Riester-Rente wird nach wie vor kontrovers beurteilt

Kurzfassung: Riester-Rente wird nach wie vor kontrovers beurteiltAktiver Senior plusNeues Vierteljahrsheft zur Wirtschaftsforschung erschienenIn der Beurteilung der Riester-Rente aus wissenschaftlicher, politische ...
[Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW Berlin - 19.12.2012] Riester-Rente wird nach wie vor kontrovers beurteilt

Aktiver Senior plus
Neues Vierteljahrsheft zur Wirtschaftsforschung erschienen
In der Beurteilung der Riester-Rente aus wissenschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Sicht bestehen bis heute erhebliche Differenzen, und der Dialog ist keineswegs spannungsfrei. Das neu erschienene "Vierteljahrsheft zur Wirtschaftsforschung" des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) gibt einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand der Debatte und ihre Kontroversen. Die meisten der insgesamt 18 Beiträge wurden als Vorträge auf einem "Runden Tisch" gehalten, der am 1. Juni 2012 im DIW Berlin stattfand. Anlass für den Runden Tisch und das nun vorliegende Heft war eine Kontroverse, die sich am DIW-Wochenbericht 47/2011 ("Riester-Rente: Grundlegende Reformen dringend geboten") entzündet hatte.
Die ersten drei Beiträge stammen aus der Feder von Experten, die an der Einführung der Riester-Rente maßgeblich beteiligt waren. Wagner (DIW Berlin) zufolge war das Riester-Sparen ohne Zweifel gut gemeint, es wurde aber nicht überzeugend umgesetzt. Seines Erachtens sind zwei Reformelemente erforderlich: ein besserer Verbraucherschutz und eine Reform der gesetzlichen Grundsicherung, damit auch Geringverdiener einen Anreiz erhalten, für das Alter privat vorzusorgen. Ein Grund für den Streit über die Riester-Rente liegt seiner Meinung nach in der im Gesetz fehlenden Evaluationspflicht.
Rürup spricht in seinem Beitrag von Licht und Schatten der Riester-Rente. Schwer wiegt nach Rürup, dass auf ein Obligatorium für das Riester-Sparen verzichtet wurde. Er beklagt eine Kakophonie, die viele potenzielle Riester-Sparer an der Sinnhaftigkeit des Produktes zweifeln lasse. Renditemindernd wirken sich ihm zufolge die Turbulenzen auf dem Kapitalmarkt aus. Das angekratzte Image der Riester-Rente könnte - so Rürup - aufpoliert und die Riester-Rente revitalisiert werden, wenn die Versicherer Verträge ohne Provisionen und Abschlusskosten anbieten und Selektions- und Sicherheitsaufschläge bei der Kalkulation der Produkte offenlegen würden.
Riester stellt in seinem Beitrag heraus, dass das Rentenniveau von 2000 bis 2010 kaum gesenkt wurde und dass es sich beim Riester-Sparen um eine zweckgebundene Leibrentenversicherung und nicht um ein Vermögenssparen handelt. Ein Obligatorium war - so Riester - bei der Einführung der Riester-Rente medial wie politisch nicht durchsetzbar gewesen. Gegen Kritik wendet er ein, die Kalkulation der Riester-Produkte müsse eine steigende Lebenserwartung berücksichtigen. Für die aktuell zahlreichen Kündigungen und Stornierungen von Riester-Verträgen macht er die Renditeanalyse von Hagen und Kleinlein und einen Kommentar von Wagner verantwortlich. Riester spricht sich für eine Zuschuss-Rente aus, wie sie von der jetzigen Arbeitsministerin angeregt wird, und für eine besondere Förderung unterer Einkommensgruppen.
In den sechs folgenden Beiträgen steht eine verbraucherpolitische und versicherungswirtschaftliche Sicht auf das Riester-Sparen im Vordergrund. Leinert (infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft) klärt über die systemischen Gründe für die Intransparenz des Marktes für Riester-Produkte auf, die seiner Meinung nach nur durch staatliche Vorgaben aufgelöst werden kann. Er beurteilt die vorgesehene Einführung eines standardisierten Produktinformationsblattes als den richtigen Weg zur Herstellung von Transparenz. Darüber hinaus hält Leinert eine flächendeckende Förderung der finanziellen Allgemeinbildung und den Abbau der Fehlanreize in der Vorsorgeberatung für erforderlich.
Schwark (Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft) kritisiert, die Renditeanalyse von Hagen und Kleinlein hätte methodische Schwächen und das DIW Berlin hätte die unzutreffende Botschaft transportiert, man müsse sehr alt werden, damit sich eine Riester-Rente lohne. Beides habe vermutlich die Selektionseffekte verstärkt. Das Argument, Versicherer kalkulierten mit zu hohen Lebenserwartungen, weist der Autor als nicht fundiert zurück. Die kalkulierten Lebenserwartungen würden lediglich den Trend der Projektionen der Lebenserwartungen berücksichtigen. Auch würde - so Schwarks Kritik - in der Rentabilitätsanalyse die Risikoüberschussbeteiligung ignoriert und die Förderungseffekte (Familienstand, Einkommen und Kinderzahl) neutralisiert werden. In einer individuellen Renditebetrachtung wäre dies aber falsch. Schwark urteilt: Die Studie des DIW Berlin verursachte einen nachhaltigen Imageschaden für das Riester-Sparen. Die sehr spezielle Renditebetrachtung des DIW Berlin würde offenbaren, dass es Rentenpolitik statt Wirtschaftsforschung betreiben wolle.
Dommermuth (Fachhochschule Amberg-Weiden und Institut für Vorsorge und Finanzplanung) hebt hervor, dass die Riester-Versorgung besser sei als ihr Ruf, da der Gesetzgeber bereits einige Kritikpunkte durch Änderungen aufgelöst habe und andere nicht stichhaltig wären. Die Renditebetrachtung des DIW Berlin erfolgte nach Dommermuth nicht nach einem in der Investitionsrechnung und Finanzmathematik üblichen Verfahren. Eigene Renditeberechnungen des Autors würden zu deutlich günstigeren Ergebnissen für das Riester-Sparen führen.
Kleinlein (Bund der Versicherten) aktualisiert in seinem Beitrag die Berechnung der Renditekennziffer "zu erreichendes Zielalter" und bekräftigt, dass die Versicherer eine überzogen hohe Zunahme der Lebenserwartung kalkulieren. Er argumentiert, die Rendite müsse auch auf die Zulage erwirtschaftet werden, dies sei vom Gesetzgeber mit dem Zertifizierungskriterium des Kapitalerhalts zu Rentenbeginn von vornherein beabsichtigt gewesen. Eine Betrachtung der Rendite ohne Zulage gibt - so Kleinlein - lediglich einen Hinweis darauf, welche Bevölkerungsgruppen besonders stark von der Zulage profitieren.
Sternberger-Frey (Finanzjournalistin und wissenschaftliche Beraterin für ÖKO-Test) befindet, die Behandlung der Zulagen als Zusatzertrag, wie von der Versicherungswirtschaft bei der Ermittlung einer "Individualrendite" berechnet, verhindere jede tiefergehende Produktanalyse und sei eine treffliche Möglichkeit zur Manipulation. Auch würde die Zulage dem Sparer keinen echten Zusatzertrag einbringen, weil damit die Beiträge lediglich in der Ansparphase steuerfrei gestellt und in der späteren Auszahlphase voll versteuert werden. Die Autorin urteilt, die Kalkulation der Lebenserwartung sei übervorsichtig und habe nur wenig mit der Lebenswirklichkeit zu tun. Zu allem Überfluss berechnen die Versicherer auch Selektionseffekte, obwohl die Riester-Rente ein Massenprodukt und die Förderung speziell auf Geringverdiener ausgelegt ist. Je mehr Puffer die Versicherer in ihre Sterbetafeln und Beiträge einkalkulieren, desto geringer sei ihr unternehmerisches Risiko. Die Riester-Rente sollte durch ein Altersvorsorgekonto, wie von der Verbraucherministerkonferenz Baden-Württemberg vorgeschlagen, vereinfacht werden.
Hagen (DIW Berlin) hält es für ein schwerwiegendes Versäumnis des Staates, die der Kalkulation der Riester-Produkte zugrunde liegenden Sterbetafeln nicht durch eine Expertengruppe unter Einschluss der Expertise des Statistischen Bundesamtes errechnen zu lassen. Hinsichtlich des Streitpunktes Überschüsse urteilt Hagen, Entwicklung und Niveau seien nicht transparent für Forscher und erst recht nicht für Verbraucher und die Aufteilung der Anteile der Überschüsse sei 2008 politisch willkürlich zuungunsten der Sparer erfolgt. Hagen unterstreicht, dass im vom DIW Berlin zusammen mit Kleinlein errechneten Zielalter auch die Kosten der Rentenphase berücksichtigt werden, während die Versicherer in der Regel eine Rendite ausweisen, die Kosten nur in der Sparphase berücksichtigen. Für eine Erfolgsmessung des Riester-Sparens erachtet Hagen eine umfassende, unabhängige und kontinuierliche Evaluation für erforderlich, in der neben versicherungswirtschaftlichen insbesondere auch sozial- und rentenpolitische Aspekte berücksichtigt werden müssen.
Mit der Verbreitung des Riester-Sparens befassen sich die nächsten beiden Beiträge. Geyer (DIW Berlin) bestätigt seine bereits in früheren Veröffentlichungen vorgetragenen Befunde zur geringen Verbreitung von Riester-Verträgen unter Geringverdienern. Gegen Kritik an seinen Befunden stellt er klar, es sei offensichtlich, dass Personen mit niedrigem Einkommen seltener "riestern" als der Bevölkerungsdurchschnitt. Der Blick sollte künftig auch auf das Sparvolumen, die zu erwartenden Rentenleistungen und auf andere Altersvorsorgeprodukte gerichtet werden, so sein Fazit.
Pfarr (Universität Bayreuth) und Schneider (Wissenschaftliches Institut der Techniker Krankenkasse für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen WINEG) weisen Befunde dafür aus, dass das "Riestern" ein Kinderspiel ist, denn je mehr Kinder zu einem Haushalt gehören, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, einen Riester-Vertrag zu besitzen. Andererseits ist das "Riestern" aber auch kein Kinderspiel, denn finanzielle Bildung ist eine wesentliche Voraussetzung für einen Vertragsabschluss. Eine Vereinfachung und mehr Transparenz sind aus Sicht dieser beiden Autoren daher erste Schritte in die richtige Richtung.
Die nächsten beiden Beiträge untersuchen rentenpolitische Aspekte der Riester-Förderung. Köhler-Rama (Deutsche Rentenversicherung Bund) unterstreicht, dass sich der Erfolg der Riester-Förderung nicht an der Rentabilität der einzelnen Produkte messen lässt und dass eine sozialpolitische Bewertung auf der Grundlage der verfügbaren Datenlage und Messkonzepte bisher nicht möglich ist. Der Autor spricht sich dafür aus, Wirkungs- und Verteilungsanalysen von Rentenreformen durchzuführen.
Meinhardt (freier Autor, ehemals DIW Berlin) und Zwiener (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung) bewerten die Riester-Rente negativ. Deutlich vertreten die beiden Autoren die Ansicht, dass die durch die Rentenreformen 2001 und 2004 entstehenden Rentenlücken durch das Riester-Sparen nicht geschlossen werden können und dass - anders als den Sparern versprochen - sich aus den Riester-Verträgen im Vergleich zur gesetzlichen Rente keine höheren Renditen ergeben werden.
Reformpolitische Aspekte des Riester-Sparens sind das Thema der nächsten fünf Beiträge. Haupt und Kluth (Universität Mannheim und Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik) diskutieren, ob es vorteilhaft wäre, das schwedische System der kapitalgedeckten Altersvorsorge auf Deutschland zu übertragen. Sie halten eine Eins-zu Eins-Adaption zwar für grundsätzlich denkbar, aber auf Grund einer Reihe rechtlicher und organisatorischer Herausforderungen für wenig erstrebenswert und nicht zielführend. An kleineren Stellschrauben könne man aber durchaus von den Erfahrungen des schwedischen Systems profitieren: Dies umfasst eine transparentere Produktgestaltung, klare Vorgaben zur Produktinformation und eine säulenübergreifende Renteninformation.
Grugel (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) stellt heraus, das viele Verbraucher nicht das passende Altersvorsorgeprodukt erkennen, mit Informationen überflutet sind und eine unzureichende Beratung erhalten. Verbraucherpolitische Initiativen gegen diese Probleme sind die Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen, die geplante Einführung eines standardisierten Produktinformationsblattes und die gesetzliche Regelung einer von Vertriebsinteressen unabhängigen Honorarberatung.
Das Gros der Verbraucher sind keine Vorsorgeexperten, viele sind daher auch auf individuelle Beratung zur Altersvorsorge angewiesen, führen Billen und Gatschke (Verbraucherzentrale Bundesverband) aus. Sie fordern eine Finanzberatung auf Honorarbasis anstatt einer provisionsbasierten Beratung. Zudem müssten Verwaltungs- und Vertriebskosten für jedes Produkt nach Euro und Cent ausgewiesen werden. Geprüft werden sollte zudem eine "Non-profit-Lösung", und Riester-Produkte sollten künftig besser kontrolliert werden.
Oelmann und Scherfling (Verbraucherzentrale NRW) plädieren für die Einführung eines staatlichen Basisproduktes in Form eines Altersvorsorgekontos, gemanagt beispielsweise von der Deutschen Finanzagentur. Dieses Produkt soll eine risikoarme und kostengünstige Alternative zu den Riester-Produkten bieten.
Aufgabe der Verbraucherpolitik mit Blick auf die Riester-Rente sollte es sein, die am Markt befindlichen Finanzprodukte für durchschnittlich informierte Privatpersonen transparent zu machen und die wirtschaftlichen Interessen der Sparer zu wahren, konstatiert Bell (Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, jetzt Verbraucherzentrale Berlin). Die politische Debatte über eine Senkung der Kosten und Erhöhung der Transparenz der Riester-Produkte hält Bell für noch recht unausgereift. Sie spricht sich für einen öffentlich-rechtlichen Träger aus, der ein Basisprodukt verwaltet, sowie für den Aufbau eines übergreifenden Beratungssystems und einen Rechtsanspruch auf eine unabhängige Beratung der Verbraucher über die Altersvorsorge.
Riester-Sparen: Kontroverse Sichtweisen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 2/2012. Duncker Humblot, Berlin. Rezensionsexemplare können über die Pressestelle des DIW Berlin erworben werden (presse@diw.de).

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