12.02.2014 16:06 Uhr in Gesellschaft & Familie von VolkswagenStiftung
'China ist nicht unergründlich'
Kurzfassung: "China ist nicht unergründlich"Herrenhäuser Forum für Zeitgeschehen: "Der Drache zeigt die Zähne - Aufstand im Reich der Mitte" im Schloss HerrenhausenDiese Bilder gingen um die Welt: Ein junger M ...
[VolkswagenStiftung - 12.02.2014] "China ist nicht unergründlich"
Herrenhäuser Forum für Zeitgeschehen: "Der Drache zeigt die Zähne - Aufstand im Reich der Mitte" im Schloss Herrenhausen
Diese Bilder gingen um die Welt: Ein junger Mann steht vor einem Panzer, als könne er ihn mit seinem ungeschützten Leib aufhalten. Der Panzer versucht auszuweichen, der mit einer Plastiktüte bewehrte Mann verstellt ihm auch diesen Ausweg. Diese aus großem Abstand gefilmte Szene ist mehr als ein historisches Dokument. Es ein Symbol für den verzweifelten Mut, aber auch die Ohnmacht der Studenten, die im Juni 1989 in Peking auf dem Tiananmen-Platz, dem "Platz des himmlischen Friedens", gegen die chinesische Staatsmacht demonstrierten.
Dieses Ereignis, im Westen vorwiegend als ein Aufbäumen der Demokratiebewegung gegen die Herrschaft der Kommunistischen Partei verstanden, war der Ausgangspunkt einer Veranstaltung, zu der die VolkswagenStiftung in das Schloss Herrenhausen eingeladen hatte. Unter dem Titel "Der Drache zeigt die Zähne - Aufstand im Reich der Mitte" sollten die Folgen dieses Ereignisses für die wirtschaftliche und politische Entwicklung Chinas diskutiert werden.
In einem einleitenden Kurzvortrag stellte Kai Vogelsang vom Afrika-Asien-Institut der Universität Hamburg diese Protestbewegung, ihren Vorlauf und ihre Zerschlagung in einen geschichtlichen Zusammenhang mit Geschehnissen der chinesischen Republik zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts.
Bald nach der chinesischen Revolution von 1911, die das Kaiserreich stürzte, war es zu der Errichtung eines autoritären Regimes gekommen. Es folgte schließlich ein Verfall der nationalen Einheit Chinas. Sun Yat-sen, der führende Kopf der revolutionären Kräfte, machte das fehlende nationale Selbstbewusstsein der Chinesen für die Entwicklung verantwortlich. Geteilt wurde diese Diagnose von vielen chinesischen Intellektuellen, die beeinflusst waren von den Einschätzungen westlicher Beobachter, die den Chinesen damals eine zivilisatorische Unreife bescheinigten. Die chinesischen Eliten kritisierten unter anderem einen Mangel an öffentlichen Tugenden, das Fehlen von Verantwortungsbewusstsein, Pünktlichkeit, Pflichtbewusstsein, Patriotismus oder Solidarität.
Die Folgerung von Sunyatsen und seinem Nachfolger Chiang Kai-shek war: Der Staat muss vermittels einer Erziehungsdiktatur diese Unreife überwinden, ja, einen "neuen Menschen" schaffen. In plakativen Erziehungsprogrammen wurde zivilisatorisches Verhalten offensiv propagiert: Detaillierte Regeln für das Verhalten in der Öffentlichkeit sollten den Chinesen genauso eingetrichtert werden wie ordentliche Tischsitten oder Hygienerituale. Eine autoritäre Expertokratie, die im Interesse des Volkswohls, aber ohne Mitwirkung des Volkes zu herrschen beanspruchte, sollte, so Vogelsang, in kürzester Zeit eine Entwicklung nachholen, die der Westen in einem Jahrhunderte dauernden "Prozess der Zivilisation" (Norbert Elias) durchlaufen hatte. Dabei habe es in China auch in jenen Jahren schon eine, wenn auch nicht sehr starke nationale Erneuerungsbewegung von unten gegeben, die allerdings von der Staatsmacht zerschlagen wurde. So machte Vogelsang deutlich, dass die Idee einer rigorosen Erziehungsdiktatur keine Erfindung der herrschenden kommunistischen Partei ist.
In die Gegenwart und ihre Problemlage führte die Wirtschaftswissenschaftlerin Doris Fischer von der Universität Würzburg ein. Mit einer imposanten, steilen "China-Kurve" demonstrierte sie die rasante wirtschaftliche Entwicklung Chinas seit 1992, die auch durch weltweite Krisen nicht aufgehalten werden konnte. Allerdings machten sich in jüngster Zeit erste Krisenanzeichen bemerkbar.
Das habe zu extrem unterschiedlichen Prognosen geführt. Die einen sehen einen unaufhaltsamen Aufstieg zu einer alle überholenden Supermacht voraus, andere dagegen einen Kollaps. Beide Spekulationen hält sie für falsch. Sie glaubt, dass die Entwicklung irgendwo zwischen "Weiter so" und Stagnation verlaufen wird. Derzeit lasse sich nicht absehen, wie der wirtschaftspolitische Zielkonflikt zwischen Stabilität und Entwicklung gelöst werde, welche Gruppen sich im Machtapparat durchsetzen werden: jene, die eine verstärkte zentrale Kontrolle von oben bevorzugen, oder jene Kräfte, die auf "Subsidiarität" setzen, also den Experten vor Ort und in den Unternehmen die Entscheidungen überlassen wollen. Angesichts der immensen ökologischen Schäden und der hohen materiellen wie sozialen Kosten, die sie verursachen, ist ein reines "Weiter so" nicht möglich - wie aber der von den chinesischen Verantwortlichen gesuchte "Mittelweg" konkret aussehen werde, sei derzeit noch nicht erkennbar.
In der anschließenden Diskussionsrunde, die Christoph Müller-Hofstede von der Bundeszentrale für politische Bildung leitete, gab Vogelsang zu bedenken, dass wir im Westen "sehen, was wir sehen wollen". Er bezweifelte, ob man die Protestbewegung von 1989 (die laut Fischer in ganz China Millionen auf die Beine brachte) als "Demokratiebewegung" in unserem Sinne betrachten könne. Es sei eher um die Verbesserung der Lebensverhältnisse gegangen. Auch heute könne man in China mit dem Begriff der "Zivilgesellschaft" wenig anfangen - zumal es dort kaum Nichtregierungsorganisationen geben.
Zeitzeuge Felix Lee, China-Korrespondent der taz und Blogger, Peking Felix Zahn für VolkswagenStiftung
Felix Lee, Blogger und China-Korrespondent der taz, der an der Diskussionsrunde teilnahm, erinnerte daran, dass die Ereignisse von 1989 im sich auflösenden Ostblock zunächst die chinesischen Hardliner stärkte, die jede Öffnung verhinderten. Die demonstrierenden Studenten von damals hätten allerdings keinen Umsturz im Sinn gehabt, sondern eine Verbesserung der Lebensverhältnisse. Lee glaubt im Gegensatz zu vielen Beobachtern in China und der Welt, dass eine politische Liberalisierung möglich gewesen wäre, ohne dass damals China im Chaos versunken wäre. Er hält die Auffassung, dass, wie immer wieder behauptet die chinesische Kultur eine Einführung von Menschenrechten besonders erschwere, für falsch. Menschenrechte seien universell - auch Chinesen wollten nicht unterdrückt werden.
Lee sieht aber keinen Sinn darin, dass der Westen diese Grundrechte mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger anmahne. Die Chinesen sähen deutlich, dass die Menschenrechte politisch instrumentalisiert werden. Zudem werde der Westen, vor allem die USA in ihrem "Krieg gegen den Terror", bei der Verteidigung der Menschenrechte immer unglaubwürdiger. Wirken könne der Westen nur durch das eigene Vorbild.
Auch Vogelsang erinnerte daran, dass die Europäer über wenig historische Legitimation verfügten - mit dem Verweis auf das Recht auf freien Handel hätten die Briten im 19. Jahrhundert China mit Krieg überzogen. Außerdem sollten bei der Analyse der politischen und ökonomischen Verhältnisse die üblichen wissenschaftlichen Maßstäbe angelegt werden, statt Spekulationen über eine ominöse vieltausendjährige "chinesische Kultur" anzustellen. Vogelsang unterstrich: "China ist nicht unergründlich".
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Herrenhäuser Forum für Zeitgeschehen: "Der Drache zeigt die Zähne - Aufstand im Reich der Mitte" im Schloss Herrenhausen
Diese Bilder gingen um die Welt: Ein junger Mann steht vor einem Panzer, als könne er ihn mit seinem ungeschützten Leib aufhalten. Der Panzer versucht auszuweichen, der mit einer Plastiktüte bewehrte Mann verstellt ihm auch diesen Ausweg. Diese aus großem Abstand gefilmte Szene ist mehr als ein historisches Dokument. Es ein Symbol für den verzweifelten Mut, aber auch die Ohnmacht der Studenten, die im Juni 1989 in Peking auf dem Tiananmen-Platz, dem "Platz des himmlischen Friedens", gegen die chinesische Staatsmacht demonstrierten.
Dieses Ereignis, im Westen vorwiegend als ein Aufbäumen der Demokratiebewegung gegen die Herrschaft der Kommunistischen Partei verstanden, war der Ausgangspunkt einer Veranstaltung, zu der die VolkswagenStiftung in das Schloss Herrenhausen eingeladen hatte. Unter dem Titel "Der Drache zeigt die Zähne - Aufstand im Reich der Mitte" sollten die Folgen dieses Ereignisses für die wirtschaftliche und politische Entwicklung Chinas diskutiert werden.
In einem einleitenden Kurzvortrag stellte Kai Vogelsang vom Afrika-Asien-Institut der Universität Hamburg diese Protestbewegung, ihren Vorlauf und ihre Zerschlagung in einen geschichtlichen Zusammenhang mit Geschehnissen der chinesischen Republik zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts.
Bald nach der chinesischen Revolution von 1911, die das Kaiserreich stürzte, war es zu der Errichtung eines autoritären Regimes gekommen. Es folgte schließlich ein Verfall der nationalen Einheit Chinas. Sun Yat-sen, der führende Kopf der revolutionären Kräfte, machte das fehlende nationale Selbstbewusstsein der Chinesen für die Entwicklung verantwortlich. Geteilt wurde diese Diagnose von vielen chinesischen Intellektuellen, die beeinflusst waren von den Einschätzungen westlicher Beobachter, die den Chinesen damals eine zivilisatorische Unreife bescheinigten. Die chinesischen Eliten kritisierten unter anderem einen Mangel an öffentlichen Tugenden, das Fehlen von Verantwortungsbewusstsein, Pünktlichkeit, Pflichtbewusstsein, Patriotismus oder Solidarität.
Die Folgerung von Sunyatsen und seinem Nachfolger Chiang Kai-shek war: Der Staat muss vermittels einer Erziehungsdiktatur diese Unreife überwinden, ja, einen "neuen Menschen" schaffen. In plakativen Erziehungsprogrammen wurde zivilisatorisches Verhalten offensiv propagiert: Detaillierte Regeln für das Verhalten in der Öffentlichkeit sollten den Chinesen genauso eingetrichtert werden wie ordentliche Tischsitten oder Hygienerituale. Eine autoritäre Expertokratie, die im Interesse des Volkswohls, aber ohne Mitwirkung des Volkes zu herrschen beanspruchte, sollte, so Vogelsang, in kürzester Zeit eine Entwicklung nachholen, die der Westen in einem Jahrhunderte dauernden "Prozess der Zivilisation" (Norbert Elias) durchlaufen hatte. Dabei habe es in China auch in jenen Jahren schon eine, wenn auch nicht sehr starke nationale Erneuerungsbewegung von unten gegeben, die allerdings von der Staatsmacht zerschlagen wurde. So machte Vogelsang deutlich, dass die Idee einer rigorosen Erziehungsdiktatur keine Erfindung der herrschenden kommunistischen Partei ist.
In die Gegenwart und ihre Problemlage führte die Wirtschaftswissenschaftlerin Doris Fischer von der Universität Würzburg ein. Mit einer imposanten, steilen "China-Kurve" demonstrierte sie die rasante wirtschaftliche Entwicklung Chinas seit 1992, die auch durch weltweite Krisen nicht aufgehalten werden konnte. Allerdings machten sich in jüngster Zeit erste Krisenanzeichen bemerkbar.
Das habe zu extrem unterschiedlichen Prognosen geführt. Die einen sehen einen unaufhaltsamen Aufstieg zu einer alle überholenden Supermacht voraus, andere dagegen einen Kollaps. Beide Spekulationen hält sie für falsch. Sie glaubt, dass die Entwicklung irgendwo zwischen "Weiter so" und Stagnation verlaufen wird. Derzeit lasse sich nicht absehen, wie der wirtschaftspolitische Zielkonflikt zwischen Stabilität und Entwicklung gelöst werde, welche Gruppen sich im Machtapparat durchsetzen werden: jene, die eine verstärkte zentrale Kontrolle von oben bevorzugen, oder jene Kräfte, die auf "Subsidiarität" setzen, also den Experten vor Ort und in den Unternehmen die Entscheidungen überlassen wollen. Angesichts der immensen ökologischen Schäden und der hohen materiellen wie sozialen Kosten, die sie verursachen, ist ein reines "Weiter so" nicht möglich - wie aber der von den chinesischen Verantwortlichen gesuchte "Mittelweg" konkret aussehen werde, sei derzeit noch nicht erkennbar.
In der anschließenden Diskussionsrunde, die Christoph Müller-Hofstede von der Bundeszentrale für politische Bildung leitete, gab Vogelsang zu bedenken, dass wir im Westen "sehen, was wir sehen wollen". Er bezweifelte, ob man die Protestbewegung von 1989 (die laut Fischer in ganz China Millionen auf die Beine brachte) als "Demokratiebewegung" in unserem Sinne betrachten könne. Es sei eher um die Verbesserung der Lebensverhältnisse gegangen. Auch heute könne man in China mit dem Begriff der "Zivilgesellschaft" wenig anfangen - zumal es dort kaum Nichtregierungsorganisationen geben.
Zeitzeuge Felix Lee, China-Korrespondent der taz und Blogger, Peking Felix Zahn für VolkswagenStiftung
Felix Lee, Blogger und China-Korrespondent der taz, der an der Diskussionsrunde teilnahm, erinnerte daran, dass die Ereignisse von 1989 im sich auflösenden Ostblock zunächst die chinesischen Hardliner stärkte, die jede Öffnung verhinderten. Die demonstrierenden Studenten von damals hätten allerdings keinen Umsturz im Sinn gehabt, sondern eine Verbesserung der Lebensverhältnisse. Lee glaubt im Gegensatz zu vielen Beobachtern in China und der Welt, dass eine politische Liberalisierung möglich gewesen wäre, ohne dass damals China im Chaos versunken wäre. Er hält die Auffassung, dass, wie immer wieder behauptet die chinesische Kultur eine Einführung von Menschenrechten besonders erschwere, für falsch. Menschenrechte seien universell - auch Chinesen wollten nicht unterdrückt werden.
Lee sieht aber keinen Sinn darin, dass der Westen diese Grundrechte mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger anmahne. Die Chinesen sähen deutlich, dass die Menschenrechte politisch instrumentalisiert werden. Zudem werde der Westen, vor allem die USA in ihrem "Krieg gegen den Terror", bei der Verteidigung der Menschenrechte immer unglaubwürdiger. Wirken könne der Westen nur durch das eigene Vorbild.
Auch Vogelsang erinnerte daran, dass die Europäer über wenig historische Legitimation verfügten - mit dem Verweis auf das Recht auf freien Handel hätten die Briten im 19. Jahrhundert China mit Krieg überzogen. Außerdem sollten bei der Analyse der politischen und ökonomischen Verhältnisse die üblichen wissenschaftlichen Maßstäbe angelegt werden, statt Spekulationen über eine ominöse vieltausendjährige "chinesische Kultur" anzustellen. Vogelsang unterstrich: "China ist nicht unergründlich".
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