgegliedert. Hinzu kommen acht Spezialsenate, nämlich die Senate für Landwirtschafts-, Anwalts-, Notar-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfer-, Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen, der Kartellsenat und das Dienstgericht des Bundes.
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