BRÜDERLE-Interview für den "Tagesspiegel

  • Pressemitteilung der Firma FDP-Bundestagsfraktion, 15.08.2011
Pressemitteilung vom: 15.08.2011 von der Firma FDP-Bundestagsfraktion aus Berlin

Kurzfassung: BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab dem "Tagesspiegel" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Antje Sirleschtov: Frage: Herr Brüderle, seit mehr als einem Jahr versuchen Europas Regierungen ...

[FDP-Bundestagsfraktion - 15.08.2011] BRÜDERLE-Interview für den "Tagesspiegel"


BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab dem "Tagesspiegel" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Antje Sirleschtov:

Frage: Herr Brüderle, seit mehr als einem Jahr versuchen Europas Regierungen den Euro mit Hilfsprogrammen zu stützen. Wann ist endlich Ruhe an den Märkten?

BRÜDERLE: Wenn das Vertrauen in den Euro und in das Handeln der Regierungen wiederhergestellt ist. Daran müssen wir nun alle mit vereinten Kräften arbeiten. Hektik und Aktionismus helfen uns und den Märkten nicht weiter. Ein verantwortungsvolles und überlegtes Vorgehen ist gefragt.

Frage: In der letzten Woche haben die Börsenkurse verrückt gespielt. Warum vertrauen die Investoren den Politikern nicht?

BRÜDERLE: Wir haben diese Woche eine Überreaktion der Märkte gesehen. Die Anleger haben aber erkannt, dass zu hohe Staatsdefizite und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit auf Dauer nicht mehr tragbar sind. Das in den USA wie auch in der Eurozone notwendige Sparen sorgt einerseits für stabilere Verhältnisse, birgt aber aus Sicht der Investoren auch Wachstumsrisiken. Es ist jetzt an der Politik, vernünftige Antworten für gesunde Staatsfinanzen und für wettbewerbsorientierte Rahmenbedingungen zu finden. Nur damit schaffen wir wieder Vertrauen für Investoren, ganz besonders bei den hilfebedürftigen Ländern der Eurozone.

Frage: Nach Griechenland und Portugal sind jetzt auch Italien und sogar Frankreich ins Visier der Finanzmärkte geraten. Muss Deutschland am Ende die Zeche für den Euro alleine zahlen?

BRÜDERLE: Beide Länder haben robuste Volkswirtschaften und eine gute industrielle Basis. Sie werden ihre Kredite auch langfristig bedienen können. Klar ist aber auch, dass sie Reformen brauchen, um sich besser für die Zukunft aufzustellen und die Schuldenspirale der vergangenen Jahre zu stoppen. Und auch in Deutschland müssen wir täglich daran arbeiten, auf der Erfolgsspur zu bleiben.

Frage: EU-Kommissionspräsident Manuel Jose Barroso hat eine Ausweitung des Rettungsschirmes gefordert, damit auch größere Länder unterstützt werden können. Ist das notwendig?

BRÜDERLE: Nein. Mehr Geld löst nicht die Probleme. Jedes Eurozonen-Mitglied muss jetzt seine Hausaufgaben machen, den Abbau der Defizite glaubwürdig vorantreiben und seine Wettbewerbsfähigkeit stärken. Die Grundregeln der Marktwirtschaft müssen beachtet werden, das heißt: Chancen, Risiken und Haftung gehören zusammen.

Wir müssen aber noch weiter gehen. Die getroffenen Beschlüsse müssen nicht nur verbindlich umgesetzt werden. Darüber hinaus ist es dringend notwendig, ein EU-weites Modell für die Restrukturierung und Abwicklung von Banken zu erarbeiten, um Ansteckungsgefahren begegnen zu können. Es darf nicht noch einmal zu einer unkontrollierten Bankenkrise kommen, wie wir es im Jahr 2008 erlebt haben.

Frage: Die Europäische Zentralbank EZB hat jetzt begonnen italienische und spanische Staatsanleihen zu kaufen. Ab Herbst soll das auch der Rettungsschirm EFSF tun können. Ist das der Einstieg in die Vergesellschaftung der Schulden in Europa?

BRÜDERLE: Die Sorge, dass es mit Anleiheaufkäufen zur Haftungsunion kommt, ist zwar nachvollziehbar. Mit den Gipfelbeschlüssen haben wir dem aber einen Riegel vorgeschoben. Hier geht es nicht um eine gemeinsame Staatsverschuldung, wie wir sie mit den von Rot-Grün geforderten Eurobonds bekommen würden. Es geht um die Überbrückung akuter Notlagen mit erheblichen Gefahren für den Euro insgesamt. Der Grundsatz der Einstimmigkeit ist wichtig, um sicher zu stellen, dass die deutschen Vorstellungen gewahrt werden können. Die EZB darf nicht auf Dauer Staatsanleihen aufkaufen, sondern muss sich auf ihre ureigenste Aufgabe, der Wahrung der Geldwertstabilität konzentrieren.

Frage: Was bedeutet das konkret?

BRÜDERLE: Hilfen werden an strikte Bedingungen und Reformen geknüpft. So soll vermieden werden, dass Staaten insolvent gehen können. Mit der Vorsorge müssen wir aber unbedingt noch ein paar Schritte weiter gehen. Wenn Hilfen aus dem Rettungsschirm in Anspruch genommen werden muss zuvor klar sein, welche Anpassungsmaßnahmen automatisch zu erfolgen haben. Bei der Schaffung eines neuen Stabilitäts- und Wachstumspaktes II sollte schon eingegriffen werden können, wenn die Defizitzahlen eine gewisse Grenze überschreiten. Die Maßnahmen müssen Haushaltsanpassungen ebenso wie die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit umfassen. Die Initiative des Wirtschaftsministers für einen Stabilitätsrat zeigt einen Weg auf, dem besser entsprechen zu können. Hilfen für Länder der Euro-Zone können nicht einseitig sein, sondern müssen immer auch mit der Auflage verbunden sein, dass die betroffenen Länder alles ihnen mögliche tun, die Ursachen ihrer Misere zu beseitigen.

Frage: Wird die FDP dem Rettungspaket im September zustimmen?

BRÜDERLE: Das werden wir bei unserer Klausurtagung der FDP-Bundestagsfraktion Ende August entscheiden. Für uns ist die Beteiligung der privaten Gläubiger ein wichtiges Anliegen. Damit erhalten die Märkte endlich das Signal, dass höhere Renditen auch höhere Risiken bergen. Fehlanreize für die Zukunft werden minimiert. Wir müssen aber gleichzeitig eine Ansteckungsgefahr für andere Länder verhindern. Einen Freibrief zum Aufkauf von Anleihen anderer Länder oder eine umfassende Haftung für die Defizite anderer Eurozonenstaaten gibt es mit uns nicht.

Frage: Warum nicht?

BRÜDERLE: Wenn durch den Kauf von Anleihen Einfluss auf das Zinsniveau der Nationalstaaten genommen werden könnte, dann wäre das so etwas wie die Einführung von Euro-Bonds durch die Hintertür. Solche Bonds stehen für einen Einheitszinssatz aller Euro-Länder. Sie sind deshalb so gefährlich, weil sie die einzelnen Länder nicht motivieren, sich anzustrengen und verantwortungsvoll zu wirtschaften. Das wäre in etwa so, wie wenn eine Bank einem Handwerker, der kurz vor der Insolvenz steht, Geld zum gleichen Zinssatz leihen würde, wie einem gesunden, mit Eigenkapital voll ausgestattetem Betrieb. Das unterschiedliche Zinsniveau sorgt dafür, dass Länder belohnt werden, die gut wirtschaften und ihre Schulden begrenzen. Solche, die das nicht tun, dürfen nicht auch noch zusätzlich profitieren. Dieser Mechanismus darf nicht außer Kraft gesetzt werden.

Frage: Nachdem die Märkte nun auch Frankreich ins Visier genommen haben, wird bald nur noch Deutschland niedrige Zinsen zahlen. Befinden wir uns nicht längst auf dem Weg in die europäische Transferunion mit gleichen Zinsen?

BRÜDERLE: Die Zinsen werden an den Märkten bestimmt. Angemessene Zinsdifferenzen bleiben das effektivste Mittel für gesundes Haushalten und gesunde politische Entscheidungen. Gerade die aktuelle Entwicklung zeigt, dass hohe Zinsen ernster genommen werden als das bisher zahnlose Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission.

Frage: Die FDP fordert seit längerem die Einführung der Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in allen Euroländern. Weshalb?

BRÜDERLE: Solide Haushalte sind die Basis für das Marktvertrauen, welches dringend wieder erarbeitet werden muss. Deutschland hat mit seiner Schuldenbremse vorgemacht, dass sie der richtige Weg ist und die Märkte stabilisiert. Die gute Entwicklung unseres Landes belegt dies. Deshalb müssen wir eine Schuldenbremse endlich auch in der gesamten Eurozone einführen. Für mich steht das in unmittelbarem Zusammenhang mit den Beschlüssen zu den Rettungsschirmen, dass alle Mitglieder der Eurozone eine entsprechende Haushaltsstabilität wahren.

Frage: Braucht Europa einen EU-Finanzminister, damit in Zukunft zu hohe Staatsschulden in einzelnen Ländern vermieden werden?

BRÜDERLE: Wir müssen die Verlässlichkeit der Länder untereinander stärken. Was wir brauchen, ist eine neue Stabilitätskultur. Die Länder, die die Spielregeln nicht einhalten, müssen automatisch einen Teil ihrer Souveränität an europäische Institutionen abgeben. Das ist etwas anderes als ein EU-Finanzminister. Was wir brauchen, ist ein Stabilitätsrat, der darüber wacht, dass stark überschuldete Länder auf den Weg der Haushaltskonsolidierung zurückfinden, notfalls auch mit harten Sanktionen. Der Fall Griechenland darf nicht zum Standardfall werden. Und wir müssen verhindern, dass sich schwache Länder - quasi automatisch - bei den starken Ländern bedienen und aus ihrer Notlage herausboxen lassen. Dazu ist der Grundsatz der Einstimmigkeit bei allen noch folgenden Hilfsaktionen unverzichtbar.

Frage: Und was passiert, wenn es für diesen Weg keine Mehrheiten gibt?

BRÜDERLE: Wir kämpfen energisch für einen schärferen Stabilitätspakt, aus dem sich niemand heraus stehlen kann. Das ist unser Ziel. Länder die nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich an die Regeln zu halten und eigene Anstrengungen zu unternehmen, gefährden die europäische Währungsunion. Das muss ihnen klar sein.


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Eine Geschichte als Herausforderung.
Der Liberalismus begann seinen historischen Weg als Philosophie der Freiheit und als politische Bewegung für die Rechte des Einzelnen. Die Willkürherrschaft des Absolutismus stand im Widerspruch zur Idee einer freiheitlichen Gesellschaft. Mit dem Verfassungsstaat hat der Liberalismus den Absolutismus überwunden.
Als erste politische Bewegung hat der Liberalismus dem einzelnen Bürger, seiner menschlichen Würde und seinen Menschenrechten der Freiheit und Gleichheit Vorrang vor der Macht des Staates eingeräumt. Schritt für Schritt verwirklichten Liberale den modernen Verfassungsstaat mit individuellen Grundrechten, der freien Entfaltung der Persönlichkeit, dem Schutz von Minderheiten, der Gewaltenteilung und der Rechtsbindung staatlicher Gewalt.

Der Liberalismus hat als Freiheitsbewegung nicht nur für die Gleichheit vor dem Gesetz gekämpft, sondern auch für Chancengleichheit in der Gesellschaft. Mit der Marktwirtschaft und ihrer sozialen Verpflichtung hat der Liberalismus neue Chancen gegen Existenznot und konservative Erstarrung der gesellschaftlichen Strukturen eröffnet.

Die liberale Verfassung unserer Bundesrepublik Deutschland hat mehr demokratische Stabilität, mehr allgemeinen Wohlstand, mehr soziale Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit hervorgebracht, als dies je zuvor in der Geschichte der Fall gewesen ist. Und dennoch ist die Idee der Freiheit den schleichenden Gefahren der Gewöhnung und Geringschätzung ausgesetzt. Weniger Teilhabe am demokratischen Staat, weniger Chancen für ein selbstbestimmtes Leben durch weniger Chancen auf einen sicheren Arbeitsplatz, Entmündigungen durch kollektive Zwangssysteme und bevormundende Bürokratie sind neue Bedrohungen der Freiheit.

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Ein großer Teil des Widerstands gegen das sozialistische Staatswesen erwuchs aus der Attraktivität des freiheitlich-liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Das in den europäischen Integrationsprozeß eingebettete, vereinte Deutschland ist das freiheitlichste unserer Geschichte.

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