Zivilgerichtliche Untersagung der Wortberichterstattung über Prominente – hier im Hinblick auf ihr junges Alter - verfassungswidrig
- Pressemitteilung der Firma Bundesverfassungsgericht, 01.03.2012
Pressemitteilung vom: 01.03.2012 von der Firma Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe
Kurzfassung: Die Beschwerdeführerin ist ein Tochterunternehmen der Verlegerin der Tageszeitung "Sächsische Zeitung" und verbreitet Berichte auch über ihre Internetseite. Ihren beiden Verfassungsbeschwerden liegt eine Berichterstattung über einen Vorfall aus ...
[Bundesverfassungsgericht - 01.03.2012] Zivilgerichtliche Untersagung der Wortberichterstattung über Prominente – hier im Hinblick auf ihr junges Alter - verfassungswidrig
Die Beschwerdeführerin ist ein Tochterunternehmen der Verlegerin der Tageszeitung "Sächsische Zeitung" und verbreitet Berichte auch über ihre Internetseite. Ihren beiden Verfassungsbeschwerden liegt eine Berichterstattung über einen Vorfall aus dem Jahre 2008 zugrunde, in den die beiden Söhne des Schauspielers Uwe Ochsenknecht, die Kläger des Ausgangsverfahrens, verwickelt waren. Sie wurden in der sog. "Freinacht" dabei beobachtet, wie sie zusammen mit einer Gruppe von Freunden Fahrräder traktierten, Blumen aus einem Blumenbeet herausrissen sowie den Telefonhörer in einer Telefonzelle abrissen. Nach Feststellung ihrer Personalien auf der Polizeiwache wurden die Kläger entlassen. Gegen keinen von beiden wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Beschwerdeführerin verbreitete auf ihrer Internetseite über diesen Vorfall einen Beitrag unter der Überschrift "Polizei schnappt Ochsenknecht-Söhne", in dem darüber berichtet wird, dass "die beiden Nachwuchsschauspieler und sänger nach wüster Randale in der Münchener Innenstadt von der Polizei verhört" worden seien.
Mit ihren Klagen auf Unterlassung der Berichterstattung über den Vorfall als Sachbeschädigung sowie einzelner den Hergang betreffender Äußerungen hatten die Kläger jeweils in beiden Instanzen Erfolg. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, weil sie die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzen, und die Sachen an das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Der beanstandete Bericht über den in der Sache unstreitigen Vorfall fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Diese ist zwar nicht vorbehaltlos gewährt, sondern findet ihre Grenze unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Bei Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Zivilrechts haben die Fachgerichte jedoch Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt, indem sie sich nicht hinreichend mit den besonderen Umständen zur Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger auseinandergesetzt und ihm dadurch im Rahmen der gebotenen Abwägung den Vorrang eingeräumt haben.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt insbesondere vor einer Beeinträchtigung der Privat- und Intimsphäre. Im Bereich der Wortberichterstattung bietet es nicht schon davor Schutz, überhaupt in einem Bericht individualisierend benannt zu werden, sondern nur in spezifischen Hinsichten, wobei es vor allem auf den Inhalt der Berichterstattung ankommt. Zwar ist für die Berichterstattung über Straf-verfahren anerkannt, dass im Hinblick auf die Unschuldsvermutung die Namensnennung oder sonstige Identifikation des Täters nicht immer zulässig sind. Insbesondere bei schwerwiegenden Straftaten kann die Gefahr einer Stigmatisierung des noch nicht rechtskräftig Verurteilten erhöht sein. Hiervon unterscheidet sich jedoch die vorliegende Berichterstattung über das unstreitige Verhalten einer Gruppe junger Leute auf offener Straße, über das unabhängig von einem Strafverfahren berichtet wird, und das allenfalls von geringfügiger strafrechtlicher Relevanz ist. Zudem berührt der Bericht nur die Sozialsphäre der Kläger, die überdies ihre Person selbst in die Öffentlichkeit gestellt haben, wobei sie ein Image als "Junge Wilde" pflegten und ihre Idolfunktion kommerziell ausnutzten. Diese Umstände haben die Fachgerichte nicht ausreichend in ihre Erwägungen eingestellt.
Zudem ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden kann. Bei Tatsachenberichten müssen wahre Aussagen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Andererseits ist zweifelsohne das junge Alter der Kläger in die Erwägungen einzubeziehen. Die von den Fachgerichten angenommene Regelvermutung des grundsätzlichen Vorrangs des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit, sobald schutzbedürftige Interessen von jungen Erwachsenen beziehungsweise Jugendlichen in Rede stehen, ist jedoch aus verfassungsrechtlicher Sicht zu eng und undifferenziert. Sie übergeht das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Abwägung und berücksichtigt vorliegend zu wenig, dass die Bedeutung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung sowohl durch das "Öffentlichkeitsimage" der Kläger als auch durch die Einordnung ihres Verhaltens als Bagatelldelikt gemindert ist.
Kontakt:
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe
Postfach 1771, 76006 Karlsruhe
Telefonzentrale: 0721/9101-0
Fax: 0721/9101-382
Mail: bverfg@bundesverfassungsgericht.de
Die Beschwerdeführerin ist ein Tochterunternehmen der Verlegerin der Tageszeitung "Sächsische Zeitung" und verbreitet Berichte auch über ihre Internetseite. Ihren beiden Verfassungsbeschwerden liegt eine Berichterstattung über einen Vorfall aus dem Jahre 2008 zugrunde, in den die beiden Söhne des Schauspielers Uwe Ochsenknecht, die Kläger des Ausgangsverfahrens, verwickelt waren. Sie wurden in der sog. "Freinacht" dabei beobachtet, wie sie zusammen mit einer Gruppe von Freunden Fahrräder traktierten, Blumen aus einem Blumenbeet herausrissen sowie den Telefonhörer in einer Telefonzelle abrissen. Nach Feststellung ihrer Personalien auf der Polizeiwache wurden die Kläger entlassen. Gegen keinen von beiden wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Beschwerdeführerin verbreitete auf ihrer Internetseite über diesen Vorfall einen Beitrag unter der Überschrift "Polizei schnappt Ochsenknecht-Söhne", in dem darüber berichtet wird, dass "die beiden Nachwuchsschauspieler und sänger nach wüster Randale in der Münchener Innenstadt von der Polizei verhört" worden seien.
Mit ihren Klagen auf Unterlassung der Berichterstattung über den Vorfall als Sachbeschädigung sowie einzelner den Hergang betreffender Äußerungen hatten die Kläger jeweils in beiden Instanzen Erfolg. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, weil sie die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzen, und die Sachen an das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Der beanstandete Bericht über den in der Sache unstreitigen Vorfall fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Diese ist zwar nicht vorbehaltlos gewährt, sondern findet ihre Grenze unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Bei Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Zivilrechts haben die Fachgerichte jedoch Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt, indem sie sich nicht hinreichend mit den besonderen Umständen zur Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger auseinandergesetzt und ihm dadurch im Rahmen der gebotenen Abwägung den Vorrang eingeräumt haben.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt insbesondere vor einer Beeinträchtigung der Privat- und Intimsphäre. Im Bereich der Wortberichterstattung bietet es nicht schon davor Schutz, überhaupt in einem Bericht individualisierend benannt zu werden, sondern nur in spezifischen Hinsichten, wobei es vor allem auf den Inhalt der Berichterstattung ankommt. Zwar ist für die Berichterstattung über Straf-verfahren anerkannt, dass im Hinblick auf die Unschuldsvermutung die Namensnennung oder sonstige Identifikation des Täters nicht immer zulässig sind. Insbesondere bei schwerwiegenden Straftaten kann die Gefahr einer Stigmatisierung des noch nicht rechtskräftig Verurteilten erhöht sein. Hiervon unterscheidet sich jedoch die vorliegende Berichterstattung über das unstreitige Verhalten einer Gruppe junger Leute auf offener Straße, über das unabhängig von einem Strafverfahren berichtet wird, und das allenfalls von geringfügiger strafrechtlicher Relevanz ist. Zudem berührt der Bericht nur die Sozialsphäre der Kläger, die überdies ihre Person selbst in die Öffentlichkeit gestellt haben, wobei sie ein Image als "Junge Wilde" pflegten und ihre Idolfunktion kommerziell ausnutzten. Diese Umstände haben die Fachgerichte nicht ausreichend in ihre Erwägungen eingestellt.
Zudem ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden kann. Bei Tatsachenberichten müssen wahre Aussagen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Andererseits ist zweifelsohne das junge Alter der Kläger in die Erwägungen einzubeziehen. Die von den Fachgerichten angenommene Regelvermutung des grundsätzlichen Vorrangs des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit, sobald schutzbedürftige Interessen von jungen Erwachsenen beziehungsweise Jugendlichen in Rede stehen, ist jedoch aus verfassungsrechtlicher Sicht zu eng und undifferenziert. Sie übergeht das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Abwägung und berücksichtigt vorliegend zu wenig, dass die Bedeutung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung sowohl durch das "Öffentlichkeitsimage" der Kläger als auch durch die Einordnung ihres Verhaltens als Bagatelldelikt gemindert ist.
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Über Bundesverfassungsgericht:
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Seit seiner Gründung im Jahr 1951 hat das Gericht dazu beigetragen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ansehen und Wirkung zu verschaffen. Das gilt vor allem für die Durchsetzung der Grundrechte.
Zur Beachtung des Grundgesetzes sind alle staatlichen Stellen verpflichtet. Kommt es dabei zum Streit, kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Seine Entscheidung ist unanfechtbar. An seine Rechtsprechung sind alle übrigen Staatsorgane gebunden.
Die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts hat auch politische Wirkung. Das wird besonders deutlich, wenn das Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.
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