'Europas Weg aus der Krise: Wachstum durch Wettbewerbsfähigkeit' - Regierungserklärung Außenminister Westerwelles im Deutschen Bundestag
- Pressemitteilung der Firma Auswärtiges Amt, 11.05.2012
Pressemitteilung vom: 11.05.2012 von der Firma Auswärtiges Amt aus Berlin
Kurzfassung: 11.05.2012 -- es gilt das gesprochene Wort-- Sehr geehrte Damen und Herren, Europa befindet sich in einer Bewährungsprobe. Die Bundesregierung arbeitet hart dafür, diese Bewährungsprobe gemeinsam mit unseren europäischen Partnern zu meistern. ...
[Auswärtiges Amt - 11.05.2012] "Europas Weg aus der Krise: Wachstum durch Wettbewerbsfähigkeit" - Regierungserklärung Außenminister Westerwelles im Deutschen Bundestag
11.05.2012
-- es gilt das gesprochene Wort--
Sehr geehrte Damen und Herren,
Europa befindet sich in einer Bewährungsprobe. Die Bundesregierung arbeitet hart dafür, diese Bewährungsprobe gemeinsam mit unseren europäischen Partnern zu meistern. Wir wissen um die Verantwortung Deutschlands für Europa. Und wir wissen um die Verantwortung Europas in der Welt.
Europa ist in einer Prägephase. Das Bild Europas in der Welt wird jetzt nachhaltig geprägt. Das Bild Europas bei den Bürgerinnen und Bürgern wird jetzt nachhaltig geprägt. Aber auch das Bild Deutschlands in Europa wird jetzt geprägt auf viele, viele Jahre.
Wir haben es mit einer Staatsschuldenkrise zu tun. Die Schuldenstände einzelner Euro-Staaten sind so hoch, dass die Finanzmärkte die Frage stellen, ob diese Schuldenberge jemals wieder abgetragen werden können. Aus der Staatsschuldenkrise ist somit eine Vertrauenskrise geworden.
Um Vertrauen zurückzugewinnen müssen wir überzeugend darlegen, dass der Euroraum künftig ein Ort dauerhafter finanzieller Stabilität sein wird.
Dazu haben wir die richtigen Weichen gestellt: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt bekommt neue Autorität. Verstöße gegen den Stabilitätspakt werden in Zukunft früh und wirkungsvoll sanktioniert. Die Bundesregierung aus dem Jahr 2004 hat den Stabilitätspakt aufgeweicht. Diese Bundesregierung wird die Fehler von damals nicht wiederholen. Wir erwarten von der Regierung von damals, also von der heutigen Opposition, dass sie sich jetzt konstruktiv daran beteiligt, die Folgen des Fehlers von damals zu beseitigen.
Mit dem Fiskalpakt verpflichten sich die Regierungen in ganz Europa, nationale Schuldenbremsen einzuführen. Der Fiskalpakt trägt die Unterschrift von 25 Staats- und Regierungschefs. Drei Mitgliedstaaten haben den Fiskalpakt bereits ratifiziert, nämlich Portugal Slowenien und auch Griechenland. Irland führt am 31. Mai ein Referendum zum Fiskalpakt durch. In anderen Mitgliedstaaten ist das parlamentarische Verfahren eingeleitet.
Der Fiskalpakt ist beschlossen. Er gilt. Das Ende der Schuldenpolitik in Europa ist vereinbart. Dabei bleibt es.
Deutschland hat für diesen Kurs unermüdlich geworben und hart verhandelt. In Europa und international setzt sich Deutschland für ein Ende der Politik des Schuldenmachens ein. Es untergräbt die Glaubwürdigkeit unseres Landes, wenn einzelne Bundesländer in Deutschland ihre Schuldenpolitik trotzdem weiter fortsetzen wollen. Die Ursache der Krise waren zu hohe Staatsschulden. Die Folge waren Spekulationen. Gegen beides brauchen wir neue Regeln. Zu den richtigen Lehren aus der Krise gehört auch die bessere Regulierung der Finanzmärkte. Die Bundesregierung hat ungedeckte Leerverkäufe bereits im Mai 2010 dauerhaft verboten. Und wir sorgen für einen stabileren Bankensektor. Wir haben strengere Eigenkapitalvorschriften eingeführt. Mit der Bankenabgabe haben wir Risiko und Haftung wieder zusammengebracht.
Die eine Säule unserer Politik ist der Fiskalpakt für weniger Schulden. Die zweite Säule unserer Politik ist Wachstum durch mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Zu einer wachstumsorientierten Politik muss diese Bundesregierung niemand überreden. Ohne Schuldenabbau kein Vertrauen. Ohne Vertrauen keine Investitionen. Ohne Investitionen kein Wachstum. Ohne Wachstum keine Arbeitsplätze. Ohne Arbeitsplätze keine neuen Staatseinnahmen. Haushaltsdisziplin und Wachstum sind zwei Seiten derselben Medaille.
Die Bundesregierung hat sich seit Beginn der Staatsschuldenkrise neben der notwendigen Haushaltskonsolidierung konsequent für mehr Wachstum durch mehr Wettbewerbsfähigkeit in Europa eingesetzt. Bereits vor zwei Jahren wurde die neue Strategie für Beschäftigung und Wachstum "Europa 2020" beschlossen. Seither haben sich alle Europäischen Räte wie auch zahlreiche Allgemeine Räte und Fachräte mit den Themen Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung befasst, übrigens immer wieder auch auf deutsch-französische Initiative.
Auch der letzte Europäische Rat im März dieses Jahres betonte die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung wie auch der Förderung von Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung. Sowohl beim informellen Sonder- Rat am 23. Mai, wie auch beim Europäischen Rat im Juni steht das Thema Wachstum erneut auf der Tagesordnung.
Wachstum kann man nicht mit Schulden kaufen. Wettbewerbsfähigkeit ist der Schlüssel für mehr Wachstum. Und Wettbewerbsfähigkeit erlangt man durch Strukturreformen.
Gut zehn Jahre ist es her, da galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Heute ist Deutschland wieder Wachstumslokomotive in Europa. Heute ist Deutschland wieder global wettbewerbsfähig, die Arbeitslosigkeit sinkt, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist so niedrig wie sonst nirgendwo in Europa. Das ist der Lohn der Mühe unserer Bürgerinnen und Bürger und der Tarifparteien. Es ist auch das Ergebnis der neuen politischen Rahmenbedingungen durch die christlich-liberale Koalition. Und auch die Agenda 2010 hat die Grundlagen dafür gelegt, dass wir heute so gut dastehen.
Wir wissen um den schweren Weg, den viele Menschen in Europa derzeit gehen müssen. Dafür empfinden wir großen Respekt und höchste Anerkennung.
Angesichts einer zum Teil stark schrumpfenden Wirtschaft, angesichts hoher Arbeitslosigkeit, angesichts vor allem erschreckend hoher Jugendarbeitslosigkeit sind die jetzt angepackten Reformen die einzige nachhaltige Chance. Nur so können wir die wirtschaftliche und soziale Lage in den jeweiligen Mitgliedstaaten und überall in Europa zum Guten wenden.
Ein Wort zu Griechenland: Wir stehen zu unseren Hilfszusagen. Aber das bedeutet auch, dass die vereinbarten Reformen in Griechenland umgesetzt werden.
Wir wollen die Eurozone zusammenhalten. Die Zukunft Griechenlands in der Eurozone liegt nun in den Händen Griechenlands.
Wir wollen und werden Griechenland helfen. Aber Griechenland muss sich auch helfen lassen wollen. Wenn der verbindlich vereinbarte Reformweg verlassen werden sollte, dann ist die Auszahlung weiterer Hilfstranchen nicht mehr möglich.
Solidarität ist keine Einbahnstraße. Solidarität funktioniert nicht ohne Solidität.
Was vereinbart ist, muss gelten. Das ist die Haltung der Bundesregierung. Das ist die Haltung unserer europäischen Partner. Das ist die Haltung des Präsidenten der Europäischen Kommission. Und das ist die Haltung des Präsidenten des Europäischen Parlamentes.
Für neues Wachstum liegt die Verantwortung vor allem und zuerst bei den Mitgliedstaaten. Durch nationale Strukturreformen müssen die Mitgliedstaaten die Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen, die zwingend ist für neues Wachstum.
Hierzu gehört es beispielsweise, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen. Dazu zählt, die Arbeitsmärkte gerade für junge Menschen stärker zu öffnen und Schwarzarbeit abzubauen. Dazu bedarf es auch eines klaren Bekenntnisses zur Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung.
Auch auf europäischer Ebene wollen wir noch stärker auf Wachstum setzen. Ein europäischer Wachstumspakt muss folgende Punkte beinhalten:
1. Die Europäische Union darf nicht mehr ausgeben als bisher, aber sie muss ihre Mittel besser einsetzen als bisher. Geld ist durchaus vorhanden. Der Zukunftshaushalt der EU für die Jahre 2014 bis 2020 sieht ein Volumen von über einer Billion Euro vor. Aus diesem Haushaltsplan muss der politische Anspruch der Europäischen Union ablesbar sein, Zukunft zu gestalten und nicht Vergangenheit zu verwalten.
Wir brauchen neues Denken bei der Verwendung dieser Mittel. Es darf nicht mehr darum gehen, einfach möglichst viel Geld für die eigenen nationalen Steckenpferde zurückzuholen. Das führt am Ende zu Fehlentwicklungen wie europäisch geförderter Wellness-Oasen in Romantik-Hotels. Wir alle kennen solche absurden Beispiele aus unserem eigenen Land.
Strukturmittel, die die EU ausgibt, müssen zu mehr Wachstum und zu mehr Wettbewerbsfähigkeit in Europa beitragen. Das sind wir nicht nur denen schuldig, die auf unsere Solidarität angewiesen sind. Das schulden wir allen europäischen Steuerzahlern.
Die Bundesregierung hat in die laufenden Haushaltsverhandlungen in Brüssel einen Aktionsplan für "better spending" eingebracht. Gleichzeitig wollen wir, dass die Ausgaben stärker überwacht und an messbare Kriterien geknüpft werden. Mit dem Geld der europäischen Steuerzahler wollen wir gute Ergebnisse befördern statt Förderquoten zu erfüllen.
2. Aus den Struktur- und Kohäsionsfonds der laufenden Haushaltsperiode stehen noch knapp 80 Milliarden Euro zur Verfügung, die bis heute noch keinem konkreten Projekt zugeordnet sind.
Wir wollen, dass die Europäische Kommission diese Mittel nutzt und gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten jetzt schneller und wirkungsvoller in neues Wachstum durch bessere Wettbewerbsfähigkeit investiert.
3. Weil der Bankensektor unter der Last fauler Kredite leidet, klagen viele Unternehmen in Europa über eine Kreditklemme. Mit der Europäischen Investitionsbank verfügen wir über ein Instrument, das wir stärker und gezielter nutzen sollten. Wir wollen den Zugang gerade kleiner und mittelständischer Unternehmen zu Krediten verbessern und die Expertise der EIB besser nutzen.
4. Europas Straßen und Schienen, unsere Energieund Telekommunikationsnetze gehören zu den großen Trümpfen der europäischen Wirtschaft. Sie zu erhalten und zu verbessern, eröffnet neue Wachstumsperspektiven. Für den grenzüberschreitenden Ausbau der europäischen Infrastruktur muss mehr privates Kapital mobilisiert werden. Wir müssen hier auch innovative Wege von public private partnership ausloten.
5. Schon einmal, in den 80er und 90er Jahren, wurden durch die Verwirklichung der "vier Freiheiten" im europäischen Binnenmarkt enorme Wachstumskräfte freigesetzt. Heute bietet die Ausdehnung des Binnenmarkts auf neue Felder erneut große Chancen.
Das gilt für die digitalisierte Wirtschaft und den Internethandel.
Das betrifft den Energiesektor, wo mehr Wettbewerb zu niedrigeren Preisen und größerer Versorgungssicherheit für die Verbraucher führen wird.
Und das zielt auf die Stärkung von kleinen und mittleren Unternehmen durch den Abbau von Bürokratie, durch besseren Zugang zu Risikokapital und eine Modernisierung des europäischen Vergaberechtes.
6. Wir wollen den Freihandel stärken. Drei Viertel der Weltwirtschaft liegen außerhalb der EU, mehr als 80% des weltweiten Wachstums werden dort erwirtschaftet, vor allem in Asien sowie in Nord- und Südamerika.
Solange ein Abschluss der Doha-Runde für ein weltweites Freihandelssystem nicht erreichbar ist, muss die EU daran arbeiten, weitere Freihandelsabkommen mit den alten und neuen Kraftzentren der Welt abzuschließen.
Die Verhandlungen mit Kanada und Indien wollen wir zügig zum Abschluss bringen. Mit Singapur und Malaysia sind die Verhandlungen auf gutem Wege. Auf dem EU-ASEAN Außenministertreffen vor wenigen Tagen hat sich gezeigt, dass in der ganzen Region großes Interesse an Abkommen mit der EU besteht. Die Vorgespräche für die Aufnahme von Verhandlungen zwischen der EU und Japan stehen kurz vor ihrem Abschluss.
Gegenüber Partnern wie den Golfstaaten und Brasilien werben wir dafür, den Verhandlungen neue Impulse zu geben.
Mit den USA gibt es Vorgespräche und bereits erhebliche Vorarbeiten. Wir sind bereit zu einem umfassenden Abkommen mit unseren engsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten von Amerika.
Der Kurs der Bundesregierung bei der Bewältigung der Krise ist klar: Europa ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung des Problems. Es reicht nicht, aus der Krise nur finanz- und wirtschaftspolitische Konsequenzen zu ziehen. So wichtig die auch sind. Wir müssen strukturelle Antworten geben. Die EU muss handlungsfähiger und effizienter werden.
Wir haben eine Zukunftsgruppe ins Leben gerufen, in der wir institutionelle Verbesserungen diskutieren, die auch unterhalb von Vertragsänderungen umgesetzt werden können.
Die große historische Frage ist, ob die Fliehkräfte, die in der Krise auf Europa wirken, größer sind als die politische Kraft des Zusammenhalts. Es gibt Renationalisierungstendenzen, die mich besorgen.
Die Reisefreiheit gehört zu den kostbarsten europäischen Errungenschaften. Sie zu bewahren und zu verteidigen, ist ein Kernanliegen der Bundesregierung. Wer anfängt, Europa stückweise aufzugeben, der wird es am Ende ganz verlieren.
Deutschland ist in Europa relativ groß. In der Welt ist Deutschland relativ klein. Wir brauchen unsere europäischen Partner.
Gefragt ist der ökonomische, politische und kulturelle Selbstbehauptungswillen von uns Europäern.
Europa ist eine Wertegemeinschaft. Deshalb schweigen wir nicht, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft unsere gemeinsamen Werte verletzt werden. Wir stehen an der Seite der Unterdrückten in Weißrussland.
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind Grundpfeiler unserer europäischen Werteordnung.
Ohne sie kann es keine weitere Annäherung an die EU geben. Das gilt auch für die Ukraine.
Wir setzen uns dafür ein, dass Frau Timoschenko eine angemessene medizinische und rechtstaatliche Behandlung erhält. Uns geht es aber auch um das Schicksal der anderen Häftlinge aus der Opposition in der Ukraine.
Es gibt ein europäisches Lebensmodell, auf das wir stolz sein können. Dazu gehört, dass Freiheit und Sicherheit in Balance gehalten werden. Dass der Einzelne etwas zählt und nicht nur das Kollektiv.
Dass wir nicht nur materielle sondern auch postmaterielle Werte schätzen, nämlich individuelle Freiheit, soziale Sicherheit, Freiheit von Angst, kulturelle Vielfalt und eine lebenswerte Umwelt.
In der Globalisierung müssen wir dieses Lebensmodell gemeinsam verteidigen. Wir wollen, dass sich Europa behauptet.
Die deutsch-französische Freundschaft ist für den Erfolg Europas unverzichtbar. Wir gratulieren dem neu gewählten französischen Präsidenten François Hollande. Wir werden bewährt und eng mit der neuen französischen Regierung zusammenarbeiten und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern die Lösung der Probleme anpacken. Wir danken dem scheidenden Präsidenten Frankreichs, Nicolas Sarkozy, für die freundschaftliche Zusammenarbeit der letzten Jahre. Und erlauben Sie mir, dass ich in diesen Dank auch Außenminister Alain Juppe und die anderen Kabinettskollegen einschließe.
Wir kämpfen für Europa mit Pragmatismus und Weitsicht, mit Verstand und Herz.
Unser Auftrag ist bereits in der Präambel des Grundgesetzes festgelegt: "In einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt dienen." Europa ist die Antwort auf das dunkelste Kapitel unserer Geschichte. Europa ist die Antwort des Friedens auf Jahrhunderte der Kriege. Noch mehr aber ist Europa unsere Zukunft. Europa ist unser Schicksal und unsere Leidenschaft.
Auswärtiges Amt
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11.05.2012
-- es gilt das gesprochene Wort--
Sehr geehrte Damen und Herren,
Europa befindet sich in einer Bewährungsprobe. Die Bundesregierung arbeitet hart dafür, diese Bewährungsprobe gemeinsam mit unseren europäischen Partnern zu meistern. Wir wissen um die Verantwortung Deutschlands für Europa. Und wir wissen um die Verantwortung Europas in der Welt.
Europa ist in einer Prägephase. Das Bild Europas in der Welt wird jetzt nachhaltig geprägt. Das Bild Europas bei den Bürgerinnen und Bürgern wird jetzt nachhaltig geprägt. Aber auch das Bild Deutschlands in Europa wird jetzt geprägt auf viele, viele Jahre.
Wir haben es mit einer Staatsschuldenkrise zu tun. Die Schuldenstände einzelner Euro-Staaten sind so hoch, dass die Finanzmärkte die Frage stellen, ob diese Schuldenberge jemals wieder abgetragen werden können. Aus der Staatsschuldenkrise ist somit eine Vertrauenskrise geworden.
Um Vertrauen zurückzugewinnen müssen wir überzeugend darlegen, dass der Euroraum künftig ein Ort dauerhafter finanzieller Stabilität sein wird.
Dazu haben wir die richtigen Weichen gestellt: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt bekommt neue Autorität. Verstöße gegen den Stabilitätspakt werden in Zukunft früh und wirkungsvoll sanktioniert. Die Bundesregierung aus dem Jahr 2004 hat den Stabilitätspakt aufgeweicht. Diese Bundesregierung wird die Fehler von damals nicht wiederholen. Wir erwarten von der Regierung von damals, also von der heutigen Opposition, dass sie sich jetzt konstruktiv daran beteiligt, die Folgen des Fehlers von damals zu beseitigen.
Mit dem Fiskalpakt verpflichten sich die Regierungen in ganz Europa, nationale Schuldenbremsen einzuführen. Der Fiskalpakt trägt die Unterschrift von 25 Staats- und Regierungschefs. Drei Mitgliedstaaten haben den Fiskalpakt bereits ratifiziert, nämlich Portugal Slowenien und auch Griechenland. Irland führt am 31. Mai ein Referendum zum Fiskalpakt durch. In anderen Mitgliedstaaten ist das parlamentarische Verfahren eingeleitet.
Der Fiskalpakt ist beschlossen. Er gilt. Das Ende der Schuldenpolitik in Europa ist vereinbart. Dabei bleibt es.
Deutschland hat für diesen Kurs unermüdlich geworben und hart verhandelt. In Europa und international setzt sich Deutschland für ein Ende der Politik des Schuldenmachens ein. Es untergräbt die Glaubwürdigkeit unseres Landes, wenn einzelne Bundesländer in Deutschland ihre Schuldenpolitik trotzdem weiter fortsetzen wollen. Die Ursache der Krise waren zu hohe Staatsschulden. Die Folge waren Spekulationen. Gegen beides brauchen wir neue Regeln. Zu den richtigen Lehren aus der Krise gehört auch die bessere Regulierung der Finanzmärkte. Die Bundesregierung hat ungedeckte Leerverkäufe bereits im Mai 2010 dauerhaft verboten. Und wir sorgen für einen stabileren Bankensektor. Wir haben strengere Eigenkapitalvorschriften eingeführt. Mit der Bankenabgabe haben wir Risiko und Haftung wieder zusammengebracht.
Die eine Säule unserer Politik ist der Fiskalpakt für weniger Schulden. Die zweite Säule unserer Politik ist Wachstum durch mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Zu einer wachstumsorientierten Politik muss diese Bundesregierung niemand überreden. Ohne Schuldenabbau kein Vertrauen. Ohne Vertrauen keine Investitionen. Ohne Investitionen kein Wachstum. Ohne Wachstum keine Arbeitsplätze. Ohne Arbeitsplätze keine neuen Staatseinnahmen. Haushaltsdisziplin und Wachstum sind zwei Seiten derselben Medaille.
Die Bundesregierung hat sich seit Beginn der Staatsschuldenkrise neben der notwendigen Haushaltskonsolidierung konsequent für mehr Wachstum durch mehr Wettbewerbsfähigkeit in Europa eingesetzt. Bereits vor zwei Jahren wurde die neue Strategie für Beschäftigung und Wachstum "Europa 2020" beschlossen. Seither haben sich alle Europäischen Räte wie auch zahlreiche Allgemeine Räte und Fachräte mit den Themen Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung befasst, übrigens immer wieder auch auf deutsch-französische Initiative.
Auch der letzte Europäische Rat im März dieses Jahres betonte die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung wie auch der Förderung von Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung. Sowohl beim informellen Sonder- Rat am 23. Mai, wie auch beim Europäischen Rat im Juni steht das Thema Wachstum erneut auf der Tagesordnung.
Wachstum kann man nicht mit Schulden kaufen. Wettbewerbsfähigkeit ist der Schlüssel für mehr Wachstum. Und Wettbewerbsfähigkeit erlangt man durch Strukturreformen.
Gut zehn Jahre ist es her, da galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Heute ist Deutschland wieder Wachstumslokomotive in Europa. Heute ist Deutschland wieder global wettbewerbsfähig, die Arbeitslosigkeit sinkt, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist so niedrig wie sonst nirgendwo in Europa. Das ist der Lohn der Mühe unserer Bürgerinnen und Bürger und der Tarifparteien. Es ist auch das Ergebnis der neuen politischen Rahmenbedingungen durch die christlich-liberale Koalition. Und auch die Agenda 2010 hat die Grundlagen dafür gelegt, dass wir heute so gut dastehen.
Wir wissen um den schweren Weg, den viele Menschen in Europa derzeit gehen müssen. Dafür empfinden wir großen Respekt und höchste Anerkennung.
Angesichts einer zum Teil stark schrumpfenden Wirtschaft, angesichts hoher Arbeitslosigkeit, angesichts vor allem erschreckend hoher Jugendarbeitslosigkeit sind die jetzt angepackten Reformen die einzige nachhaltige Chance. Nur so können wir die wirtschaftliche und soziale Lage in den jeweiligen Mitgliedstaaten und überall in Europa zum Guten wenden.
Ein Wort zu Griechenland: Wir stehen zu unseren Hilfszusagen. Aber das bedeutet auch, dass die vereinbarten Reformen in Griechenland umgesetzt werden.
Wir wollen die Eurozone zusammenhalten. Die Zukunft Griechenlands in der Eurozone liegt nun in den Händen Griechenlands.
Wir wollen und werden Griechenland helfen. Aber Griechenland muss sich auch helfen lassen wollen. Wenn der verbindlich vereinbarte Reformweg verlassen werden sollte, dann ist die Auszahlung weiterer Hilfstranchen nicht mehr möglich.
Solidarität ist keine Einbahnstraße. Solidarität funktioniert nicht ohne Solidität.
Was vereinbart ist, muss gelten. Das ist die Haltung der Bundesregierung. Das ist die Haltung unserer europäischen Partner. Das ist die Haltung des Präsidenten der Europäischen Kommission. Und das ist die Haltung des Präsidenten des Europäischen Parlamentes.
Für neues Wachstum liegt die Verantwortung vor allem und zuerst bei den Mitgliedstaaten. Durch nationale Strukturreformen müssen die Mitgliedstaaten die Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen, die zwingend ist für neues Wachstum.
Hierzu gehört es beispielsweise, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen. Dazu zählt, die Arbeitsmärkte gerade für junge Menschen stärker zu öffnen und Schwarzarbeit abzubauen. Dazu bedarf es auch eines klaren Bekenntnisses zur Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung.
Auch auf europäischer Ebene wollen wir noch stärker auf Wachstum setzen. Ein europäischer Wachstumspakt muss folgende Punkte beinhalten:
1. Die Europäische Union darf nicht mehr ausgeben als bisher, aber sie muss ihre Mittel besser einsetzen als bisher. Geld ist durchaus vorhanden. Der Zukunftshaushalt der EU für die Jahre 2014 bis 2020 sieht ein Volumen von über einer Billion Euro vor. Aus diesem Haushaltsplan muss der politische Anspruch der Europäischen Union ablesbar sein, Zukunft zu gestalten und nicht Vergangenheit zu verwalten.
Wir brauchen neues Denken bei der Verwendung dieser Mittel. Es darf nicht mehr darum gehen, einfach möglichst viel Geld für die eigenen nationalen Steckenpferde zurückzuholen. Das führt am Ende zu Fehlentwicklungen wie europäisch geförderter Wellness-Oasen in Romantik-Hotels. Wir alle kennen solche absurden Beispiele aus unserem eigenen Land.
Strukturmittel, die die EU ausgibt, müssen zu mehr Wachstum und zu mehr Wettbewerbsfähigkeit in Europa beitragen. Das sind wir nicht nur denen schuldig, die auf unsere Solidarität angewiesen sind. Das schulden wir allen europäischen Steuerzahlern.
Die Bundesregierung hat in die laufenden Haushaltsverhandlungen in Brüssel einen Aktionsplan für "better spending" eingebracht. Gleichzeitig wollen wir, dass die Ausgaben stärker überwacht und an messbare Kriterien geknüpft werden. Mit dem Geld der europäischen Steuerzahler wollen wir gute Ergebnisse befördern statt Förderquoten zu erfüllen.
2. Aus den Struktur- und Kohäsionsfonds der laufenden Haushaltsperiode stehen noch knapp 80 Milliarden Euro zur Verfügung, die bis heute noch keinem konkreten Projekt zugeordnet sind.
Wir wollen, dass die Europäische Kommission diese Mittel nutzt und gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten jetzt schneller und wirkungsvoller in neues Wachstum durch bessere Wettbewerbsfähigkeit investiert.
3. Weil der Bankensektor unter der Last fauler Kredite leidet, klagen viele Unternehmen in Europa über eine Kreditklemme. Mit der Europäischen Investitionsbank verfügen wir über ein Instrument, das wir stärker und gezielter nutzen sollten. Wir wollen den Zugang gerade kleiner und mittelständischer Unternehmen zu Krediten verbessern und die Expertise der EIB besser nutzen.
4. Europas Straßen und Schienen, unsere Energieund Telekommunikationsnetze gehören zu den großen Trümpfen der europäischen Wirtschaft. Sie zu erhalten und zu verbessern, eröffnet neue Wachstumsperspektiven. Für den grenzüberschreitenden Ausbau der europäischen Infrastruktur muss mehr privates Kapital mobilisiert werden. Wir müssen hier auch innovative Wege von public private partnership ausloten.
5. Schon einmal, in den 80er und 90er Jahren, wurden durch die Verwirklichung der "vier Freiheiten" im europäischen Binnenmarkt enorme Wachstumskräfte freigesetzt. Heute bietet die Ausdehnung des Binnenmarkts auf neue Felder erneut große Chancen.
Das gilt für die digitalisierte Wirtschaft und den Internethandel.
Das betrifft den Energiesektor, wo mehr Wettbewerb zu niedrigeren Preisen und größerer Versorgungssicherheit für die Verbraucher führen wird.
Und das zielt auf die Stärkung von kleinen und mittleren Unternehmen durch den Abbau von Bürokratie, durch besseren Zugang zu Risikokapital und eine Modernisierung des europäischen Vergaberechtes.
6. Wir wollen den Freihandel stärken. Drei Viertel der Weltwirtschaft liegen außerhalb der EU, mehr als 80% des weltweiten Wachstums werden dort erwirtschaftet, vor allem in Asien sowie in Nord- und Südamerika.
Solange ein Abschluss der Doha-Runde für ein weltweites Freihandelssystem nicht erreichbar ist, muss die EU daran arbeiten, weitere Freihandelsabkommen mit den alten und neuen Kraftzentren der Welt abzuschließen.
Die Verhandlungen mit Kanada und Indien wollen wir zügig zum Abschluss bringen. Mit Singapur und Malaysia sind die Verhandlungen auf gutem Wege. Auf dem EU-ASEAN Außenministertreffen vor wenigen Tagen hat sich gezeigt, dass in der ganzen Region großes Interesse an Abkommen mit der EU besteht. Die Vorgespräche für die Aufnahme von Verhandlungen zwischen der EU und Japan stehen kurz vor ihrem Abschluss.
Gegenüber Partnern wie den Golfstaaten und Brasilien werben wir dafür, den Verhandlungen neue Impulse zu geben.
Mit den USA gibt es Vorgespräche und bereits erhebliche Vorarbeiten. Wir sind bereit zu einem umfassenden Abkommen mit unseren engsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten von Amerika.
Der Kurs der Bundesregierung bei der Bewältigung der Krise ist klar: Europa ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung des Problems. Es reicht nicht, aus der Krise nur finanz- und wirtschaftspolitische Konsequenzen zu ziehen. So wichtig die auch sind. Wir müssen strukturelle Antworten geben. Die EU muss handlungsfähiger und effizienter werden.
Wir haben eine Zukunftsgruppe ins Leben gerufen, in der wir institutionelle Verbesserungen diskutieren, die auch unterhalb von Vertragsänderungen umgesetzt werden können.
Die große historische Frage ist, ob die Fliehkräfte, die in der Krise auf Europa wirken, größer sind als die politische Kraft des Zusammenhalts. Es gibt Renationalisierungstendenzen, die mich besorgen.
Die Reisefreiheit gehört zu den kostbarsten europäischen Errungenschaften. Sie zu bewahren und zu verteidigen, ist ein Kernanliegen der Bundesregierung. Wer anfängt, Europa stückweise aufzugeben, der wird es am Ende ganz verlieren.
Deutschland ist in Europa relativ groß. In der Welt ist Deutschland relativ klein. Wir brauchen unsere europäischen Partner.
Gefragt ist der ökonomische, politische und kulturelle Selbstbehauptungswillen von uns Europäern.
Europa ist eine Wertegemeinschaft. Deshalb schweigen wir nicht, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft unsere gemeinsamen Werte verletzt werden. Wir stehen an der Seite der Unterdrückten in Weißrussland.
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind Grundpfeiler unserer europäischen Werteordnung.
Ohne sie kann es keine weitere Annäherung an die EU geben. Das gilt auch für die Ukraine.
Wir setzen uns dafür ein, dass Frau Timoschenko eine angemessene medizinische und rechtstaatliche Behandlung erhält. Uns geht es aber auch um das Schicksal der anderen Häftlinge aus der Opposition in der Ukraine.
Es gibt ein europäisches Lebensmodell, auf das wir stolz sein können. Dazu gehört, dass Freiheit und Sicherheit in Balance gehalten werden. Dass der Einzelne etwas zählt und nicht nur das Kollektiv.
Dass wir nicht nur materielle sondern auch postmaterielle Werte schätzen, nämlich individuelle Freiheit, soziale Sicherheit, Freiheit von Angst, kulturelle Vielfalt und eine lebenswerte Umwelt.
In der Globalisierung müssen wir dieses Lebensmodell gemeinsam verteidigen. Wir wollen, dass sich Europa behauptet.
Die deutsch-französische Freundschaft ist für den Erfolg Europas unverzichtbar. Wir gratulieren dem neu gewählten französischen Präsidenten François Hollande. Wir werden bewährt und eng mit der neuen französischen Regierung zusammenarbeiten und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern die Lösung der Probleme anpacken. Wir danken dem scheidenden Präsidenten Frankreichs, Nicolas Sarkozy, für die freundschaftliche Zusammenarbeit der letzten Jahre. Und erlauben Sie mir, dass ich in diesen Dank auch Außenminister Alain Juppe und die anderen Kabinettskollegen einschließe.
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