Antrag im Organstreit 'Bahnimmobilien' verworfen
- Pressemitteilung der Firma Bundesverfassungsgericht, 28.12.2011
Pressemitteilung vom: 28.12.2011 von der Firma Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe
Kurzfassung: Kein parlamentarisches Zustimmungsrecht bei der Veräußerung von Vermögenswerten durch die Deutsche Bahn AG Im Zuge der Bahnreform wurden Anfang 1994 die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn zu einem nicht rechtsfähigen ...
[Bundesverfassungsgericht - 28.12.2011] Antrag im Organstreit "Bahnimmobilien" verworfen
Kein parlamentarisches Zustimmungsrecht bei der Veräußerung von Vermögenswerten durch die Deutsche Bahn AG
Im Zuge der Bahnreform wurden Anfang 1994 die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn zu einem nicht rechtsfähigen Sondervermögen des Bundes, dem Bundeseisenbahnvermögen, zusammengeführt und die privatrechtlich organisierte Deutsche Bahn AG gegründet. Bei der Aufteilung der Liegenschaften zwischen dem Bundeseisenbahnvermögen und der Deutschen Bahn AG wurden nicht nur die sogenannten bahnnotwendigen Liegenschaften, sondern zum Teil auch nicht bahnnotwendige Liegenschaften auf die Deutsche Bahn AG übertragen. Um sich von diesen nicht oder nicht mehr als bahnnotwendig erachteten Immobilien zu trennen, gründete die Deutsche Bahn AG Tochterunternehmen, an die sie die betreffenden Immobilien, darunter vornehmlich nicht mehr benötigte Verwaltungsgebäude, veräußerte. Im Jahr 2007 beabsichtigte die Deutsche Bahn AG, die Gesellschaften in ihrer Gänze an ein Konsortium zu veräußern. Der hierzu im September 2007 notariell beurkundete Kaufvertrag stand unter der aufschiebenden Bedingung einer Genehmigung durch die Bundesregierung. Über die Veräußerung der Gesellschaften wurde in der Folgezeit im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages beraten, zuletzt am 10. Oktober 2007, bevor die Bundesregierung im November 2007 ihre Genehmigung hierzu erteilte.
Die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag hat am 23. Mai 2008 im Organstreitverfahren sinngemäß die Feststellung beantragt, dass die Bundesregierung die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 110 GG in Verbindung mit Art. 87e GG dadurch verletzt habe, dass sie eine parlamentarische Zustimmung zu ihrer Genehmigung des Veräußerungsgeschäfts nicht eingeholt habe.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat den Antrag verworfen, weil er in mehrfacher Hinsicht unzulässig ist. Zum einen kommt das von der Antragstellerin geltend gemachte Beteiligungsrecht des Deutschen Bundestages unter keinem denkbaren verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt in Betracht. Des Weiteren ist der Antrag im Organstreitverfahren nicht fristgerecht gestellt worden. Überdies fehlt ihm das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Ein parlamentarisches Zustimmungsrecht ergibt sich weder aus Art. 110 GG noch unter dem Aspekt einer von der Antragstellerin angeführten "Budgetflucht" oder auf der Grundlage eines ungeschriebenen Parlamentsvorbehalts.
Art. 110 Abs. 2 GG bestimmt, dass der Haushaltsplan durch das Haushaltsgesetz festzustellen ist. In ihn sind nach Art. 110 Abs. 1 GG alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes einzustellen, d. h. solche der Gebietskörperschaft Bund. Die Grundgesetzbestimmung erstreckt sich jedoch nicht auf Einnahmen und Ausgaben von bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder von privatrechtlich organisierten Gesellschaften, die im Eigentum des Bundes stehen oder an denen er beteiligt ist. Daher wird die Veräußerung der Tochtergesellschaften hiervon nicht erfasst. Denn Inhaberin der veräußerten Gesellschaften war die Deutsche Bahn AG, nicht aber der Bund, dem durch die Veräußerung keine Mittel zuflossen.
Zudem schreibt Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG die Feststellung des Haushaltsplans durch Gesetz vor, weist aber dem Bundestag keine Zustimmungsrechte zu Maßnahmen der Haushaltsführung der Exekutive zu.
Sofern wegen nachträglicher Abweichungen vom Haushaltsplan eine Beteiligung des Bundestages haushaltsverfassungsrechtlich geboten ist, erfolgt diese in der Form eines Nachtragshaushaltsgesetzes.
Die Bundesregierung war zur Einholung einer parlamentarischen Zustimmung auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer "Budgetflucht" verpflichtet.
Die haushalterische Selbständigkeit der Deutsche Bahn AG ist verfassungsrechtlich durch die Einführung des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG legitimiert. Danach sind die Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu führen. Hierdurch sollte die kommerzielle Ausrichtung der Eisenbahnen abgesichert und ihnen ein Bereich unternehmerischer Selbstbestimmung eingeräumt werden.
Mit dieser Zielsetzung wäre es unvereinbar, die einzelnen wirtschaftlichen Entscheidungen des Unternehmens unter parlamentarische Kontrolle zu stellen.
Auch Art. 87e Abs. 4 GG sind keine verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entnehmen, die ein Zustimmungsrecht des Bundestages bei der Veräußerung von Vermögenswerten der Deutsche Bahn AG begründen. Nach dieser Bestimmung hat der Bund zu gewährleisten, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz Rechnung getragen wird. Soweit danach ferner das Nähere durch ein Bundesgesetz geregelt wird, hat der Deutsche Bundestag seinen Anteil an der Erfüllung der Gewährleistungspflicht im Wege der Gesetzgebung zu leisten. Räumte man ihm darüber hinaus Beteiligungsrechte an unternehmerischen Einzelentscheidungen der Deutsche Bahn AG ein, würde deren Fähigkeit zum verfassungsrechtlich gewollten Handeln nach marktwirtschaftlicher Handlungsrationalität in erheblichem Maße beeinträchtigt. Zudem ist die Bestimmung des Art. 87e Abs. 4 GG auf den Bereich der Eisenbahninfrastruktur und die Eisenbahnverkehrsleistungen sachlich beschränkt. Die Veräußerung der Tochtergesellschaften betrifft demgegenüber ausschließlich nicht bahnnotwendige Liegenschaften.
2. Der Antrag vom 23. Mai 2008 ist überdies verfristet, weil er nicht binnen der im Organstreitverfahren gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG geltenden Sechs-Monats-Frist ab Bekanntwerden der beanstandeten Maßnahme gestellt wurde. Sowohl der Abschluss des Kaufvertrages als auch der Umstand, dass die Bundesregierung ihre Genehmigung hierzu nicht von einer parlamentarischen Zustimmungserklärung abhängig machen wollte, war den Mitgliedern des Verkehrsausschusses spätestens in ihrer letzten Sitzung am 10. Oktober 2007 bekannt. Die Kenntnis eines Ausschusses haben sich der Deutsche Bundestag und damit auch die Fraktionen zurechnen zu lassen, so dass die Antragsfrist mit Ablauf des 10. April 2008 endete.
3. Schließlich ist der Antrag unzulässig, weil ihm das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Die Antragstellerin hat es pflichtwidrig unterlassen, sich vor der Einleitung des Organstreitverfahrens auf das dem Deutschen Bundestag vermeintlich zustehende Beteiligungsrecht zu berufen.
Kontakt:
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe
Postfach 1771, 76006 Karlsruhe
Telefonzentrale: 0721/9101-0
Fax: 0721/9101-382
Mail: bverfg@bundesverfassungsgericht.de
Kein parlamentarisches Zustimmungsrecht bei der Veräußerung von Vermögenswerten durch die Deutsche Bahn AG
Im Zuge der Bahnreform wurden Anfang 1994 die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn zu einem nicht rechtsfähigen Sondervermögen des Bundes, dem Bundeseisenbahnvermögen, zusammengeführt und die privatrechtlich organisierte Deutsche Bahn AG gegründet. Bei der Aufteilung der Liegenschaften zwischen dem Bundeseisenbahnvermögen und der Deutschen Bahn AG wurden nicht nur die sogenannten bahnnotwendigen Liegenschaften, sondern zum Teil auch nicht bahnnotwendige Liegenschaften auf die Deutsche Bahn AG übertragen. Um sich von diesen nicht oder nicht mehr als bahnnotwendig erachteten Immobilien zu trennen, gründete die Deutsche Bahn AG Tochterunternehmen, an die sie die betreffenden Immobilien, darunter vornehmlich nicht mehr benötigte Verwaltungsgebäude, veräußerte. Im Jahr 2007 beabsichtigte die Deutsche Bahn AG, die Gesellschaften in ihrer Gänze an ein Konsortium zu veräußern. Der hierzu im September 2007 notariell beurkundete Kaufvertrag stand unter der aufschiebenden Bedingung einer Genehmigung durch die Bundesregierung. Über die Veräußerung der Gesellschaften wurde in der Folgezeit im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages beraten, zuletzt am 10. Oktober 2007, bevor die Bundesregierung im November 2007 ihre Genehmigung hierzu erteilte.
Die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag hat am 23. Mai 2008 im Organstreitverfahren sinngemäß die Feststellung beantragt, dass die Bundesregierung die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 110 GG in Verbindung mit Art. 87e GG dadurch verletzt habe, dass sie eine parlamentarische Zustimmung zu ihrer Genehmigung des Veräußerungsgeschäfts nicht eingeholt habe.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat den Antrag verworfen, weil er in mehrfacher Hinsicht unzulässig ist. Zum einen kommt das von der Antragstellerin geltend gemachte Beteiligungsrecht des Deutschen Bundestages unter keinem denkbaren verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt in Betracht. Des Weiteren ist der Antrag im Organstreitverfahren nicht fristgerecht gestellt worden. Überdies fehlt ihm das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Ein parlamentarisches Zustimmungsrecht ergibt sich weder aus Art. 110 GG noch unter dem Aspekt einer von der Antragstellerin angeführten "Budgetflucht" oder auf der Grundlage eines ungeschriebenen Parlamentsvorbehalts.
Art. 110 Abs. 2 GG bestimmt, dass der Haushaltsplan durch das Haushaltsgesetz festzustellen ist. In ihn sind nach Art. 110 Abs. 1 GG alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes einzustellen, d. h. solche der Gebietskörperschaft Bund. Die Grundgesetzbestimmung erstreckt sich jedoch nicht auf Einnahmen und Ausgaben von bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder von privatrechtlich organisierten Gesellschaften, die im Eigentum des Bundes stehen oder an denen er beteiligt ist. Daher wird die Veräußerung der Tochtergesellschaften hiervon nicht erfasst. Denn Inhaberin der veräußerten Gesellschaften war die Deutsche Bahn AG, nicht aber der Bund, dem durch die Veräußerung keine Mittel zuflossen.
Zudem schreibt Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG die Feststellung des Haushaltsplans durch Gesetz vor, weist aber dem Bundestag keine Zustimmungsrechte zu Maßnahmen der Haushaltsführung der Exekutive zu.
Sofern wegen nachträglicher Abweichungen vom Haushaltsplan eine Beteiligung des Bundestages haushaltsverfassungsrechtlich geboten ist, erfolgt diese in der Form eines Nachtragshaushaltsgesetzes.
Die Bundesregierung war zur Einholung einer parlamentarischen Zustimmung auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer "Budgetflucht" verpflichtet.
Die haushalterische Selbständigkeit der Deutsche Bahn AG ist verfassungsrechtlich durch die Einführung des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG legitimiert. Danach sind die Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu führen. Hierdurch sollte die kommerzielle Ausrichtung der Eisenbahnen abgesichert und ihnen ein Bereich unternehmerischer Selbstbestimmung eingeräumt werden.
Mit dieser Zielsetzung wäre es unvereinbar, die einzelnen wirtschaftlichen Entscheidungen des Unternehmens unter parlamentarische Kontrolle zu stellen.
Auch Art. 87e Abs. 4 GG sind keine verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entnehmen, die ein Zustimmungsrecht des Bundestages bei der Veräußerung von Vermögenswerten der Deutsche Bahn AG begründen. Nach dieser Bestimmung hat der Bund zu gewährleisten, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz Rechnung getragen wird. Soweit danach ferner das Nähere durch ein Bundesgesetz geregelt wird, hat der Deutsche Bundestag seinen Anteil an der Erfüllung der Gewährleistungspflicht im Wege der Gesetzgebung zu leisten. Räumte man ihm darüber hinaus Beteiligungsrechte an unternehmerischen Einzelentscheidungen der Deutsche Bahn AG ein, würde deren Fähigkeit zum verfassungsrechtlich gewollten Handeln nach marktwirtschaftlicher Handlungsrationalität in erheblichem Maße beeinträchtigt. Zudem ist die Bestimmung des Art. 87e Abs. 4 GG auf den Bereich der Eisenbahninfrastruktur und die Eisenbahnverkehrsleistungen sachlich beschränkt. Die Veräußerung der Tochtergesellschaften betrifft demgegenüber ausschließlich nicht bahnnotwendige Liegenschaften.
2. Der Antrag vom 23. Mai 2008 ist überdies verfristet, weil er nicht binnen der im Organstreitverfahren gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG geltenden Sechs-Monats-Frist ab Bekanntwerden der beanstandeten Maßnahme gestellt wurde. Sowohl der Abschluss des Kaufvertrages als auch der Umstand, dass die Bundesregierung ihre Genehmigung hierzu nicht von einer parlamentarischen Zustimmungserklärung abhängig machen wollte, war den Mitgliedern des Verkehrsausschusses spätestens in ihrer letzten Sitzung am 10. Oktober 2007 bekannt. Die Kenntnis eines Ausschusses haben sich der Deutsche Bundestag und damit auch die Fraktionen zurechnen zu lassen, so dass die Antragsfrist mit Ablauf des 10. April 2008 endete.
3. Schließlich ist der Antrag unzulässig, weil ihm das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Die Antragstellerin hat es pflichtwidrig unterlassen, sich vor der Einleitung des Organstreitverfahrens auf das dem Deutschen Bundestag vermeintlich zustehende Beteiligungsrecht zu berufen.
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Mail: bverfg@bundesverfassungsgericht.de
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Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Seit seiner Gründung im Jahr 1951 hat das Gericht dazu beigetragen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ansehen und Wirkung zu verschaffen. Das gilt vor allem für die Durchsetzung der Grundrechte.
Zur Beachtung des Grundgesetzes sind alle staatlichen Stellen verpflichtet. Kommt es dabei zum Streit, kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Seine Entscheidung ist unanfechtbar. An seine Rechtsprechung sind alle übrigen Staatsorgane gebunden.
Die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts hat auch politische Wirkung. Das wird besonders deutlich, wenn das Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.
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