Nyckelharpa ENCORE - ein ungewöhnliches europäisches Orchesterprojekt
Schlüsselfidel-Spieler aus ganz Europa musizieren gemeinsam in ItalienKurzfassung: Mit Unterstützung durch die europäische Kommission trafen sich Musiker mit dem ungewöhnlichen Instrument "Nyckelharpa" oder "Schlüsselfidel" in Norditalien zum gemeinsamen Mesizieren und einem öffentlichen Konzert. Gespielt wurden als Uraufführung neue Kompositionen, die bei einem offenen Wettbewerb für Komponisten für dieses ENCORE Nyckelharpa Orchester eingereicht worden waren.
[Akademie BURG FÜRSTENECK - 06.09.2013] Anfang August 2013 trafen sich 24 Nyckelharpa Spieler aus 10 europäischen Nationen im norditalienischen Ort Forlimpopoli zu einem besonderen Ereignis: "ENCORE - European Nyckelharpa Cooperation - ORchestral Experience". Nach persönlicher Vorbereitung der Teilnehmenden zu Hause und vier Tagen intensiver Proben spielten sie in der Katherdale von Bertinoro, Italien, vor großem Publikum ein öffentliches Nyckelharpa Orchester Konzert im Rahmen des bedeutenden regionalen Musikfestivals JCE.
Die Idee zu diesem Projekt entstand in der Nachfolge des Projektes "CADENCE - Cultural ADult Education and Nyckelharpa Cooperation in Europe", das 2010 in einer Kooperation des Eric Sahlström Institutet in Schweden, der Akademie BURG FÜRSTENECK in Deutschland und der Scuola di Musica Popolare di Forlimpopoli in Italien einen intensiven Austausch von Nyckelharpa Spielern und Bildungsstätten ermöglich hatte. (www.cadence.nyckelharpa.eu)
Die Nyckelharpa ist ein Streichinstrument, bei dem die Tonhöhe mit einer Tastatur (den "Schlüsseln") verändert wird. Den historischen Namen "Schlüsselfidel" kennen wir aus musikalischen Abhandlungen von Martin Agricola (1529) und Michael Prætorius (1619), die das Instrument gezeichnet und beschreiben haben. Der heute international gebräuchliche Name "Nyckelharpa" ist die wörtliche schwedische Entsprechung dieser alten deutschen Bezeichnung. Seit dem späten Mittelalter sind Deckenfresken mit Abbildungen der Schlüsselfidel erhalten. In Deutschland wurde kürzlich die Holzskulptur eines Engels mit Schlüsselfidel am Knochenhauer-Amtshaus in Hildesheim identifiziert. Ab der Barockzeit gerät das Instrument fast überall in Vergessenheit. Fast gleichzeitig aber tauchen in Schweden die ersten bis heute erhaltenen Instrumente auf. Seither wird die Nyckelharpa vor allem in der Region Uppland in einer ungebrochenen Tradition als Volksmusikinstrument gespielt. Dank innovativer Musiker in Schweden, insbesondere August Bohlin (1877-1949) und Eric Sahlström (1912-1986), und dank einiger begeisterter Musiker in Kontinentaleuropa, die das Instrument seit etwa 1980 entdeckten, wird die Nyckelharpa nun weltweit wieder belebt und in immer mehr musikalischen Stilrichtungen verwendet. (Ein Aufsatz des schwedischen Forschers Per-Ulf Allmo zur Geschichte der Nyckelharpa findet sich unter: www.cadence.nyckelharpa.eu/home/articles/history-of-the-nyckelharpa_per-ulf-allmo)
Nyckelharpa Spieler sind außerhalb Schwedens immer noch selten, auch wenn ihre Zahl stetig wächst. Die Gelegenheit, mit Kollegen aus anderen Ländern zusammen zu treffen und zusammen zu musizieren, wurde daher von allen Beteiligten als eine ganz ungewöhnliche Chance ergriffen. Thematisch ging es bei ENCORE nicht darum, bekannte Melodien gemeinsam zu spielen, sondern Neuland zu betreten: Die Nyckelharpa sollte mit neuen Kompositionen konzertant als Instrument eines vielstimmigen Streichorchesters eingesetzt werden.
Nyckelharpa Spielern auf dem Kontinent haben im allgemeinen großen Respekt, Bewunderung und Dankbarkeit für die Bewahrung und Entwicklung der Nyckelharpa in Schweden. Musikalisch ist es aber nicht immer das schwedische Nyckelharpa Repertoire, das die Musiker zu diesem Instrument greifen lässt. Der künstlerische Leiter des ENCORE Projektes, der in Deutschland lebende Italiener Marco Ambrosini und der zweite Dirigent, der Belgier Didier François, kommen von der klassisch akademischen Musikausbildung und waren zuvor als Solisten auf der Geige unterwegs. Die Bedeutung dieser beiden kontinentalen Nyckelharpa-Pioniere für die Verbreitung der Nyckelharpa außerhalb Schwedens ist kaum zu überschätzen. Sie haben die Nyckelharpa in den 1980er Jahren wegen ihres besonderen Klangs und ihrer technischen Möglichkeiten für sich als primäres Instrument entdeckt und spielen darauf fast jede Art von Musik von mittelalterlichen Weisen bis zu Jazz und avantgardistischer Neuer Musik.
Für das ENCORE Orchester wurde ein offener Aufruf an Komponisten veröffentlicht. Weit über 20 Komponisten, renommierte und aufstrebende, darunter auch viele Nyckelharpa-Spieler, haben sich an dem Wettbewerb beteiligt, und eine Jury konnte viele ausgezeichnete Stücke für die Proben in Italien auswählen. In dem Konzert in Bertinoro wurden dem Auditorium dann 14 Musiktitel als Welturaufführung präsentiert. Über den Anlass hinaus wurde damit auch ein Grundstock zu einem Repertoire mehrstimmiger Partituren speziell für Nyckelharpa-Orchester gelegt. Spezifische Nyckelharpa-Musik gab es bisher außerhalb Schwedens praktisch nicht. Eingeweihte erinnern sich aber daran, dass im vergangenen Jahrhundert die neuen Kompositionen von Eric Sahlström die Nyckelharpa-Bewegung in Schweden deutlich beflügelt haben. Es braucht attraktive Musik, damit ein Instrument gespielt wird.
Traditionell wird die Nyckelharpa in Schweden nach Gehör gespielt. Wenn sie nun mehrstimmig als Orchesterinstrument eingesetzt werden soll, und wenn der Komponist mehr als nur die Tonhöhe und Tondauer festgelegen möchte, bedarf es entsprechender Symbole, um die technischen Artikulationsmöglichkeiten des Instruments im Notenbild darzustellen. Hier haben Marco Ambrosini und Jule Bauer Pionierarbeit geleistet und Vorschläge für die Notation auf der Website des ENCORE Projektes veröffentlich. Staccato, Spiccato, Saltato, Marcato, Col legno battuto, Pizzicato, Tasteggiato und Chopping sind z.B. unterschiedliche Spieltechniken, die der Komponist seinen Interpreten durch solche Symbole vorschreiben kann. Die Fähigkeit, nach Noten zu musizieren, war entsprechend eine der Bedingungen für die Auswahl der ENCORE Musiker.
Zu berücksichtigen war in den Arrangements auch, dass unterschiedliche Typen von Nyckelharpas zum Einsatz kamen. Auf dem europäischen Festland werden überwiegen vierreihige Instrumente in Quintstimmung gespielt, während die Teilnehmer, die stärker der schwedischen Tradition verpflichtet sind, das typisch schwedische dreireihige Modell in Sechst-Quart-Stimmung mitbrachten. Auch ein paar Instrumente in tiefer Tenortonlage waren im Orchester vertreten.
Am Montag, 05. August 2013 trafen also ab dem späten Nachmittag alle Beteiligten aus den unterschiedlichen Europäischen Regionen von Schweden bis Portugal und von Groß Britannien bis Italien ein. Manche hatten sich schon am Flughafen Bologna getroffen. Menschen mit Nyckelharpa auf dem Rücken sind ja leicht zu erkennen. Einige der Teilnehmenden kannten sich schon, andere trafen sich zum allerersten Mal. Aber nach wenigen Stunden machte das überhaupt keinen Unterschied. Die Liebe zur Nyckelharpa ist ein starkes familiäres Band. Dankbar wurde registriert, dass die Zimmer im Hotel EDO in Forlimpopoli mit Klimaanlage ausgestattet waren, denn der Workshop fiel in eine Hitzeperiode mit Temperaturen bis über 40°.
In den folgenden drei Tagen probten die Teilnehmenden im Kursraum der Scuola di Musica Popolare di Forlimpopoli, einem historischen Gewölbekeller. Ein anhand der Stimmverteilung präzise vorbereiteter Sitzplan entsprach schon von Anfang an der Sitzordnung auf der Bühne beim Konzert. Wirklich bewundernswert war die nie nachlassende Konzentration der Musiker bei den Proben, die in zwei Blöcken vormittags und nachmittags mindestens sieben Stunden täglich umfassten. Es hat sicherlich geholfen, dass mehr als die Hälfte der Teilnehmenden durch ihre klassische Musikausbildung schon Orchestererfahrung mitbrachten. Mentale, musikalische und rhythmische warm-ups bereiteten die tägliche Arbeit jeweils vor. Die Proben wurden von Marco Ambrosini und Didier François in kollegialer Übereinstimmung abwechselnd geleitet.
Zur Erholung wurden die Nyckelharpa Spieler mit ausgezeichnetem italienischen Essen verwöhnt. Forlimpopoli ist eine Hochburg kulinarischer Genüsse entwickelt, weil man dort das Erbe von Pellegrino Artusi pflegt, dem Autors des allerersten und immer noch berühmtesten italienischen Kochbuchs. Die Küche der CasaArtusi und des Hotel EDO wurde von den Teilnehmenden durchgängig mit 5 Sternen bewertet. Die Abende bei einem Glas guten italienischen Weines mit vielen Gesprächen und mancher Session gingen immer viel zu schnell vorüber.
Am Freitag wurden die Proben in die Kathedrale des malerischen Bergstädtchen Bertinoro verlegt. Sich an die Akustik in dem riesigen Kirchenraum zu gewöhnen, ist als Einstimmung in ein Konzert sehr wichtig. Dass die Dirigenten bei den Proben auf präzises Spiel und kurze Klänge wert gelegt hatten, bewährte sich jetzt bei großem Nachhall. Ab Samstag, dem 10. August 2013, dem Tag des Konzertes, wurde die Musik von den beiden Tonmeistern auch tagsüber schon mitgeschnitten, um auch Aufnahmen frei von Nebengeräuschen des Publikums zu haben. Denn von dem ENCORE Konzert wird nicht nur eine CD erscheinen. Anwesend war auch Dr. Christiane Lehnigk, Musikredakteurin des Deutschlandfunks, der am 30. Oktober um 22:05 Uhr ein ausführliches Feature über das ENCORE Nyckelharpa Orchester senden wird. In Pausen führte sie Interviews mit Teilnehmenden und Verantwortlichen des ENCORE Projektes, die in die Sendung einfließen werden. Die Übertragung kann auch über Internet weltweit empfangen werden. (www.dradio.de/dlf/).
Am Nachmittag blieb etwas Zeit zur Entspannung. Erst am späteren Nachmittag wurden alle Stücke vor Ort noch einmal kurz angespielt. Ein kleiner Imbiss half, die Zeit bis zum Konzertbeginn zu überbrücken, der nach italienischen Gepflogenheiten und wegen der Hitze am Tag erst um 21:30 Uhr vorgesehen war. Unmittelbar vor dem Konzert stimmte Didier François die Gruppe noch einmal mental in die gemeinsame Aufgabe ein, das Publikum mit wunderbarer Musik zu erfreuen.
Die Kirche hatte sich inzwischen bis zum letzten Sitzplatz mit Zuhörern gefüllt, die den Auftritt der Musiker mit freundlichem Beifall begleiteten. Wahrscheinlich wusste die Mehrzahl zunächst nicht genau, was sie erwartete. Die meisten Italiener dürften kaum je von einer Nyckelharpa gehört haben, obwohl sich eine der ältesten Abbildungen in einer Kapelle in Siena befindet. Und ein Nyckelharpa Orchester hatte mit Sicherheit noch niemand gehört. Aber von Musikstück zu Musikstück wurde das Auditorium begeisterter. Gegen Ende mussten die Musiker sich oft mehrfach wegen des nicht enden wollenden Applauses verbeugen und am Schluss bei "standig ovations" mehrere Zugaben geben.
Keine Komposition, die an diesem Abend gespielt wurde, hatte weniger als vier Stimmen, und in einzelnen Stücken kam zu den Nyckelharpas der Sologesang von Jule Bauer. Insoweit war die Musik durchgängig konzertant in einem eher klassischen Stil. Andererseits aber waren die Titel gemäß dem Motto "Between European folk music and contemporary compositions" sehr unterschiedlich. So griffen etwa Kompositionen von Boris Koller und Didier François schwedische Melodien auf und kontrapunktierten sie mit orchestralen Klängen. Eine Komposition von Lorenzo Ruggiero schrieb kunstvoll ineinander verwobenen Rhythmen "in den Wind". Jean-Pierre Vial hatte einen "Choral" als zeitgenössische Hommage an Johann Sebastian Bach beigesteuert. Von dem jungen schwedischen Komponist Jonathan Wanneby wurden zwei märchenhaft lyrische Stücke aufgeführt, die mit einer avantgardistische Komposition des renommierten deutschen Jazz-Klarinettisten Michael Riessler mit minimalistischen Cluster-Klängen in ansteigendem Crescendo kontrastierten. Und Ronald Winkler erweiterte das Klangspektrum um Klänge, die auf der Nyckelharpa nur gezupft oder auch nur mit der Tastatur erzeugt wurden, um nur einige der Kompositionen zu nennen.
Hoch über Bertinoro, mit weitem Blick auf die Lichter der Ebene von Forlimpopoli, stärkten sich die Musiker nach dem Konzert auf der Terrasse eines kleinen Lokals, das Ortsansässigen als Insider-Tipp gilt. Die produktive Anspannung war der Euphorie gewichen, an diesem Abend ein kleines Stück Musikgeschichte geschrieben zu haben. Ein vergleichbares Orchesterkonzert nur mit Nyckelharpas hatte bisher wohl noch nie gegeben.
In einer Auswertungsrunde am Sonntag, dem Abschlusstag, wurden die Musiker gefragt, ob sie an einem solchen Projekt noch einmal teilnehmen würden. Das bejahten alle ohne jeden Vorbehalt. Für selbstverständlich darf man das nicht halten. Viele verdienen ihren Lebensunterhalt mit Musik, da braucht es schon viel Idealismus, um ohne Honorar eine Woche lang so intensiv zu "arbeiten". Entschädigt wurden sie durch die freundschaftliche und vertrauensvolle Atmosphäre in der Gruppe und durch das musikalische Ergebnis, das alle Hoffnungen übertraf, die man sich berechtigterweise vorher machen durfte. Der größte Wunsch der Teilnehmenden und der Veranstalter ist es, das Konzert auch an anderer Stelle spielen, vielleicht sogar zu einer kleinen Konzertreise aufbrechen zu können.
Ermöglicht wurde das Projekt dank der guten Vorbereitung und perfekten Organisation durch die Scuola di Musica Popolare di Forlimpopoli und deren Präsidenten Marco Bartolini mit seinen Helfern sowie durch die finanzielle Förderung durch die Europäische Kommission im Rahmen eines Programms "Grundtvig" für lebenslanges Lernen. Der Sinn der europäischen Programme ist es, das friedliche Zusammenwachsen der Völker zu fördern. Ein kleines musikalisches Stück Weltgeschichte zu schreiben mit Musik, die Menschen erfreut, mag da als gutes Beispiel gelten.
Weitere Informationen und Videos finden sich auf der Website des Projektes ENCORE www.encore.nyckelharpa.eu.
Zu nächsten großen Treffen der Nyckelharpa-Spieler lädt die hessische Akademie BURG FÜRSTENECK Anfang Oktober ein. Dann kommen zu den 10. Internationalen Nyckelharpa-Tagen wieder 80 Musiker aus aller Welt bei Workshops, Vorträgen, Ausstellungen und öffentlichem Konzert zusammen. (www.nyckelharpa.burg-fuersteneck.de)
Die Idee zu diesem Projekt entstand in der Nachfolge des Projektes "CADENCE - Cultural ADult Education and Nyckelharpa Cooperation in Europe", das 2010 in einer Kooperation des Eric Sahlström Institutet in Schweden, der Akademie BURG FÜRSTENECK in Deutschland und der Scuola di Musica Popolare di Forlimpopoli in Italien einen intensiven Austausch von Nyckelharpa Spielern und Bildungsstätten ermöglich hatte. (www.cadence.nyckelharpa.eu)
Die Nyckelharpa ist ein Streichinstrument, bei dem die Tonhöhe mit einer Tastatur (den "Schlüsseln") verändert wird. Den historischen Namen "Schlüsselfidel" kennen wir aus musikalischen Abhandlungen von Martin Agricola (1529) und Michael Prætorius (1619), die das Instrument gezeichnet und beschreiben haben. Der heute international gebräuchliche Name "Nyckelharpa" ist die wörtliche schwedische Entsprechung dieser alten deutschen Bezeichnung. Seit dem späten Mittelalter sind Deckenfresken mit Abbildungen der Schlüsselfidel erhalten. In Deutschland wurde kürzlich die Holzskulptur eines Engels mit Schlüsselfidel am Knochenhauer-Amtshaus in Hildesheim identifiziert. Ab der Barockzeit gerät das Instrument fast überall in Vergessenheit. Fast gleichzeitig aber tauchen in Schweden die ersten bis heute erhaltenen Instrumente auf. Seither wird die Nyckelharpa vor allem in der Region Uppland in einer ungebrochenen Tradition als Volksmusikinstrument gespielt. Dank innovativer Musiker in Schweden, insbesondere August Bohlin (1877-1949) und Eric Sahlström (1912-1986), und dank einiger begeisterter Musiker in Kontinentaleuropa, die das Instrument seit etwa 1980 entdeckten, wird die Nyckelharpa nun weltweit wieder belebt und in immer mehr musikalischen Stilrichtungen verwendet. (Ein Aufsatz des schwedischen Forschers Per-Ulf Allmo zur Geschichte der Nyckelharpa findet sich unter: www.cadence.nyckelharpa.eu/home/articles/history-of-the-nyckelharpa_per-ulf-allmo)
Nyckelharpa Spieler sind außerhalb Schwedens immer noch selten, auch wenn ihre Zahl stetig wächst. Die Gelegenheit, mit Kollegen aus anderen Ländern zusammen zu treffen und zusammen zu musizieren, wurde daher von allen Beteiligten als eine ganz ungewöhnliche Chance ergriffen. Thematisch ging es bei ENCORE nicht darum, bekannte Melodien gemeinsam zu spielen, sondern Neuland zu betreten: Die Nyckelharpa sollte mit neuen Kompositionen konzertant als Instrument eines vielstimmigen Streichorchesters eingesetzt werden.
Nyckelharpa Spielern auf dem Kontinent haben im allgemeinen großen Respekt, Bewunderung und Dankbarkeit für die Bewahrung und Entwicklung der Nyckelharpa in Schweden. Musikalisch ist es aber nicht immer das schwedische Nyckelharpa Repertoire, das die Musiker zu diesem Instrument greifen lässt. Der künstlerische Leiter des ENCORE Projektes, der in Deutschland lebende Italiener Marco Ambrosini und der zweite Dirigent, der Belgier Didier François, kommen von der klassisch akademischen Musikausbildung und waren zuvor als Solisten auf der Geige unterwegs. Die Bedeutung dieser beiden kontinentalen Nyckelharpa-Pioniere für die Verbreitung der Nyckelharpa außerhalb Schwedens ist kaum zu überschätzen. Sie haben die Nyckelharpa in den 1980er Jahren wegen ihres besonderen Klangs und ihrer technischen Möglichkeiten für sich als primäres Instrument entdeckt und spielen darauf fast jede Art von Musik von mittelalterlichen Weisen bis zu Jazz und avantgardistischer Neuer Musik.
Für das ENCORE Orchester wurde ein offener Aufruf an Komponisten veröffentlicht. Weit über 20 Komponisten, renommierte und aufstrebende, darunter auch viele Nyckelharpa-Spieler, haben sich an dem Wettbewerb beteiligt, und eine Jury konnte viele ausgezeichnete Stücke für die Proben in Italien auswählen. In dem Konzert in Bertinoro wurden dem Auditorium dann 14 Musiktitel als Welturaufführung präsentiert. Über den Anlass hinaus wurde damit auch ein Grundstock zu einem Repertoire mehrstimmiger Partituren speziell für Nyckelharpa-Orchester gelegt. Spezifische Nyckelharpa-Musik gab es bisher außerhalb Schwedens praktisch nicht. Eingeweihte erinnern sich aber daran, dass im vergangenen Jahrhundert die neuen Kompositionen von Eric Sahlström die Nyckelharpa-Bewegung in Schweden deutlich beflügelt haben. Es braucht attraktive Musik, damit ein Instrument gespielt wird.
Traditionell wird die Nyckelharpa in Schweden nach Gehör gespielt. Wenn sie nun mehrstimmig als Orchesterinstrument eingesetzt werden soll, und wenn der Komponist mehr als nur die Tonhöhe und Tondauer festgelegen möchte, bedarf es entsprechender Symbole, um die technischen Artikulationsmöglichkeiten des Instruments im Notenbild darzustellen. Hier haben Marco Ambrosini und Jule Bauer Pionierarbeit geleistet und Vorschläge für die Notation auf der Website des ENCORE Projektes veröffentlich. Staccato, Spiccato, Saltato, Marcato, Col legno battuto, Pizzicato, Tasteggiato und Chopping sind z.B. unterschiedliche Spieltechniken, die der Komponist seinen Interpreten durch solche Symbole vorschreiben kann. Die Fähigkeit, nach Noten zu musizieren, war entsprechend eine der Bedingungen für die Auswahl der ENCORE Musiker.
Zu berücksichtigen war in den Arrangements auch, dass unterschiedliche Typen von Nyckelharpas zum Einsatz kamen. Auf dem europäischen Festland werden überwiegen vierreihige Instrumente in Quintstimmung gespielt, während die Teilnehmer, die stärker der schwedischen Tradition verpflichtet sind, das typisch schwedische dreireihige Modell in Sechst-Quart-Stimmung mitbrachten. Auch ein paar Instrumente in tiefer Tenortonlage waren im Orchester vertreten.
Am Montag, 05. August 2013 trafen also ab dem späten Nachmittag alle Beteiligten aus den unterschiedlichen Europäischen Regionen von Schweden bis Portugal und von Groß Britannien bis Italien ein. Manche hatten sich schon am Flughafen Bologna getroffen. Menschen mit Nyckelharpa auf dem Rücken sind ja leicht zu erkennen. Einige der Teilnehmenden kannten sich schon, andere trafen sich zum allerersten Mal. Aber nach wenigen Stunden machte das überhaupt keinen Unterschied. Die Liebe zur Nyckelharpa ist ein starkes familiäres Band. Dankbar wurde registriert, dass die Zimmer im Hotel EDO in Forlimpopoli mit Klimaanlage ausgestattet waren, denn der Workshop fiel in eine Hitzeperiode mit Temperaturen bis über 40°.
In den folgenden drei Tagen probten die Teilnehmenden im Kursraum der Scuola di Musica Popolare di Forlimpopoli, einem historischen Gewölbekeller. Ein anhand der Stimmverteilung präzise vorbereiteter Sitzplan entsprach schon von Anfang an der Sitzordnung auf der Bühne beim Konzert. Wirklich bewundernswert war die nie nachlassende Konzentration der Musiker bei den Proben, die in zwei Blöcken vormittags und nachmittags mindestens sieben Stunden täglich umfassten. Es hat sicherlich geholfen, dass mehr als die Hälfte der Teilnehmenden durch ihre klassische Musikausbildung schon Orchestererfahrung mitbrachten. Mentale, musikalische und rhythmische warm-ups bereiteten die tägliche Arbeit jeweils vor. Die Proben wurden von Marco Ambrosini und Didier François in kollegialer Übereinstimmung abwechselnd geleitet.
Zur Erholung wurden die Nyckelharpa Spieler mit ausgezeichnetem italienischen Essen verwöhnt. Forlimpopoli ist eine Hochburg kulinarischer Genüsse entwickelt, weil man dort das Erbe von Pellegrino Artusi pflegt, dem Autors des allerersten und immer noch berühmtesten italienischen Kochbuchs. Die Küche der CasaArtusi und des Hotel EDO wurde von den Teilnehmenden durchgängig mit 5 Sternen bewertet. Die Abende bei einem Glas guten italienischen Weines mit vielen Gesprächen und mancher Session gingen immer viel zu schnell vorüber.
Am Freitag wurden die Proben in die Kathedrale des malerischen Bergstädtchen Bertinoro verlegt. Sich an die Akustik in dem riesigen Kirchenraum zu gewöhnen, ist als Einstimmung in ein Konzert sehr wichtig. Dass die Dirigenten bei den Proben auf präzises Spiel und kurze Klänge wert gelegt hatten, bewährte sich jetzt bei großem Nachhall. Ab Samstag, dem 10. August 2013, dem Tag des Konzertes, wurde die Musik von den beiden Tonmeistern auch tagsüber schon mitgeschnitten, um auch Aufnahmen frei von Nebengeräuschen des Publikums zu haben. Denn von dem ENCORE Konzert wird nicht nur eine CD erscheinen. Anwesend war auch Dr. Christiane Lehnigk, Musikredakteurin des Deutschlandfunks, der am 30. Oktober um 22:05 Uhr ein ausführliches Feature über das ENCORE Nyckelharpa Orchester senden wird. In Pausen führte sie Interviews mit Teilnehmenden und Verantwortlichen des ENCORE Projektes, die in die Sendung einfließen werden. Die Übertragung kann auch über Internet weltweit empfangen werden. (www.dradio.de/dlf/).
Am Nachmittag blieb etwas Zeit zur Entspannung. Erst am späteren Nachmittag wurden alle Stücke vor Ort noch einmal kurz angespielt. Ein kleiner Imbiss half, die Zeit bis zum Konzertbeginn zu überbrücken, der nach italienischen Gepflogenheiten und wegen der Hitze am Tag erst um 21:30 Uhr vorgesehen war. Unmittelbar vor dem Konzert stimmte Didier François die Gruppe noch einmal mental in die gemeinsame Aufgabe ein, das Publikum mit wunderbarer Musik zu erfreuen.
Die Kirche hatte sich inzwischen bis zum letzten Sitzplatz mit Zuhörern gefüllt, die den Auftritt der Musiker mit freundlichem Beifall begleiteten. Wahrscheinlich wusste die Mehrzahl zunächst nicht genau, was sie erwartete. Die meisten Italiener dürften kaum je von einer Nyckelharpa gehört haben, obwohl sich eine der ältesten Abbildungen in einer Kapelle in Siena befindet. Und ein Nyckelharpa Orchester hatte mit Sicherheit noch niemand gehört. Aber von Musikstück zu Musikstück wurde das Auditorium begeisterter. Gegen Ende mussten die Musiker sich oft mehrfach wegen des nicht enden wollenden Applauses verbeugen und am Schluss bei "standig ovations" mehrere Zugaben geben.
Keine Komposition, die an diesem Abend gespielt wurde, hatte weniger als vier Stimmen, und in einzelnen Stücken kam zu den Nyckelharpas der Sologesang von Jule Bauer. Insoweit war die Musik durchgängig konzertant in einem eher klassischen Stil. Andererseits aber waren die Titel gemäß dem Motto "Between European folk music and contemporary compositions" sehr unterschiedlich. So griffen etwa Kompositionen von Boris Koller und Didier François schwedische Melodien auf und kontrapunktierten sie mit orchestralen Klängen. Eine Komposition von Lorenzo Ruggiero schrieb kunstvoll ineinander verwobenen Rhythmen "in den Wind". Jean-Pierre Vial hatte einen "Choral" als zeitgenössische Hommage an Johann Sebastian Bach beigesteuert. Von dem jungen schwedischen Komponist Jonathan Wanneby wurden zwei märchenhaft lyrische Stücke aufgeführt, die mit einer avantgardistische Komposition des renommierten deutschen Jazz-Klarinettisten Michael Riessler mit minimalistischen Cluster-Klängen in ansteigendem Crescendo kontrastierten. Und Ronald Winkler erweiterte das Klangspektrum um Klänge, die auf der Nyckelharpa nur gezupft oder auch nur mit der Tastatur erzeugt wurden, um nur einige der Kompositionen zu nennen.
Hoch über Bertinoro, mit weitem Blick auf die Lichter der Ebene von Forlimpopoli, stärkten sich die Musiker nach dem Konzert auf der Terrasse eines kleinen Lokals, das Ortsansässigen als Insider-Tipp gilt. Die produktive Anspannung war der Euphorie gewichen, an diesem Abend ein kleines Stück Musikgeschichte geschrieben zu haben. Ein vergleichbares Orchesterkonzert nur mit Nyckelharpas hatte bisher wohl noch nie gegeben.
In einer Auswertungsrunde am Sonntag, dem Abschlusstag, wurden die Musiker gefragt, ob sie an einem solchen Projekt noch einmal teilnehmen würden. Das bejahten alle ohne jeden Vorbehalt. Für selbstverständlich darf man das nicht halten. Viele verdienen ihren Lebensunterhalt mit Musik, da braucht es schon viel Idealismus, um ohne Honorar eine Woche lang so intensiv zu "arbeiten". Entschädigt wurden sie durch die freundschaftliche und vertrauensvolle Atmosphäre in der Gruppe und durch das musikalische Ergebnis, das alle Hoffnungen übertraf, die man sich berechtigterweise vorher machen durfte. Der größte Wunsch der Teilnehmenden und der Veranstalter ist es, das Konzert auch an anderer Stelle spielen, vielleicht sogar zu einer kleinen Konzertreise aufbrechen zu können.
Ermöglicht wurde das Projekt dank der guten Vorbereitung und perfekten Organisation durch die Scuola di Musica Popolare di Forlimpopoli und deren Präsidenten Marco Bartolini mit seinen Helfern sowie durch die finanzielle Förderung durch die Europäische Kommission im Rahmen eines Programms "Grundtvig" für lebenslanges Lernen. Der Sinn der europäischen Programme ist es, das friedliche Zusammenwachsen der Völker zu fördern. Ein kleines musikalisches Stück Weltgeschichte zu schreiben mit Musik, die Menschen erfreut, mag da als gutes Beispiel gelten.
Weitere Informationen und Videos finden sich auf der Website des Projektes ENCORE www.encore.nyckelharpa.eu.
Zu nächsten großen Treffen der Nyckelharpa-Spieler lädt die hessische Akademie BURG FÜRSTENECK Anfang Oktober ein. Dann kommen zu den 10. Internationalen Nyckelharpa-Tagen wieder 80 Musiker aus aller Welt bei Workshops, Vorträgen, Ausstellungen und öffentlichem Konzert zusammen. (www.nyckelharpa.burg-fuersteneck.de)
Weitere Informationen
Akademie BURG FÜRSTENECK, Herr Carsten Bäumler
Am Schlossgarten 3, 36132 Eiterfeld, Deutschland
Tel.: 06672 920217; http://www.burg-fuersteneck.de
Am Schlossgarten 3, 36132 Eiterfeld, Deutschland
Tel.: 06672 920217; http://www.burg-fuersteneck.de
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Autor der Pressemeldung "Nyckelharpa ENCORE - ein ungewöhnliches europäisches Orchesterprojekt" ist Akademie BURG FÜRSTENECK, vertreten durch Carsten Bäumler.