Mit neuen Zielgruppen arbeiten: Wie sich Kulturinstitutionen öffnen

Kurzfassung: Mit neuen Zielgruppen arbeiten: Wie sich Kulturinstitutionen öffnen Interkulturelles Audience Development"Die größte Herausforderung besteht für öffentlich geförderte Kultureinrichtungen darin, ...
[Stiftung Universität Hildesheim - 18.09.2013] Mit neuen Zielgruppen arbeiten: Wie sich Kulturinstitutionen öffnen

Interkulturelles Audience Development
"Die größte Herausforderung besteht für öffentlich geförderte Kultureinrichtungen darin, sich für Menschen unterschiedlicher Herkunfts-länder und sozialer Milieus zu öffnen. Denn bislang erreichen sie nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Bevölkerung. Dafür ist mehr als PR und Marketing notwendig", sagt Prof. Dr. Birgit Mandel von der Universität Hildesheim. Aktuelle Forschungsergebnisse stellt sie auf der Ruhrkonferenz am Freitag vor.
Ergebnisse aus einer aktuellen Studie sowie Sekundäranalysen der bereits bestehenden empirischen Studien zur Kulturnutzung in Deutschland enthält die aktuelle Publikation über "Interkulturelles Audience Development" von Prof. Dr. Birgit Mandel. Die Autoren geben in dem Buch konkrete Handlungsempfehlungen zu Kulturmarketing, Kulturvermittlung und institutionellen Veränderungsprozessen. Diese basieren auf Modellprojekten in NRW. Große (Musik-) Theaterhäuser in Bochum, Düsseldorf, Dortmund, Oberhausen und Gelsenkirchen arbeiten mit neuen Partnern und Zielgruppen an neuen Kommunikationsweisen, Formaten und Programmen. Mandel leitet am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim den Bereich Kulturmanagement und Kulturvermittlung.
Wer besucht Theaterhäuser? Gelingt es über interkulturelle Bildungsprojekte auch neues Publikum zu gewinnen? Was sind Barrieren der Kulturnutzung bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen? Welche Programme kommen bei welchem Publikum an? Welchen Einfluss haben interne Strukturen auf die Gewinnung neuen Publikums? Wie kann es Kultureinrichtungen gelingen, für verschiedene gesellschaftliche Gruppen ein relevanter Ort zu sein, darunter z.B. auch für bislang schwer erreichbare Gruppen wie junge Männer mit niedriger Bildung oder bestimmte Migrantengruppen aus nicht-europäischen Kulturkreisen?
Es wurden Spielpläne, Auslastungszahlen gesichtet; Besucher und Nicht-Besucher, Erstbesucher und Kooperationspartner befragt. Knapp 1000 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund äußerten sich zu kulturellen Interessen und Einstellungen. Auch die Ergebnisse der Studie Interkulturbarometer für NRW werden erstmalig zusammenfassend aufbereitet. Die Ergebnisse zeigen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Maßnahmen der Programmplanung, Kommunikation und Vermittlung Theater und Museen neues Publikum gewinnen und sich zugleich organisatorisch und künstlerisch weiterentwickeln können.
Der Blick in das Land Nordrhein-Westfalen lässt hoffen: Die am Modellprojekt der Zukunftsakademie des Landes NRW und der Mercator Stiftung beteiligten sieben großen, öffentlichen Kultureinrichtungen überarbeiten ihre Programmplanung, Kommunikation und Vermittlung. Dabei beziehen sie Kultureinrichtungen migrantische Gruppen, Kunstschaffende der Off-Szene und nicht-bildungsbürgerliche Milieus ein. Birgit Mandel nennt einige Beispiele: Das Schauspielhaus Bochum kooperiert mit der Street Art Compagnie Renegade - ein völlig anders organisiertes Kunstkollektiv - und entwickelt dabei neue Programme und interne Arbeitsweisen. Das Theater im Revier Gelsenkirchen entwickelte mit Schülerinnen und Schülern ein Musiktheaterstück "Vision of God", das sich mit persönlichen Vorstellungen von Religion befasst. Beim Jungen Schauspielhaus Düsseldorf recherchierten Künstler mit dem Theater Mobil in der Stadt mit Jugendlichen vor Ort zu Themen, die diese in ihrem Alltag bewegen. In der Inszenierung "Väter
Söhne" stehen jugendliche Laiendarsteller gemeinsam mit Profis auf der Bühne - ein Beispiel für partizipative Theaterarbeit. Am Theater Oberhausen erstellten Lehramtsstudierende gemeinsam mit Kindergärten und Schauspielern ein interaktives Stück für Grundschulkinder, das den Spracherwerb fördert. Das Schauspiel Dortmund startete mit "Crash Test Nordstadt" ein Stadtspiel, das unterschiedliche nicht kunstaffine Milieus unterschiedlicher Herkunftsländer mit dem bürgerlichen Stammpublikum des Theaters zusammenbringt. Das Westfälische Landestheater Castrop Rauxel lud Autoren und Autorinnen mit Migrationshintergrund ein, Stücke für das Theater zu schreiben. Unterstützt werden sie von einer Theaterautorin. Über zeitgenössische Tanzstücke versuchte das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln, ein neues Publikum für die ethnologischen Präsentationen des Museums zu interessieren.
Die Ergebnisse des Modellprojekts werden am Freitag, 20. September 2013, auf der 2. Ruhrkonferenz der Metropole Ruhr "Zukunft der Interkultur" in Gelsenkirchen einer Fachöffentlichkeit vorgestellt und diskutiert.
Hier vorab einige zentrale Ergebnisse:
Es ist kaum möglich, neues, anderes Publikum für "alte" Programme zu bekommen. Man muss also auch die Programme in Auseinandersetzung mit neuen Akteuren und Nutzern verändern, um relevant zu werden für ein breiteres, vielfältigeres Publikum. Kooperation mit vielen verschiedenen Partnern und Multiplikatoren jenseits des Kultursektors können wesentlich dazu beitragen, Menschen aus bislang nicht kunstaffinen Milieus zu erreichen und in partizipativen Projekten zu involvieren.
Mit Programmpräsentationen, die aus partizipativen Projekten hervorgegangen sind, erreicht man auch neue Zuschauerinnen und Zuschauer. Diese werden jedoch nicht automatisch zum Stammpublikum, dafür muss man ihnen explizit Folgeangebote machen, die Anknüpfungspunkte zu ihrem Leben bieten. Wenn interkulturelle Programme auch künstlerisch von hoher Qualität sind und vor allem auch dann, wenn sie neue Formate ausprobieren, erreichen sie besonders hohe Auslastungszahlen und sind beim Stammpublikum und bei neuem Publikum populär, die sich hier im besten Falle begegnen und austauschen können, wenn solche Dialoge gezielt angelegt werden.
Partizipative interkulturelle Projekte sind vor allem deswegen von Bedeutung für eine Kultureinrichtung, weil in der gemeinsamen künstlerischen Arbeit mit Menschen anderer Milieus, Bildung, Herkunft oder Alters interkulturelle Bildungsprozesse sowohl für die neuen Teilnehmer und Akteure wie für die Mitarbeiter der Kultureinrichtungen ermöglicht werden.
Die Kooperation mit neuen Teilnehmern etwa aus dem subkulturellen Bereich, aus bestimmten Jugendszenen oder mit Menschen anderer Herkunftsländer kann Kultureinrichtungen programmatisch und strukturell verändern und dazu beitragen, dass diese mehr Relevanz im Leben breiterer Bevölkerungsgruppen hat. Dies gelingt am ehesten dann, wenn:
- das Ziel interkultureller Öffnung mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern reflektiert, präzisiert und strategisch in den Leitlinien verankert wird;
- alle überzeugt sind, dass sie auch persönlich von den inhaltlichen und ästhetischen Anregungen durch Menschen anderer Milieus, anderer Herkunft, anderen Alters profitieren können;
- die Abteilungen, die vor allem mit neuen Nutzergruppen zu tun haben (v.a. die Bereiche Theaterpädagogik/Museumspädagogik/Vermittlung) als gleichwertig in das künstlerische Team integriert sind und auch entsprechend gleichwertig mit Personal und Budget ausgestattet sind;
- auch im Haus Interkultur gelebt wird durch flache Hierarchien;
- es den Mut der Leitung und die Unterstützung durch Politik und Verwaltung gibt, neue Programme und Formate auszuprobieren, statt am "Repertoire" festhalten zu müssen, damit interkulturell ausgerichtete Projekte nicht mehr die Ausnahme sind, sondern Kontinuität in der interkulturellen Arbeit mit neuen, vielfältigen Akteuren erzielt werden kann.
Der in angelsächsischen Ländern geprägte Begriff des "Audience Development" bezeichnet eine ganzheitliche Strategie mit Maßnahmen der Kommunikation, dem Vertrieb, dem Service, der Preispolitik. Ziel ist, neues Publikum zu gewinnen und zu binden. Diese Studie bestätigt vorangegangene Ergebnisse aus englischen Audience Development-Projekte, denn: Nur dann, wenn Kulturinstitution bereit sind, sich als Ganzes, einschließlich ihrer Programme, gemeinsam mit neuen Nutzern verändern, gelingt es, neues Publikum zu gewinnen. "Ein Maßnahmenkatalog in Marketing, PR und Vermittlung greift zu kurz", sagt Birgit Mandel. Ziel ist es, Austausch anzuregen zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Bildung und sozialer Milieus; zwischen Menschen unterschiedlicher Generationen, oder auch zwischen "digital Natives" und den "Analogen".
Ausführliche Ergebnisse in der Publikation:
Birgit Mandel
"Interkulturelles Audience Development.
Zukunftsstrategien für öffentlich geförderte Kultureinrichtungen"
(unter Mitarbeit von Melanie Redlberger)
transcript Verlag, 2013, 254 S., kart., 24,80 €
ISBN 978-3-8376-2421-2
Leseprobe online (PDF):
www.transcript-verlag.de/ts2421/ts2421_1.pdf

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