Rede von Staatssekretär Braun beim 29. Forum Globale Fragen "Rio+20 – Können Umbau der Nachhaltigkeitsinstitutionen und Ökologisierung der Wirtschaft

  • Pressemitteilung der Firma Auswärtiges Amt, 18.05.2012
Pressemitteilung vom: 18.05.2012 von der Firma Auswärtiges Amt aus Berlin

Kurzfassung: 16.05.2012 -- es gilt das gesprochene Wort -- Sehr geehrter Herr Professor von Weizsäcker, Sehr geehrter Herr Pasztor, Exzellenzen, Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Liebe Gäste, ich begrüße Sie sehr herzlich zum 29. Forum Globale ...

[Auswärtiges Amt - 18.05.2012] Rede von Staatssekretär Braun beim 29. Forum Globale Fragen "Rio+20 – Können Umbau der Nachhaltigkeitsinstitutionen und Ökologisierung der Wirtschaft gelingen?"


16.05.2012
-- es gilt das gesprochene Wort --
Sehr geehrter Herr Professor von Weizsäcker,
Sehr geehrter Herr Pasztor,
Exzellenzen,
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
Liebe Gäste,
ich begrüße Sie sehr herzlich zum 29. Forum Globale Fragen im Auswärtigen Amt. Das Forum Globale Fragen besteht seit 1999. Mit dieser Forumsreihe leistet das AA einen Beitrag zur Debatte um Fragen von globaler Bedeutung – jenseits des häufig kurz getakteten außenpolitischen Tagesgeschäfts. Das Thema dieses Forums "Umbau der Nachhaltigkeitsinstitutionen und Ökologisierung der Wirtschaft" ist ein gutes Beispiel dafür.
In fünf Wochen wird in Rio de Janeiro die Konferenz der Vereinten Nationen über Nachhaltige Entwicklung – kurz "Rio+20" – eröffnet. An diese Konferenz richten sich hohe Erwartungen. Es geht darum, Weichenstellungen für Wohlstand und Wachstum zu vereinbaren, die auch für künftige Generationen Bestand haben. Zahlreiche Vorschläge und Konzepte liegen auf dem Verhandlungstisch – wir möchten Ihnen heute Gelegenheit geben, einige davon kennenzulernen und mit Experten zu diskutieren. Allen Referenten und Panelisten dieses Forums ein herzliches Dankeschön für ihre Bereitschaft zur Teilnahme.
Die Grundlagen für die heutige Diskussion wurden, wie Sie wissen, vor 20 Jahren beim sogenannten "Earth Summit" über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro gelegt. Das damals geprägte Leitbild der nachhaltigen Entwicklung bildet seitdem die Grundlage für eine umwelt- und entwicklungspolitische Zusammenarbeit, die die wirtschaftliche, soziale und ökologische Dimension gleichwertig berücksichtigt. Themen, die zur Zeit der ersten Rio-Konferenz teilweise noch wie Zukunftsmusik anmuteten, rücken heute mehr und mehr in das Zentrum der Außenpolitik: Nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, sichere und umweltgerechte Energie- und Rohstoffversorgung, Nahrungssicherheit, die Herausforderungen des Klimawandels, globale Gesundheitsfragen und Maßnahmen der Katastrophenvorsorge.
Die Beschlüsse von 1992 haben die internationale umwelt- und entwicklungspolitische Diskussion entscheidend beeinflusst: Die Agenda 21, die 27 Prinzipien der Rio-Erklärung, die UN-Klimarahmenkonvention, die UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung, um nur einige zu nennen – all diese Dokumente haben das Bewusstsein der internationalen Gemeinschaft für die mit der Globalisierung einhergehenden Probleme geschärft.
Rio 1992 hat zudem deutlich gezeigt, dass staatliche Akteure allein diese Herausforderungen nicht schultern können, sondern dass wir dazu auch die nichtstaatlichen Akteure benötigen – zuvorderst die Zivilgesellschaft und – ebenso wichtig – die Mitwirkung der privaten Wirtschaft, der Unternehmen und der Unternehmer.
Warum brauchen wir 20 Jahre nach dem Erdgipfel in Rio und zehn Jahre nach dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg eine weitere hochrangige und teure Weltkonferenz zu diesem Thema? Fest steht, dass viele der damaligen Entscheidungen noch nicht ausreichend umgesetzt wurden. In manchen Bereichen haben sich funktionierende internationale Regime herausgebildet, wie etwa die jährlichen Konferenzen zur VN-Klimarahmenkonvention. Dennoch liegen die Erwartungen der Entwicklungs- und der Umweltakteure nach wie vor weit auseinander.
Ein Grund dafür ist sicher, dass die bestehenden internationalen Institutionen im Entwicklungs- und Umweltbereich das Prinzip der gleichzeitigen Integration und Verwirklichung der drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung – nämlich der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension - noch nicht angemessen verwirklicht haben. Ich sage optimistisch: noch nicht.
Rio+20 gibt uns die Gelegenheit, das Gefüge der VN-Institutionen im Bereich der Nachhaltigen Entwicklung effizienter und durchsetzungsstärker zu gestalten. Die besondere Legitimation der Vereinten Nationen ist hier essentiell. Nur die Vereinten Nationen können als multilaterales Forum, als Koordinator und Katalysator der politischen Bewusstseinsbildung, als operativer Akteur wie auch als Verhandlungsplatz für die internationale Normsetzung Fortschritte auf dem Weg zu einer nachhaltigen und grünen Wirtschaft ermöglichen.
Richtig ist aber auch: Die Schwäche der Strukturen der Vereinten Nationen im Nachhaltigkeitsbereich ist seit langem bekannt. Sie hat historische Ursachen: den relativ starken und ausdifferenzierten Strukturen z.B. im Entwicklungsbereich, bei Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs-, Frauen- und Menschenrechtsthemen wurde nach dem Erdgipfel von Rio eine "Kommission für Nachhaltigkeitsfragen" gegenübergestellt.
Heute müssen wir bei nüchterner Betrachtung feststellen: Die Nachhaltigkeitskommission ist den an sie gestellten Anforderungen nicht gerecht geworden. Wir brauchen eine schlagkräftigere Nachhaltigkeitsstruktur. Eine Struktur, die auch größeres politisches Gewicht hat. Neben dem Dialog der Fachminister muss sie auch regelmäßige Beratungen der Staats- und Regierungschefs zu Nachhaltigkeitsthemen vorsehen. Dabei sind operative Instrumente, wie zum Beispiel ein Überprüfungsverfahren, notwendig, um die Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda entscheidend voranzubringen. Deutschland hat sich daher für eine ambitionierte Reform und damit für die Einrichtung eines Nachhaltigkeitsrats der Vereinten Nationen ausgesprochen.
Auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, UNEP, muss schlagkräftiger und durchsetzungsfähiger werden. Es fehlt an Mechanismen für eine hochrangige Beschlussfassung und an einer stabilen langfristigen Finanzierung. Dringend notwendig ist zudem eine effektive Koordinierung der verschiedenen Umweltabkommen. Gemeinsam mit unseren EU-Partnern haben wir uns daher für die Rio+20-Konferenz zum Ziel gesetzt, eine Aufwertung von UNEP zu einer Umweltsonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Nairobi zu erreichen.
Durch die Stärkung der Nachhaltigkeitsstrukturen wollen wir die Vereinten Nationen in die Lage versetzen, Antworten auf die großen Zukunftsfragen zu finden: Wie können wir für alle einen guten Lebensstandard sichern – im Rahmen der begrenzten natürlichen Ressourcen? Wie können wir wirtschaftliches Wachstum, soziale Gerechtigkeit und ökologische Verantwortung verbinden? Wie errichten wir eine kohlenstoffarme globale Wirtschaft, ohne wirtschaftliches Wachstum zu hemmen? Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise, einer stetig wachsenden Weltbevölkerung und immer öfter auftretenden extremen Naturphänomenen wie Überschwemmungen, Dürren und Tropenstürmen stellen sich diese Frage mit noch größerer Dringlichkeit.
Umweltschutz und Ressourceneffizienz dürfen dabei nicht als Einschränkungen für unsere Volkswirtschaften gesehen werden. Hier geht es nicht um Verzicht. Nachhaltigkeit und die Transformation hin zu kohlenstoffarmer Wirtschaft bieten auch neue Wachstumschancen für Industrie und Handel.
Dies unterstreicht sehr anschaulich der jüngst veröffentlichte Bericht der Weltbank über grünes Wachstum. Wir in Deutschland sind ein gutes Beispiel dafür, dass eine "grüne" Wirtschaft auch wirtschaftliche und soziale Vorteile bringen kann: Umwelttechnologien sind inzwischen ein wesentlicher Wirtschaftssektor in Deutschland, in dem immer mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Bereits heute werden mit Umwelttechnologien über 10 % des deutschen BIP erwirtschaftet, bis zum Jahr 2014 wird mit einer Erhöhung auf 14% gerechnet. Im Bereich Erneuerbare Energien, den wir mit öffentlichen Mitteln unterstützen, sind seit 2004 rund 370.000 neue Arbeitsplätze entstanden.
Rio+20 ist eine große Chance für die internationale Gemeinschaft, aber auch eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Es gilt, diese Gelegenheit zu nutzen, um bei den genannten Themen einen deutlichen Schritt voran zu kommen. Denn noch stärker als vor 20 Jahren wissen wir heute: Uns bleibt nicht mehr viel Zeit für viele Weichenstellungen. Von Rio muss das Signal ausgehen: Die internationale Gemeinschaft ist bereit zu handeln!
Ich freue mich, dass unser Angebot, im Vorfeld der Rio+20-Konferenz zu einem Meinungsaustausch im Auswärtigen Amt zusammen zu kommen, wieder auf so große Resonanz gestoßen ist. Ich danke den Vortragenden, dass sie zu uns gekommen sind und ihr Wissen und ihre Erfahrung mit uns teilen. Mit Spannung erwarten wir Ihren Eröffnungsvortrag, lieber Herr Professor von Weizsäcker. Danach wird Janos Pasztor, der Exekutivsekretär des High Level Panel zu Nachhaltiger Entwicklung der VN die Empfehlungen des Panels vorstellen. Zunächst gebe ich aber das Wort an den Vertreter des Gastlandes der Konferenz, Herrn Everton Vieira Vargas, den Botschafter Brasiliens in Deutschland.
Vielen Dank!


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