Tourismus und Kulturelle Bildung

  • Pressemitteilung der Firma Stiftung Universität Hildesheim, 07.08.2012
Pressemitteilung vom: 07.08.2012 von der Firma Stiftung Universität Hildesheim aus Hildesheim

Kurzfassung: Urlaubssaison – eine gute Zeit für Kunst und Kultur? Ein Interview mit Prof. Dr. Birgit Mandel, Professorin für Kulturvermittlung und Kulturmanagement an der Universität Hildesheim Frau Prof. Mandel, die Urlaubssaison startet – eine gute ...

[Stiftung Universität Hildesheim - 07.08.2012] Tourismus und Kulturelle Bildung


Urlaubssaison – eine gute Zeit für Kunst und Kultur?

Ein Interview mit Prof. Dr. Birgit Mandel, Professorin für Kulturvermittlung und Kulturmanagement an der Universität Hildesheim Frau Prof. Mandel, die Urlaubssaison startet – eine gute Zeit für Kultur und Kunst?

Auf jeden Fall werden wieder viele Menschen Städte besichtigen, sich mit Architektur beschäftigen, Open Air Konzerte besuchen, Museen stürmen. Darunter auch viele, die im Alltag keinen Zugang zu Kunst haben.

Die Verbindung von Tourismus und Kultureller Bildung wird bislang unterschätzt.

Wo liegen Chancen für Kulturelle und Interkulturelle Bildung auf Reisen und was ist derzeit "gängige Praxis"?

Auf touristischen Reisen sind Menschen sehr offen für neue kulturelle und interkulturelle Erfahrungen. Reisen regen per se dazu an, ästhetische und kulturelle Unterschiede wahrzunehmen und zwar mit positivem Interesse. Die meisten Touristen haben keine spezifischen kulturellen Interessen und Vorerfahrungen, sie haben sich nicht speziell vorbereitet, sie haben zunächst keine eigenen Fragen an die kulturellen Sehenswürdigkeiten, die ihnen unterwegs begegnen.

Urlaubszeit und dann noch Bildung – will man nicht eher "abschalten"?

Die weit überwiegende Mehrzahl der Touristen gehört zu den sogenannten Gelegenheits- Kulturtouristen. Nur eine sehr kleine Gruppe gehört zu den spezifisch Kulturinteressierten, die ihren Urlaub auf Kunst und Kultur konzentrieren und die auch zu Hause zu den Kernkulturnutzern gehören. Für die Gelegenheits-Kulturtouristen ist der Urlaub häufig die einzige Zeit, wo sie mit Kunst und Kultur in Berührung kommen. Kultur soll jedoch nicht als Anstrengung und Lernprogramm wahrgenommen werden, sondern möglichst verbunden mit der Natur, und Architektur und mit der Gastronomie eines Landes oder einer Region.

Touristen interessieren sich durchaus für die Hintergründe einer kulturellen Attraktion, einer Schlossanlage, einer Ausstellung, eines Musikkonzertes, für kulturelle Rituale. Sie wollen mehr darüber erfahren – aber nicht im Sinne einer gezielten (Weiter-) Bildung, sondern eingebettet in ein schönes, sinnhaftes, nicht nur kognitives, sondern auch emotional erfahrenes Gesamterlebnis.

Fußt das kulturelle Sightseeing denn auf ehrlichem Kulturinteresse, oder will man nur einmal die Mona Lisa gesehen, die Akropolis, die Pyramiden besucht haben?

Konzentrieren sich Touristen eher auf kulturelle Highlights?

Das "Sehenswürdige" ist durch die massenmediale Verbreitung (u.a. in Reiseführern) stark normiert, so dass man als Tourist natürlich auch die bekanntesten Highlights mit eigenen Augen sehen möchte. Man sieht nur was man weiß und was man nicht kennt, kann man sich nicht wünschen.

Kulturelles Sightseeing ist einerseits eine Konvention, die zum Reisen selbstverständlich dazu gehört. Sightseeing gibt der Urlaubsreise, vor allem bei den stark zunehmenden Städtereisen, eine Struktur, muss aber noch nicht eigenes Interesse beinhalten.

Sightseeing wird dann zur kulturellen Bildung, wenn mit den kulturellen Sehenswürdigkeiten eigene Fragen verknüpft werden, wenn diese persönlich angeeignet und reflektiert werden. Damit bislang nicht kunstaffine Touristen zu solchen bewussten Reflexionsprozessen angeregt werden, reichen die herkömmlichen schriftlichen Reiseführer als meist genutztes Vermittlungsmedium oft nicht aus, das zeigen empirische Studien, die wir durchgeführt haben. Viel mehr braucht es personaler Kulturvermittler, die Konzentrationspunkte schaffen, die (neue) Fragen stellen an eine kulturelle Sehenswürdigkeit oder Veranstaltung, die neue Perspektiven aufzeigen, die zur Kommunikation über die Relevanz von Kunst und Kultur für das eigene Leben anregen und evtl. sogar eigene bewusst gestaltende ästhetische Aneignung animieren, z.B. durch Fotografieren.

Wer sind denn die Kulturvermittler auf Reisen?

Reiseleiter, Stadtführer, Museumsführer, Animateure spielen eine zentrale Rolle, damit kulturelle Bildungsprozesse im Tourismus angeregt werden können. Aktuell ist leider auch im Tourismus kulturelle Bildung vor allem ein Privileg der besser verdienenden und meist höher gebildeten Touristen. Während hochpreisige Veranstalter wie Studiosus oder Vamos Eltern-Kinder Reisen bereits hervorragende kulturelle und interkulturelle Vermittlungsarbeit leisten und ihre Vermittler sehr aufwendig für diese Aufgabe qualifizieren, gibt es bei den großen, preiswerten massentouristischen Veranstaltern derzeit weder qualifizierte Vermittler noch ein Bewusstsein für die Chance, die Urlaubszeit auch für neue kulturelle Anregungen nutzen zu können.

Was muss sich ändern, damit Kulturelle und Interkulturelle Bildung auf Reisen einen angemessenen Platz einnimmt?

Man muss die großen Reise-Veranstalter überzeugen, dass reflektierte professionelle Kulturvermittlung, die kulturelle Bildungsprozesse bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen anregt, zwar kurzfristig kostenintensiver ist, weil man Profis besser bezahlen muss, dass sich diese Investition langfristig jedoch auszahlt. Nicht nur weil man damit gesellschaftliche Verantwortung unter Beweis stellt, sondern auch, weil die Zufriedenheit der Gäste mit ihrem Urlaub sehr viel größer sein wird, wenn sie für sich neue, bleibende kulturelle Erfahrungen machen konnten, die auch im Alltag bereichernd nachwirken.

Auf der anderen Seite müssen sich die klassischen Kultureinrichtungen für den (Massen-)Tourismus öffnen, indem sie mit Vermittlungs- und Serviceangeboten auch bislang nicht kunsterfahrene Menschen berücksichtigen. Wie das alles konkret aussehen kann, dazu gibt es in dem Buch eine Fülle von Beispielen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Kontakt:

Prof. Dr. Birgit Mandel
Institut für Kulturpolitik der Stiftung Universität Hildesheim
Tel.: 05121-883-623 (Pressestelle 883-102 oder 0177.860.5905)
E-Mail: birgit.mandel@gmx.de

Zur Person:

Birgit Mandel ist Professorin für Kulturvermittlung und Kulturmanagement an der Universität Hildesheim. Sie hat vielfältige Studien und Publikationen zu den Themen Kulturvermittlung, Kulturnutzerforschung, Audience Development durchgeführt und ist Herausgeberin der Forschungsplattform kulturvermittlung-online.de.

Neuerscheinung:

Birgit Mandel: Tourismus und Kulturelle Bildung.
Potentiale, Voraussetzungen, Praxisbeispiele und empirische Erkenntnisse.
München 2012

Rezensionsexemplare sind zu beziehen über den Kopäd Verlag München:
kopaed, Pfälzer-Wald-Str. 64, 81539 München (info@kopaed.de, 089.688 900 98)

Zitat aus dem Buch "Tourismus und Kulturelle Bildung":

"Der Tourismus in seiner Massenhaftigkeit hat das Potential, den Umgang mit Kunst und Kultur zu popularisieren und dabei auch das in Deutschland vorherrschende Image von Kultur als Hochkultur, die nur für eine kleine Elite von Bedeutung ist, zu erweitern. Kunst und Kultur im Tourismus sind eingebettet in einen weiten Kulturbegriff, der auch Lebensformen und alltägliche kulturelle Ausdrucksformen beinhaltet und damit vielschichtige Zugangsmöglichkeiten bietet. Der Tourismus als kulturelles Lernfeld könnte zeigen, dass Kultur in ihren vielfältigen Auftrittsformen, von den kulturhistorischen Denkmälern über zeitgenössische Kunstformen bis zu alltagskulturellen Formen, von hoher Relevanz ist, dass Kultur die Fähigkeit hat, Gesellschaften zu reflektieren und zu bereichern, interkulturelle Unterschiede verständlich zu machen, Kommunikation zu stiften und Lebensqualität jedes einzelnen zu erhöhen.

Es gibt in den verschiedensten Reiseformen Ansätze qualitativ hochwertiger Kulturvermittlung, die Möglichkeiten für nachhaltige kulturelle Bildungsprozesse bereitstellen. Es fehlt jedoch bislang an Bewusstsein dafür, dass Kulturelle Bildung und kulturelle Kompetenz überhaupt ein Ziel touristischer Reisen sein können, und es fehlt an einer systematischen Betrachtung und Etablierung dieses Themas.

Tourismusunternehmen nutzen kulturelle Angebote bislang als zusätzliche Attraktionen für den Tourismus, ohne damit aber bestimmte Qualitätsansprüche zu verbinden. Diese könnten ermutigt werden, sich auf dem Feld der Kulturvermittlung zu engagieren durch die positiven Beispiele derjenigen Unternehmen, die gerade durch ihre qualitativ hochwertigen Kulturvermittlungsangebote am Mark erfolgreich sind.

(Öffentliche) Kulturinstitutionen wiederum nutzen den Tourismus derzeit als zusätzlichen Absatzmarkt ohne touristischen Besuchern ein wirkliches Interesse an den Inhalten und einen Bedarf an einer qualitätsvollen Vermittlung zuzutrauen. Sie sollten die Chance sehen, ihrem Bildungsauftrag gerade auch da gerecht zu werden, wo sie von Menschen ohne spezifisches Kulturinteresse und Vorerfahrungen besucht werden, um diesen einen guten Einstieg in kulturelle Welten zu ermöglichen".

(S. 179)


Isa Lange
Pressesprecherin
Stiftung
Universität Hildesheim
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