Zu den Folgen unwirksamer Preisanpassungsklauseln in Erdgas-Sonderkundenverträgen

  • Pressemitteilung der Firma Bundesgerichtshof (BGH), 14.03.2012
Pressemitteilung vom: 14.03.2012 von der Firma Bundesgerichtshof (BGH) aus Karlsruhe

Kurzfassung: Der Bundesgerichtshof hat heute zwei Entscheidung zu der Frage getroffen, welchen Preis der Kunde in einem Sonderkundenverhältnis für das entnommene Gas zu entrichten hat, wenn die im Vertrag enthaltene Preisanpassungsklausel unwirksam ist und der ...

[Bundesgerichtshof (BGH) - 14.03.2012] Zu den Folgen unwirksamer Preisanpassungsklauseln in Erdgas-Sonderkundenverträgen


Der Bundesgerichtshof hat heute zwei Entscheidung zu der Frage getroffen, welchen Preis der Kunde in einem Sonderkundenverhältnis für das entnommene Gas zu entrichten hat, wenn die im Vertrag enthaltene Preisanpassungsklausel unwirksam ist und der Kunde den Preiserhöhungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat.

In dem Verfahren VIII ZR 113/11 macht der Kläger gegen die Beklagte, ein regionales Gasversorgungsunternehmen, Rückzahlungsansprüche geltend. Der Kläger bezog aufgrund eines im Jahr 1981 geschlossenen Sonderkundenvertrages Gas von der Beklagten. Die Beklagte erhöhte in der Vergangenheit wiederholt die Arbeitspreise, mit welchen der Gasverbrauch abgerechnet wird, auf der Grundlage einer unwirksamen Preisanpassungsklausel. Der Kläger zahlte die geforderten erhöhten Entgelte, ohne den Preiserhöhungen zu widersprechen. Im Oktober 2008 wechselte er zu einem anderen Gasanbieter. Erstmals im Februar 2009 wandte er sich gegen die von der Beklagten während der Vertragslaufzeit vorgenommenen Preiserhöhungen und begehrte die Rückzahlung der von Januar 2006 bis September 2008 gezahlten Erhöhungsbeträge auf der Basis des bei Vertragsschluss im Jahre 1981 geltenden Arbeitspreises. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht ihr überwiegend stattgegeben.

In dem Verfahren VIII ZR 93/11 verlangt die Klägerin, ein Gasversorgungsunternehmen, von dem Beklagten, einem ehemaligen Sonderkunden, die Zahlung restlichen Entgelts für Gaslieferungen im Zeitraum Januar 2004 bis Februar 2008. Die Klägerin erhöhte seit Vertragsbeginn im Jahre 1998 mehrfach den Arbeitspreis auf der Grundlage einer ebenfalls unwirksamen Preisanpassungsklausel. Der Beklagte leistete bis Mitte 2005 die geforderten Abschlagszahlungen und wandte sich bis dahin auch nicht gegen die Jahresabrechnungen. Im Juli 2005 erhob er erstmalig Widerspruch und berief sich auf die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen. Danach behielt er erhebliche Rechnungsbeträge ein. Das Amtsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie auf die Berufung des Beklagten hin abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Revisionen der Energieversorger hatten in beiden Fällen Erfolg. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass in beiden Verfahren den jeweiligen Ansprüchen nicht, wie von den Berufungsgerichten angenommen, die bei dem jeweils viele Jahre zurückliegenden Vertragsschluss vereinbarten Arbeitspreise zugrunde gelegt werden können. Vielmehr ist die durch die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel in den Verträgen entstandene Regelungslücke im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB* in der Weise zu schließen, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhung, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat. Denn eine derartige Regelung hätten die Parteien bei einer Abwägung ihrer Interessen redlicherweise vereinbart, wenn sie bei Vertragsschluss bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der verwendeten Preisänderungsklausel jedenfalls unsicher war.

Der Senat hat die Verfahren an die Berufungsgerichte zurückverwiesen, damit die erforderlichen Feststellungen dazu getroffen werden können, wann den Kunden die einzelnen Jahresabrechnungen zugegangen sind und gegen welche Preiserhöhungen die jeweiligen Widersprüche daher noch rechtzeitig vor Ablauf von drei Jahren erhoben worden sind.

*§ 133 BGB: Auslegung einer Willenserklärung

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

*§ 157 BGB: Auslegung von Verträgen

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Urteil vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11

AG Wipperfürth - Urteil vom 12. Januar 2010 – 1 C 251/09

LG Köln - Urteil vom 16. März 2011 – 10 S 66/10

und

Urteil vom 14. März 2012 - VIII ZR 93/11

AG Hamburg-Bergedorf - Urteil vom 25. Mai 2010 – 410A C 205/09

LG Hamburg - Urteil vom 18. Februar 2011 - 320 S 129/10


Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

Über Bundesgerichtshof (BGH):
Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das oberste Gericht der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit, d.h. der Zivil- und Strafrechtspflege, die in den unteren Instanzen von den zur Zuständigkeit der Länder gehörenden Amts-, Land- und Oberlandesgerichten ausgeübt wird.
Im Anschluss an die Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 wurde am 1. Oktober 1950 der Bundesgerichtshof in Karlsruhe eingerichtet.
Der Bundesgerichtshof ist – bis auf wenige Ausnahmen – Revisionsgericht. Er hat vor allem die Sicherung der Rechtseinheit durch Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und die Fortbildung des Rechts zur Aufgabe.
Der Bundesgerichtshof ist in 12 Zivilsenate und fünf Strafsenate mit insgesamt 127 Richterinnen und Richtern aufgegliedert. Hinzu kommen acht Spezialsenate, nämlich die Senate für Landwirtschafts-, Anwalts-, Notar-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfer-, Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen, der Kartellsenat und das Dienstgericht des Bundes.

Firmenkontakt:
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

Die Pressemeldung "Zu den Folgen unwirksamer Preisanpassungsklauseln in Erdgas-Sonderkundenverträgen" unterliegt dem Urheberrecht der pressrelations GmbH. Jegliche Verwendung dieses Textes, auch auszugsweise, erfordert die vorherige schriftliche Erlaubnis des Autors. Autor der Pressemeldung "Zu den Folgen unwirksamer Preisanpassungsklauseln in Erdgas-Sonderkundenverträgen" ist Bundesgerichtshof (BGH).