Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Maßnahmen zur Aufarbeitung und Wiedergutmachung von Missständen in der Heimerziehung in Westdeutschland
- Pressemitteilung der Firma Bundesverfassungsgericht, 04.04.2012
Pressemitteilung vom: 04.04.2012 von der Firma Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe
Kurzfassung: Angestoßen durch Petitionen ehemaliger Heimkinder setzte der Deutsche Bundestag im Dezember 2008 einen Runden Tisch zur Aufarbeitung der Heimerziehung in Westdeutschland zwischen 1949 und 1975 ein. In seinem Abschlussbericht führt der Runde Tisch ...
[Bundesverfassungsgericht - 04.04.2012] Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Maßnahmen zur Aufarbeitung und Wiedergutmachung von Missständen in der Heimerziehung in Westdeutschland
Angestoßen durch Petitionen ehemaliger Heimkinder setzte der Deutsche Bundestag im Dezember 2008 einen Runden Tisch zur Aufarbeitung der Heimerziehung in Westdeutschland zwischen 1949 und 1975 ein. In seinem Abschlussbericht führt der Runde Tisch aus, es sei in westdeutschen Heimen "zu zahlreichen Rechtsverstößen gekommen [...], die auch nach damaliger Rechtslage und deren Auslegung nicht mit dem Gesetz und auch nicht mit pädagogischen Überzeugungen vereinbar waren." Im Rahmen des Runden Tisches und in der anschließenden parlamentarischen Auseinandersetzung wurde auch diskutiert, wegen des erlittenen Unrechts pauschalierte Entschädigungsansprüche für die ehemaligen Heimkinder zu schaffen. Dieser Vorschlag setzte sich nicht durch. Am 7. Juli 2011 beschloss der Deutsche Bundestag, im Rahmen einer Fonds-Lösung Hilfen zur Milderung der Folgeschäden der Heimerziehung in Westdeutschland zu gewähren, die größtenteils als Sachleistungen erbracht werden sollen.
Zur Umsetzung dieses Beschlusses errichteten der Bund, die westdeutschen Bundesländer und die evangelische und katholische Kirche einen Fonds "Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975", der ausschließlich für die Heimerziehung in Westdeutschland zuständig ist und der zum 1. Januar 2012 seine Arbeit aufgenommen hat.
Der Beschwerdeführer, der 1952 geboren und bereits als Säugling von seiner Mutter getrennt wurde, lebte bis 1966 in verschiedenen westdeutschen Kinderheimen. Er wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde unter anderem gegen den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 7. Juli 2011 und gegen verschiedene Regelungen zum Fonds Heimerziehung. Er sei während seiner Heimunterbringung zahlreichen Grundrechtsverstößen ausgesetzt gewesen und ist der Ansicht, die öffentliche Hand sei verfassungsrechtlich verpflichtet, wegen der Grundrechtsverletzungen, die ihm und anderen ehemaligen Heimkindern während ihrer Kindheit und Jugend zugefügt worden seien, finanzielle Entschädigungsleistungen zu gewähren.
Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die Verfassungsbeschwerde ist in weiten Teilen unzulässig. Sie ist insbesondere unzulässig, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Deutschen Bundestages richtet, keine zusätzlichen Entschädigungsansprüche für die ehemaligen Heimkinder zu schaffen.
Insoweit wahrt sie den Grundsatz der Subsidiarität des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht.
Das einfache Recht enthält bereits Entschädigungs- und insbesondere Staatshaftungsansprüche, die auch die vom Beschwerdeführer genannten Rechtsverletzungen erfassen, so dass möglicherweise bereits die Geltendmachung dieser bestehenden Ansprüche zu einer Entschädigung für die erlittenen Rechtsverletzungen geführt hätte. Erst auf der Grundlage der fachgerichtlich gesicherten Rechts- und Beweislage hätte das Bundesverfassungsgericht die weitreichende Frage der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit weiteren gesetzgeberischen Tätigwerdens sinnvoll überprüfen können.
Der Beschwerdeführer hat weder dargelegt, dass er erfolglos versucht habe, seine bereits bestehenden einfachrechtlichen Ansprüche gerichtlich durchzusetzen, noch ist ersichtlich, dass die Beschreitung des Rechtsweges hier von vornherein aussichtslos gewesen wäre. Zwar mag die Einschätzung des Runden Tisches zutreffen, dass viele Betroffene im Rahmen von Gerichtsverfahren konkrete Rechtsverstöße nur schwer nachweisen könnten. Das bestehende Recht ermöglicht es aber grundsätzlich, derartigen Beweisschwierigkeiten durch eine grundrechtskonforme Anwendung der Beweisregeln zu begegnen. So hätten die Fachgerichte berücksichtigen können, dass die Verantwortung für die Beweisschwierigkeiten bei der Gegenseite, den damals für die Kinder und Jugendlichen verantwortlichen Personen und Institutionen, liegen kann und dass sich die Kinder und Jugendlichen aufgrund ihrer Heimunterbringung und ihrer Minderjährigkeit in einer Situation besonderer Schutzlosigkeit und Ausgeliefertheit befanden, in der unmittelbarer Rechtsschutz nicht erreichbar war.
Im Übrigen sind die Regelungen zur Ausgestaltung des Fonds Heimerziehung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Kontakt:
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe
Postfach 1771, 76006 Karlsruhe
Telefonzentrale: 0721/9101-0
Fax: 0721/9101-382
Mail: bverfg@bundesverfassungsgericht.de
Angestoßen durch Petitionen ehemaliger Heimkinder setzte der Deutsche Bundestag im Dezember 2008 einen Runden Tisch zur Aufarbeitung der Heimerziehung in Westdeutschland zwischen 1949 und 1975 ein. In seinem Abschlussbericht führt der Runde Tisch aus, es sei in westdeutschen Heimen "zu zahlreichen Rechtsverstößen gekommen [...], die auch nach damaliger Rechtslage und deren Auslegung nicht mit dem Gesetz und auch nicht mit pädagogischen Überzeugungen vereinbar waren." Im Rahmen des Runden Tisches und in der anschließenden parlamentarischen Auseinandersetzung wurde auch diskutiert, wegen des erlittenen Unrechts pauschalierte Entschädigungsansprüche für die ehemaligen Heimkinder zu schaffen. Dieser Vorschlag setzte sich nicht durch. Am 7. Juli 2011 beschloss der Deutsche Bundestag, im Rahmen einer Fonds-Lösung Hilfen zur Milderung der Folgeschäden der Heimerziehung in Westdeutschland zu gewähren, die größtenteils als Sachleistungen erbracht werden sollen.
Zur Umsetzung dieses Beschlusses errichteten der Bund, die westdeutschen Bundesländer und die evangelische und katholische Kirche einen Fonds "Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975", der ausschließlich für die Heimerziehung in Westdeutschland zuständig ist und der zum 1. Januar 2012 seine Arbeit aufgenommen hat.
Der Beschwerdeführer, der 1952 geboren und bereits als Säugling von seiner Mutter getrennt wurde, lebte bis 1966 in verschiedenen westdeutschen Kinderheimen. Er wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde unter anderem gegen den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 7. Juli 2011 und gegen verschiedene Regelungen zum Fonds Heimerziehung. Er sei während seiner Heimunterbringung zahlreichen Grundrechtsverstößen ausgesetzt gewesen und ist der Ansicht, die öffentliche Hand sei verfassungsrechtlich verpflichtet, wegen der Grundrechtsverletzungen, die ihm und anderen ehemaligen Heimkindern während ihrer Kindheit und Jugend zugefügt worden seien, finanzielle Entschädigungsleistungen zu gewähren.
Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die Verfassungsbeschwerde ist in weiten Teilen unzulässig. Sie ist insbesondere unzulässig, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Deutschen Bundestages richtet, keine zusätzlichen Entschädigungsansprüche für die ehemaligen Heimkinder zu schaffen.
Insoweit wahrt sie den Grundsatz der Subsidiarität des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht.
Das einfache Recht enthält bereits Entschädigungs- und insbesondere Staatshaftungsansprüche, die auch die vom Beschwerdeführer genannten Rechtsverletzungen erfassen, so dass möglicherweise bereits die Geltendmachung dieser bestehenden Ansprüche zu einer Entschädigung für die erlittenen Rechtsverletzungen geführt hätte. Erst auf der Grundlage der fachgerichtlich gesicherten Rechts- und Beweislage hätte das Bundesverfassungsgericht die weitreichende Frage der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit weiteren gesetzgeberischen Tätigwerdens sinnvoll überprüfen können.
Der Beschwerdeführer hat weder dargelegt, dass er erfolglos versucht habe, seine bereits bestehenden einfachrechtlichen Ansprüche gerichtlich durchzusetzen, noch ist ersichtlich, dass die Beschreitung des Rechtsweges hier von vornherein aussichtslos gewesen wäre. Zwar mag die Einschätzung des Runden Tisches zutreffen, dass viele Betroffene im Rahmen von Gerichtsverfahren konkrete Rechtsverstöße nur schwer nachweisen könnten. Das bestehende Recht ermöglicht es aber grundsätzlich, derartigen Beweisschwierigkeiten durch eine grundrechtskonforme Anwendung der Beweisregeln zu begegnen. So hätten die Fachgerichte berücksichtigen können, dass die Verantwortung für die Beweisschwierigkeiten bei der Gegenseite, den damals für die Kinder und Jugendlichen verantwortlichen Personen und Institutionen, liegen kann und dass sich die Kinder und Jugendlichen aufgrund ihrer Heimunterbringung und ihrer Minderjährigkeit in einer Situation besonderer Schutzlosigkeit und Ausgeliefertheit befanden, in der unmittelbarer Rechtsschutz nicht erreichbar war.
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Über Bundesverfassungsgericht:
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Seit seiner Gründung im Jahr 1951 hat das Gericht dazu beigetragen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ansehen und Wirkung zu verschaffen. Das gilt vor allem für die Durchsetzung der Grundrechte.
Zur Beachtung des Grundgesetzes sind alle staatlichen Stellen verpflichtet. Kommt es dabei zum Streit, kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Seine Entscheidung ist unanfechtbar. An seine Rechtsprechung sind alle übrigen Staatsorgane gebunden.
Die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts hat auch politische Wirkung. Das wird besonders deutlich, wenn das Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.
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