Bewertung des Luftangriffs von Kunduz
- Pressemitteilung der Firma SPD-Bundestagsfraktion, 11.08.2011
Pressemitteilung vom: 11.08.2011 von der Firma SPD-Bundestagsfraktion aus Berlin
Kurzfassung: Die SPD-Bundestagsfraktion legt ihren Bewertungsteil zum Abschlussbericht des Kunduz-Untersuchungsausschusses vor. Dazu erklaert der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rainer Arnold: Nach Anhoerung von 41 Zeugen in mehr als ...
[SPD-Bundestagsfraktion - 11.08.2011] Bewertung des Luftangriffs von Kunduz
Die SPD-Bundestagsfraktion legt ihren Bewertungsteil zum Abschlussbericht des Kunduz-Untersuchungsausschusses vor. Dazu erklaert der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rainer Arnold:
Nach Anhoerung von 41 Zeugen in mehr als 145 Vernehmungsstunden
- 80 Prozent davon auf Beschluss der Mehrheit hinter verschlossenen Tueren - sind der Luftangriff von Kunduz in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 sowie die Fehler und Versaeumnisse der Bundesregierung im Umgang mit diesem folgenschwersten militaerischen Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr weitgehend aufgeklaert.
Union und FDP haben sich sachgerechter Aufklaerung verweigert
Dieser Aufklaerungserfolg ist allerdings nicht der Ausschussmehrheit von CDU/CSU und FDP zu verdanken, die sich einer sachgerechten und lueckenlosen und vor allem ungeschoenten Aufarbeitung des Vorfalls, wie sie von der Bundeskanzlerin frueher einmal eingefordert worden war, bis zuletzt verweigert hat. Die Mehrheitsbewertung im Untersuchungsausschuss ist hierfuer der beste Beweis.
Es bedurfte daher zwingend eines Sondervotums der SPD-Bundestagsfraktion, um den Anspruechen der Oeffentlichkeit, des Parlaments und auch der Soldatinnen und Soldaten gerecht zu werden, die eine wirkliche Aufarbeitung des tragischen Vorfalls zu Recht erwarten.
Mindestens 83 zivile Todesopfer, darunter mindestens 22 Kinder
Im Unterschied zur Bundeskanzlerin, die noch in ihrer Vernehmung im Ausschuss behauptet hat, zivile Opfer des Luftangriffs seien nicht "mit Gewissheit" nachgewiesen, ist dies nach der Beweisaufnahme dieses Ausschusses nicht mehr in Frage zu stellen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass ein ziviler Lastwagenfahrer, mindestens 22 Kinder unter 15 Jahren und mindestens 60 weitere Zivilisten aus umliegenden Doerfern durch den Luftangriff getoetet worden sind.
Das Ziel des Luftangriffs: "Liquidierung" mutmasslicher Taliban
Nicht mehr zu halten ist auch die Legende eines defensiven Luftschlags, der nur dazu gedient habe, einen unmittelbar drohenden Angriff mit zwei Tanklastern als "rollende Bomben" auf das Bundeswehrlager in Kunduz zu rechtfertigen. Die Beweisaufnahme hat gezeigt, dass es sich vielmehr um ein offensives Vorgehen der Bundeswehr gehandelt hat. Mit der "Liquidierung" mutmasslich gefaehrlicher Taliban sollte den Aufstaendischen ein "schwerer Schlag" versetzt werden.
Die Rolle der Angehoerigen der Task Force 47
Neu beantwortet werden muss nach der Beweisaufnahme auch die Frage, wer welche Rolle in der Nacht vom 3. auf den 4. September
2009 gespielt hat: Es steht zwar fest, dass es sich nicht um eine Operation der Task Force 47 (TF 47) gehandelt hat, sondern die Entscheidung zum Waffeneinsatz in dieser Nacht ausschliesslich durch Oberst Klein zu verantworten ist. Jedoch ist in der Beweisaufnahme deutlich geworden, dass Angehoerige der TF 47 in grossem Masse die Entscheidungen von Oberst Klein beeinflusst haben.
Die TF 47 ist eine deutsche Spezialkraefteeinheit, zu deren Auftrag es gehoert, Informationen ueber Personen in Afghanistan zu sammeln, die mit Anschlaegen auf ISAF oder afghanische Staatsgewalt in Verbindung stehen. Auch kann sie gegen diese Personen aktiv vorgehen, allerdings nur mit dem Ziel, sie festzusetzen, keinesfalls sie zu toeten. Dies liegt an einer besonderen deutschen Selbstverpflichtung, die fuer Kraefte anderer Nationen nicht gilt.
Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass Hauptmann N. (TF 47) die Suche nach den Tanklastern bei Oberst Klein angeregt hatte, weil er die Zuverlaessigkeit seines TF 47-Informanten ueberpruefen wollte. Nachdem die Tanklaster durch den B1-Bomber gefunden worden waren, schlugen er und der Fliegerleitoffizier W. (JTAC) Oberst Klein nach dessen Aussage einen unmittelbaren Waffeneinsatz durch den B1-Bomber vor, der zu diesem Zeitpunkt von Oberst Klein noch abgelehnt wurde.
Bei dem Vorschlag spielte auch eine Rolle, dass der Informant inzwischen berichtet hatte, es befaenden sich vier Talibanfuehrer und deren Anhaenger vor Ort, die man in der TF 47 "auf dem Schirm hatte".
Obwohl sich das taktische Lagebild danach nicht veraenderte, freundete sich Oberst Klein offensichtlich immer mehr mit dem Vorschlag des Waffeneinsatzes an und gab ihn schliesslich - mehr als eine Stunde spaeter - frei.
In diesem Fall fuehrte das Zusammenwirken von PRT Kunduz und Task Force 47, das bisher nur mit der besseren technischen Ausstattung der TF 47 begruendet wurde, offensichtlich zu einer gefaehrlichen Verschmelzung der Interessen, obwohl Aufgaben und Befugnisse der beiden Bereiche strikt zu trennen sind und es Oberst Klein an den notwenigen Kenntnissen zur Durchfuehrung eines solchen offensiven Waffeneinsatzes fehlte.
Der fatale Umgang mit dem "HUMINT"-Kontakt
Als besonders problematisch hat sich der Umgang der Mitarbeiter der TF 47 und von Oberst Klein mit dem afghanischen Informanten, dem sogenannten "HUMINT-Kontakt", herausgestellt:
- Nicht alle Informationen, welche die HUMINT-Quelle lieferte, erreichten Oberst Klein. So erfuhr dieser nach eigenen Angaben nichts davon, dass die Aufstaendischen vorhatten, die Tanklaster "auszuschlachten" und "in Brand zu setzen"; er erfuhr nichts ueber den Verbleib der zivilen Lastwagenfahrer, ueber den nach Aussagen von Zeugen jedoch in der Nacht gesprochen worden sein soll; er erfuhr auch nichts darueber, dass die Kontaktperson gar nicht vor Ort war, sondern nur Erkenntnisse von ominoesen "Subkontakten" weiterleitete, ueber deren Hintergruende niemand in dieser Nacht etwas naeheres wusste.
- Hinzu kommen der problematisch lange Weg, den die Informationen nehmen mussten, bis sie Oberst Klein erreichten ("Stille-Post-Routine"), sowie erhebliche Defizite im Bereich der "zielgerichteten Gespraechsfuehrung" mit der HUMINT-Quelle.
Denn es wurde erkennbar, dass die Fragen, die der Kontaktperson gestellt worden sind, zu einem grossen Teil weder sachgerecht noch zielfuehrend ausgewaehlt worden waren.
- Vor allem aber haben sich erhebliche Fehler im Rahmen der sachgerechten Bewertung der Informationen gezeigt: Die wiederholte Aussage der Quelle, saemtliche Personen an den Tanklastern seien Taliban, konnte zu keinem Zeitpunkt in dieser Nacht anderweitig bestaetigt werden. Sie wurde allein auf Grund eines eher als "Bauchgefuehl" zu bezeichnenden "Erfahrungsschatzes" von Oberst Klein als besonders glaubwuerdig eingeschaetzt. Dabei wurde aber uebersehen, dass alleine die "siebenfache" Bestaetigung einer Information durch ein und dieselbe Quelle die Glaubwuerdigkeit einer Information nicht "siebenfach" verstaerkt.
Die Beweisaufnahme hat erkennbar werden lassen, dass im Bereich des Militaerischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr faktisch wie in einem Nachrichtendienst operiert wird, indem Methoden und Mittel eingesetzt werden, die eigentlich fuer nachrichtendienstliches Handeln wesensbestimmend sind. Hier haben sich erhebliche Koordinierungs- und Kontrollprobleme gezeigt, die durch die Bundesregierung und den Gesetzgeber geloest werden muessen.
Bewertung des Luftangriffs
Oberst Klein handelte in dieser Nacht unter hoechster Anspannung, weil seine Soldaten den Tag ueber in schwersten Feuergefechten standen. Er fuehlte sich zudem von seinen Vorgesetzten unter Druck gesetzt, die von ihm nach seiner Wahrnehmung einen "aktiven Einsatz" erwarteten.
Menschliches Verstaendnis fuer die eindeutige persoenliche Ueberforderung des militaerischen Fuehrers in dieser Nacht kann aber nicht dazu fuehren, die begangenen Fehler und Versaeumnisse zu ignorieren oder nicht klar zu benennen.
Niemand kann heute mehr behaupten, Oberst Klein habe in der damaligen Situation die richtigen Entscheidungen getroffen. Er hat gegen NATO-Einsatzregeln und gegen nationale Vorgaben zum Einsatz militaerischer Gewalt verstossen, die gerade deshalb existieren, damit solche Vorfaelle mit einer Vielzahl ziviler Opfer moeglichst vermieden werden:
- Luftnahunterstuetzung haette nicht unter Hinweis auf "Troops in Contact" angefordert werden duerfen und der Waffeneinsatz haette gegenueber den Piloten auf eine klare Einsatzregel gestuetzt werden muessen.
- Oberst Klein hatte nicht die erforderliche Befugnis zum Waffeneinsatz, sondern er haette RC North, General Vollmer, einschalten muessen.
- Der im PRT vorhandene Rechtsberater wurde pflichtwidrig nicht beteiligt.
- Die Menschen an den Tanklastern wurden nicht eindeutig als legitime militaerische Ziele identifiziert.
- Sowohl Oberst Klein als auch dem JTAC fehlte es an den erforderlichen Kenntnissen der anzuwendenden Verfahren der Ziel- und Wirkungsanalyse und es wurde regelwidrig versaeumt, weitere Stellen im Rahmen des Systems der gegenseitigen Kontrolle und Verantwortung in die Entscheidung einzubinden.
- Pflichtwidrig wurde auf die von den F15-Piloten empfohlene Durchfuehrung einer "abschreckenden Machtdemonstration" ("Show of Force") verzichtet.
Waeren diese Verfahrensfehler nicht begangen worden, haette der Luftangriff so nicht stattgefunden.
Politische Verantwortung von Dr. Jung
Die offensichtlich mangelhafte Ausbildung der beteiligten Soldaten hinsichtlich der korrekten Anwendung der NATO-Einsatzregeln und der nationalen Einsatzvorgaben sowie die Defizite im Verstaendnis der voelkerrechtlichen Rahmenbedingungen sind politisch vom damaligen Bundesminister der Verteidigung Dr. Jung zu verantworten.
Weiterhin sind Dr. Jung auch gravierende politische Fehleinschaetzungen vorzuwerfen. Diese Fehler haben dazu gefuehrt, dass die Vorgaenge aus falsch verstandener Loyalitaet heraus eher vernebelt als aufgeklaert wurden. Dieses Verhalten hat der Bundesregierung und dem Ruf der Bundeswehr geschadet.
Insbesondere der Pressestab, dem Dr. Jung allzu freie Hand gelassen hat, trifft die Verantwortung fuer eine desastroese Oeffentlichkeitsarbeit.
Unsinn ist es dagegen, dieses Versagen Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretaer Dr. Wichert in die Schuhe zu schieben. Das schafft die Ausschussmehrheit in ihrem Bewertungsteil denn auch nur, indem sie Pflichten fuer den Generalinspekteur erfindet, die es tatsaechlich nicht gibt.
Politische Verantwortung des Freiherrn zu Guttenberg
Freiherr zu Guttenberg vermochte es, die Illusion von sachlicher Kompetenz und Lernfaehigkeit, von Verantwortungsbereitschaft und Gradlinigkeit, von Aufrichtigkeit und moralischer Unbestechlichkeit zu erzeugen, obwohl sich objektiv geradezu das Gegenteil manifestierte, wenn man nur genauer hinschaute:
- Seine erste oeffentliche Bewertung des Luftangriffs vom 6.
November 2009, wonach es selbst dann, wenn es keine Verfahrensfehler gegeben haette, zum Luftschlag haette kommen muessen, hat sich als grobe persoenliche Fehleinschaetzung herausgestellt. Um sich bei den Soldaten beliebt zu machen, setzte er sich ueber die Bewertung des Generalinspekteurs eigenwillig hinweg. Nachdem sich dies als Fehler herausstellt hatte, versuchte er die Verantwortung hierfuer auf General Schneiderhan abzuwaelzen.
- Auch seine oeffentliche Begruendung fuer die "Entlassung" von Schneiderhan und Dr. Wichert, diese haetten ihm fuer die Bewertung des Luftangriffs wesentliche Dokumente vorenthalten, war nur vorgeschoben, um sich des Drucks, der durch die "Bild"-Zeitung mit der Ankuendigung der Veroeffentlichung des Feldjaegerberichts entstanden war, effektiv zu entledigen.
- Selbst die angebliche umfassende und sorgfaeltige "Neubewertung" des Luftangriffs vom 3. Dezember 2009 ist bei naeherem Hinsehen nur eine Illusion. Die vorgeblich vorenthaltenen Berichte enthielten keinerlei zusaetzliche Erkenntnisse gegenueber dem ihm von Anfang an bekannten COMISAF-Bericht.
Politische Verantwortung der Bundeskanzlerin Dr. Merkel
Vier Tage nach dem Luftangriff von Kunduz hatte Bundeskanzlerin Dr. Merkel im Bundestag eine "lueckenlose Aufklaerung"
versprochen. Sie stehe dafuer ein, dass dabei "nichts beschoenigt" werde. Dieses Versprechen hat sie nicht einmal im Ansatz gehalten.
Insgesamt laesst sich feststellen, dass die Bundeskanzlerin Distanz zum umstrittenen militaerischen Vorfall gewahrt hat, um die Verantwortung allein auf die beiden ueberforderten Amtsinhaber im Verteidigungsministerium abzuwaelzen. So traegt sie deren wechselnde Bewertungen des Luftangriffs bis heute mit und vermeidet es, eigene Schlussfolgerungen aus dem Vorfall zu ziehen. Die Aufklaerung schiebt sie auf den Bundestag ab. Ihrer Fuehrungsverantwortung als Regierungschefin, auf die sie sich bei der Dramatik und Schwere des Vorfalls auch fuer das internationale Ansehen der Bundeswehr haette besinnen muessen, wird sie damit nicht gerecht.
Mit dieser Vorgehensweise, wie sie sich zuletzt auch in der Bewertung durch die Ausschussmehrheit gespiegelt hat, beschreitet die Bundesregierung einen gefaehrlichen Weg. Die laessige Interpretationsbreite, die auch die Bundeskanzlerin zur Schau stellt, fuehrt dazu, dass das Verhalten der beteiligten Soldaten trotz aller Verstoesse gegen internationale und nationale Einsatzvorgaben als akzeptabel angesehen wird.
Die Bundesregierung hat die Frage zu beantworten, ob die von ihr immer wieder betonte Geltung des Grundsatzes der Verhaeltnismaessigkeit bei der militaerischen Gewaltanwendung durch deutsche Soldaten und das dadurch bedingte nationale Verbot der gezielten Toetungen noch Geltung hat, oder ob sich die Bundesregierung inzwischen bewusst von diesen Vorgaben fuer den Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen der "militaerischen Kultur der Zurueckhaltung" entfernt hat.
© 2010 SPD-Bundestagsfraktion
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Die SPD-Bundestagsfraktion legt ihren Bewertungsteil zum Abschlussbericht des Kunduz-Untersuchungsausschusses vor. Dazu erklaert der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rainer Arnold:
Nach Anhoerung von 41 Zeugen in mehr als 145 Vernehmungsstunden
- 80 Prozent davon auf Beschluss der Mehrheit hinter verschlossenen Tueren - sind der Luftangriff von Kunduz in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 sowie die Fehler und Versaeumnisse der Bundesregierung im Umgang mit diesem folgenschwersten militaerischen Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr weitgehend aufgeklaert.
Union und FDP haben sich sachgerechter Aufklaerung verweigert
Dieser Aufklaerungserfolg ist allerdings nicht der Ausschussmehrheit von CDU/CSU und FDP zu verdanken, die sich einer sachgerechten und lueckenlosen und vor allem ungeschoenten Aufarbeitung des Vorfalls, wie sie von der Bundeskanzlerin frueher einmal eingefordert worden war, bis zuletzt verweigert hat. Die Mehrheitsbewertung im Untersuchungsausschuss ist hierfuer der beste Beweis.
Es bedurfte daher zwingend eines Sondervotums der SPD-Bundestagsfraktion, um den Anspruechen der Oeffentlichkeit, des Parlaments und auch der Soldatinnen und Soldaten gerecht zu werden, die eine wirkliche Aufarbeitung des tragischen Vorfalls zu Recht erwarten.
Mindestens 83 zivile Todesopfer, darunter mindestens 22 Kinder
Im Unterschied zur Bundeskanzlerin, die noch in ihrer Vernehmung im Ausschuss behauptet hat, zivile Opfer des Luftangriffs seien nicht "mit Gewissheit" nachgewiesen, ist dies nach der Beweisaufnahme dieses Ausschusses nicht mehr in Frage zu stellen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass ein ziviler Lastwagenfahrer, mindestens 22 Kinder unter 15 Jahren und mindestens 60 weitere Zivilisten aus umliegenden Doerfern durch den Luftangriff getoetet worden sind.
Das Ziel des Luftangriffs: "Liquidierung" mutmasslicher Taliban
Nicht mehr zu halten ist auch die Legende eines defensiven Luftschlags, der nur dazu gedient habe, einen unmittelbar drohenden Angriff mit zwei Tanklastern als "rollende Bomben" auf das Bundeswehrlager in Kunduz zu rechtfertigen. Die Beweisaufnahme hat gezeigt, dass es sich vielmehr um ein offensives Vorgehen der Bundeswehr gehandelt hat. Mit der "Liquidierung" mutmasslich gefaehrlicher Taliban sollte den Aufstaendischen ein "schwerer Schlag" versetzt werden.
Die Rolle der Angehoerigen der Task Force 47
Neu beantwortet werden muss nach der Beweisaufnahme auch die Frage, wer welche Rolle in der Nacht vom 3. auf den 4. September
2009 gespielt hat: Es steht zwar fest, dass es sich nicht um eine Operation der Task Force 47 (TF 47) gehandelt hat, sondern die Entscheidung zum Waffeneinsatz in dieser Nacht ausschliesslich durch Oberst Klein zu verantworten ist. Jedoch ist in der Beweisaufnahme deutlich geworden, dass Angehoerige der TF 47 in grossem Masse die Entscheidungen von Oberst Klein beeinflusst haben.
Die TF 47 ist eine deutsche Spezialkraefteeinheit, zu deren Auftrag es gehoert, Informationen ueber Personen in Afghanistan zu sammeln, die mit Anschlaegen auf ISAF oder afghanische Staatsgewalt in Verbindung stehen. Auch kann sie gegen diese Personen aktiv vorgehen, allerdings nur mit dem Ziel, sie festzusetzen, keinesfalls sie zu toeten. Dies liegt an einer besonderen deutschen Selbstverpflichtung, die fuer Kraefte anderer Nationen nicht gilt.
Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass Hauptmann N. (TF 47) die Suche nach den Tanklastern bei Oberst Klein angeregt hatte, weil er die Zuverlaessigkeit seines TF 47-Informanten ueberpruefen wollte. Nachdem die Tanklaster durch den B1-Bomber gefunden worden waren, schlugen er und der Fliegerleitoffizier W. (JTAC) Oberst Klein nach dessen Aussage einen unmittelbaren Waffeneinsatz durch den B1-Bomber vor, der zu diesem Zeitpunkt von Oberst Klein noch abgelehnt wurde.
Bei dem Vorschlag spielte auch eine Rolle, dass der Informant inzwischen berichtet hatte, es befaenden sich vier Talibanfuehrer und deren Anhaenger vor Ort, die man in der TF 47 "auf dem Schirm hatte".
Obwohl sich das taktische Lagebild danach nicht veraenderte, freundete sich Oberst Klein offensichtlich immer mehr mit dem Vorschlag des Waffeneinsatzes an und gab ihn schliesslich - mehr als eine Stunde spaeter - frei.
In diesem Fall fuehrte das Zusammenwirken von PRT Kunduz und Task Force 47, das bisher nur mit der besseren technischen Ausstattung der TF 47 begruendet wurde, offensichtlich zu einer gefaehrlichen Verschmelzung der Interessen, obwohl Aufgaben und Befugnisse der beiden Bereiche strikt zu trennen sind und es Oberst Klein an den notwenigen Kenntnissen zur Durchfuehrung eines solchen offensiven Waffeneinsatzes fehlte.
Der fatale Umgang mit dem "HUMINT"-Kontakt
Als besonders problematisch hat sich der Umgang der Mitarbeiter der TF 47 und von Oberst Klein mit dem afghanischen Informanten, dem sogenannten "HUMINT-Kontakt", herausgestellt:
- Nicht alle Informationen, welche die HUMINT-Quelle lieferte, erreichten Oberst Klein. So erfuhr dieser nach eigenen Angaben nichts davon, dass die Aufstaendischen vorhatten, die Tanklaster "auszuschlachten" und "in Brand zu setzen"; er erfuhr nichts ueber den Verbleib der zivilen Lastwagenfahrer, ueber den nach Aussagen von Zeugen jedoch in der Nacht gesprochen worden sein soll; er erfuhr auch nichts darueber, dass die Kontaktperson gar nicht vor Ort war, sondern nur Erkenntnisse von ominoesen "Subkontakten" weiterleitete, ueber deren Hintergruende niemand in dieser Nacht etwas naeheres wusste.
- Hinzu kommen der problematisch lange Weg, den die Informationen nehmen mussten, bis sie Oberst Klein erreichten ("Stille-Post-Routine"), sowie erhebliche Defizite im Bereich der "zielgerichteten Gespraechsfuehrung" mit der HUMINT-Quelle.
Denn es wurde erkennbar, dass die Fragen, die der Kontaktperson gestellt worden sind, zu einem grossen Teil weder sachgerecht noch zielfuehrend ausgewaehlt worden waren.
- Vor allem aber haben sich erhebliche Fehler im Rahmen der sachgerechten Bewertung der Informationen gezeigt: Die wiederholte Aussage der Quelle, saemtliche Personen an den Tanklastern seien Taliban, konnte zu keinem Zeitpunkt in dieser Nacht anderweitig bestaetigt werden. Sie wurde allein auf Grund eines eher als "Bauchgefuehl" zu bezeichnenden "Erfahrungsschatzes" von Oberst Klein als besonders glaubwuerdig eingeschaetzt. Dabei wurde aber uebersehen, dass alleine die "siebenfache" Bestaetigung einer Information durch ein und dieselbe Quelle die Glaubwuerdigkeit einer Information nicht "siebenfach" verstaerkt.
Die Beweisaufnahme hat erkennbar werden lassen, dass im Bereich des Militaerischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr faktisch wie in einem Nachrichtendienst operiert wird, indem Methoden und Mittel eingesetzt werden, die eigentlich fuer nachrichtendienstliches Handeln wesensbestimmend sind. Hier haben sich erhebliche Koordinierungs- und Kontrollprobleme gezeigt, die durch die Bundesregierung und den Gesetzgeber geloest werden muessen.
Bewertung des Luftangriffs
Oberst Klein handelte in dieser Nacht unter hoechster Anspannung, weil seine Soldaten den Tag ueber in schwersten Feuergefechten standen. Er fuehlte sich zudem von seinen Vorgesetzten unter Druck gesetzt, die von ihm nach seiner Wahrnehmung einen "aktiven Einsatz" erwarteten.
Menschliches Verstaendnis fuer die eindeutige persoenliche Ueberforderung des militaerischen Fuehrers in dieser Nacht kann aber nicht dazu fuehren, die begangenen Fehler und Versaeumnisse zu ignorieren oder nicht klar zu benennen.
Niemand kann heute mehr behaupten, Oberst Klein habe in der damaligen Situation die richtigen Entscheidungen getroffen. Er hat gegen NATO-Einsatzregeln und gegen nationale Vorgaben zum Einsatz militaerischer Gewalt verstossen, die gerade deshalb existieren, damit solche Vorfaelle mit einer Vielzahl ziviler Opfer moeglichst vermieden werden:
- Luftnahunterstuetzung haette nicht unter Hinweis auf "Troops in Contact" angefordert werden duerfen und der Waffeneinsatz haette gegenueber den Piloten auf eine klare Einsatzregel gestuetzt werden muessen.
- Oberst Klein hatte nicht die erforderliche Befugnis zum Waffeneinsatz, sondern er haette RC North, General Vollmer, einschalten muessen.
- Der im PRT vorhandene Rechtsberater wurde pflichtwidrig nicht beteiligt.
- Die Menschen an den Tanklastern wurden nicht eindeutig als legitime militaerische Ziele identifiziert.
- Sowohl Oberst Klein als auch dem JTAC fehlte es an den erforderlichen Kenntnissen der anzuwendenden Verfahren der Ziel- und Wirkungsanalyse und es wurde regelwidrig versaeumt, weitere Stellen im Rahmen des Systems der gegenseitigen Kontrolle und Verantwortung in die Entscheidung einzubinden.
- Pflichtwidrig wurde auf die von den F15-Piloten empfohlene Durchfuehrung einer "abschreckenden Machtdemonstration" ("Show of Force") verzichtet.
Waeren diese Verfahrensfehler nicht begangen worden, haette der Luftangriff so nicht stattgefunden.
Politische Verantwortung von Dr. Jung
Die offensichtlich mangelhafte Ausbildung der beteiligten Soldaten hinsichtlich der korrekten Anwendung der NATO-Einsatzregeln und der nationalen Einsatzvorgaben sowie die Defizite im Verstaendnis der voelkerrechtlichen Rahmenbedingungen sind politisch vom damaligen Bundesminister der Verteidigung Dr. Jung zu verantworten.
Weiterhin sind Dr. Jung auch gravierende politische Fehleinschaetzungen vorzuwerfen. Diese Fehler haben dazu gefuehrt, dass die Vorgaenge aus falsch verstandener Loyalitaet heraus eher vernebelt als aufgeklaert wurden. Dieses Verhalten hat der Bundesregierung und dem Ruf der Bundeswehr geschadet.
Insbesondere der Pressestab, dem Dr. Jung allzu freie Hand gelassen hat, trifft die Verantwortung fuer eine desastroese Oeffentlichkeitsarbeit.
Unsinn ist es dagegen, dieses Versagen Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretaer Dr. Wichert in die Schuhe zu schieben. Das schafft die Ausschussmehrheit in ihrem Bewertungsteil denn auch nur, indem sie Pflichten fuer den Generalinspekteur erfindet, die es tatsaechlich nicht gibt.
Politische Verantwortung des Freiherrn zu Guttenberg
Freiherr zu Guttenberg vermochte es, die Illusion von sachlicher Kompetenz und Lernfaehigkeit, von Verantwortungsbereitschaft und Gradlinigkeit, von Aufrichtigkeit und moralischer Unbestechlichkeit zu erzeugen, obwohl sich objektiv geradezu das Gegenteil manifestierte, wenn man nur genauer hinschaute:
- Seine erste oeffentliche Bewertung des Luftangriffs vom 6.
November 2009, wonach es selbst dann, wenn es keine Verfahrensfehler gegeben haette, zum Luftschlag haette kommen muessen, hat sich als grobe persoenliche Fehleinschaetzung herausgestellt. Um sich bei den Soldaten beliebt zu machen, setzte er sich ueber die Bewertung des Generalinspekteurs eigenwillig hinweg. Nachdem sich dies als Fehler herausstellt hatte, versuchte er die Verantwortung hierfuer auf General Schneiderhan abzuwaelzen.
- Auch seine oeffentliche Begruendung fuer die "Entlassung" von Schneiderhan und Dr. Wichert, diese haetten ihm fuer die Bewertung des Luftangriffs wesentliche Dokumente vorenthalten, war nur vorgeschoben, um sich des Drucks, der durch die "Bild"-Zeitung mit der Ankuendigung der Veroeffentlichung des Feldjaegerberichts entstanden war, effektiv zu entledigen.
- Selbst die angebliche umfassende und sorgfaeltige "Neubewertung" des Luftangriffs vom 3. Dezember 2009 ist bei naeherem Hinsehen nur eine Illusion. Die vorgeblich vorenthaltenen Berichte enthielten keinerlei zusaetzliche Erkenntnisse gegenueber dem ihm von Anfang an bekannten COMISAF-Bericht.
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Fax: 030/227-5 68 69
Über SPD-Bundestagsfraktion:
Nach der Bundestagswahl am 18. September 2005 setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion für die 16. Legislaturperiode aus 222 Abgeordneten zusammen.
Alle Abgeordneten, die im September 2005 gewählt wurden und der SPD angehören, bilden die SPD-Bundestagsfraktion.
In der Sitzung vom 21. November 2005 hat die SPD-Bundestagsfraktion Dr. Peter Struck zu ihrem neuen Fraktionsvorsitzenden gewählt. Mit seinem sehr guten Wahlergebnis führt Struck als Nachfolger von Franz Müntefering nun die SPD-Bundestagsfraktion.
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