Umweltverbände protestieren gegen getrickste CO2-Rechnung der Bundesregierung und fordern ambitionierte Verbrauchsvorgaben für Pkw

Kurzfassung: Umweltverbände protestieren gegen getrickste CO2-Rechnung der Bundesregierung und fordern ambitionierte Verbrauchsvorgaben für PkwÜber eines der wichtigsten klima- und verkehrspolitischen Ziele der ...
[VCD - Verkehrsclub Deutschland - 17.04.2013] Umweltverbände protestieren gegen getrickste CO2-Rechnung der Bundesregierung und fordern ambitionierte Verbrauchsvorgaben für Pkw

Über eines der wichtigsten klima- und verkehrspolitischen Ziele der nächsten Jahre verhandelt in der kommenden Woche der Umweltausschuss des Europaparlaments in Brüssel. In Berlin fordern die deutschen Umweltverbände die Bundesregierung auf, die hohe Relevanz zu erkennen und nicht wie bislang zu versuchen, den CO2-Grenzwert für neue Pkw von 95g CO2/km, was einem Verbrauch von 3,6 Liter Diesel oder vier Litern Benzin auf 100 Kilometer entspricht, zu verwässern. So soll ein ohnehin schwaches Ziel weiter abgeschwächt werden - und Platz machen für großvolumige Spritschlucker deutscher Hersteller.
Die deutschen Umweltverbände protestieren am heutigen Mittwoch vor dem Bundeskanzleramt mit der Aktion "Spritverbrauch nicht schönrechnen!". Anhand eines über zwei Meter hohen Abakus, einem Rechenschieber, der mit Autos statt Kugeln funktioniert, lösen der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), die Deutsche Umwelthilfe (DUH), Greenpeace, der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der ökologische Verkehrsclub VCD die faule Gleichung der Regierung Angela Merkel auf. Darüber hinaus machen sie spielerisch deutlich, was passiert, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel dem industriefreundlichen Wirtschaftsminister Philipp Rösler folgt, während der zuständige Umweltminister Peter Altmaier nichts tut.
Das von der Bundesregierung vorgeschlagene Bonussystem für Elektroautos und Plug-In-Hybride, auch Supercredits genannt, soll dafür sorgen, dass die Autohersteller das 95-Gramm-Ziel nicht in 2020, sondern erst vier Jahre später einhalten müssen. Verkaufte Elektroautos und Plug-In-Hybride werden bis 2020 mehrfach gezählt - batterieelektrische Autos mit 0g CO2/km, Plug-In-Hybride mit max. 50g CO2/km. Die Werte der virtuellen Fahrzeuge sollen angespart und von 2020 bis 2023, je nach Bedarf, auf die CO2-Bilanz angerechnet werden können. So ermöglicht das System der deutschen Autoindustrie, gleich mehrere große Spritschlucker gegen ein sparsames Fahrzeug mit Stromantrieb zu rechnen.
Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD: "Erneut spielt die Bundesregierung den Anwalt der Autoindustrie. Anstatt sich für ambitionierte Klimaschutzvorgaben einzusetzen, fordert sie Erleichterungen, die vor allem den Herstellern großer, schwerer Premiumfahrzeuge nutzen. Mit simplen Rechentricks sollen sich Hersteller ihre CO2-Bilanzen schönrechnen können - zulasten der Umwelt und der Verbraucher."
Eine Analyse der Umweltverbände zeigt jedoch, dass ein Schönrechnen gar nicht notwendig wäre. Wolfgang Lohbeck, Verkehrsexperte von Greenpeace: "Beispielhaft ist VW. Der Konzern hat kürzlich öffentlich bekannt gegeben, dass er keine Supercredits benötigt, um das 95-Gramm-Ziel einzuhalten. VW vertraut auf die Fähigkeiten seiner Ingenieure, den Verbrauch von Benzinern und Dieseln weiter zu optimieren. Wenn Europas größter Autohersteller das kann, ist es unverständlich, warum die Politik mit ihrer Forderung dahinter zurückfällt."
Bereits heute lässt sich mit sparsamen Fahrzeugen über alle Segmente hinweg eine Flotte zusammenstellen, deren CO2-Ausstoß unter dem Grenzwert von 95 g/km liegt. Statt diese Potenziale zu nutzen, zielen meisten Automobilhersteller immer noch auf die Fahrzeugkonzepte von gestern und kurbeln den Verkauf von großen, schweren Pkw an, mit denen leicht Geld zu verdienen ist.
Die Abkehr von Fehlentwicklungen fordert auch der Verkehrsexperte des BUND, Jens Hilgenberg: "Immer mehr geländewagenähnliche Autos, die so genannten SUV, zeigen ein völlig falsches Bild der mobilen Zukunft, die eher leicht und energiesparend sein muss. Angesichts der enormen Wachstumsraten dieses Fahrzeugsegments, sind Supercredits ein elegantes Mittel, um die deutlich höheren Emissionen dieser Fahrzeuge auszugleichen und um sie weiter verkaufen zu können. Absurd ist, dass dies unter dem Deckmantel der Förderung der Elektromobilität geschieht."
Dorothee Saar, Leiterin des Verkehrsbereiches bei der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH), unterstreicht diese Kritik und betont, dass die Einhaltung eines Grenzwertes von 95g CO2/km allein aus Klimaschutzgründen unterstes Gebot sei. "Die Bundesregierung darf nicht zulassen, dass die Hersteller sich erneut mit Taschenspielertricks aus der Verantwortung ziehen. Der von der EU Kommission vorgeschlagene Grenzwert ist mit verfügbarer Technologie umsetzbar und muss eins zu eins umgesetzt werden. Die von der Automobilindustrie bislang bei jeder umweltrelevanten Vorgabe inszenierte Kostenhysterie hat sich in der Vergangenheit nie bestätigt und wird es auch dieses Mal nicht tun."
Dietmar Oeliger, Verkehrsexperte beim NABU, unterstreicht nochmals die Bedeutung der bevorstehenden Entscheidung: "Es geht in Brüssel um nicht mehr und nicht weniger als das wichtigste Klimagesetz im Verkehrsbereich der nächsten 15 Jahre. Die Politik muss der Autoindustrie schon in diesem Jahr klar den Weg der Spritverbräuche für das Jahr 2025 weisen. Ansonsten wird eine entscheidende Chance im europäischen Klimaschutz vertan." Um für die Hersteller Planungssicherheit zu schaffen und weitere Innovationen zur Verbrauchsoptimierung zu fördern, sollte nach Ansicht der Umweltverbände der CO2-Ausstoß von Neuwagen bis 2025 um mindestens 25 Prozent unter dem Wert für 2020 liegen.
Die deutschen Umweltverbände fordern mit der heutigen Aktion die Bundesregierung auf, der Schönrechnerei deutlich ein Ende zu setzen. Deutschland sollte Vorreiter in der Klimapolitik sein, statt sich ruckwärtsgewandt für Spritschlucker stark zu machen.
Den Protest der Umweltverbände können die Verbraucher ab sofort auch online unterstützen. Auf http://www.vcd.org/keine-rechentricks.html können Interessierte Hintergrundinformationen abrufen und ihre ganz persönliche Stimme abgeben. Unter anderem stellen die Umweltverbände einen Protestbrief, adressiert an Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Verfügung, um Sie und ihr Kabinett zum Handeln aufzufordern.

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