Rede Andrea Nahles bei gesundheitspolitischer Veranstaltung in Berlin

  • Pressemitteilung der Firma SPD, 17.10.2011
Pressemitteilung vom: 17.10.2011 von der Firma SPD aus Berlin

Kurzfassung: Rede der SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles anlässlich der Veranstaltung "Solidarische Gesundheitspolitik für alle Bürgerinnen und Bürger" am Montag, dem 17. Oktober 2011 in Berlin. - Es gilt das gesprochene Wort - Zunächst möchte ...

[SPD - 17.10.2011] Rede Andrea Nahles bei gesundheitspolitischer Veranstaltung in Berlin


Rede

der SPD-Generalsekretärin

Andrea Nahles

anlässlich der Veranstaltung
"Solidarische Gesundheitspolitik für alle Bürgerinnen und Bürger"

am Montag, dem 17. Oktober 2011 in Berlin.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Zunächst möchte ich Sie alle herzlich im Willy-Brandt-Haus begrüßen. Ich freue mich über alle, die hier sind, um mit uns zu diskutieren. Denn die SPD will den offenen Dialog über diese schwierigen Zukunftsfragen. Gesundheitspolitik ist für uns ein politischer Kernbereich für den wir uns auch in der Opposition verantwortlich fühlen. Weil es ein Thema ist, das den Menschen auf den Nägeln brennt, weil es alle betrifft und weil es um ein unmittelbares Kernversprechen unserer Gesellschaft geht: Wenn Du krank bist, steht die Gesellschaft solidarisch für Dich ein!

Wir wollen heute ein ehrliches Gespräch führen. Wir erwarten Kritik – und dass nicht nur an den anderen, obwohl das bei dem Bild, was da abgegeben wird, am einfachsten fällt.

Als erstes möchte ich diejenigen begrüßen, die sich an uns besonders reiben und wir uns besonders an Ihnen. Ich freue mich sehr, dass der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank-Ulrich Montgomery und Roland Weber, Vorstand der Debeka heute unter uns sind, herzlich willkommen.

Stellvertretend für die vielen anderen interessanten Diskussionspartner möchte ich an dieser Stelle besonders Annelie Buntenbach vom DGB und Thomas Ballast, den Vorsitzenden des Verbands der Ersatzkassen begrüßen. Schön, dass Sie alle mit dabei sind.

Unser Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt. Wir, unsere Eltern und deren Eltern haben es aufgebaut und durch Arbeit finanziert. Es hat Generationen von Menschen bis heute die Sicherheit gegeben, im Krankheitsfall versorgt zu werden, ohne Angst vor sozialem Abstieg durch Krankheit oder Unfälle. Selbstverständlich ist das nicht. Wir haben dieses System gemeinsam geschaffen, nun müssen wir es gemeinsam der heutigen Zeit anpassen. Denn steigende Kosten durch innovative Therapien und längeres Leben sorgen dafür, dass das bisherige System Risse bekommt.

Die Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem wächst:

Die Patienten warten oft lange auf Termine – oder müssen sich hinter Privatpatienten anstellen.Die Bürgerinnen und Bürger haben Angst, dass wir uns immer mehr in Richtung Zwei-Klassenmedizin bewegen und neue Therapien nicht mehr für alle verfügbar sind.Die Arbeitnehmer und die Rentner müssen immer höhere Eigenanteile schultern: Zusatzbeiträge, IGeL-Leistungen, höhere Beiträge. Zugleich verbessert sich die Versorgung nicht spürbar.Und auch Privatpatienten werden mit immer höheren Beiträgen konfrontiert. Das führt bei etlichen, gerade Älteren zu existenziellen Problemen.Ärztinnen und Ärzte klagen über zu hohe Belastung. Und im Pflegebereich ist die Arbeitsverdichtung derart massiv, dass wir dringend investieren müssen, um eine vernünftige Qualität der Versorgung sicherzustellen.Und was tut die Bundesregierung? Kurz gesagt: nichts! Ob Finanzierung, Versorgung oder Pflege: Die Untätigkeit dieser Regierung wird zu einer Belastung für die Zukunftsfähigkeit unseres sozialen Systems.

Dabei sind die Zeiten für aktive Gestaltung gut. Der Reformbedarf ist riesig und viele der Betroffenen sind bereit, ausgetretene Pfade zu verlassen und sich mit uns auf einen neuen Weg zu machen. Ich will zwei Beispiele nennen.

Ich begrüße es sehr, dass sich die Kirchen in Deutschland dem Thema Gesundheit intensiv widmen. Gerade heute Vormittag hat die evangelische Kirche in Deutschland eine Denkschrift zu den aktuellen Herausforderungen in der Gesundheitspolitik vorgelegt. Darin wird die herausragende gesellschaftliche und soziale Bedeutung einer gerechten und umfassenden Gesundheitsversorgung betont. Ich sehe uns dabei insbesondere in unserer Forderung nach einem einheitlichen Versicherungssystem bestätigt, wenn die Kirche zu dem Schluss kommt – ich zitiere:"Dass nur ein Teil der Bevölkerung zwischen gesetzlicher und privater Absi­cherung wählen kann, trägt zur Entsolidarisierung gerade der Bessergestellten bei und ist daher zu hinterfragen. Als langfristiges Ziel sollte es zu einer weitgehenden Konvergenz der Sys­teme kommen, so dass, orientiert am heutigen Leistungskatalog, eine einkommens- und risiko- solidarische Absicherung für alle angeboten werden kann."

Das meine Damen und Herren ist nichts weiter, als der protestantische bischöfliche Segen für eine Bürgerversicherung. Der einzige Unterschied ist, dass wir Sozialdemokraten das nicht als langfristiges Ziel ansehen. Sondern wir werden das in der kommenden Legislaturperiode machen.

Verbündete kommen auch aus unerwartetem Lager. In meinem Wahlkreis fragen sich 63 Haus- und Fachärzte, wie sie eigentlich in Zukunft die Versorgung sicherstellen können. In einer Präsentation, die Sie mir geschickt haben, befürchten Sie sinkende Einnahmen der GKV bei stetig wachsenden Ausgaben. Klar, auf dem Land gibt es viel weniger Privatpatienten, hier weiß man die GKV zu schätzen. Und als Lösung, um die GKV-Einnahmen zu steigern, fordern die Ärzte:

mehr Beitragszahler aus der PKV gemäß dem Konzept der BürgerversicherungMindestlöhneeine attraktive Familienpolitik zur Steigerung der Geburtenrate.Auch das zeigt mir: Die Bürgerversicherung scheint bei immer mehr Ärzten den Nimbus des Schreckgespenstes verloren zu haben.

Die Gesellschaft ist viel weiter in ihrem Reformwillen als manche, insbesondere in der Politik, realisiert haben. Wir jedenfalls stehen bereit für eine Politik, die ein solidarisches Gesundheitssystem für alle Bürgerinnen und Bürger sichern soll. Dazu will ich Ihnen kurz den Kern unseres Leitantrags zur Gesundheitspolitik skizzieren.

Drei zentrale Ziele sind:

Erstens eine bessere Versorgung:
Die Bürgerversicherung ist keine bloße Finanzierungstechnik. Sie hat einen wichtigen Struktureffekt.
Es gibt nur noch ein Versicherungssystem für alle Bürgerinnen und Bürger: Die Bürgerversicherung.
Damit ist in Zukunft allein die Krankheit dafür ausschlaggebend, wie und wann jemand behandelt wird. Und wir schützen die Privatversicherten vor massivem Beitragsanstieg, weil es zukünftig keine überhöhte Abrechnung für Behandlungen gibt.

Die Bürgerversicherung ist also praktizierte Solidarität und Verbraucherschutz zugleich.Wir werden mit der Bürgerversicherung auch die Versorgung auf dem Land verbessern. Denn mit einem einheitlichen Honorarsystem beseitigen wir die Fehlanreize der Privathonorare in den Ballungszentren. Im Gegensatz dazu führt die PKV zu Überversorgung in den starken Regionen. Das kann nicht im Interesse verantwortlicher Gesundheitspolitik sein. Zweitens mehr Gerechtigkeit:
Die Arbeitnehmer werden um fünf Milliarden Euro entlastet. Die Arbeitnehmerbeiträge sinken. Das erreichen wir dadurch, dass die Arbeitgeber wieder 50:50 zum Gesundheitssystem beitragen. Durch unseren Vorschlag, den Arbeitgeberbeitrag von der gesamten Lohnsumme zu erheben, müssen nur diejenigen Arbeitgeber mehr zahlen, die besonders hohe Löhne und Boni zahlen, wie zum Beispiel Banken und Versicherungen.
Außerdem entfallen die Sonder- und Zusatzbeiträge. Und es wird mit uns keine aufwendige Erhebung von Beiträgen auf Mieten und Vermögen geben, wie es die Grünen fordern. Das würde viele Arbeitnehmerfamilien und Kleinunternehmer belasten – und das wollen wir als Partei der Arbeit nicht.Drittens mehr Nachhaltigkeit:
Wir werden den Anteil der Steuern für das Gesundheitssystem erhöhen. Nur so sind die Zukunftsaufgaben zu finanzieren.

Außerdem muss es natürlich auch um die Ausgabenseite gehen. Wir streben deshalb an, dass sich die Arzneimittelpreise dem europäischen Durchschnittsniveau angleichen. Klar ist, keine Einnahmeverbesserung kann ungebremste Ausgaben finanzieren.

Noch ein Thema liegt uns in diesem Zusammenhang sehr am Herzen: Das Thema Pflege. Ich freue mich ganz besonders, dass wir Jürgen Gohde heute unter uns haben. Jürgen Gohde hat gerade eine besonders schwierige Aufgabe übernommen. Ich habe Respekt davor, dass er das um der Sache Willen getan hat. Jürgen, Du hast unsere Unterstützung. Und wir freuen uns, dass Du jetzt schon den Masterplan für die Pflegereform schreibst, die wir dann ab 2013 umsetzen können. Eines werden wir jedenfalls nicht tun: Die Arbeit des Beirats für die Weiterentwicklung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs untätig liegen lassen, wie es die jetzige Bundesregierung getan hat.

Mit einer umfassenden Pflegereform wollen wir allen Menschen ermöglichen, selbstbestimmt und in Würde zu altern. Auch dazu haben wir drei Kernanliegen:

Erstens: Die Pflegebedürftigkeit neu zu definieren, die bislang zu stark auf körperliche Einschränkungen ausgerichtet ist. Demenz muss eine wesentlich größere Rolle spielen. Zweitens: Die pflegenden Angehörigen besser zu unterstützen. Wir wollen einen Rechtsanspruch auf flexible Pflegezeit schaffen. Pflegebedürftige können ein Budget von 1.000 Stunden auf pflegende Angehörige verteilen. Diese bekommen dafür eine Lohnersatzleistung. Damit wird der Verdienstausfall von erwerbstätigen Pflegenden bis zu einer bestimmten Höhe ersetzt. Ä Ähnlich wie beim Elterngeld.Drittens: Die Arbeit in der Pflege attraktiver machen und besser zu bezahlen. Wir wollen mehr Personal, bessere Ausbildung und vor allem bessere Weiterentwicklungsmöglichkeiten schaffen.Finanzieren wollen wir die Pflege ebenso wie die Gesundheit mit einer Bürgerversicherung. Wie die detailliert funktioniert, erklärt Ihnen gleich Karl Lauterbach.

Ich möchte mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken und wünsche uns allen einen anregenden Nachmittag. Vielen Dank


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