Verfassungsbeschwerde eines im Maßregelvollzug Untergebrachten gegen medizinische Zwangsbehandlung in einem weiteren Fall erfolgreich

  • Pressemitteilung der Firma Bundesverfassungsgericht, 20.10.2011
Pressemitteilung vom: 20.10.2011 von der Firma Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe

Kurzfassung: Der Beschwerdeführer ist seit dem Jahr 2005 im Maßregelvollzug untergebracht. Im Juni 2009 kündigte die Maßregelvollzugsklinik dem Beschwerdeführer an, dass er mit einem Neuroleptikum behandelt werden und diese Behandlung erforderlichenfalls ...

[Bundesverfassungsgericht - 20.10.2011] Verfassungsbeschwerde eines im Maßregelvollzug Untergebrachten gegen medizinische Zwangsbehandlung in einem weiteren Fall erfolgreich - auch baden-württembergische gesetzliche Regelung verfassungswidrig


Der Beschwerdeführer ist seit dem Jahr 2005 im Maßregelvollzug untergebracht. Im Juni 2009 kündigte die Maßregelvollzugsklinik dem Beschwerdeführer an, dass er mit einem Neuroleptikum behandelt werden und diese Behandlung erforderlichenfalls auch gegen seinen Willen - durch Injektion unter Fesselung - durchgeführt werden solle. Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel hatten keinen Erfolg. Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer unter anderem geltend, man dürfe ihm nicht zwangsweise Medikamente verabreichen, wenn - unstrittig - keine Psychose, sondern nur eine Persönlichkeitsstörung vorliege. Eine scharfe psychiatrische Indikation sei nicht gestellt. Er leide schwer unter den Nebenwirkungen der Medikation.

Der im konkreten Fall als Rechtsgrundlage herangezogene § 8 Abs. 2 Satz 2 des baden-württem-bergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UBG BW) bestimmt, dass der Untergebrachte diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen zu dulden hat, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, soweit die Untersuchung oder Behandlung nicht unter Absatz 3 fällt. § 8 Abs. 3 UBG BW sieht (nur) für operative Eingriffe und Eingriffe, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind, ein Einwilligungserfordernis vor.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig ist. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts wurden aufgehoben. Sie verletzen den Beschwerdeführer bereits deshalb in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, weil es für die Zwangsbehandlung, die sie als rechtmäßig bestätigen, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer auf die Erreichung des Vollzugsziels gerichteten medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23. März 2011 geklärt (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, EuGRZ 2011, S.

321 ff., sowie Pressemitteilung Nr. 28/2011 vom 15. April 2011).

Die Eingriffsermächtigung des § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW genügt, auch in Verbindung mit weiteren Bestimmungen des baden-württembergischen Unterbringungsgesetzes, den in diesem Beschluss konkretisierten Maßstäben nicht. Insbesondere ist die medizinische Zwangsbehandlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels nach dieser Vorschrift nicht, wie verfassungsrechtlich geboten, auf die Fälle seiner krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit begrenzt. Einer Reihe weiterer aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitender Anforderungen, denen ein zur medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ermächtigendes Gesetz genügen muss, entspricht § 8 Abs.

2 Satz 2 UBG BW ebenfalls nicht.


Kontakt:
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe
Postfach 1771, 76006 Karlsruhe
Telefonzentrale: 0721/9101-0
Fax: 0721/9101-382
Mail: bverfg@bundesverfassungsgericht.de

Über Bundesverfassungsgericht:
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Seit seiner Gründung im Jahr 1951 hat das Gericht dazu beigetragen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ansehen und Wirkung zu verschaffen. Das gilt vor allem für die Durchsetzung der Grundrechte.
Zur Beachtung des Grundgesetzes sind alle staatlichen Stellen verpflichtet. Kommt es dabei zum Streit, kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Seine Entscheidung ist unanfechtbar. An seine Rechtsprechung sind alle übrigen Staatsorgane gebunden.
Die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts hat auch politische Wirkung. Das wird besonders deutlich, wenn das Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.

Firmenkontakt:
Kontakt:
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe
Postfach 1771, 76006 Karlsruhe
Telefonzentrale: 0721/9101-0
Fax: 0721/9101-382
Mail: bverfg@bundesverfassungsgericht.de

Die Pressemeldung "Verfassungsbeschwerde eines im Maßregelvollzug Untergebrachten gegen medizinische Zwangsbehandlung in einem weiteren Fall erfolgreich" unterliegt dem Urheberrecht der pressrelations GmbH. Jegliche Verwendung dieses Textes, auch auszugsweise, erfordert die vorherige schriftliche Erlaubnis des Autors. Autor der Pressemeldung "Verfassungsbeschwerde eines im Maßregelvollzug Untergebrachten gegen medizinische Zwangsbehandlung in einem weiteren Fall erfolgreich" ist Bundesverfassungsgericht.