Zur Frage eines Beweisverwertungsverbotes wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei Anordnung einer Blutentnahme

  • Pressemitteilung der Firma Bundesverfassungsgericht, 15.03.2011
Pressemitteilung vom: 15.03.2011 von der Firma Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe

Kurzfassung: Die Anordnung einer Blutentnahme zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration steht gemäß § 81a Abs. 2 StPO dem Richter zu (Richtervorbehalt) und darf nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung (Gefahr im Verzug) von der ...

[Bundesverfassungsgericht - 15.03.2011] Zur Frage eines Beweisverwertungsverbotes wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei Anordnung einer Blutentnahme


Die Anordnung einer Blutentnahme zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration steht gemäß § 81a Abs. 2 StPO dem Richter zu (Richtervorbehalt) und darf nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung (Gefahr im Verzug) von der Staatsanwaltschaft oder den ermittelnden Polizeibeamten getroffen werden.

Die Beschwerdeführer in den zwei miteinander verbundenen Verfahren sind wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Verurteilung stützte sich jeweils auf das Ergebnis der durch die ermittelnden Polizeibeamten vor Ort angeordneten Blutentnahme und –untersuchung, die eine Blutalkoholkonzentration im Bereich der absoluten Fahruntüchtigkeit auswies. Im ersten Verfahren hatte der Polizeibeamte des Funkstreifenwagens an einem Sonntagnachmittag den Diensthabenden auf der Wache zuvor ersucht, einen richterlichen Beschluss zu erwirken. Als ihm von dort mitgeteilt wurde, dass ein Richter telefonisch nicht habe erreicht werden können, ordnete der Polizeibeamte vor Ort selbst die Blutentnahme an. Ob tatsächlich versucht worden war, einen Richter zu erreichen, konnte nicht geklärt werden, da der Vorgang nicht in den Akten dokumentiert war. Im zweiten Verfahren hatte die Polizei an einem Sonntag gegen 4.30 Uhr nach erfolglosem Versuch, den staatsanwaltschaftlichen Bereitschaftsdienst zu erreichen, die Blutentnahme angeordnet. Nach den gerichtlichen Feststellungen existierte kein nächtlicher richterlicher Eildienst bei dem zuständigen Amtsgericht.

Mit den gegen ihre Verurteilung gerichteten Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren sowie auf körperliche Unversehrtheit. Die Entnahme einer Blutprobe ohne richterliche Anordnung habe in ihrem Fall zu einem Beweisverwertungsverbot geführt, d. h. das Ergebnis der Blutuntersuchung hätte der Verurteilung nicht als Beweismittel zugrunde gelegt werden dürfen.

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen, die Beschwerdeführer insbesondere nicht in ihren Grundrechten verletzt sind.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

1. Die Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots durch die Fachgerichte verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht auf einen effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Nach gefestigter und willkürfreier Rechtsprechung der Strafgerichte ist dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd. Vielmehr gilt der Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle hierfür bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat.

Ein Beweisverwertungsverbot ist daher als Ausnahme nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen nach Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall anzuerkennen, insbesondere bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder dem Vorliegen eines besonders schweren Verfahrensfehlers.

Vor diesem Hintergrund ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung eine fehlende Dokumentation allein nicht zu einem Verwertungsverbot führt. Gleiches gilt für das Fehlen eines nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienstes. In einem solchen Fall können die Strafgerichte darauf verweisen, dass die handelnden Polizeibeamten den Richtervorbehalt nicht willkürlich oder zielgerichtet umgehen. Auch die Nichterreichbarkeit des staatsanwaltschaftlichen Bereitschaftsdienstes führt nicht zu einem verfassungsrechtlich gebotenen Beweisverwertungsverbot. Da nach § 81a StPO sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die ermittelnden Polizeibeamten bei Gefahr im Verzug die Befugnis zur Anordnung einer Blutentnahme haben, ist deren Ergebnis unabhängig von der einfachrechtlichen Frage verwertbar, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Eilkompetenz vorrangig durch die Staatsanwaltschaft wahrzunehmen ist.

2. Die Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots verstößt auch nicht gegen das Recht auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren. Ein solcher Verstoß liegt erst vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde. Der einfachrechtliche Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO beruht auf einer Entscheidung des Gesetzgebers, nicht auf einer zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgabe. Er gehört nicht zum Bereich des rechtsstaatlich Unverzichtbaren und stellt keinen so schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar, dass von Verfassungs wegen ein Richtervorbehalt zu verlangen wäre. Daher kann ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt im nachfolgenden Strafverfahren nur im Einzelfall eine verfassungsrechtliche Bedeutung erlangen, wenn eine willkürliche, den Fairnessgrundsatz ignorierende Auslegung und Anwendung der maßgeblichen strafprozessualen Vorschriften vorliegt. Hierfür sind in den vorliegenden Verfahren keine Anhaltspunkte gegeben.


Kontakt:
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe
Postfach 1771, 76006 Karlsruhe
Telefonzentrale: 0721/9101-0
Fax: 0721/9101-382
Mail: bverfg@bundesverfassungsgericht.de

Über Bundesverfassungsgericht:
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Seit seiner Gründung im Jahr 1951 hat das Gericht dazu beigetragen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ansehen und Wirkung zu verschaffen. Das gilt vor allem für die Durchsetzung der Grundrechte.
Zur Beachtung des Grundgesetzes sind alle staatlichen Stellen verpflichtet. Kommt es dabei zum Streit, kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Seine Entscheidung ist unanfechtbar. An seine Rechtsprechung sind alle übrigen Staatsorgane gebunden.
Die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts hat auch politische Wirkung. Das wird besonders deutlich, wenn das Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.

Firmenkontakt:
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe
Postfach 1771, 76006 Karlsruhe
Telefonzentrale: 0721/9101-0
Fax: 0721/9101-382
Mail: bverfg@bundesverfassungsgericht.de

Die Pressemeldung "Zur Frage eines Beweisverwertungsverbotes wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei Anordnung einer Blutentnahme" unterliegt dem Urheberrecht der pressrelations GmbH. Jegliche Verwendung dieses Textes, auch auszugsweise, erfordert die vorherige schriftliche Erlaubnis des Autors. Autor der Pressemeldung "Zur Frage eines Beweisverwertungsverbotes wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei Anordnung einer Blutentnahme" ist Bundesverfassungsgericht.