06.11.2012 08:29 Uhr in Energie & Umwelt und in Gesellschaft & Familie von Wildtierschutz Deutschland e.V.
Winzer jammern: Millionenschäden durch Wildtiere?
Minderprofit von 0,2 Prozent - Die Jagd macht alles noch schlimmerKurzfassung: In den letzten Wochen kursierten wieder einmal Meldungen, wonach Wildtiere - insbesondere Wildschweine - angeblich hohe Schäden im Weinbau anrichten. Wildtierschutz Deutschland hat recherchiert und kommt zu dem Ergebnis, dass die Ertragseinbuße gerade einmal 20 Cent pro 100 Euro beträgt und die Jagd alles noch schlimmer macht.
[Wildtierschutz Deutschland e.V. - 06.11.2012] Mal sind es die Landwirte, heute wieder einmal die Winzer: man befürchte in den Weinlagen Wildschäden in Millionenhöhe! Die Anzahl der Wildschweine und damit einhergehende Schäden seien viel zu hoch. Die Jagd werde ihrer Aufgabe der Bestandsregulierung nicht gerecht.
"Was ist das für ein Szenario, welches da Jahr für Jahr an die Wand gemalt wird?" Diese Frage stellt sich Lovis Kauertz von Wildtierschutz Deutschland. Die Probleme seien Großteils hausgemacht, die Schäden viel geringer als Lobbyisten uns das weißmachen wollen und Lösungsansätze gebe es ebenfalls.
Es geht um einen Minderprofit von 0,2 Prozent
Doch eines nach dem anderen: Fällt eine Wildschweinrotte in einen Wingert ein, so kann das ganz empfindliche finanzielle Schäden nach sich ziehen. Mitunter ist die Arbeit eines ganzen Jahres dahin. Was für den einzelnen Winzer eine Katastrophe ist, muss man allerdings relativieren. Beispiel Rheinland-Pfalz: der Weinbau befürchtet für 2012 Schäden in Millionenhöhe - sagen wir mal 2 Millionen Euro. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn die Schäden werden nicht zentral erfasst. In Rheinland-Pfalz werden ca. zwei Drittel des deutschen Weines produziert. Das entspricht in 2012 einer Menge von etwa 6 Millionen Hektolitern. Bei einem Preis von durchschnittlich EUR 200 pro Hektoliter hat der rheinland-pfälzische Jahresproduktion einen Wert von 1,2 Milliarden Euro. Die durch Wildschweine erwarteten Schäden betragen demnach im größten deutschen Weinanbaugebiet weniger als 0,2 % der Produktion.
Um es etwas zugespitzt zu formulieren: Für eine potentielle Ertragssteigerung von gerade einmal 20 Cent auf 100 Euro müssen in Rheinland-Pfalz jedes Jahr etwa 60.000 Wildschweine sterben - und das unter zum Teil tierschutzwidrigen Bedingungen. Und selbst die 20 Cent Profitsteigerung können nicht einmal annäherungsweise erreicht werden. Denn die Jagd auf Wildschweine ist trotz aller Intensivierungsbemühungen der letzten Jahre vollkommen ineffizient, was auch die Anzahl der erlegten Tiere veranschaulicht: in den 1980er Jahren wurden in Deutschland durch die Jagd pro Jahr bis zu 240.000 Wildschweine (in Rheinland-Pfalz bis zu 25.000) getötet, in der darauffolgenden Dekade bis über 400.000 (RP 40.000) und in den 2000er Jahren wurde erstmals die Marke von 600.000 Tieren (RP 80.000) überschritten - Tendenz weiter steigend.
Mehr Jagd - mehr Wildschweine
Die gefühlte Zunahme der Wildschweinbestände - genaue Bestandszahlen gibt es nicht, Wildschweine lassen sich nicht zählen - hat verschiedene Gründe. Die wohl bedeutendsten sind das Nahrungsangebot und die Jagd selbst. Die Tiere finden leichter Nahrung, weil die Natur möglicherweise aufgrund klimatischer Veränderungen mehr hergibt, weil die landwirtschaftlichen Strukturen reichhaltiges Futter bieten und last but not least, weil Jäger durch ganzjähriges Zufüttern (zu einem großen Teil illegal - aber eben nicht kontrolliert) und das Anfüttern zur Jagd signifikant dazu beitragen. Durch die gute Ernährung wird eine höhere Reproduktion der Wildtiere und eine geringere Sterblichkeit gefördert.
Wildschweine haben untereinander eine starkes Sozialgefüge, welches in einem unbejagten Bestand dafür sorgt, dass es nicht zu unkontrollierter Vermehrung kommt. Genau diese soziale Ordnung aber wird durch die Jagd, wie sie in Deutschland betrieben wird, auf den Kopf gestellt. Eine Langzeitstudie, die 2009 im renommierten Journal of Animal Ecology erschienen ist, kommt zu den Schluss, dass in wenig bejagten Gebieten die Geburtenzahlen der Wildschweine viel geringer sind, als in intensiv bejagten Revieren.
Es gibt Lösungsansätze
"Ich sehe diverse Ansatzpunkte, die Situation zu entschärfen, sowohl aus Sicht der Winzer wie aus der der Jäger und der Tierschützer," erläutert Kauertz. Ein Lösungsansatz sei die Änderung der Regelung von Entschädigungsleistungen für betroffene Winzer. Heute werde der Jagdpächter zur Entschädigung herangezogen, auch hier mit der möglichen Konsequenz eines "Totalschadens". Die Erstattung der Kosten durch einen Wildschadensfond, gespeist mit relativ kleinen Beträgen aus der gesamten Winzerschaft könnte dazu beitragen, den Weinbauern einen wesentlichen Teil des Verlustrisikos zu nehmen und die Jäger aus der Verantwortung dafür zu entlassen.
Ein wesentlicher Gesichtspunkt wäre des Weiteren die Einschränkung der teilweise ganzjährigen Jagd auf drei bis vier Monate im Jahr. Ebenso sei das Verbot von häufig tierschutzwidrigen Bewegungsjagden mit Dutzenden von Jägern, Hunden und Treibern erforderlich. Damit wäre auch dem Tierschutz gedient. Insgesamt würden weniger Tiere während der Jagd nur verletzt werden und das Wild in seiner Gesamtheit würde weniger Störungen ausgesetzt. Die durch eine intensive Jagd provozierte Reproduktion könne gebremst werden. Auch auf die Anzahl der Verkehrsunfälle mit Wildbeteiligung würde sich eine weniger intensive Jagd möglicherweise positiv auswirken können. Wanderbewegungen werden häufig durch die Jagd verursacht, sei es, dass Tiere auf der Flucht sind oder sei es, dass leergeschossene Reviere neu besetzt werden.
Kauertz ist sich sicher, dass mittelfristig daraus keine Explosion des Wildschweinbestandes resultiere. Die Bestände würden sich vielmehr stabilisieren oder sogar zurückgehen. In Problemzonen, zum Beispiel in den Grüngürteln der Städte, könne man darüber hinaus über Schwarzkittel-Empfängnisverhütung nachdenken. Schließlich seien die EU-zugelassenen Impfstoffe dazu aus der Ferkelzucht vorhanden. Der Vorsitzende des Vereins Wildtierschutz Deutschland sieht auch Vorteile für die Jägerschaft. Erfolgsdruck und Schadenrisiko würden genommen, durch die Verabschiedung von der Jagd als Bestandsregulativ könne dieses Thema nicht mehr am Image der Jäger nagen und eine 8-monatige Jagdruhe steigere schließlich die Vorfreude auf die Jagd im Herbst des Jahres.
"Was ist das für ein Szenario, welches da Jahr für Jahr an die Wand gemalt wird?" Diese Frage stellt sich Lovis Kauertz von Wildtierschutz Deutschland. Die Probleme seien Großteils hausgemacht, die Schäden viel geringer als Lobbyisten uns das weißmachen wollen und Lösungsansätze gebe es ebenfalls.
Es geht um einen Minderprofit von 0,2 Prozent
Doch eines nach dem anderen: Fällt eine Wildschweinrotte in einen Wingert ein, so kann das ganz empfindliche finanzielle Schäden nach sich ziehen. Mitunter ist die Arbeit eines ganzen Jahres dahin. Was für den einzelnen Winzer eine Katastrophe ist, muss man allerdings relativieren. Beispiel Rheinland-Pfalz: der Weinbau befürchtet für 2012 Schäden in Millionenhöhe - sagen wir mal 2 Millionen Euro. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn die Schäden werden nicht zentral erfasst. In Rheinland-Pfalz werden ca. zwei Drittel des deutschen Weines produziert. Das entspricht in 2012 einer Menge von etwa 6 Millionen Hektolitern. Bei einem Preis von durchschnittlich EUR 200 pro Hektoliter hat der rheinland-pfälzische Jahresproduktion einen Wert von 1,2 Milliarden Euro. Die durch Wildschweine erwarteten Schäden betragen demnach im größten deutschen Weinanbaugebiet weniger als 0,2 % der Produktion.
Um es etwas zugespitzt zu formulieren: Für eine potentielle Ertragssteigerung von gerade einmal 20 Cent auf 100 Euro müssen in Rheinland-Pfalz jedes Jahr etwa 60.000 Wildschweine sterben - und das unter zum Teil tierschutzwidrigen Bedingungen. Und selbst die 20 Cent Profitsteigerung können nicht einmal annäherungsweise erreicht werden. Denn die Jagd auf Wildschweine ist trotz aller Intensivierungsbemühungen der letzten Jahre vollkommen ineffizient, was auch die Anzahl der erlegten Tiere veranschaulicht: in den 1980er Jahren wurden in Deutschland durch die Jagd pro Jahr bis zu 240.000 Wildschweine (in Rheinland-Pfalz bis zu 25.000) getötet, in der darauffolgenden Dekade bis über 400.000 (RP 40.000) und in den 2000er Jahren wurde erstmals die Marke von 600.000 Tieren (RP 80.000) überschritten - Tendenz weiter steigend.
Mehr Jagd - mehr Wildschweine
Die gefühlte Zunahme der Wildschweinbestände - genaue Bestandszahlen gibt es nicht, Wildschweine lassen sich nicht zählen - hat verschiedene Gründe. Die wohl bedeutendsten sind das Nahrungsangebot und die Jagd selbst. Die Tiere finden leichter Nahrung, weil die Natur möglicherweise aufgrund klimatischer Veränderungen mehr hergibt, weil die landwirtschaftlichen Strukturen reichhaltiges Futter bieten und last but not least, weil Jäger durch ganzjähriges Zufüttern (zu einem großen Teil illegal - aber eben nicht kontrolliert) und das Anfüttern zur Jagd signifikant dazu beitragen. Durch die gute Ernährung wird eine höhere Reproduktion der Wildtiere und eine geringere Sterblichkeit gefördert.
Wildschweine haben untereinander eine starkes Sozialgefüge, welches in einem unbejagten Bestand dafür sorgt, dass es nicht zu unkontrollierter Vermehrung kommt. Genau diese soziale Ordnung aber wird durch die Jagd, wie sie in Deutschland betrieben wird, auf den Kopf gestellt. Eine Langzeitstudie, die 2009 im renommierten Journal of Animal Ecology erschienen ist, kommt zu den Schluss, dass in wenig bejagten Gebieten die Geburtenzahlen der Wildschweine viel geringer sind, als in intensiv bejagten Revieren.
Es gibt Lösungsansätze
"Ich sehe diverse Ansatzpunkte, die Situation zu entschärfen, sowohl aus Sicht der Winzer wie aus der der Jäger und der Tierschützer," erläutert Kauertz. Ein Lösungsansatz sei die Änderung der Regelung von Entschädigungsleistungen für betroffene Winzer. Heute werde der Jagdpächter zur Entschädigung herangezogen, auch hier mit der möglichen Konsequenz eines "Totalschadens". Die Erstattung der Kosten durch einen Wildschadensfond, gespeist mit relativ kleinen Beträgen aus der gesamten Winzerschaft könnte dazu beitragen, den Weinbauern einen wesentlichen Teil des Verlustrisikos zu nehmen und die Jäger aus der Verantwortung dafür zu entlassen.
Ein wesentlicher Gesichtspunkt wäre des Weiteren die Einschränkung der teilweise ganzjährigen Jagd auf drei bis vier Monate im Jahr. Ebenso sei das Verbot von häufig tierschutzwidrigen Bewegungsjagden mit Dutzenden von Jägern, Hunden und Treibern erforderlich. Damit wäre auch dem Tierschutz gedient. Insgesamt würden weniger Tiere während der Jagd nur verletzt werden und das Wild in seiner Gesamtheit würde weniger Störungen ausgesetzt. Die durch eine intensive Jagd provozierte Reproduktion könne gebremst werden. Auch auf die Anzahl der Verkehrsunfälle mit Wildbeteiligung würde sich eine weniger intensive Jagd möglicherweise positiv auswirken können. Wanderbewegungen werden häufig durch die Jagd verursacht, sei es, dass Tiere auf der Flucht sind oder sei es, dass leergeschossene Reviere neu besetzt werden.
Kauertz ist sich sicher, dass mittelfristig daraus keine Explosion des Wildschweinbestandes resultiere. Die Bestände würden sich vielmehr stabilisieren oder sogar zurückgehen. In Problemzonen, zum Beispiel in den Grüngürteln der Städte, könne man darüber hinaus über Schwarzkittel-Empfängnisverhütung nachdenken. Schließlich seien die EU-zugelassenen Impfstoffe dazu aus der Ferkelzucht vorhanden. Der Vorsitzende des Vereins Wildtierschutz Deutschland sieht auch Vorteile für die Jägerschaft. Erfolgsdruck und Schadenrisiko würden genommen, durch die Verabschiedung von der Jagd als Bestandsregulativ könne dieses Thema nicht mehr am Image der Jäger nagen und eine 8-monatige Jagdruhe steigere schließlich die Vorfreude auf die Jagd im Herbst des Jahres.
Weitere Informationen
Wildtierschutz Deutschland e.V., Herr Lovis Kauertz
Am Goldberg 5, 55435 Gau-Algesheim, Deutschland
Tel.: 0177 7230086; http://www.wildtierschutz-deutschland.de/
Am Goldberg 5, 55435 Gau-Algesheim, Deutschland
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