Zum Schutz der Meinungsfreiheit bei der strafrechtlichen Beurteilung
- Pressemitteilung der Firma Bundesverfassungsgericht, 20.01.2012
Pressemitteilung vom: 20.01.2012 von der Firma Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe
Kurzfassung: von Meinungsäußerungen im Bereich des Staatsschutzes Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ihre strafgerichtliche Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Beihilfe zur Verunglimpfung des Staates (§ 90a Abs. 1 ...
[Bundesverfassungsgericht - 20.01.2012] Zum Schutz der Meinungsfreiheit bei der strafrechtlichen Beurteilung
von Meinungsäußerungen im Bereich des Staatsschutzes Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ihre strafgerichtliche Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Beihilfe zur Verunglimpfung des Staates (§ 90a Abs. 1 StGB). Gegenstand des Strafverfahrens war ein Flugblatt, für das die Beschwerdeführerin als Vorstandsmitglied eines NPD-Kreisverbandes nach außen die presserechtliche Verantwortung übernommen hatte. Das Flugblatt war nach der Premiere des Theaterstücks "Georg Elser - allein gegen Hitler" von unbekannt gebliebenen Personen verteilt worden. Unter der Überschrift "Georg Elser - Held oder Mörder?" verhält sich der Text in den ersten beiden Absätzen zur Person des "militanten Kommunisten" Georg Elser und zu dessen gegen Hitler gerichteten Anschlag im Münchener Bürgerbräukeller 1939, der "acht unschuldige Menschen in den Tod" gerissen habe. Weiter heißt es im Text:
"Wie sehr ist dieses BRD-System schon verkommen, daß es für seinen ‚K(r)ampf gegen Rechts’ (und damit alles Deutsche!) eines solchen Vorbildes bedarf? Ihn in Filmen und Theaterstücken bejubelt, Schüler zwingt, ihn zu verehren ... ? Werden bald die kommunistischen RAF-Terroristen ebenso geehrt und ihre Opfer verhöhnt? Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!"
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die strafgerichtlichen Entscheidungen aufgehoben, weil sie die Beschwerdeführerin in ihrer grundrechtlich gewährleisteten Meinungsfreiheit verletzen und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der überwiegend Meinungsäußerungen enthaltende Text des streitgegenständlichen Flugblatts ist vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst. Diese ist zwar nicht vorbehaltlos gewährt, sondern findet ihre Grenze unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Die angegriffenen Entscheidungen werden jedoch bei der Anwendung der hier einschlägigen Strafnorm der Bedeutung der Meinungsfreiheit nicht gerecht, weil sie verkannt haben, dass durch die Verteilung des Flugblattes die Schwelle zur Verletzung des durch § 90a StGB geschützten Rechtsguts noch nicht überschritten ist.
Denn bei Auslegung und Anwendung einer die Meinungsfreiheit einschränkenden Vorschrift im Einzelfall gilt, um der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts Rechnung zu tragen, dass nicht der Inhalt einer Meinung als solcher verboten werden darf, sondern nur die Art und Weise der Kommunikation, wenn sie die Schwelle zu einer sich abzeichnenden Rechtsgutverletzung überschreitet. Da anders als dem einzelnen Staatsbürger dem Staat kein grundrechtlich gewährleisteter Ehrenschutz zukommt, ist im Falle des § 90a StGB die Schwelle zur Rechtsgutverletzung erst dann überschritten, wenn aufgrund der konkreten Art und Weise der Meinungsäußerung der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, die Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das streitige Flugblatt setzt sich anlässlich der Aufführung des Theaterstücks mit dem zugrunde liegenden historischen Geschehen um Georg Elser auseinander und setzt im Rahmen des öffentlichen Meinungskampfes der unterstellten anderen Wertung des "BRD-Systems" eine eigene Wertung entgegen.
Kernaussage des Flugblattes ist bei einer kontextbezogenen objektivierenden Betrachtung der Satz "Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!". Die Darstellung einer Verkommenheit des "BRD-Systems" ist hingegen weder inhaltlich noch dem Umfang nach thematischer Schwerpunkt des Flugblattes. Bezugspunkt ist auch nicht etwa die verfassungsmäßige Ordnung, sondern mit dem "K(r)ampf gegen Rechts" lediglich ein politischer Einzelaspekt. Die Äußerungen verbleiben dabei im Bereich bloßer Polemik, so dass eine auch nur mittelbare Eignung des Flugblattes, den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, ausgeschlossen erscheint.
Kontakt:
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe
Postfach 1771, 76006 Karlsruhe
Telefonzentrale: 0721/9101-0
Fax: 0721/9101-382
Mail: bverfg@bundesverfassungsgericht.de
von Meinungsäußerungen im Bereich des Staatsschutzes Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ihre strafgerichtliche Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Beihilfe zur Verunglimpfung des Staates (§ 90a Abs. 1 StGB). Gegenstand des Strafverfahrens war ein Flugblatt, für das die Beschwerdeführerin als Vorstandsmitglied eines NPD-Kreisverbandes nach außen die presserechtliche Verantwortung übernommen hatte. Das Flugblatt war nach der Premiere des Theaterstücks "Georg Elser - allein gegen Hitler" von unbekannt gebliebenen Personen verteilt worden. Unter der Überschrift "Georg Elser - Held oder Mörder?" verhält sich der Text in den ersten beiden Absätzen zur Person des "militanten Kommunisten" Georg Elser und zu dessen gegen Hitler gerichteten Anschlag im Münchener Bürgerbräukeller 1939, der "acht unschuldige Menschen in den Tod" gerissen habe. Weiter heißt es im Text:
"Wie sehr ist dieses BRD-System schon verkommen, daß es für seinen ‚K(r)ampf gegen Rechts’ (und damit alles Deutsche!) eines solchen Vorbildes bedarf? Ihn in Filmen und Theaterstücken bejubelt, Schüler zwingt, ihn zu verehren ... ? Werden bald die kommunistischen RAF-Terroristen ebenso geehrt und ihre Opfer verhöhnt? Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!"
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die strafgerichtlichen Entscheidungen aufgehoben, weil sie die Beschwerdeführerin in ihrer grundrechtlich gewährleisteten Meinungsfreiheit verletzen und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der überwiegend Meinungsäußerungen enthaltende Text des streitgegenständlichen Flugblatts ist vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst. Diese ist zwar nicht vorbehaltlos gewährt, sondern findet ihre Grenze unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Die angegriffenen Entscheidungen werden jedoch bei der Anwendung der hier einschlägigen Strafnorm der Bedeutung der Meinungsfreiheit nicht gerecht, weil sie verkannt haben, dass durch die Verteilung des Flugblattes die Schwelle zur Verletzung des durch § 90a StGB geschützten Rechtsguts noch nicht überschritten ist.
Denn bei Auslegung und Anwendung einer die Meinungsfreiheit einschränkenden Vorschrift im Einzelfall gilt, um der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts Rechnung zu tragen, dass nicht der Inhalt einer Meinung als solcher verboten werden darf, sondern nur die Art und Weise der Kommunikation, wenn sie die Schwelle zu einer sich abzeichnenden Rechtsgutverletzung überschreitet. Da anders als dem einzelnen Staatsbürger dem Staat kein grundrechtlich gewährleisteter Ehrenschutz zukommt, ist im Falle des § 90a StGB die Schwelle zur Rechtsgutverletzung erst dann überschritten, wenn aufgrund der konkreten Art und Weise der Meinungsäußerung der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, die Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das streitige Flugblatt setzt sich anlässlich der Aufführung des Theaterstücks mit dem zugrunde liegenden historischen Geschehen um Georg Elser auseinander und setzt im Rahmen des öffentlichen Meinungskampfes der unterstellten anderen Wertung des "BRD-Systems" eine eigene Wertung entgegen.
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Über Bundesverfassungsgericht:
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Seit seiner Gründung im Jahr 1951 hat das Gericht dazu beigetragen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ansehen und Wirkung zu verschaffen. Das gilt vor allem für die Durchsetzung der Grundrechte.
Zur Beachtung des Grundgesetzes sind alle staatlichen Stellen verpflichtet. Kommt es dabei zum Streit, kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Seine Entscheidung ist unanfechtbar. An seine Rechtsprechung sind alle übrigen Staatsorgane gebunden.
Die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts hat auch politische Wirkung. Das wird besonders deutlich, wenn das Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.
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