15.05.2013 15:07 Uhr in Gesellschaft & Familie von Auswärtiges Amt

'Transatlantische Partnerschaft – gemeinsam für die Welt von morgen'

Kurzfassung: "Transatlantische Partnerschaft - gemeinsam für die Welt von morgen"Rede von Außenminister Guido Westerwelle auf der Tagung der FDP-BundestagsfraktionMeine sehr geehrten Damen und Herren,lieber Rain ...
[Auswärtiges Amt - 15.05.2013] "Transatlantische Partnerschaft - gemeinsam für die Welt von morgen"

Rede von Außenminister Guido Westerwelle auf der Tagung der FDP-Bundestagsfraktion
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
lieber Rainer Stinner,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich danke Ihnen herzlich für die Einladung und freue mich sehr, dass die FDP-Bundestagsfraktion sich dieses hochaktuellen Themas angenommen hat.
Wir reden viel von Reformen und Wachstum in Europa. Wir alle spüren die enorme Dynamik in Asien, in Lateinamerika, auch in vielen Ländern Afrikas. Aber zu selten heben wir den Blick und schauen auf die enormen Chancen, die in den schon lange so engen transatlantischen Beziehungen noch schlummern.
Die transatlantische Partnerschaft ist der wichtigste außereuropäische Pfeiler der deutschen Außenpolitik. Sie ist im Sicherheitsbündnis der NATO verankert. Sie ist zugleich und darüber hinaus der Kernbestand der politischen Kultur des Westens. Auf dem Boden gemeinsamer Werte und gemeinsamer Ziele haben wir Deutsche den Weg zurück in die Staatengemeinschaft gefunden. Auf dem festen Fundament transatlantischen Vertrauens haben wir unsere Einheit in Freiheit verwirklichen können.
Die transatlantischen Beziehungen sind eine Erfolgsgeschichte. Zur Selbstzufriedenheit aber besteht kein Anlass.
Die transatlantischen Beziehungen sind kein Selbstläufer. Sie stehen im Gegenteil vor ganz neuen Herausforderungen. Die Vision eines transatlantischen Binnenmarktes eröffnet uns jetzt die Chance, eine neue Dynamik in die transatlantische Partnerschaft zu bringen. In einer sich dramatisch verändernden Welt müssen wir uns auf unsere gemeinsamen Stärken besinnen, um der Globalisierung unseren freiheitlichen Stempel aufzudrücken.
I.
Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten sind die beiden größten Wirtschaftsmächte der Welt und erwirtschaften mit 47% fast die Hälfte des globalen Sozialprodukts. Die transatlantischen Handelsbeziehungen machen ein Drittel der weltweiten Handelsströme aus. Jeden Tag werden zwischen der EU und den USA Waren und Dienstleistungen im Wert von fast zwei Milliarden Euro ausgetauscht. Unsere gegenseitigen Investitionen summieren sich bis heute auf kaum vorstellbare zwei Billionen Euro. Eine Fusion dieser beiden leistungsfähigsten Wirtschaftsräume der Welt wird neue Synergien und Dynamiken freisetzen.
Dies ist heute notwendiger denn je. In den USA und in Europa sind wir in einem harten Reform- und Konsolidierungsprozess in der Folge der Finanzkrise.
Beide müssen neue, nachhaltige Wachstumsquellen erschließen.
Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft hat das Potential, als externer Wachstumsmotor einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der Krise zu leisten. Ein umfassendes Abkommen könnte zu jährlichen Steigerungen des Bruttoinlandsproduktes in den USA von bis zu 95 Milliarden Euro führen. In der EU soll der Effekt mit jährlich 119 Milliarden Euro und insgesamt 400.000 neuen Arbeitsplätzen noch größer sein.
Um das volle Potential einer solchen umfassenden Partnerschaft zu nutzen, kommt es jetzt entscheidend darauf an, der EU-Kommission ein möglichst umfassendes und flexibles Verhandlungsmandat zu erteilen.
Mit den Verhandlungen wollen wir weitreichende Ergebnisse in zwei zentralen Bereichen erzielen. Erstens ist es unser erklärtes Ziel, mit diesem Abkommen die Zölle im transatlantischen Handel möglichst vollständig abzubauen und Markzugangsbeschränkungen zu beseitigen.
Dank der in der WTO bereits vorangetriebenen Handelsliberalisierung fallen die Zollschranken im transatlantischen Handel mit durchschnittlich 5,2% für die EU und 3,5% für die USA schon heute vergleichsweise niedrig aus. Die Höhe der Zölle ist jedoch sehr ungleich verteilt. Bestimmte Branchen unterliegen besonders hohen Belastungen. Aufgrund des enormen Handelsvolumens zwischen der EU und den USA erwarten wir vom Abbau noch bestehender Zölle substanzielle Kostenersparnisse für unsere Unternehmen. Marktzugangsbeschränkungen sollen auch in der Dienstleistungsbranche abgebaut werden.
Ziel ist außerdem ein einheitliches Investitionsabkommen, das an die Stelle der bisher 27 Einzelabkommen der EU-Mitgliedstaaten mit den USA treten kann. Mit diesem Abkommen sollen auf höchstem Liberalisierungs- und Schutzniveau das Prinzip der Nicht-Diskriminierung, wettbewerbsneutrale Rahmenbedingungen, Rechtssicherheit, Rechtsschutz und Investorenschutz gewährleistet werden.
Zweitens wollen wir den Schwerpunkt der Verhandlungen insbesondere auf die Harmonisierung von Regulierungsfragen und den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse legen.
Viel stärker noch als bestehende Zölle hemmen unterschiedliche Gesundheits- und Verbraucherschutzregelungen sowie divergierende technische Vorschriften, Standards und Normen die transatlantischen Handelbeziehungen. Unsere Unternehmen, die ihre Produkte auf beiden Seiten des Atlantiks auf den Markt bringen möchten, müssen häufig für die Genehmigung ihrer Erzeugnisse doppelt zahlen und unterschiedliche Verfahren durchlaufen. Gerade in der Automobilbranche, Chemie- und Pharmaindustrie sowie in Gesundheitsbereichen müssen wir den Regulierungsdschungel lichten.
Auch wenn es technisch klingen mag, mit diesen Normen, Standards, und Regulierungsfragen entscheiden sich die Marktchancen vieler guter Erfindungen und Produkte. Durch die transatlantische Partnerschaft können wir gemeinsam weltweit prägende Maßstäbe setzen.
Wir wollen, dass die Normen und Standards von morgen von uns und bei uns gesetzt werden.
Der Weg bis zu einem ausverhandelten Abkommen wird nicht einfach sein. Es gibt zahlreiche Mahner und Warner.
Deshalb müssen wir die Bedenken und Interessen unserer Partner ernst nehmen und zugleich den größeren, den strategischen Rahmen des Abkommens immer wieder deutlich machen.
Zahlreiche Vorgespräche zum EU-Verhandlungsmandat stimmen mich zuversichtlich. Wir haben bereits vorläufige Einigungen in den Bereichen Arbeits- und Umweltstandards, Mobilität von Personen und Industriegüterzöllen erzielt. Ich bin davon überzeugt, dass uns das auch bei sensibleren Themen gelingt.
Es wird daneben entscheidend darauf ankommen, dass wir die Öffentlichkeit in Deutschland und in der EU von Anfang einbeziehen, sie von den Vorteilen des Abkommens über-zeugen und hierfür nachdrücklich werben. Darüber hinaus müssen wir natürlich auch mit den Partnern außerhalb der EU - vor allem der Türkei, Brasilien, Mexiko und der Schweiz - intensiv sprechen und deren Befürchtungen um eine Benachteiligung im internationalen Handel mit der EU und den USA entkräften. Die transatlantische Partnerschaft bedeutet nicht, Drittstaaten von Wohlfahrt, Wachstum und Beschäftigung auszuschließen.
Im Gegenteil, die Realisierung des Abkommens würde auch den Welthandel ankurbeln.
II.
Für mich ist von überragender Bedeutung, dass das Projekt einer transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft weit mehr als wirtschaftliches Potential hat. Tatsächlich spüre ich schon heute in vielen Gesprächen, wie dieses Projekt die politische Phantasie beflügelt. Ein erfolgreicher Abschluss würde uns in praktisch allen wichtigen außenpolitischen Fragen zusätzlichen Schub geben.
Deutschland steht in diesen Jahren besonders in der Verantwortung. Wir sehen uns vor einer doppelten Gestaltungsaufgabe: Wir müssen unser Haus in Europa in Ordnung bringen. Und wir müssen in einer Welt des Wandels gemeinsam mit unseren strategischen Partnern, alten wie neuen, einen globalen Ordnungsrahmen schaffen, um unseren Werten und Interessen Geltung zu verschaffen.
Es ist richtig und wichtig, die Integration des transatlantischen Raums voranzutreiben, um Wachstum und Wohlstand in Europa zu sichern und die Vitalität und Substanz der transatlantischen Beziehungen zu fördern.
Doch es geht um noch mehr. Eine starke Wirtschaft ist die Voraussetzung für Führungsfähigkeit und Gestaltungskraft in den internationalen Beziehungen und hat damit strategische Bedeutung. Die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft wäre ein starkes politisches Signal für den Gestaltungsanspruch der westlichen Wertegemeinschaft im Zeitalter der Globalisierung.
Die Kräfteverhältnisse in der Welt verschieben sich. Diesen Umbruch hat die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht verursacht, sie hat ihn aber dramatisch beschleunigt. Noch vor 30 Jahren hat Deutschland zehnmal so viele Güter ausgeführt wie China. Heute ist dieses China zur größten Handelsnation der Welt aufgestiegen. Die rasant wachsenden Schwellenländer erheben zunehmend einen politischen Gestaltungsanspruch. Sie entwickeln ein neues außenpolitisches Selbstbewusstsein. Diese Länder sind neue Gestaltungsmächte im Zeitalter der Globalisierung.
Einst haben hundert Jahre über Aufstieg und Wohlstand einer Nation entschieden, heute können es zehn Jahre sein. Die Globalisierung beschleunigt nicht nur den Austausch von Gütern und Dienstleistungen, sondern auch von Informationen und Ideen. Die Globalisierung ist auch eine Globalisierung der Werte.
Hierin liegen Chancen, aber auch Herausforderungen. Unsere Politik und unser Denken müssen mit der Globalisierung Schritt halten. Deutschland setzt sich für eine regelgeleitete, stabilisierende Weltordnung ein. Wir brauchen ein gemeinsames Gerüst von Regeln, gerade dann, wenn neue Herausforderungen zu bewältigen und immer mehr Spieler auf dem Platz sind.
Ein transatlantisches Abkommen, das nicht nur Handelsfragen, sondern Investitionen, Dienstleistungen, Normen und Standards umfasst, wäre ein wichtiger Baustein für die Zukunft einer freiheitlichen internationalen Ordnung.
Das ist die eigentliche strategische Bedeutung dieses ambitionierten Projekts. Darin steckt nicht nur eine außen- und auch sicherheitspolitische Dimension, sondern auch ein starkes Argument, warum es uns diesmal gelingen wird, diese Vision eines integrierten transatlantischen Wirtschaftsraums Wirklichkeit werden zu lassen.
Mit diesem Projekt stärken wir auch den Grundpfeiler unserer gemeinsamen Sicherheit, das Nordatlantische Bündnis. Nur mit gebündelten Kräften werden wir unsere Interessen, unseren Wohlstand und vor allem unsere Sicherheit in dieser neuen Welt bewahren können.
Die strategische Partnerschaft mit den USA ist dafür unser stärkster Trumpf. Die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft ist dafür das richtige Mittel zur rechten Zeit. Der Zusammenhang zwischen unserer Sicherheit und dem Erfolg der transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft lässt sich auf eine klare Formel bringen: Wirtschaftspolitik ist auch Sicherheitspolitik.
Dieses Abkommen ist gegen niemanden gerichtet. Es soll Maßstäbe setzen, von denen alle profitieren können.
Bei allen Vorzügen einer globalen Regelung müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Doha-Runde seit einem Jahrzehnt blockiert ist. Wir wollen das Potential einer künftigen Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft nützen, um Antworten auf Fragen weit über den bilateralen transatlantischen Handel hinaus zu formulieren. Sie soll einen Beitrag zur gemeinsamen Regulierung der weltweiten Vernetzung leisten. Die Vereinbarkeit des transatlantischen Abkommens mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) steht deshalb für uns ganz oben auf der Agenda.
Die EU-Kommission hat diese Frage geprüft und hält das Abkommen wegen seines umfassenden Ansatzes für uneingeschränkt mit der WTO vereinbar. Auch Drittstaaten könnten die geschaffenen internationalen Standards und Regeln als Vorbild übernehmen. Wenn es uns gelingt, über den Atlantik hinweg unsere wirtschaftlichen und kreativen Kräfte zu bündeln, können wir die entstehende multipolare Welt im Einklang mit unseren gemeinsamen Werten und unseren Interessen prägen.
Protektionismus, Introvertiertheit und Isolation sind keine Alternative.
Wer sich abschottet und meint, damit alle Risiken zu vermeiden, der beraubt sich nur aller Chancen. Gerade Deutschland lebt von und mit der Vernetzung. Deutsche Außenpolitik ist zuallererst Anwalt von Offenheit.
Die USA haben die wachsende Bedeutung der neuen Gestaltungsmächte längst erkannt, und darauf mit einer strategischen Hinwendung Richtung Asien reagiert. Die amerikanische Neuausrichtung bedeutet jedoch nicht eine Abkehr vom Atlantik. Ganz im Gegenteil unterstreicht sie die Notwendigkeit verstärkter Kooperation zwischen Europa und den USA.
Als Exportnation hat Deutschland ein elementares Interesse an Frieden und Sicherheit im asiatisch-pazifischen Raum, an der friedlichen und von Regeln geleiteten Beilegung von Konflikten, an der Freiheit der Seewege und an der Stärkung multilateraler regionaler Organisationen.
Die Zeit ist reif für ein ambitioniertes Projekt, das unsere Stärken beiderseits des Atlantiks nutzt. Die Zeit ist reif für einen gemeinsamen transatlantischen Binnenmarkt. Für Deutschland, Europa und für die USA, aber auch für eine freiheitliche Ordnung von morgen.
Europa ist derzeit sehr mit sich selbst beschäftigt. Wir müssen unseren Blick wieder auf die Welt richten und sehen, welche Entwicklungen sich global vollziehen.
Ein transatlantischer Binnenmarkt kann ein Leuchtturm sein, der weit über den Atlantik hinaus strahlt. Dieser Leuchtturm steht auf dem festen Fundament gemeinsamer Werte.

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