Beschluss des SPD-Parteivorstands: Mehr Demokratie leben

  • Pressemitteilung der Firma SPD, 21.03.2011
Pressemitteilung vom: 21.03.2011 von der Firma SPD aus Berlin

Kurzfassung: Der Parteivorstand der SPD hat in seiner heutigen Sitzung einstimmig folgenden Beschluss gefasst: Herausforderungen der parlamentarischen Demokratie Die Idee von Freiheit und Demokratie hat bis heute nichts von ihrer weltweiten Attraktivität ...

[SPD - 21.03.2011] Beschluss des SPD-Parteivorstands: Mehr Demokratie leben


Der Parteivorstand der SPD hat in seiner heutigen Sitzung einstimmig folgenden Beschluss gefasst:

Herausforderungen der parlamentarischen Demokratie
Die Idee von Freiheit und Demokratie hat bis heute nichts von ihrer weltweiten Attraktivität verloren. Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben, die Ablehnung von Willkürherrschaft, Diktatur und Ausbeutung sowie der Wille, für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen einzutreten, in der Macht an Recht und Gesetz gebunden und nur auf Zeit vergeben ist, sind bei allen Menschen der Erde tief verankert und auf Dauer durch keine Form von Gewaltherrschaft zu unterdrücken. Nicht zuletzt die aktuellen
Entwicklungen in Nordafrika zeigen: Die Idee von Freiheit und Demokratie kennt keine kulturellen, religiösen oder geographischen Grenzen.

Die Sozialdemokratie in Deutschland, Europa und weltweit ist seit rund 150 Jahren Trägerin dieser Idee von Freiheit und Demokratie. Sie hat nicht nur die erste Demokratie in Deutschland begründet und die zweite ganz wesentlich gestaltet und ausgebaut, sie hat sich nicht nur der Nazi-Diktatur ebenso verweigert wie dem Stalinismus, sondern sie hat auch engagiert die Befreiungsbewegungen in Europa und weltweit aktiv unterstützt und gefördert. Diese internationale Solidarität gehört zu den stolzesten
Traditionen der Sozialdemokratie.

Unsere Demokratie ist 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution in Ostdeutschland, die den Weg zur Vereinigung Deutschlands frei gemacht hat, eine Erfolgsgeschichte. Mit ihr gelang die Überwindung tiefer Gräben in der deutschen Gesellschaft, wie sie noch die Weimarer Republik geprägt hatten. Mit ihrer Kraft gelang es 1989, die SED-Diktatur zu überwinden, die Mauer zu Fall zu bringen und die Spaltung Europas in Ost und West zu überwinden. Die
Freiheits- und Demokratiebewegungen in der Gesellschaft, ebenso wie Parlament, Regierung und Parteien konnten Wünsche und Interessen der Bürgerinnen und Bürger – durchaus auch in Konflikten – aufnehmen und in Politik umsetzen.

Die parlamentarische Demokratie hat dabei einen konstruktiven und friedlichen Wettbewerb zwischen den Parteien ermöglicht. Es war die parlamentarische Demokratie, die Deutschland nach der Nazi-Barbarei aus der internationalen Isolation befreite und in die internationale Gemeinschaft zurückholte. Sie verwirklichte die Idee eines gemeinsamen Europas. Die parlamentarische Demokratie hat in den letzten 60 Jahren im sachlichen Gegeneinander von Regierung und Opposition, getragen vom Verfassungskonsens einer
freien, demokratischen, sozialen und rechtsstaatlichen Ordnung nicht zuletzt wirtschaftliche Interessengegensätze aufgenommen und ausgeglichen. In diesem Rahmen konnten freie Gewerkschaften für die Mitbestimmung am Arbeitsplatz, im Betrieb und im Unternehmen und damit für fundamentale Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer streiten. So erst konnte die soziale Marktwirtschaft zum stabilen Faktor der Bundesrepublik werden.

Die politische Demokratie mit ihren freien Wahlen sowie der Eigentums-, Vertrags- und Meinungsfreiheit ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten existentiell. Anders als die meisten Konservativen und Liberalen wussten Sozialdemokraten aber immer, dass Freiheit und Demokratie ihre dauerhaften Grundlagen vor allem in einer sozial sicheren, gerechten und solidarischen Gesellschaft finden. Genau deshalb bedeutet "mehr Demokratie leben" auch die in Deutschland bestehenden ökonomischen
Ungerechtigkeiten, die sich in den letzten Jahren sogar zunehmend verschärft haben, zu bekämpfen.

Klar ist aber auch: Freiheit und Demokratie sind – einmal erkämpft – nicht prinzipiell von Dauer. Sie müssen verteidigt, entwickelt und auch immer wieder neu belebt werden. Erstarrte Routinen und Strukturen der etablierten Politik, die zum Selbstzweck geworden zu sein scheinen, aber auch die Individualisierung der Gesellschaft, die Auflösung klassischer Milieus mit ihren politischen Bindungen und die wachsende Sprach- und Verständnislosigkeit der zunehmend internationalisierten ökonomischen Eliten
gegenüber nationalen politischen Prozessen setzen die Demokratie einer neuen Belastungsprobe aus.

Wachsende soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit, scheinbar "alternativlose" Sachzwänge einer globalisierten Finanzwirtschaft und mangelnde Teilhabe großer Teile der Bevölkerung am wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Fortschritt haben auch in unserer Gesellschaft die Distanz zwischen Bevölkerung und den demokratischen Institutionen wachsen lassen.

Hinzu kommt ein Unbehagen großer Teile der Bürgerinnen und Bürger über die kulturelle Pluralisierung Deutschlands als eines Einwanderungslandes. Deutschland ist unter den Bedingungen der fortschreitenden Globalisierung im Inneren vielfältiger und heterogener und zugleich international verflochtener und abhängiger geworden.

Unter diesen Entwicklungen muss unsere Demokratie heute größeren Ansprüchen genügen als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die heutige Generation steht vor einer beispiellosen Bewährungsprobe – es geht darum, das große demokratische Erbe des vergangenen Jahrhunderts aufzunehmen und unter den sich wandelnden Bedingungen des 21. Jahrhunderts zukunftsfähig zu machen.

Das sozialdemokratische Projekt: Neuer Fortschritt und mehr Demokratie.
Wir dürfen als Demokraten nicht tatenlos zusehen, wie die Zahl der Nichtwähler Jahr für Jahr steigt und ein immer größerer Teil der deutschen Bevölkerung sich frustriert von den Parteien und von der parlamentarischen Demokratie abwendet. Wir wollen durch unsere eigene politische Arbeit dazu beitragen, dass wieder alle Menschen in Deutschland teilhaben an der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes, dass wirtschaftlicher Fortschritt auch sozialen, kulturellen und ökologischen Fortschritt bringt.
Das reicht jedoch nicht aus. Wir müssen und wollen auch die demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten an diesen politischen Prozessen erweitern.

Das ist eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe. Denn wir erleben eine Welle der Politisierung gut informierter und leidenschaftlich engagierter Bürgerinnen und Bürger und zur gleichen Zeit eine zunehmende Verflachung der Politik mit allen Anzeichen der medialen Inszenierung, die nur kurzatmige Aufmerksamkeit erzielen will. Politik als Protest und Politik als Show prägen unsere Gegenwart. Als Demokraten müssen wir die unheilige Verbindung zwischen Populismus und Kommerzialisierung überwinden, vielmehr
den aufgeklärten Protest in die Verantwortung holen und produktiv machen für neue, bessere und langfristige Problemlösungen. Mehr als 40 Jahre nach der Regierungserklärung des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt erneuert die SPD ihren Anspruch mehr Demokratie zu wagen und mehr Demokratie zu leben.

Neuer Fortschritt und mehr Demokratie sind einander wechselseitig eng verbunden:

Neuer Fortschritt braucht mehr Demokratie. Fortschritt entsteht aus dem Ringen der gesellschaftlichen Kräfte und Meinungen um das beste Konzept für die Zukunft unseres Landes. Wir wollen, dass sich dabei nicht bloß der Stärkere durchsetzt, sondern dass gute Ideen und bessere Argumente den Ausschlag geben. Unsere demokratische Ordnung beschreibt den Grundkonsens und die Verfahren, auf deren Grundlage wir den Fortschritt gestalten können. Für sie ist Demokratie nicht bloß eine Frage von Eliten oder
Experten. Wer Gemeinsinn schaffen will, der muss für Teilhabe sorgen. Und gesellschaftlicher Fortschritt braucht die Teilnahme von allen, die aus der Passivität heraustreten und mitbestimmen wollen. Denn mehr Beteiligung sorgt für bessere und vor allem besser legitimierte Entscheidungen.

Mehr Demokratie ist neuer Fortschritt. Die Idee, dass Menschen ihr Schicksal selbst und gemeinschaftlich bestimmen können, hat sich als eine der machtvollsten der Menschheitsgeschichte erwiesen. Sie zu stärken, bedeutet Fortschritt. Die freie Entfaltung der eigenen Fähigkeiten braucht den gemeinsamen Boden der Demokratie. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen nicht nur mehr Demokratie wagen, sondern mehr Demokratie leben, um die Fortschrittskräfte zu entfesseln, die in unserer Gesellschaft
vorhanden sind. Diese Kräfte zu stärken, verstehen wir auch als Beitrag zu mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit und mehr Solidarität. Mehr Demokratie leben ist Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt.

Wir sind ferner überzeugt, dass nur durch mehr Transparenz der politischen Entscheidungsprozesse, eine frühzeitige und umfassende Beteiligung der Menschen an den Planungen der Behörden und eine Ergänzung der parlamentarischen Demokratie durch Formen direkter Bürgerbeteiligung auch auf Bundesebene der Vorrang demokratisch legitimierter Politik vor wirtschaftlichen und politischen Einzelinteressen zurückerobert werden kann.

Die SPD ist Demokratie-Partei.

Es waren Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die an allen entscheidenden Wegmarken der deutschen Demokratie Verantwortung übernommen haben. Sie haben immer kühne Forderungen nach Freiheit und Demokratie verbunden mit sozialer Gerechtigkeit und Solidarität – und die Sozialdemokratie hat für sie gekämpft, auch wenn das in der jeweiligen Zeit höchst umstritten war. An der Wiege des allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlrechts, des Frauenwahlrechts oder der Rechte der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Tarifvertragsfreiheit und Mitbestimmung standen weltweit und in Deutschland Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Es war der Sozialdemokrat und bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner, der die direktdemokratischen Mitwirkungsrechte des Volksbegehrens und Volksentscheids 1946 in der Bayerischen Verfassung verankerte und damit eine Grundlage für mehr unmittelbare Demokratie in Deutschland schuf.

Es war Willy Brandt, der 1969 den entscheidenden Schritt zur Demokratisierung der deutschen Gesellschaft nach Gründung der Bundesrepublik vollzog. Er nahm die Forderung breiter gesellschaftlicher Schichten und sozialer Bewegungen nach kritischer Teilhabe, nach Partizipation und Transparenz auf. Demokratische Institutionen sollten offener, ihr Handeln nachvollziehbarer, näher am Bürger sein. Er eröffnete einen Weg, durch den die Gesellschaft "mehr Demokratie wagen" konnte. In der Folge reformierten
sich sowohl die Parlamente als auch die kommunalen Institutionen. Vermehrt seit den 1980er Jahren wurden auf Kommunal- und Landesebene direktdemokratische Elemente eingeführt. Auch hier waren soziale Bewegungen wichtige Antriebkräfte.

Auch in der Friedlichen Revolution von 1989 standen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in vorderster Reihe. Mit dem Aufruf zur Gründung der SDP im August 1989 erschütterten ostdeutsche Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die SED-Diktatur in ihren Grundfesten und zu einem Zeitpunkt, als die Ost-CDU und die anderen Blockparteien der SED noch die Treue schworen und den Mauerbau verteidigten. Mehr als vier Jahrzehnte nach der Zwangsvereinigung 1946 konstituierte sich die sozialdemokratische
Parteiorganisation in Ostdeutschland am 7. Oktober 1989 neu.

Die Friedliche Revolution gehört zu den Sternstunden der europäischen und deutschen Freiheits- und Demokratiebewegung. Bürgermut und Bürgerinitiativen brachten die kommunistische Diktatur in der DDR und Ostmitteleuropa zum Einsturz. Allerdings wurden auch Chancen vertan: Obwohl gerade die Menschen in der DDR unter der Devise "Wir sind das Volk" das SED-Regime beendet und den entscheidenden Anstoß zur Deutschen Einheit gegeben hatten, wurden Forderungen von DDR-Bürgerrechtlern nach mehr
unmittelbarer Bürgerbeteiligung von der damaligen Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP übergangen. In der gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat von 1992 haben Union und FDP dann erneut die Einführung einer Volksgesetzgebung verhindert. Ebenso wurden Forderungen der SPD, im Rahmen der Wiedervereinigung die Chance zu ergreifen, die Wirtschaftsdemokratie im Betrieb und am Arbeitsplatz durch die ausdrückliche Verankerung von Mitbestimmung, Tarifautonomie, Streikrecht und Verbot der
Aussperrung in einer neuen Verfassung zu stärken, abgelehnt.

Nach 20 Jahren Deutscher Einheit sind zu Unrecht beiseite geschobene, zentrale Erfahrungen der ostdeutschen Demokratiebewegung wieder zu entdecken und neu zu beleben. "Runde Tische" sind wieder in aller Munde. Sie gaben inmitten des Umbruchs von 1989 und 1990 einen Ort der intensiven Diskussion, der verantwortungsbewussten Problembewältigung und der Vertrauens- und Konsensbildung. Heute besteht erneut Bedarf an einer engeren Verbindung von Politik und Gesellschaft und einer Neubelebung der Politik. Das
politische und ökonomische Umfeld hat sich verändert, Bildung und Emanzipation vieler Bürgerinnen und Bürger haben einen Bedarf an mehr Partizipation und Teilhabe geschaffen.

In weiten Teilen der Bevölkerung ist sowohl das Bildungsniveau als auch das Informationsniveau im Vergleich zur Frühzeit der Bundesrepublik stark angestiegen. Der Wunsch, in der Politik auch außerhalb von Parteien "mitreden zu wollen", hat zugenommen, etwa auch durch Web 2.0-Angebote im Internet.

Auch heute aber stehen CDU/CSU und FDP beim Thema "Demokratie" auf der Bremse. Volksentscheide auf Bundesebene lehnen konservative und "liberale" Politikerinnen und Politiker weiterhin ab, Partizipationsforderungen der Bevölkerung werden als "Dagegen-Politik" diffamiert. Ein Entwurf für ein Gesetz zur "Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren" der konservativen Bundesregierung – geschrieben auf dem Höhepunkt der Stuttgart 21-Proteste – sieht vor, die Beteiligungsrechte von
Bürgerinnen und Bürgern nicht etwa auszuweiten, sondern sogar einzuschränken.

Mehr direkte Demokratie bedeutet für die SPD, dass sie sich strategisch neu positionieren muss. Auf Grund ihrer verfassungsrechtlichen Stellung ist es Aufgabe von Parteien, dauerhaft an der politischen Willensbildung des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mitzuwirken. Dies bedeutet, dass in Zukunft neben Fragen der politischen Bildung und Information, der Mobilisierung und der Personalaufstellung für Wahlen, Parteien insgesamt mehr und mehr auch die Funktion erhalten, Bürger- oder
Volksentscheide im Verbund mit anderen Initiativen anzustoßen und für entsprechende Abstimmungen zu mobilisieren.

Volksentscheide werden auch auf Bundesebene Teil der politischen Willensbildung und die SPD wird gemäß ihrer verfassungsrechtlich festgelegten Aufgaben, diese Willensbildung aktiv mitgestalten. Dort, wo Bürgerinnen und Bürger sich beteiligen und solche Entscheide anstoßen, wird die SPD ihre Positionen einbringen und für sozialdemokratische Politik mobilisieren. Mehr direkte Demokratie eröffnet der SPD die Chance, für gute sozialdemokratische Politik zu werben. Und diesen Anspruch werden wir
ausfüllen.

Die SPD wird daher im Rahmen des Parteireform-Prozesses Wege und Mittel vorschlagen, wie der beschriebenen zusätzlichen Funktion der Partei Rechnung getragen werden kann. Denn nicht zuletzt wird diese zusätzliche politische Arbeit auch Rückwirkungen auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der SPD und der Parteien insgesamt haben müssen.

Vorschläge für mehr direkte Demokratie

Wir wollen die parlamentarische Demokratie stärken. Dazu gehören selbstbewusste und respektierte Institutionen der parlamentarischen Demokratie. Aber in Ergänzung und zu seiner Stärkung wollen wir auch eine Stärkung der direkten Beteiligungsmöglichkeiten des Volkes an der Gesetzgebung auf Bundesebene. Repräsentative und direkte Demokratie sollen sich ergänzen und mit ihren unterschiedlichen Stärken wechselseitig befruchten.

Wir wenden uns mit unserer Forderung nach der Einführung direktdemokratischer Elemente gegen alle Tendenzen, die einen Keil zwischen die Bevölkerung und ihr Parlament zu treiben versuchen. Direkte Demokratie ist nicht demokratischer als die parlamentarische Demokratie. Unser klares Bekenntnis für die direktdemokratische Bürgerbeteiligung schließt ein deutliches Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie mit ein.

Wir wollen den Bundestag zu einem zentralen Ort der gesellschaftliche Diskussion und Partizipation machen, der durch die Einführung direkter Demokratieteilhabe gestärkt wird. Die positive Wirkung direkter Demokratie besteht nicht nur in der schlussendlichen Ja-Nein-Entscheidung im Volksentscheid, sondern im Prozess dorthin. Auf diesem Weg müssen Regierungsmehrheit und Opposition im Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern und der Zivilgesellschaft um ihre Ziele werben. Es entsteht ein neuer
öffentlicher Ort zur Begründung und Beratschlagung von Politik, die über die inszenierte Pseudo-Konfrontation zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Politik in Talkshows hinaus geht.

Direkte Formen demokratischer Beteiligungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf Bundesebene sollen helfen, die gewachsene Distanz zwischen unserer demokratisch gesinnten Bevölkerung und den demokratischen Institutionen und Parteien zu überbrücken. Sie sollen auch dazu beitragen, dass Parteien sowie Politikerinnen und Politiker sich des Korrekturinstruments der direkten Demokratie bei ihren Regierungsbildungen und politischen Entscheidungen bewusst sind. Bei der Wahl eines Parlaments wird regelmäßig nur
über eine politische Richtung, selten dagegen über den Umgang mit einzelnen Sachfragen abgestimmt. Was nicht Wahlkampfthema ist, kann nur im Wege der Richtungsentscheidung gewählt werden. Hier können Elemente unmittelbarer Demokratie ausgleichend wirken.

Allerdings: Unser Gesetzgebungsprozess kann hierdurch auch komplexer werden. Direktdemokratische Bürgerbeteiligung ist zeit- und ressourcenaufwändig auch für Bürgerinnen und Bürger. Nicht alle werden daher gleichermaßen von den Möglichkeiten direkter Demokratie Gebrauch machen. Die Trägerinnen und Träger von Volksbegehren sind meist dort zu finden, wo über Zeit und Ressourcen verfügt wird: In den Schichten, die heute schon meinungsbildend sind. Daher werden wir Sorge tragen müssen, dass direkte
Demokratie nicht eine noch stärkere soziale Selektion bei Partizipationsprozessen zur Folge hat, wie dies schon jetzt bei Bundestagswahlen zu beobachten ist: Wenn nur die Besserverdienenden zum Wählen gehen, während die sozial Schwachen zu Hause bleiben, ist dies kein Fortschritt für die Demokratie.

Eine Demokratieoffensive in Deutschland zur Weiterentwicklung der parlamentarischen Demokratie muss weit- und tiefgehender sein.

• Wir wollen neue und frühzeitige Formen von Bürgerbeteiligung bei Großprojekten gesetzlich festlegen,
durch welche in öffentlicher Diskussion und Beratung eine Öffnung politischer Prozesse und neue Formen
der Partizipation entstehen.
• Demokratisierung der öffentlichen und privaten Wirtschaft. Wir wollen Bereiche zurückerobern, die in
den letzten Jahren durch Privatisierung von öffentlicher Daseinsvorsorge und durch die Ökonomisierung
der Lebenswelt der demokratischen Kontrolle entzogen wurden.
• Ökonomisch sinnvolle rechtliche Gestaltungsformen dürfen nicht zu einem Verlust an Transparenz und
Mitbestimmung führen. Mitbestimmung bewährt sich nicht nur in der Krise. Ein Ausbau der Mitbestimmung
nach dem positiven Erfolgsmodell der Montan-Mitbestimmung dient diesen Zielen. Fundamentale
unternehmerische Entscheidungen dürfen nicht gegen die Arbeitnehmer getroffen werden, auch kleinere
Unternehmen müssen in die Mitbestimmung einbezogen sein. Grundlegende Entscheidungen der Wirtschaft
müssen wegen ihrer Konsequenzen für das Leben vieler Menschen demokratisch legitimiert sein.
• Durch eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte werden der parlamentarischen und direkten Demokratie,
der demokratisch vom Volk legitimierten Politik, Wege wieder eröffnet, maßgeblichen Einfluss auf
gesellschaftliche Entwicklungen zu nehmen. Zugleich kann die Regulierung auch erforderliche Mittel
erbringen.
• Wir fordern eine grundsätzliche Überarbeitung der Transparenzregeln für den Einfluss und den
Machtausgleich zwischen politischen Interessengruppen, nicht nur im Umfeld von Parlament und Regierung,
sondern auch bei allem Formen der unmittelbaren Bürgerbeteiligung. Wir wollen eine stärkere
demokratische und rechtliche Kontrolle der ökonomischen Eliten durchsetzen. Die Menschen verlieren das
Vertrauen in die parlamentarische Demokratie, wenn das Gefühl besteht, dass der Staat Bürgerinnen und
Bürgern und wirtschaftliche Eliten mit zweierlei Maß misst.
• Wir wollen ein einfaches, gerechtes und transparentes Wahlrecht. Schritte zur Reform des Wahlrechts
werden wir vorsichtig gehen. Eine pauschale Ausweitung des Stimmrechts auf Kosten der Einfachheit und
Transparenz ist keine Lösung. Wir werden Erfahrungen mit den unterschiedlichen Formen des Wahlrechts
kritisch auswerten. In keinem Falle darf die Gestaltung des Wahlrechts zur Stimmenthaltung ermutigen
oder gar zur Zunahme ungültiger Stimmen führen. Insofern sind auch die Landesregierungen und
Landeszentralen für Politische Bildung gefordert, über das jeweilige Wahlrecht aufzuklären.
• Stabile Demokratie und soziale Gerechtigkeit sind untrennbar miteinander verbunden. Der Staat hat in
den Augen der Bürgerinnen und Bürger eine zentrale Aufgabe in der Absicherung sozialer Risiken und in
der Vermeidung sozialer Schieflagen. Wenn das nicht mehr gelingt, schwindet das Vertrauen in die
Staatsform Demokratie oder zumindest das Interesse an einer aktiven Beteiligung. Soziale Spaltung und
die damit verbundene Erosion der Mitte und das Abhängen ganzer Gesellschaftsschichten durch
marktradikale Politik führen derart nicht nur zu einer Schwächung der Demokratie. Es besteht zudem die
Gefahr, dass diese Entwicklungen Minderheiten in die Schuhe geschoben werden. Solche
rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Tendenzen sind in ganz Europa zu beobachten.

Elemente der direkten Demokratie

Volksentscheide ins Grundgesetz

Die im Grundgesetz verankerte parlamentarische Demokratie hat sich in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Doch der Wunsch nach stärkerer Beteiligung wächst in der Bevölkerung. In den letzten Jahren wurden die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger auf Ebene der Bundesländer deutlich ausgebaut. Die Erfahrungen damit waren überwiegend positiv.

Bereits 2002 hatten die Fraktionen von SPD und Grünen einen Gesetzesentwurf zur Einführung einer Gesetzgebung unmittelbar durch das Volk eingebracht. Diese bedarf aber der Zweidrittelmehrheit zur Änderung des GG und scheiterte damals am Widerstand von Union und FDP.

Bürgerinnen und Bürger sollen die Möglichkeit erhalten, dem Parlament selbst Gesetzgebungsanträge zu stellen (Volksinitiative) und im Falle, dass das Parlament dem nicht entspricht, im Wahlvolk für einen Volksentscheid zu werben. Wird diese Werbung von genügend Wählerinnen und Wählern unterstützt, ist dies ein erfolgreiches Volksbegehren mit der Folge, dass das Volk über das Gesetz wie bei einer Wahl selbst entscheidet.

Folgende Verfahren schlagen wir vor:

• Die Volksinitiative ist ein Antrag aus dem Volk an das Parlament, ein konkret formuliertes Gesetz zu
beschließen. Die Beratung des Antrags im Parlament mit den Antragstellern ermöglicht einen umfassenden
Diskurs, die Vermittlung von Erkenntnissen, die Parlamentarier den Antragstellern voraus haben mögen -
und umgekehrt. Argumente und Vorgänge werden plastisch und transparent. Die Entscheidungsmacht des
Parlaments wird dabei beeinflusst durch die Möglichkeit der Antragsteller, einen Volksentscheid
herbeizuführen. Antragsteller einer Volksinitiative können im Parlament ähnlich verhandeln wie
parlamentarische Antragsteller. Dabei bleibt die Souveränität des Parlaments in vollem Umfang erhalten:
Das Parlament kann ein durch das Volk beschlossenes Gesetz genauso ändern wie ein parlamentarisches.
• Kommen die Initiatoren mit dem Parlament nicht zu einem Ergebnis, das dem initiierten Gesetzentwurf
entspricht, haben sie die Möglichkeit, für ein Volksbegehren zu werben. Wie hoch das Quorum sein muss,
um ein solches Volksbegehren (wie auch eine Volksinitiative) zu beginnen, wird zu diskutieren sein. Die
Quoren müssen so hoch sein, dass erkennbar wird, dass viele Bürgerinnen und Bürger es unterstützen,
über das Anliegen einen Volksentscheid herbeizuführen; sie dürfen nicht so hoch sein, dass sie
regelmäßig mit den Mitteln ehrenamtlich tätiger Initiatoren nicht zu erreichen sind, weil sonst das
Instrument der direkten Demokratie leer läuft.
• Ist das Volksbegehren erfolgreich, findet ein Volksentscheid nach dem Muster einer Wahl statt, bei dem
regelmäßig über den Entwurf der Antragsteller, ggf. auch über einen Alternativentwurf des Parlaments
abgestimmt wird.
• Wir wollen daher den Ablauf von Volksinitiativen so ausgestalten, dass auf jeder erfolgreich genommenen
Verfahrensstufe eines Plebiszits das Parlament eingeschaltet werden muss, damit dieses mit Korrekturen
oder im Falle einer parlamentarischen Konkurrenzvorlage sogar mit einem Kompromissangebot reagieren
kann. Es sind obligatorische Hearings und Debatten im Parlament vorzusehen, in denen Initiatoren ihre
Vorlage öffentlich verteidigen müssen. Eine solche Verzahnung der parlamentarischen Gesetzgebung mit
Prozessen der direkten Demokratie führt zu einer Kontinuität der so erfolgreichen parlamentarischen
Diskussions-, Verhandlungs- und Kompromisspotentiale auch bei direktdemokratischen
Gesetzgebungsverfahren. Durch die Verkoppelung kann noch stärker garantiert werden, dass nicht das
Einzelinteresse, sondern das Interesse des Gemeinwohls dominiert. Die Initiatoren von Volksentscheiden
müssen die Möglichkeit haben, ihren Vorschlag im Laufe von Verhandlungen mit dem Parlament zu
modifizieren oder zurückzuziehen. Das Parlament muss hingegen die Kompetenz besitzen, einen eigenen
Konkurrenzentwurf mit zur Abstimmung zu stellen. Und Parlamente sind natürlich berechtigt,
volksbeschlossene Gesetze ihrerseits zu ändern.
• Finanzwirksame Volksentscheide müssen, um zulässig zu sein, Kostendeckungsvorschläge enthalten.
Ausgeschlossen sind Volksentscheide über das Haushaltsgesetz als solches.
• Ein Volksentscheid kann sich – überwindet er die Quoren – nur insoweit auf die Änderung der Verfassung
richten, wie dies auch der parlamentarische Gesetzgeber könnte.
• Ein Gesetzentwurf ist angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat und mindestens ein
Fünftel der Stimmberechtigten sich an der Abstimmung beteiligt haben. Für Verfassungsänderungen gelten
erheblich höhere Quoren. Ein verfassungsändernder Gesetzentwurf ist angenommen, wenn zwei Drittel der
Abstimmenden zugestimmt und mindestens fünfzig vom Hundert der Stimmberechtigten sich an der Abstimmung
beteiligt haben. Dies entspricht der erschwerten Abänderbarkeit der Verfassung im parlamentarischen
Verfahren. Die Verfassung als Grundlage der Rechtsordnung und des politischen Prozesses soll nur dann
durch Volksabstimmung geändert werden können, wenn ein breiter gesellschaftlicher Konsens besteht. Bei
Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen und bei verfassungsändernden Gesetzen gilt das
Ergebnis der Abstimmung in einem Land als Abgabe seiner Bundesratsstimme.
• Neue direktdemokratische Beteiligungsrechte müssen sich wie parlamentarische Initiativen und
Entscheidungen an den Grundrechten, den unveränderlichen Grundentscheidungen der Verfassung und den
übrigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen ausrichten. Auch bindendes Völkerrecht, EU-Recht und
sonstiges Europarecht, insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention müssen gerichtlicher
Prüfungsmaßstab sein. Die Rechtmäßigkeit von Gesetzesinitiativen aus dem Volk und ihre Vereinbarkeit
mit höherrangigem Recht sollen umfassend bereits im Zulassungsstadium geprüft werden können.
• Das Innenministerium prüft jedes Volksbegehren auf seine Zulässigkeit. Sieht das Innenministerium die
gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens als nicht gegeben, entscheidet über
die Zulassung das Bundesverfassungsgericht. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss
spätestens drei Monate nach Anrufung durch das Staatsministerium des Innern erfolgen.
• Parlamentarische Vertretung des Volkes und direkte Gesetzgebung kosten Geld. Es war – trotz vieler
Anfeindungen – einer der größten Fortschritte der Demokratie, dass nicht nur Adelige und wohlhabende
Bürger Politik machen oder Parteien gründen konnten. Genauso muss auch bei der Einführung direkter
Demokratie verhindert werden, dass sich Konzerne Gesetze oder Reiche Volksabstimmungen "kaufen" können
oder es sich nur Reiche leisten können, Volksentscheide zu initiieren.
• Uns ist aber bewusst, dass auch mit dieser Kostenerstattung die Initiativen in Vorleistung gehen müssen
und bei einem nicht erfolgreichen Volksbegehren die Kosten für ihr Anliegen allein tragen müssen. Auch
dies baut Hürden insbesondere für Anliegen, hinter denen keine finanzkräftigen Interessen stehen, auf.
Deswegen werden wir weitere Maßnahmen entwickeln müssen, um die Zivilgesellschaft hier auch finanziell
zu stärken.
• Es ist sicherzustellen, dass nicht durch finanzintensive Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit zur
Durchsetzung individueller Interessen eine einseitige Beeinflussung der Öffentlichkeit erfolgt. Gegner
und Befürworter eines Volksentscheides müssen auf Augenhöhe agieren und ihre Argumente der
Öffentlichkeit vermitteln können. Sämtliche Offenlegungspflichten, die für Parteien gelten, sollen auch
für die Initiatoren von Volksentscheiden gelten.
• Wie bei den Regeln über direkte Demokratie in den Bundesländern sollen auch auf der Bundesebene
Erstattungen vorgesehen werden, die die Initiatoren für die ihnen entstandenen Kosten erhalten, wenn
ein Volksbegehren erfolgreich ist und die ihnen für die Durchführung eines Volksentscheids entstehen.
Dies kann ähnlich gestaltet werden wie die Wahlkampfkostenerstattung der Parteien. Auch damit soll der
Gefahr entgegen getreten werden, dass Volksbegehren und Volksentscheid sich nur leisten kann, wer Geld
hat; umgekehrt muss die Erstattung so begrenzt werden, dass es sich nicht lohnt, nur ihretwegen
Volksgesetzgebung zu initiieren.
• Weil die Zahl von meist zugewanderten Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, ohne
Partizipationsrechte zu besitzen, steigen wird, wollen wir das kommunale Wahlrecht ausweiten. Für
Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger, die seit sechs Jahren rechtmäßig in Deutschland leben, werden wir das
kommunale Wahlrecht, auch für kommunale Bürgerentscheide, durchsetzen.
• Angehörige bestimmter sozial schwacher Milieus beteiligen sich an Volksabstimmungen meist deutlich
weniger als andere besserverdienende Bürger. Diese Entwicklung zeigt sich zwar auch bei
Parlamentswahlen, etwa bei den Europawahlen. Trotzdem muss bei der Ausgestaltung der Volksgesetzgebung
besonders auf Transparenz und Chancengleichheit geachtet werden. Um das Instrument allen zugänglich zu
machen, bedarf es einerseits einer breiten Informationskampagne sowie einer dauerhaften Einrichtung
einer Beratungsinstanz seitens der Bundesregierung. Dies erfordert insbesondere, dass ausführliche
Abstimmungshefte mit Informationen über die verschiedenen Positionen bereitgestellt werden, in denen
u.a. die Abstimmungsempfehlungen von Parteien und Verbänden deutlich aufgeführt werden.
• Auch bedarf es, um Volksentscheide anzustreben, einer enormen Sach- und Verfahrenskenntnis. Es muss
gewährleistet werden, dass dieses Instrument auch wirklich ein Instrument ist, das für jede Bürgerin
und jeden Bürger handhabbar ist und nicht ausschließlich von einer gesellschaftlich privilegierten
Bevölkerungsschicht angewandt wird, weil politische Partizipation für alle sonst nicht gewährleistet
ist.
• Dafür bedarf es auch einer öffentlichen Verwaltung, die die Initiierung von Volksbegehren unterstützt
und sie nicht blockiert. Es muss sichergestellt sein, dass die Initiatoren durch die öffentliche
Verwaltung fachkundig beraten und hinsichtlich des Verfahrens unterstützt werden.
• Die Einführung direkter Demokratie wird einerseits zu einem Verlust an Einfluss der Parteien führen,
andererseits eröffnen sich aber auch neue Chancen für die Parteien. Die SPD muss sich auf diese neuen
Herausforderungen einstellen: Parteien haben die Möglichkeit, neben den Wahlen für Themen zu werben und
zu streiten. Die Vernetzungs- und Artikulationsfunktionen der Parteien können sich derart sogar
verbessern, weil Kampagnen für Volksbegehren durch die Kooperation mit gesellschaftlichen Verbänden an
Dynamik gewinnen werden.

Neue Bürgerbeteiligung

Die Politik muss lernen, Bürgerinnen und Bürger mehr, direkter und früher in Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

• Die Mediation – also die Vermittlung unterschiedlicher Interessen, Meinungen und Positionen – muss am
Anfang stehen und nicht am Ende des Prozesses. Es geht dabei um eine frühzeitige, ergebnisoffene
Bürgerbeteiligung mit einer offenen Alternativenprüfung und einer "ergebnisoffenen Grundsatzanhörung"
bereits im verbindlich vorzusehenden Raumordnungsverfahren unmittelbar zu dem Zeitpunkt, in dem der
Genehmigungsantrag bei der Behörde eingeht. Nachzudenken ist ebenfalls über die Bestellung von
Ombudsleuten für die Anhörungsverfahren, um für einen fairen Verfahrensablauf zu sorgen. Politische
Projekte können derart nicht nur in höherem Maße Akzeptanz erhalten. Eine frühe Bürgerbeteiligung
verhindert, dass im Rahmen von Großprojekten argumentiert werden kann, es gäbe keine Alternative zu
einer Entscheidung, weil etwa schon Verträge mit der Wirtschaft unterschrieben und Kostenpläne
aufgestellt worden seien.
• Neue Formen der Bürgerbeteiligung erneuern das Element der öffentlichen Diskussion im parlamentarischen
System. Durch die immer komplexer werdende Politik ist diese Form der öffentlichen Diskussion oft in
Ausschüssen und Gremien verschwunden. Dies beinhaltet auch, dass staatliche Behörden frühzeitig,
langfristig und qualitativ bessere Bürgerbeteiligung organisieren müssen.
• Die wichtige Beratung der Politik durch wissenschaftliche Berater und Interessenvertreter wird durch
öffentliche Bürger- und Gesellschaftsberatung ergänzt. Konstruktive Bürgerkritik kann helfen,
politische Projekte besser, effizienter und effektiver zu machen. Zivilgesellschaftliche Initiativen
besitzen in vielen Fällen ein beachtliches Maß an Wissen und Expertise. Wir brauchen Bürgerinnen und
Bürger als politische Berater. Bürgerbeteiligung darf nicht mehr nur als ein lästiges Problem am Rande
angesehen werden, die Großprojekte teurer macht oder in die Länge zieht. Es geht um eine neue lernende
Politik.
• Es geht also darum, Bürgerbeteiligung nicht als Blockadeinstrument, sondern als Gestaltungschance zu
nutzen. Eine solche neue Kultur der Bürgerbeteiligung ist notwendig, um zentrale Fortschrittsprojekte
mit Bürgerinnen und Bürgern und nicht an ihnen vorbei voranzutreiben. Alle Experten sind sich einig,
dass der flächenmäßige Ausbau regenerativer Energien nur mit einer breiten demokratischen Einbindung
der Bevölkerung möglich sein wird, um bestehende Widerstände gegen Stromleitungen,
Pumpspeicherkraftwerke, Windräder etc. zu überwinden.
• Um wirklich mehr Demokratie einzufordern, müssen die Beteiligten neue Rollenbilder annehmen. Politiker
müssen lernen, dass sie zivilgesellschaftgesellschaftlichen Akteuren auf Augenhöhe begegnen, die
Zivilgesellschaft muss sich von ihrer gezielten Distanzierung gegen Politiker und Parteien lösen.
Konflikte müssen konstruktiv ablaufen.
• Wir wollen mehr digitale Demokratie durch Nutzung des Internets. Internetbasierte und mobile
Technologien wollen wir nutzen, um Bürgerinnen und Bürger stärker in den gesamten politischen Prozess
zu integrieren. Digitale Beteiligungsverfahren (Open Government) können die Transparenz, Möglichkeiten
der Partizipation und die Zusammenarbeit zwischen Institutionen und Bürgerinnen und Bürgern sowie der
Wirtschaft befördern. Öffentliche Daten wollen wir offen machen. Verwaltungen müssen sich durch
Transparenz, Öffnung und breite Feedback-Prozesse auszeichnen. Wir wollen das
Informationsfreiheitsgesetz zu einem Bürgerinformationsgesetz weiterentwickeln. Die Offenlegung von
Verträgen zu Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorgemuss gesetzlich ermöglicht werden, auch wenn
Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse dadurch eingeschränkt werden. Doch auch hier sperrt sich die
Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP Die von der Enquete-Kommission "Internet und digitale
Gesellschaft" erarbeitete Idee einer Beteiligungsplattform "Adhocracy" wurde von CDU, CSU und FDP im
Bundestag ausgebremst.

Lokale Demokratie stärken

Die repräsentative lokale Demokratie mit ihren Tausenden ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern hat in der Geschichte der Bundesrepublik erfolgreich die Interessen der Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen und vertreten. Ehrenamtliche Kommunalpolitik ist der Grundstein unserer repräsentativen Demokratie und unserer Bürgergesellschaft; sie ist wichtiger Bestandteil Bürgerschaftlichen Engagements. Diese demokratische Tradition lokaler repräsentativer Vertretungen muss bewahrt und
weiterentwickelt werden. Deshalb müssen die Rahmenbedingungen für ehrenamtliche Kommunalpolitik an die neuen Herausforderungen angepasst werden, damit sie ihre tragende Rolle im demokratischen Gemeinwesen unserer Städte, Gemeinden und Kreise weiter verantwortungsvoll wahrnehmen kann.

Zentral für die SPD ist die solidarische Bürgergesellschaft. Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich vor allem dort an sozialen und politischen Entwicklungen, wo es sie unmittelbar betrifft: in ihrer Gemeinde, in ihrem Stadtteil. Ein wesentliches Merkmal unserer Partizipationspolitik zielt daher darauf, die lokale Demokratie zu stärken. Grundlage dafür ist die kommunale Selbstverwaltung durch gewählte Repräsentantinnen und Repräsentanten. Dieses System hat sich in vielen Jahrzehnten bewährt, es ist
das Fundament unserer Demokratie. Ergänzend sehen die Gemeindeordnungen plebiszitäre Entscheidungsformen, wie Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, vor. Dieses ausgewogene Verhältnis von repräsentativer Demokratie im Regelfall und direkter Demokratie im Ausnahmefall sehen wir auch in der Zukunft als Basis einer lebendigen kommunalen Selbstverwaltung.

Kommunalpolitik muss zwischen den verschiedenen einzelnen Interessen und Bevölkerungsgruppen vermitteln und die gesellschaftlichen Kräfte zusammenführen, um Zukunftsfragen gemeinsam vor Ort zu lösen. Daher setzen wir auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern, also eine frühzeitige Bürgermitwirkung. Kooperative Formen der Demokratie, d.h. die vielfältige Mitwirkung unterschiedlicher Bürgergruppen bereits im Vorfeld von Entscheidungen werden ein immer wichtigeres
Element kommunalpolitischen Handelns.

Daher unterstützen wir die vielfältigen Formen kooperativer Demokratie, wie beispielsweise Zukunftswerkstätten und Leitbildkonferenzen, Stadtteilforen und runde Tische, Bürgergutachten und Planungszellen, Bürgerhaushalte sowie andere Konsultationsverfahren. Diese Formen der Bürgermitwirkung bedürfen klarer Spielregeln, die Entscheidungsspielräume und -grenzen offen legen und die mit den Beteiligten vereinbart werden. Erfolgreiche Bürgermitwirkung zeichnet sich durch eine frühzeitige Information
und Transparenz über das Verfahren sowie dessen Ziele und Inhalte aus und dadurch, dass aktiv an der Beteiligung möglichst vieler Schichten der Bevölkerung gearbeitet wird. Durch eine Themen und Zielgruppen angemessene Ansprache muss sichergestellt werden, dass dabei auch die Interessen derjenigen berücksichtigt werden, die sich schlechter artikulieren können. Zudem müssen die Möglichkeiten neuer Kommunika-tionsmedien intensiver genutzt werden, die eine schnelle und barrierefreie Bürgermitwirkung
ermöglichen.

Unser Ziel ist eine Kommunikationskultur, die Blocka¬den und Sprachunfähigkeit vermeidet. Frühzeitige Partizipation bezieht das Erfahrungswissen der Bürgerinnen und Bürger in Planungs- und Entscheidungsprozesse ein. Mit mehr Beteiligung schaffen wir Sensibilität für wichtige Themen sowie Transparenz und Akzeptanz von Entscheidungen. Durch eine Kultur der Beteiligung wachsen die Identifikation und das Verantwortungsgefühl der Menschen für ihr Dorf, ihre Gemeinde, ihren Stadtteil. Solidarität und
Eigenverantwortung sowie Bürgerschaftliches Engagement werden gestärkt.

Die repräsentative lokale Demokratie ergänzt um aktivierende Bürgermitwirkung (Kooperative Demokratie), Bürgerbeteiligung und bürgerschaftliches Engagement sind Voraussetzungen für erfolgreiches kommunalpolitisches Handeln.

Mehr Demokratie auf europäischer Ebene wagen

Die deutsche und europäische Sozialdemokratie hat sich auf europäischer Ebene immer wieder für mehr Demokratie und mehr Transparenz eingesetzt. Dies gilt für die Stärkung und Ausweitung der Rechte des Europäischen Parlaments und für die Einführung von Elementen direkter Demokratie. Es waren Sozialdemokraten, die erfolgreich dafür gesorgt haben, dass das Europäische Parlament mit dem Vertrag von Lissabon noch mehr Rechte erhalten hat und dass auf europäischer Ebene das Instrument der Europäischen
Bürgerinitiative (EBI) eingeführt worden ist. Insbesondere dieses neue Instrument, durch das die Europäerinnen und Europäer ab 2012 direkteren Einfluss auf die europäische Politik nehmen können, wollen wir in Zukunft gemeinsam mit unseren Schwesterparteien in Europa, der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) und strategischen Bündnispartnern wie dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) offensiv nutzen und so zur Belebung der europäischen Demokratie und Öffentlichkeit beitragen.

Zu einer Stärkung der europäischen Demokratie gehört für uns auch die Stärkung innerbetrieblicher Mitbestimmung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in europaweit tätigen Unternehmen, insbesondere die Stärkung und Ausweitung der Rechte der Europäischen Betriebsräte.

Transparente Interessenvertretung

Die Vertretung von Interessen ist ein Wesensmerkmal eines demokratischen Staatswesens, doch verstärkt sich zunehmend das öffentliche Unbehagen gegenüber den Tätigkeiten und dem Ausmaß des Einflusses von Interessenvertretern auf Politik und Öffentlichkeit. Die in vielen Ländern weitgehend unregulierte Mitwirkung von Interessengruppen an der Gestaltung von Politik wird mitverantwortlich gemacht für ein stark gesunkenes Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politik. Vertrauen in die Legitimität
staatlicher Entscheidungen setzt Transparenz voraus, doch vollzieht sich das Miteinander von Staat, Zivilgesellschaft und privatem Sektor bislang vollständig im Dunkeln. Es gilt darum, die öffentliche Transparenz dieses Miteinanders wirksam zu steigern, denn die demokratische Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf.

Bei der Vertretung von Interessen gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit handelt es sich um eine Form der (in unterschiedlichem Ausmaß) organisierten gesellschaftlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung, der Gesetzgebung und dem Gesetzesvollzug, die bislang nicht durch Gesetze geregelt ist und in ihrer Substanz durch Gesetze auch nicht umfassend und abschließend geregelt werden kann. Gleichwohl muss die demokratische Verantwortlichkeit und Nachvollziehbarkeit sichergestellt werden.
Deshalb wollen wir einen einheitlichen Regelungsrahmen aus gesetzlichen wie untergesetzlichen Maßnahmen und Anreizen zur Selbstregulierung schaffen, der den Grundsatz der Öffentlichkeit parlamentarischer Prozesse auch bei der Vertretung von Interessen gegenüber von Parlament und Regierung realisiert. Die so geschaffene Transparenz kann Interessenskonflikten entgegenwirken und das Vertrauen der Menschen in das Zustandekommen von Politik wieder stärken.

Ein einheitlicher Regelungsrahmen für das Miteinander von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sollte folgende Bestandteile haben:

• Der finanzielle wie organisatorische Hintergrund von Interessenvertretern kann durch gesetzliche
Offenlegungsvorschriften transparent gemacht werden. Wir fordern daher ein gesetzlich verpflichtendes
und sanktionsbewehrtes Lobbyregister, in das sich alle Interessenvertreter eintragen müssen. Bei
Eintragung in das Register muss offengelegt werden, welche Interessen hinter ihnen stehen und sie
finanzieren. Rechtsanwälte können sich bei der Vertretung von Interessen nicht auf die
anwaltschaftliche Verschwiegenheitsverpflichtung berufen und müssen sich ebenfalls registrieren, wenn
sie lobbyistisch tätig sein wollen. Ein "Lobby-Beauftragter" soll die Einhaltung der Regelungen
überwachen.
• Ein anreizgestützter, aber grundsätzlich freiwilliger Verhaltenskodex kann Interessenvertretern Regeln
für die Wahrnehmung ihrer Tätigkeit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Offenheit, Transparenz,
Ehrlichkeit und Integrität vorgeben. Im Lobbyregister ist die freiwillige Annahme oder Nicht-Annahme
des Kodex’ öffentlich einsehbar vermerkt, so dass ein starker Anreiz zur Annahme des Kodex’ besteht.
• Detailbestimmungen innerhalb des Deutschen Bundestages, aber auch innerhalb der Bundesregierung sollten
Vorgaben für das Miteinander beider Organe mit Interessenvertretern beinhalten, etwa hinsichtlich der
Mitarbeit Externer in Bundesbehörden, der externen Erstellung von Gesetz- und Verordnungsentwürfen
sowie der Vergabe von Hausausweisen für Liegenschaften des Bundestages.
• Zur Vermeidung von Interessenskonflikten sowie des Anscheins solcher Konflikte während und nach Ablauf
ihrer Amtszeit sollen sich die Mitglieder der Bundesregierung einer Verhaltensrichtlinie unterwerfen,
die die Aufnahme von entgeltlichen wie unentgeltlichen Tätigkeiten reguliert und Bestimmungen zur
Offenlegung finanzieller Interessen und Vermögen beinhaltet. Eine solche Richtlinie gewährleistet nicht
nur die Unabhängigkeit von Mitgliedern der Bundesregierung durch den Ausschluss von
Interessenskonflikten, sondern kann auch einen wichtigen Beitrag zur moralischen wie rechtlichen
Entlastung insbesondere ehemaliger Regierungsmitglieder bei Aufnahme einer neuen beruflichen Tätigkeit
leisten.

Geld und Politik

Die Entwicklungen auch in anderen Ländern belegen, dass der Einfluss von Geld auf die Politik immer weiter wächst. Dies darf nicht sein, auch hier wollen wir klare Regeln einziehen:

• Erfahrungen aus den USA zeigen, dass der Einfluss finanzieller Macht auch im Bereich der direkten
Demokratie begrenzt werden muss. All die Regeln der Transparenz für Regierung und Parlament müssen auch
für die Initiatoren von Volksentscheiden gelten. Es darf beispielsweise nicht verborgen bleiben, welche
Geldgeber etwa hinter den Initiatoren des Volksentscheids in Berlin für den Erhalt des Flughafens
Tempelhof standen. Strenge Offenlegungsvorschriften müssen dafür sorgen, dass der Öffentlichkeit
bekannt ist, welche Personen und dahinter stehende Interessen sich finanziell in Abstimmungskämpfen
engagieren. Wird politische Werbung mit großem finanziellen Aufwand betrieben, ist sicherzustellen,
dass der Geldgeber in der Werbung selbst klar ersichtlich ist. Auch über Spenden- und
Ausgabenbeschränkungen muss nachgedacht werden, um Chancengleichheit herzustellen.
• Die Transparenz beim Parteiensponsoring muss verbessert werden. Sponsoring muss den gleichen
Transparenzanforderungen unterworfen werden, wie sie für Parteispenden gelten.
• Die UN-Konvention gegen Korruption soll umgesetzt werden, indem Bestechung von Abgeordneten für Geber
und Nehmer endlich wirksam unter Strafe gestellt wird. Wir werden unser Rechtssystem darauf überprüfen,
ob weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption erfolgversprechend sind. In unserer Gesellschaft
darf sich nicht der Eindruck verfestigen, dass ohne den Einsatz korrumpierender Mittel wirtschaftliche
oder persönliche Ziele nicht zu erreichen sind.

Neubelebung der Demokratie für alle

Dass eine Person nicht zur Wahl oder Volksabstimmung geht, ist umso wahrscheinlicher, je niedriger der Bildungsabschluss und das Einkommen sind. Es besteht zudem die Gefahr, dass rechtspopulistische Parteien oder Bewegungen Zulauf erhalten, wie sich bei europäischen Nachbarn zeigt. Dieser Trend ist nicht durch institutionelle Veränderungen zu brechen.

• Wir müssen hingegen wieder dafür sorgen, dass wir in Deutschland das demokratische Versprechen der
sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe einlösen. Das Versprechen der demokratischen Gleichheit
bezieht sich nämlich nicht nur auf die politischen Beteiligungsrechte, sondern auch auf das Ziel von
mehr sozialer Gerechtigkeit. Den Weg dazu diskutieren wir derzeit mit unserem "neuen
Fortschrittsprogramm".
• Der parlamentarischen Demokratie in Deutschland wird ferner die Grundlage und das Vertrauen entzogen,
wenn die Menschen das Gefühl haben, dass zwischen ihnen und wirtschaftlichen Eliten mit zweierlei Maß
gemessen wird. Auch in der Wirtschaft muss daher gelten: Wer Verantwortung trägt, wird bei
Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen.
• Die außerschulische Demokratieerziehung und politische Bildung – etwa in Jugendverbänden – darf nicht
weiter gekürzt werden, sondern ihre finanziellen Spielräume müssen sogar ausgeweitet werden. Dabei muss
darauf geachtet werden, dass politische Bildung eine weniger elitäre Ausrichtung erhält, um auch in
sozial schwachen Schichten Jugendliche zu erreichen. In den Schulen muss Demokratieerziehung und
Gesellschaftskunde wieder stärker im Schulunterricht verankert werden, und zwar nicht nur in den
Gymnasien.
• Demokratie muss immer wieder neu gelernt und gelebt werden. Dies muss bereits in der Jugend beginnen.
Deswegen macht sich die Sozialdemokratie für demokratische Mitbestimmung in den Schulen, in den
Hochschulen und in den Ausbildungsbetrieben stark. Wir wollen an den Schulen eine tatsächliche
Mitentscheidung nicht nur der Lehrerinnen und Lehrer und der Eltern, sondern auch der Schülerinnen und
Schüler. Deswegen müssen die Schulkonferenzen drittelparitätisch besetzt werden. Die SPD war immer auf
der Seite der Studierenden. Deswegen erneuern wir unser Bekenntnis zur Verfassten Studierendenschaft.
Darüber hinaus wollen wir der Tendenz der Entdemokratisierung der Hochschulen entgegenwirken. Das
bedeutet für uns eine Stärkung der Mitentscheidungsmöglichkeiten aller Gruppen an den Hochschulen unter
anderem durch eine Viertelparität in den Gremien, in denen dies möglich ist. Und wir machen uns für
eine Stärkung der Jugendauszubildenden-Vertretungen stark. Auszubildende müssen im Rahmen der
Mitbestimmung in den Betrieben selbst die Rahmenbedingungen von Bildung und Ausbildung mitbestimmen
können.
• Die Zivilgesellschaft muss weiter gestärkt und vor allem auch verbreitert werden. Die Zivilgesellschaft
darf nicht nur durch Besserverdienende und Gutgebildete repräsentiert werden. Wir müssen z.B. durch
Bürgerplattformen in sozial schwächeren Stadtteilen dafür sorgen, dass die Zivilgesellschaft einen
repräsentativeren Charakter erhält. Gerade hier haben aber CDU, CSU und FDP Mittel der Sozialen Stadt
gekürzt.
• Der SPD ist die Gefahr einer Instrumentalisierung von Volksbegehren für rassistische und faschistische
Anliegen bewusst. In unserer Gesellschaft darf braunes Gedankengut keinen Platz haben. Deswegen wollen
wir, anders als CDU, CSU und FDP, insbesondere zivilgesellschaftliche und antifaschistische Initiativen
wieder stärker unterstützen. Wir wollen die Finanzierung zivilgesellschaftlicher Initiativen auf ein
festes Fundament stellen und setzen uns daher für die Einführung einer Bundesstiftung für demokratische
Kultur ein.
• Gerade für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist die Erfahrung der Mitbestimmung in den Betrieben ein
wichtiger Erfahrungsraum für Demokratie. Hier hat die SPD eine Projektgruppe "Mitbestimmung"
eingerichtet, die derzeit weitergehende Vorschläge für eine Neubelebung der Wirtschaftsdemokratie
erarbeitet.
• Um für alle Bürgerinnen und Bürger gerechte Teilhabe möglich zu machen, muss sich auch der Staat
weiterhin eine Öffentliche Daseinsvorsorge leisten können, da sie das Leben vor Ort qualitativ prägen
und für soziale Gerechtigkeit sorgen. Bibliotheken, Schwimmbäder, Wasser, Strom, Mobilität, Bildung,
Sport, Soziale Dienste, Schulspeisungen, Ganztagsbetreuung, Müll- und Abwasserentsorgung oder der ÖPNV
sind gesellschaftliche Aufgaben. In den letzten Jahren gab es die Tendenz, solche Leistungen zu
privatisieren und sie der demokratischen Kontrolle zu entziehen. Diese Entwicklung muss rückgängig
gemacht werden. Hingegen sollen in Zukunft gezielt genossenschaftliche Organisationsformen ausgebaut
werden.

Demokratische Öffentlichkeit

Demokratie braucht Öffentlichkeit. Doch die Bedingungen für ein vernünftiges öffentliches Gespräch über unser Gemeinwesen haben sich in den letzten Jahren gravierend verändert. Daran haben fortschreitende Medienkonzentration und Kommerzialisierung und medientechnische Revolutionen ebenso ihren Anteil wie ein völlig verändertes Mediennutzungsverhalten auf der Nachfrageseite, aber auch politische Inszenierungsstrategien auf der Angebotsseite. Es ist deshalb eine zentrale politische
Gestaltungsaufgabe, Informationsmöglichkeiten und Diskussionsräume in unserer Öffentlichkeit zu schützen und zu stärken.
Die Medienkommission erarbeitet derzeit Vorschläge, über welche Instrumente Medienvielfalt gesichert werden kann. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den zunehmenden Konzentrationsprozessen an anderen Gliedern der crossmedialen Kette (z.B. die Rolle von Suchmaschinen).

Neben den klassischen Medien gewinnt in dieser Hinsicht das Internet als soziales Netzwerk zunehmend an Bedeutung. Einerseits ist das Netz der Ort einer der wichtigsten Freiheitsbewegungen unserer Zeit; es stärkt die Entfaltungsmöglichkeiten jedes oder jeder Einzelnen ebenso wie die weltweite Entwicklung und Verbreitung demokratischer Inhalte. Deshalb wollen wir allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zum schnellen Internet sichern und die freie Kommunikation gegen neue ökonomische Machtstrukturen
und politisch motivierte Beschränkungen schützen.

Andererseits darf die Offenheit des Internets nicht dazu führen, die Rechte des Einzelnen zu beschränken. Wir wollen verhindern, dass die neuen technischen Möglichkeiten den Datenschutz oder die informationelle Selbstbestimmung – und damit letztlich die Demokratie – bedrohen. Die Freiheit des Internets endet dort, wo sie die Freiheit anderer einschränkt. Daher braucht auch das Netz Regeln, gesetzliche oder auch zwischen den Teilnehmern vereinbarte. Neben unabdingbarer nationaler, europäischer und
multinationaler Gesetzgebung sollten neue selbstregulierte und selbstorganisierte Strukturen und Handlungsansätze unterstützt werden, die Nutzern ein zivilisiertes Miteinander in der virtuellen Welt ermöglichen. Allen Menschen die Vorteile des Internets nutzbar zu machen, bedeutet, gesellschaftliche Teilhabe, Angebotsvielfalt, Freiheit und Recht im Internet zu sichern. Daraus erwachsen neue Möglichkeiten der politischen Teilhabe und neue Chancen für mehr Demokratie.

Auch in der SPD mehr Demokratie leben.

Was für das politische System insgesamt gilt, muss natürlich auch für die Parteien gelten: Auch sie müssen ihre innerparteiliche Demokratie, die Entscheidungsmöglichkeiten und –recht ihrer Mitglieder neu beleben und sich für engagierte und interessierte Bürgerinnen und Bürger öffnen. Wir sind davon überzeugt, dass die Demokratie in komplexen Gesellschaften ohne Parteien nicht auskommen kann, weil die Vielfalt der Meinungen gebündelt und in alternative politische Angebote übersetzt werden
müssen, wenn darüber demokratisch abgestimmt werden soll.

Dazu ist es wichtig, dass sich auch die SPD weit stärker zur Gesellschaft hin öffnet, Beteiligungsmöglichkeiten innerhalb ihrer traditionellen Parteistrukturen schafft aber auch neue Beteiligungsangebote entwickelt und offensiv anbietet. Wir Sozialdemokraten wollen uns diese stärkere Beteiligung von Mitgliedern und von interessierten und engagierten Bürgerinnen und Bürgern zum Maßstab unserer Arbeit machen. Die SPD hat mit ihrem Parteireform-Prozess diesen Weg begonnen und wird ihn konsequent
fortsetzen. Wir wollen auch innerparteilich die modernste Demokratie-Partei Deutschlands sein.


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Zukunftsgerecht in Europa

Gerechtigkeit und ein fairer Wettbewerb in einem sozialen Rechtsstaat zeichnen das Zusammenleben in der Europäischen Union aus. Das macht das europäische Sozialstaatsmodell so einzigartig. Es fußt in der europäischen Aufklärung und speist sich aus der europäischen Arbeiterbewegung. Denn im Kern geht es diesem europäische Sozialstaat immer auch um Teilhabe und Mitbestimmung.

Soziale Bürgerrechte, Zugang zu Bildung und gerechte Teilhabe am Wohlstand - dieses Europa ist grundlegend geprägt von der sozialdemokratischen Idee. Diese Grundidee des Sozialstaatmodells wollen wir im Europa der Zukunft beibehalten. Das ist auch der Grundgedanke der Agenda 2010.
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