Bundesgerichtshof bestimmt neue Verhandlungstermine in Klagen gegen englischen Lebensversicherer Clerical Medical

  • Pressemitteilung der Firma Bundesgerichtshof (BGH), 04.04.2012
Pressemitteilung vom: 04.04.2012 von der Firma Bundesgerichtshof (BGH) aus Karlsruhe

Kurzfassung: Nach der Terminsaufhebung im Revisionsverfahren IV ZR 269/10 (s. die Pressemitteilungen Nrn. 191/2011 und 019/2012) hat der für das Versicherungsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs nunmehr insgesamt fünf Verfahren, in denen ...

[Bundesgerichtshof (BGH) - 04.04.2012] Bundesgerichtshof bestimmt neue Verhandlungstermine in Klagen gegen englischen Lebensversicherer Clerical Medical


Nach der Terminsaufhebung im Revisionsverfahren IV ZR 269/10 (s. die Pressemitteilungen Nrn. 191/2011 und 019/2012) hat der für das Versicherungsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs nunmehr insgesamt fünf Verfahren, in denen Versicherungsnehmer Erfüllungs- und/oder Schadensersatzansprüche gegen die Clerical Investment Group Ltd. geltend machen, auf den 11. Juli 2012 terminiert.

Von diesen Verhandlungen ist eine erste Klärung von Rechtsfragen zu erwarten, die sich in annähernd tausend in Deutschland anhängigen Rechtsstreiten (davon bereits mehr als 40 beim Bundesgerichtshof) gegen den beklagten Versicherer stellen.

I.
Verhandlungstermin: 11. Juli 2012
IV ZR 122/11
Landgericht Heilbronn – Urteil vom 8. Juli 2010 – 4 O 280/09
Oberlandesgericht Stuttgart – Urteil vom 12. Mai 2011 – 7 U 144/10

und

IV ZR 151/11
Landgericht Heilbronn – Urteil vom 8. Juli 2010 – 4 O 284/09
Oberlandesgericht Stuttgart – Urteil vom 18. Juli 2011 – 7 U 146/10

und

IV ZR 164/11
Landgericht Heilbronn – Urteil vom 8. Juli 2010 – 4 O 222/09
Oberlandesgericht Stuttgart – Urteil vom 25. Juli 2011– 7 U 152/10

In den Verfahren IV ZR 151/11 und IV ZR 164/11 verfolgen die Kläger in erster Linie Schadensersatzansprüche wegen behaupteter fehlerhafter Beratung im Zusammenhang mit Abschlüssen von kreditfinanzierten Lebensversicherungsverträgen des Produkttyps "Wealthmaster Noble" in den Jahren 2001 und 2002. Hierbei handelt es sich um anteilsgebundene Lebensversicherungen gegen Zahlung eines Einmalbetrages, der in einen internen "Pool mit garantiertem Wertzuwachs", den "Euro-Pool 2000EINS" eingebracht wird. Die Verträge, die jeweils auf der Grundlage einer Beratung von "Untervermittlern" geschlossen wurden, sind eingebettet in ein Anlagemodell "Europlan"; dieses sieht vor, dass die Zinsen für das Bankdarlehen durch vertraglich bedungene Ausschüttungen aus der Lebensversicherung zu entrichten sind und im Übrigen durch einen Investmentfonds ein Kapitalstock gebildet wird, der bei Endfälligkeit des Bankdarlehens zu dessen Tilgung ausreicht, während weitere über diesen Zeitpunkt hinausreichende Auszahlungen den Versicherungsnehmern als fortlaufende Rente zur Verfügung stehen sollen.

Nachdem der Wertzuwachs der den Klägern zugeteilten Poolanteile in der Folgezeit nicht ausreichte, um die zunächst getätigten Auszahlungen in vollem Umfange zu decken, reduzierte die Beklagte unter Berufung auf ihre Versicherungsbedingungen die Anzahl der den Klägern zugewiesenen Anteile und damit den jährlich mitgeteilten Vertragswert. Im Hinblick hierauf sehen die Kläger die Gewährleistung zukünftiger nach dem Anlagemodell vorgesehener Auszahlungen gefährdet.

Sie berufen sich im Wesentlichen darauf, dass die Beklagte durch ihre "Masterdistributorin" und deren Untervermittler unter Hinweis auf in der Vergangenheit erzielte Gewinne mit höheren Renditeerwartungen habe werben lassen, die den aktuellen Gegebenheiten nicht entsprochen hätten. Die fehlerhafte Aufklärung durch die tätig gewordenen Vermittler sei der Beklagten zurechenbar.

Sie verlangen deshalb in erster Linie Ersatz des ihnen durch Abschluss der Verträge entstandenen Vertrauensschadens, insbesondere die Freistellung von den Verbindlichkeiten aus den abgeschlossenen Darlehensverträgen zwecks Finanzierung der Einlage von insgesamt 200.000 € im Verfahren IV ZR 151/11 und 75.000 € im Verfahren IV ZR 164/11. Hilfsweise begehren sie die Feststellung, dass die Beklagte zur Erfüllung des in den Versicherungsscheinen festgelegten Auszahlungsplans verpflichtet sei, weil das Leistungsversprechen der Beklagten insoweit in ihren Versicherungsbedingungen nicht wirksam eingeschränkt worden sei.

Im Verfahren IV ZR 122/11 verlangt der Kläger, der eine Einmalleistung von 100.000 € erbracht hat, bei im Wesentlichen gleicher Sachlage dagegen in erster Linie Leistung der im Versicherungsschein vorgesehenen regelmäßigen Auszahlungen und nur hilfsweise den Ersatz von Schäden aus Falschberatung, insbesondere die Freistellung von Darlehensverbindlichkeiten.

Die Beklagte wendet demgegenüber ein, dass es sich bei den vorgesehenen Auszahlungen nach den zum Vertragsinhalt gewordenen Versicherungsbedingungen um keine verbindlich zugesagten Zahlungen handele, diese vielmehr unter dem Vorbehalt der Werthaltigkeit der Anlage stünden, sie sich abweichende Erklärungen des Vermittlers nicht zurechnen lassen müsse sowie die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin verjährt seien.

In allen drei Verfahren hat das OLG Stuttgart als Berufungsgericht festgestellt, dass die Beklagte mangels wirksamer Einschränkung ihres im Versicherungsschein gegebenen Leistungsversprechens zur Erfüllung des festgelegten Auszahlungsplans verpflichtet sei. Die in den Verfahren IV ZR 151/11 und IV ZR 164/11 in erster Linie verfolgten Schadensersatzansprüche hat es im Hinblick auf diesen bestehenden Erfüllungsanspruch verneint. Dagegen richten sich die Revisionen der Beklagten und – soweit ihre Hauptanträge abgewiesen worden sind – die Revisionen der Kläger (in IV ZR 151/11 und IV ZR 164/11).

In diesen Verfahren wird der Bundesgerichtshof sich daher u.a. mit der Frage nach der wirksamen Einschränkung von im Versicherungsschein vorgesehenen Auszahlungen durch die Versicherungsbedingungen der Beklagten zu befassen haben.

II.
Verhandlungstermin: 11. Juli 2012
IV ZR 271/10
Landgericht Freiburg – Urteil vom 12. Juni 2009 – 5 O 354/07
Oberlandesgericht Karlsruhe in Freiburg – Urteil vom 18. November 2010 – 4 U 130/09

und

IV ZR 286/10
Landgericht Konstanz – Urteil vom 10. Juni 2009 – 4 O 89/08
Oberlandesgericht Karlsruhe in Freiburg – Urteil vom 30. November 2010 – 9 U 75/09

In den Verfahren IV ZR 271/10 und IV ZR 286/10 haben die Kläger ebenfalls unter Beteiligung von Untervermittlern in den Jahren 2001 und 2002 kreditfinanzierte Lebensversicherungen vom Typ "Wealthmaster Noble" abgeschlossen; sie verlangen jedoch ausschließlich Befreiung von eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten sowie Ersatz sonstiger Aufwendungen wie Kosten und Zinsen (so genanntes negatives Interesse), weil der Vermittler ihnen unzutreffende Renditen zugesichert und sie nicht hinreichend über Risiken der Anlage aufgeklärt habe.

In beiden Fällen hat das OLG Karlsruhe als Berufungsgericht die Klagen abgewiesen – im Fall IV ZR 271/10, weil die Beklagte mit einer Fremdfinanzierung der Einlage nicht habe rechnen müssen und ihr ein etwaiges Verschulden des Vermittlers nicht zuzurechnen sei, da dieser nicht in ihrem Pflichtenkreis tätig geworden sei; im Fall IV ZR 286/10, weil eine fehlerhafte Aufklärung hinsichtlich der zu erwartenden Rendite nicht bewiesen und ein etwaiger Anspruch der Klägerin jedenfalls verjährt sei.

Dagegen richten sich die Revisionen der Kläger. In diesen Verfahren wird der Bundesgerichtshof sich u.a. damit zu befassen haben, in welchem Umfang ein Versicherer beim Vertrieb von anteilsgebundenen Lebensversicherungen gegen Zahlung einer Einmalprämie Aufklärung über das angebotene Versicherungsprodukt schuldet, insbesondere ob die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Aufklärung über Kapitalanlagen auf derartige Versicherungsverträge anzuwenden sind, und ob das Verhalten des Vermittlers dem Versicherer zuzurechnen ist. Weiter wird es um die Frage gehen, wann und unter welchen Voraussetzungen eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Versicherungsnehmers von einer etwaigen Falschberatung anzunehmen ist, die Verjährungsfristen in Lauf setzt.


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