Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug – sächsische Rechtsgrundlage nichtig

Kurzfassung: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug - sächsische Rechtsgrundlage nichtigDer Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit einem heute veröffentlichten ...
[Bundesverfassungsgericht - 28.02.2013] Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug - sächsische Rechtsgrundlage nichtig

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit einem heute veröffentlichten Beschluss der Verfassungsbeschwerde eines im
Maßregelvollzug Untergebrachten stattgegeben. Mit diesem Beschluss hat der Senat die Regelung des sächsischen Landesrechts, auf deren Grundlage der Beschwerdeführer gegen seinen Willen mit Psychopharmaka behandelt wird, für nichtig erklärt ( 22 Abs. 1 Satz 1 des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten - SächsPsychKG). In zwei früheren Beschlüssen aus dem Jahr 2011, an die die vorliegende Entscheidung anschließt, hatte der Senat bereits Regelungen zur Zwangsbehandlung im rheinland-pfälzischen und im baden-württembergischen Landesrecht für nichtig erklärt (BVerfGE 128, 282 und BVerfGE 129, 269; Pressemitteilungen Nr. 28/2011 vom 15. April 2011 und Nr. 63/2011 vom 20. Oktober 2011).
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:
1. Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 2002 wegen Schuldunfähigkeit vom Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung freigesprochen und in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Nach Diagnose der Klinik leidet er an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. Der Beschwerdeführer zeigte krankheitsbedingt schwerwiegende, auch seine Umgebung massiv belastende Verhaltensauffälligkeiten. Er steht unter rechtlicher Betreuung und wird, seitdem eine Betreuerin die Einwilligung hierzu erteilt hatte, mit einem antipsychotischen Medikament behandelt. Er selbst lehnt die Behandlung ab und nimmt sie nur hin, um eine Durchsetzung der verordneten Medikation mit unmittelbarem Zwang zu vermeiden.
2. Zunächst hatte der Beschwerdeführer erfolglos versucht, in einem betreuungsgerichtlichen Verfahren feststellen zu lassen, dass eine
Rechtsgrundlage für eine Einwilligung der damaligen Betreuerin in die zwangsweise Behandlung mit Neuroleptika nicht bestehe. Sodann hat er im gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz beantragt, jegliche medikamentöse Zwangsheilbehandlung einzustellen, zumindest bis eine - näher spezifizierte - neue gesetzliche Regelung zur Zwangsbehandlung geschaffen sei. Mit diesem Rechtsschutzanliegen blieb er sowohl vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts als auch vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg.
Das Landgericht nahm an, bei einem krankheitsbedingt nicht einwilligungsfähigen Patienten stehe, wenn der Betreuer wirksam
eingewilligt habe, der natürliche Wille des Untergebrachten einer Behandlung nicht entgegen. Werde eine Behandlung als notwendig erkannt, ärztlicherseits angeraten und vom Betreuer für erforderlich gehalten, dann müsse die Möglichkeit bestehen, sie auch gegen den durch Krankheit beeinflussten Willen des Patienten durchzusetzen. Die Rechtmäßigkeit der Zustimmung des Betreuers könne nicht durch das Vollstreckungsgericht, sondern nur durch das Betreuungsgericht überprüft werden, da 22 SächsPsychKG allein an das Vorliegen einer Einwilligung anknüpfe.
Das Oberlandesgericht befand, anders als in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen werde eine Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers nicht nur durch das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst gerechtfertigt, sondern auch durch die sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebende Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Sollte die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers unterlassen werden, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers dramatisch verschlechtern werde. Der Beschwerdeführer werde dann erneut die massiven Verhaltensauffälligkeiten zeigen, deretwegen er in der Vergangenheit fortgesetzt im Kriseninterventionsraum habe untergebracht werden müssen.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Beschlüsse dieser Gerichte sowie gegen die zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen.
3. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
a) Die herangezogene Eingriffsgrundlage des 22 Absatz 1 Satz 1 SächsPsychKG ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Daher
verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer bereits deshalb in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), weil es für die Zwangsbehandlung, die sie als rechtmäßig bestätigen, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt.
Das Erfordernis einer verfassungskonformen gesetzlichen Grundlage für Grundrechtseingriffe besteht auch dann, wenn für den jeweils
betrachteten Eingriff gute oder sogar zwingende sachliche Gründe sprechen mögen. Der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass in Grundrechte nur auf der Grundlage eines Gesetzes eingegriffen werden darf (Vorbehalt des Gesetzes), hat gerade den Sinn, die primäre Zuständigkeit für die Bewertung von Grundrechtsbeschränkungen als wohlbegründet oder ungerechtfertigt zu bestimmen. Er stellt sicher, dass die Grenzen zwischen zulässigem und unzulässigem Grundrechtsgebrauch, zwischen zulässiger und unzulässiger Grundrechtseinschränkung nicht fallweise nach eigener Einschätzung von beliebigen Behörden oder Gerichten, sondern primär - in der Form eines allgemeinen Gesetzes - durch den Gesetzgeber gezogen werden.
b) 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG beschränkt die medizinische Zwangsbehandlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels nicht, wie verfassungsrechtlich geboten, auf den Fall seiner krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit. Eine ausreichende Beschränkung in diesem Sinne liegt nicht darin, dass die Einwilligung des Betreuers ihrerseits die krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit des Betreuten voraussetzt. Denn die in Bezug genommenen Vorschriften des Betreuungsrechts gestatten dem Betreuer nicht, in die Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten einzuwilligen.
Es fehlt zudem an der Bestimmung des Zwecks oder der Zwecke, die den
Eingriff rechtfertigen sollen. Auch sonst ist dem Erfordernis, die
materiellen Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung über die Anforderung
der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit hinaus gesetzlich zu
konkretisieren, nicht Genüge getan.
Auch mit Blick auf die Ausgestaltung des Verfahrens wird die gesetzliche Regelung den verfassungsrechtlichen Anforderungen nur teilweise gerecht. Es fehlt an den notwendigen Regelungen dazu, dass der Zwangsbehandlung eine hinreichend konkrete Ankündigung vorauszugehen hat und dass sich das Krankenhaus vor der Zwangsbehandlung ernsthaft um eine auf Vertrauen gegründete und freiwillige Zustimmung des Betroffenen bemühen muss. Entgegen den verfassungsrechtlichen Anforderungen ist zudem keine vorausgehende Überprüfung der Maßnahme in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung vorgesehen. Dass 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG die Zwangsbehandlung an das Einverständnis des gesetzlichen Vertreters - bei Erwachsenen also des Betreuers - bindet, genügt insoweit nicht. Diese Vorschrift sieht keine Überprüfung der Entscheidung der Klinik anhand der vorgegebenen gesetzlichen Maßstäbe vor. Vielmehr setzt sie die Entscheidung des Betreuers an die Stelle solcher Maßstäbe.

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