Rede von Staatsministerin Cornelia Pieper vor Studentinnen und Studenten der Staatlichen Universität Eriwan

  • Pressemitteilung der Firma Auswärtiges Amt, 19.04.2012
Pressemitteilung vom: 19.04.2012 von der Firma Auswärtiges Amt aus Berlin

Kurzfassung: -- es gilt das gesprochene Wort -- Sehr geehrte Damen und Herren, Armenien und Deutschland feiern in diesem Jahr das 20-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Dies gibt uns Anlass zu großer Freude. Mit seinem Besuch in Eriwan ...

[Auswärtiges Amt - 19.04.2012] Rede von Staatsministerin Cornelia Pieper vor Studentinnen und Studenten der Staatlichen Universität Eriwan


-- es gilt das gesprochene Wort --
Sehr geehrte Damen und Herren,

Armenien und Deutschland feiern in diesem Jahr das 20-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Dies gibt uns Anlass zu großer Freude. Mit seinem Besuch in Eriwan im letzten Monat hat Bundesaußenminister Westerwelle dieses Ereignis besonders gewürdigt. Auch mein Besuch in Eriwan steht in diesem Kontext.

Deutschland war eines der ersten Länder, das Armeniens Unabhängigkeit im Frühjahr 1992 anerkannt hat. Seit seiner Unabhängigkeit haben wir den Weg Armeniens eng und partnerschaftlich begleitet. Armenien hat auf diesem – betrachtet man die großen Linien der Geschichte – erst kurzen Weg bereits viel erreicht. Vieles bleibt zu tun. Seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990 wissen auch wir Deutschen, wie schwierig solche Aufbauprozesse sind. Ich freue mich, wie dicht und intensiv sich unsere Beziehungen entwickelt haben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Unsere Zusammenarbeit im Bereich der Justiz und Rechtsstaats-förderung, der wir große Bedeutung auch für die weitere Annäherung Armeniens an die EU beimessen, halte ich für beispielhaft.

Besonders am Herzen liegt uns die europäische Annäherung Armeniens, das seit 2009 Partnerland der Östlichen Partnerschaft der Europäischen Union ist. Vor zwei Jahren hat die EU Assoziierungsverhandlungen mit Armenien aufgenommen. Der erfolgreiche Abschluss wird ein Meilenstein in den Beziehungen der EU zu Armenien sein und deshalb freue ich mich, dass bereits 24 von 27 Kapiteln geschlossen werden konnten. Vor etwas mehr als einem Monat ist der Weg frei geworden für die Aufnahme von Verhandlungen über ein vertieftes und umfassendes Freihandelsabkommen mit der EU. Dies ist ein weiteres wichtiges Signal und ich ermutige Armenien, auf diesem Weg voranzuschreiten. Gerade Sie, die jungen Menschen, werden hiervon enorm profitieren. Klar ist: Wir teilen nicht nur viele Berührungspunkte in der Geschichte, sondern auch eine gemeinsame Zukunft.

Zur Annäherung an Europa gehören jedoch nicht nur wirtschaftliche Reformen. Europa ist viel mehr als nur ein Binnenmarkt, es ist eine Wertegemeinschaft, zu der wir uns gemeinsam bekennen. Viele Bestandteile machen diese Wertegemeinschaft aus: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und der Schutz der Menschenrechte. Auf dem Weg der EU-Annäherung erwarten wir von unseren Partnern, dass sie sich zu diesen Werten bekennen. Vor diesem Hintergrund halte ich die bevorstehenden Parlamentswahlen in Armenien am 6. Mai für außerordentlich wichtig. Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen im März 2008 begrüße ich das Bekenntnis des Präsidenten, freie und faire Wahlen zu gewährleisten. Gleiches gilt für die Einladung der armenischen Regierung an die OSZE, eine Wahlbeobachtermission zu entsenden. Auch der freien und pluralistischen Berichterstattung der Presse wird hier große Bedeutung zukommen.

Der europäische Einigungsprozess war alles andere als ein linearer Prozess, er war schmerzhaft und mit Rückschlagen behaftet. Ihm liegt eine sehr grundsätzliche Erwägung zu Grunde, die sich auch aus den schrecklichen Erfahrungen zweier Weltkriege auf dem europäischen Kontinent speist: Das Überwinden von Denken in nationalstaatlichen Kategorien und das Überwinden von Grenzen. Einer der Schlüssel war, nationalstaatliche Grenzen weniger relevant zu machen: durch Personenfreizügigkeit, freien Warenverkehr, aber auch gemeinsamen Institutionen bis hin zu einer gemeinsamen Währung.

Gleichzeitig ist Europa ein Friedensprojekt. Am Anfang der europäischen Integration stand deshalb auch die Aussöhnung. Denken Sie an die Erbfeindschaft, die Deutschland und Frankreich bis Mitte des letzten Jahrhunderts prägte. Durch einen intensiven und ehrlichen Prozess der Aussöhnung haben wir es geschafft, dass wir heute von einem deutsch-französischen Integrationsmotor sprechen. Gleiches gilt für die deutsch-polnische Aussöhnung, die angesichts der belasteten gemeinsamen Geschichte nicht minder schwierig war. Die erste Auslandsreise des neu gewählten Bundespräsidenten Joachim Gauck führte ihn Ende letzten Monats nach Warschau. Dies war ein Zeichen von hoher Symbolkraft.

Ich würde mir wünschen, dass auch die Staaten in dieser Region sich durch solche Erfahrungen ermutigt sehen, den Weg der Vermittlung und Aussöhnung zu gehen. Hierbei denke ich auch an die Annäherung zwischen Armenien und der Türkei. Es betrübt mich, dass die Züricher Protokolle von 2009, mit denen viele Hoffnungen verbunden waren, weiterhin nicht ratifiziert sind. Ich ermutige beide Seiten, in ihrem Bemühen um eine Aussöhnung und Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte nicht nachzulassen. Die Bundesregierung wird diesen Weg auch weiter nach Kräften unterstützen.

Die ungelösten Konflikte im Südkaukasus bedeuten nicht nur eine Gefahr für Frieden und Stabilität in der Region. Sie stehen auch einer prosperierenden Entwicklung aller drei Länder im Wege. Die Bundesregierung unterstützt deshalb die Bemühungen der Minsk-Gruppe der OSZE für eine friedliche Lösung des Konflikts um Bergkarabach, sieht die ausbleibenden Fortschritte aber ebenso mit Sorge wie die immer wieder vorkommenden Zwischenfälle an der Kontaktlinie. Es ist Zeit für mutige Schritte zur Konfliktlösung und zur Vertrauensbildung. Sie, die junge Generation, sind hierbei wichtige Brückenbauer.

Brücken bauen und Menschen, vor allem junge Menschen, zusammenbringen – das ist mir auch ein ganz persönliches Anliegen. Und es ist auch ein wichtiger Aspekt der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Sie bildet die kulturelle Dimension der deutschen Außenpolitik und ist einer ihrer Grundpfeiler.

Deutschlands Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist auf Gegenseitigkeit angelegt, auf Austausch und Kooperation. Sie soll dazu beitragen, dass sich Völker und Kulturen begegnen und sich kennenlernen, damit auf beiden Seiten Verständnis und Respekt für den jeweils anderen wachsen.

Für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland ist Bildung ein wichtiger Faktor und Kultur ein bedeutendes Exportgut. Das gilt aber auch für alle anderen Länder: Bildung entscheidet darüber, ob eine Gesellschaft langfristig erfolgreich sein kann. Wissenschaftliche Vergleiche zeigen: Für Unterschiede im Bruttoinlandsprodukt der Industrieländer ist die unterschiedliche Qualität der Bildung ausschlaggebend. Investitionen in Bildung sind deshalb Zukunftsinvestitionen. Wer im globalen Wettbewerb um das größte Innovationspotenzial bestehen will, muss daher den besten Köpfen mit den kreativsten Ideen die besten Bedingungen bieten. Vor dieser Aufgabe stehen heute alle Länder.

Als Konsequenz arbeiten wir zum Beispiel daran, einen grenzüberschreitenden europäischen Hochschulraum zu schaffen. Mit dem Bologna-Prozess wurden europäische Standards festgelegt, um den Herausforderungen des internationalen Wettbewerbs gewachsen zu sein. Mit der Umsetzung des Bologna-Prozesses überwinden wir Mobilitätshindernisse, die durch die Unterschiede der nationalen Studiensysteme entstehen. Wir arbeiten daran, die internationale Vernetzung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu erleichtern und zu intensivieren.

Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) unterstützt diesen Prozess in vielfältiger Weise. So ermöglichte er beispielsweise 2011 über 285 Armeniern einen Studienaufenthalt in Deutschland. Wir wollen, dass noch viel mehr von Ihnen nach Deutschland kommen, bei uns studieren und unser Land kennenlernen!

Aber auch wir wollen mehr über Armenien lernen. Deshalb hat die Universität Halle-Wittenberg 2010 einen Lehrstuhl in Armenologie gegründet. Schon zuvor verfügte die Universität Halle-Wittenberg mit dem 1998 eingerichteten MESROP-Zentrum über eine in ganz Deutschland einzigartige Einrichtung für armenologische Forschung und Lehre. Wir haben großen Respekt vor dem reichen kulturellen Erbe Armeniens, das weit über die Landesgrenzen hinaus prägend war.

Von unserer wissenschaftlichen Zusammenarbeit profitieren Studierende und Lehrende in Deutschland ebenso wie in Armenien. Unsere Programme konzentrieren sich aber nicht nur auf den Hochschulbereich: Mit der Initiative "Schulen: Partner der Zukunft" - kurz PASCH – vernetzen wir weltweit Schulen, die Deutsch unterrichten. In Armenien gehören mittlerweile vier Schulen zu diesem Netzwerk. Sie bekommen für ihren Deutschunterricht Unterstützung und Material aus Deutschland, für Lehrer und Schüler werden Fortbildungen und Sprachkurse angeboten.

Eine weitere Anlaufstelle für die deutsche Sprache und für Kultur aus Deutschland ist das neue Sprachlernzentrum des Goethe-Instituts in Eriwan, das Deutschkurse anbietet und Kontakte nach Deutschland ermöglicht. Vom kulturellen Austausch mit anderen Ländern hat Deutschland immer profitiert. Aus dieser Erfahrung heraus legen wir Wert auf globale Bildungspartnerschaften, um gemeinsam Bildungsangebote der Zukunft zu entwickeln. Denn um die globalen Herausforderungen von heute zu bestehen, müssen wir mit geteiltem Wissen zu gemeinsamen Lösungen kommen.

Der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hat einmal gesagt: "Deutsche auswärtige Kulturpolitik kann sich angesichts unserer geschichtlichen Erfahrung nur verstehen als Teil einer weltweiten, nach gleichberechtigter Partnerschaft strebenden Friedenspolitik." Das gilt auch in der globalisierten Welt von heute. Unsere Welt ist kleiner geworden. Krisen in vermeintlich entfernten Weltregionen können uns ganz unmittelbar betreffen. Neue, globale Herausforderungen wie der Klimawandel, der internationale Terrorismus oder Krisen auf den internationalen Finanzmärkten können wir nur gemeinsam bewältigen. Dazu müssen wir weltweit miteinander ins Gespräch kommen. Wichtig ist dabei eine gemeinsame Basis des Vertrauens. Vertrauen entsteht nicht von heute auf morgen. Es wächst langsam durch Wissen und positive Erfahrungen. Ziel der deutschen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist es, beides zu vermitteln. So werden Kontakte direkt zu de n Menschen in anderen Ländern geknüpft, so kann Trennendes überwunden werden. Auf diese Weise wird die Entwicklung stabiler und vertrauensvoller internationale Beziehungen gefördert, ein wichtiger Beitrag zu weltweitem Frieden und zum Aufbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Eine Besonderheit der deutschen auswärtigen Kulturpolitik ist ihre Struktur, die den beteiligten Organisationen ein großes Maß an Unabhängigkeit ermöglicht und auf ihre Eigenständigkeit Wert legt. So sind etwa das Goethe-Institut oder der DAAD zwar staatlich finanziert, aber keine staatlichen Organisationen. Sie arbeiten eigenverantwortlich und unabhängig. Das ist der Überzeugung geschuldet, dass Politik die Kultur nicht beeinflussen sollte. Sie hat vielmehr die Aufgabe, Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass sich kulturelle Vielfalt entwickeln kann.

Bildung ist ein erklärter Schwerpunkt der deutschen Bundesregierung. Und dieser Schwerpunkt der Bundesregierung drückt sich nicht nur in Haushaltszahlen aus, sondern er drückt sich auch darin aus, dass wir der Bildung Nachdruck und Gewicht verleihen, im Inland wie im Ausland. National wie international ist dies für uns die Schlüsselfrage überhaupt. Und es ist unsere Aufgabe, auch weltweit dafür zu sorgen, dass Bildung und Ausbildung, dass Forschung und Wissenschaft entsprechend gefördert werden und die nötige Unterstützung bekommen. Bildung beflügelt den Menschen. Der Nutzen von Bildung, von Wissenschaft und von Ausbildung darf nicht unterschätzt werden.

Zu einer umfassenden Bildung gehören auch Fremdsprachenkenntnisse. Englisch ist heute für fast jeden Beruf unverzichtbar und so weit verbreitet, dass Englischkenntnisse in der Regel keinen Wettbewerbsvorteil für Absolventen mehr darstellen. Mit einer zweiten oder gar dritten Fremdsprache heben sie sich aber von der Masse ab und bringen eine zusätzliche Qualifikation mit, die ihnen gleichzeitig den Zugang zu weiteren Ländern und das Verständnis für deren Kulturen erschließen. Bezogen auf Deutschland wissen diejenigen von Ihnen, die bereits Deutsch lernen, wovon ich spreche – den Rest kann ich nur ermuntern, die verschiedenen Angebote zu nutzen und Deutsch zu lernen: Sie können davon nur profitieren.

Bildung ist die wichtigste Ressource in Zeiten der Globalisierung. Sie ist der Schlüssel zu beruflichem Erfolg und ein entscheidender Türöffner auch jenseits der Arbeitswelt. Das sage ich zu Ihnen als junge Studentinnen und Studenten. Sie sind diejenigen, die die Zukunft Ihres Landes mitgestalten können. Diese Chance sollten Sie nutzen. Mit den Angeboten der deutschen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wollen wir Sie auch in Zukunft auf diesem Weg nach Kräften unterstützend begleiten.

Vielen Dank.


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