24.08.2012 09:53 Uhr in Gesellschaft & Familie von FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Neue Zürcher Zeitung

Kurzfassung: WESTERWELLE-Interview für die "Neue Zürcher Zeitung" Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Neuen Zürcher Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende In ...
[FDP - 24.08.2012] WESTERWELLE-Interview für die "Neue Zürcher Zeitung"

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Neuen Zürcher Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten RENE ZELLER und ERIC GUJER:
Frage: Herr Minister, Sie gelten als Freund der Schweiz. Ist das unverändert so?
WESTERWELLE: Ja, ich bin ein Freund der Schweiz. Und das lasse ich mir auch nicht von Populisten beider Länder ausreden. Als Liberaler habe ich ohnehin eine große Schwäche für den schweizerischen Freigeist.
Frage: Im Moment wird in Deutschland nicht nur freundlich über die Schweiz geredet. Steckt hinter den Angriffen auf unseren Finanzplatz mehr als Wahlkampfgetöse?
WESTERWELLE: Diese unerquicklichen, der innenpolitischen Profilierung geschuldeten Wortmeldungen zum deutsch-schweizerischen Verhältnis gibt es ja auch in der Schweiz. Die große Mehrheit der Menschen in beiden Ländern weiß, dass wir nicht nur gute Nachbarn, sondern befreundete Länder sind. So sollten wir auch miteinander umgehen - mit Taten und mit Worten.
Frage: Viele Schweizer fühlen sich durch die Äußerungen insbesondere von deutschen Oppositionspolitiker angegriffen. Verstehen Sie das?
WESTERWELLE: Einige Mitglieder der Opposition wollten, als sie noch in der Regierung saßen, die Kavallerie für die Schweiz satteln. Ich habe damals zu einem freundschaftlichen und gutnachbarschaftlichem Umgang mit der Schweiz geraten. Als Außenminister mache ich das erst recht. Die Schweiz hatte Nachholbedarf, was das Thema Kooperation in Steuersachen mit Deutschland und anderen Ländern angeht. Das hat sie selbst so gesehen, deshalb ist das Steuerabkommen ausgehandelt worden. Es ist ein gutes Abkommen, das vor allen Dingen die Steuerehrlichkeit fördert.
Frage: Die Opposition sieht das zumindest teilweise anders. Wie beurteilen Sie die Chancen, dass das Abkommen durch den deutschen Bundesrat ratifiziert wird?
WESTERWELLE: Ich kann keine Vorhersagen machen, sowenig wie meine Amtskollegen in der Schweiz den Ausgang eines eventuellen Referendums sicher vorhersehen können. Beide Regierungen werben dafür, dass dieses Abkommen bald in Kraft treten kann, denn es hat lauter Vorteile für beide Länder. Die Steuerehrlichkeit wird verbessert. Die internationale Kooperation der Behörden wird verbessert. Es werden mutmaßlich Milliarden in die Staatskassen zurückfließen, insbesondere in jene der deutschen Bundesländer. Und es entsteht eine Rechtssicherheit, die diese unappetitlichen Aufkäufe deutscher Behörden von Diebesgut völlig überflüssig macht.
Frage: Wenn es nur Vorteile gibt, weshalb fordern dann Exponenten Ihrer Partei Nachverhandlungen?
WESTERWELLE: Ich sehe keine Notwendigkeit, das Steuerabkommen in der Substanz nachzuverhandeln. Ich glaube auch nicht, dass dies angesichts des Standes der Ratifizierungsprozesse möglich wäre. Ich fürchte, dass es dann ganz scheitert, und das wäre zum Schaden für die deutschen Staatsfinanzen und steuerehrliche Bürger. Wenn sich im Rahmen der Umsetzung im gegenseitigen Interesse Verbesserungen erzielen lassen, wird das auch geschehen.
Frage: Wenn wir aus den jüngsten Äußerungen aus den Reihen der FDP schließen, dass es innerhalb der Koalition Meinungsverschiedenheiten gibt, liegen wir dann völlig falsch?
WESTERWELLE: Die Wortmeldungen aus der deutschen FDP haben nicht zum Ziel, das Steuerabkommen mit der Schweiz scheitern zu lassen. Das Ziel ist vielmehr, die Opposition, die ja im deutschen Bundesrat ein wichtiges Wort mitredet, an Bord zu holen. Daraus ein Abrücken vom Steuerabkommen abzuleiten, wäre unzutreffend.
Frage: Was könnte die Länderregierungen zum Umdenken bewegen?
WESTERWELLE: Dieses Abkommen ist gut. Ich werbe dafür, dass es so ratifiziert wird. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass einige deutsche Oppositionspolitiker auf so viele Milliarden verzichten wollen, nur um innenpolitische Punkte sammeln zu wollen. Mit diesem Geld könnte so viel für Bildung, die Ausbildung von jungen Menschen und für Familien getan werden. Ich appelliere deshalb an die Vernunft und bitte darum, die Parteipolitik zurückzustellen.
Frage: Die jüngsten Verwerfungen nähren die Befürchtung, dass die Beziehungen der beiden Länder nachhaltig Schaden nehmen könnten.
WESTERWELLE: Ich bin ja auch hier in der Schweiz, um diesen Verwerfungen entgegenzuwirken. Ich erinnere mich noch an sehr viel heftigere Debatten, als ich noch in der Opposition war.
Frage: Im Vergleich zu den 80er- und 90er-Jahren hat sich das deutsch-schweizerische Verhältnis markant verschlechtert.
WESTERWELLE: Diese Bundesregierung hat 2009 einige Baustellen vorgefunden. Bei meinem Antrittsbesuch in der Schweiz habe ich deutlich gemacht, dass wir mit aller Kraft daran arbeiten werden, diese Probleme zu lösen. Wir haben ein Steuerabkommen ausgehandelt, ebenso ein Abkommen für den Flughafen Zürich. Ohne großes Aufsehen hat die deutsche Bundesregierung der Schweiz in einer schwierigen Lage bei der Befreiung der Schweizer Geiseln in Libyen geholfen. Das sind Taten, die zeigen, dass wir es mit der schweizerisch-deutschen Freundschaft ernst meinen.
Frage: Der nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Lindner, will Griechenland mehr Zeit bei der Umsetzung der Sparmassnahmen geben. Wie stehen Sie dazu?
WESTERWELLE: Die Bundesregierung ist der Auffassung, das es bei einer konsequenten Fortsetzung der Reformen bleiben muss und es eine substanzielle Aufweichung der Vereinbarungen nicht geben kann. Christian Linder hat darauf hingewiesen, dass durch die griechischen Wahlen Zeit verloren gegangen ist. Das ist doch nur die Feststellung einer unbestreitbaren Tatsache. Deshalb wollen wir auch den Bericht der Troika abwarten.
Frage: Wäre eine veränderter Zeitplan für die Bundesregierung hinnehmbar?
WESTERWELLE: Wie gesagt, eine substanzielle Aufweichung der Reformen kann es nicht geben. Wir bitten die griechische Regierung, diese Haltung sehr ernst zu nehmen. Deutschland ist bereit zu Solidarität und zeigt auch vorbildliche Solidarität in Europa. Wir sind aber gleichzeitig der Auffassung, dass ein Ende des Schuldenmachens und eine wachstumsorientierte Politik, mit der die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert wird, in ganz Europa nötig sind.
Frage: Sollte das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro mit allen Mitteln verhindert werden oder ist dies eine Option? Der FDP-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Rösler sagte dazu, für mich hat ein Austritt Griechenlands längst seinen Schrecken verloren.
WESTERWELLE: Die ganze Bundesregierung will, dass die Euro-Zone zusammenbleibt, denn ein Ausfransen der Euro-Zone wäre mit großen Risiken verbunden. Deswegen ist es ja so wichtig, dass alle Länder, mit denen Hilfsprogramme vereinbart wurden, diese auch umsetzen. Der Schlüssel zur Zukunft Griechenlands liegt in Athen.
Frage: Die Regierungen in Paris und Rom brüsten sich unverhohlen damit, Politik gegen Berlin zu machen. In den Medien dieser Länder kommen Stimmen zu Wort, die antideutsche Ressentiments äußern. Ist Deutschland einfach zu stark für die Währungsunion?
WESTERWELLE: Wir erfahren gerade jetzt viel Unterstützung in Europa für unsere Auffassung, dass man eine Schuldenkrise nicht löst, indem man das Schuldenmachen erleichtert. Ich begrüße, dass die italienische Regierung mit der Reformpolitik ernsthaft begonnen hat. Ich bin beeindruckt von der Entschlossenheit, mit der der spanische Ministerpräsident Rajoy die beschlossenen Reformen umsetzt. Ich sehe mit Freude, dass die Lage in Irland und Portugal nach weitgehenden Reformen besser geworden ist. Wir müssen die Probleme der einzelnen Länder differenziert sehen, auch wenn sich die Symptome ähneln. Im Übrigen müssen wir alle in Europa - nicht nur in der EU - dem Ungeist der Renationalisierung widerstehen. Wir Europäer sind eine Schicksals- und Kulturgemeinschaft. Wenn wir in dieser Lage dem Rest der Welt nicht unseren Selbstbehauptungswillen beweisen, dann laufen wir Gefahr, als Auslaufmodell abgeschrieben zu werden. Die Zeit, in der sich in Europa die Völker mit Klischees begegnen, sollte endgültig vorüber sein.
Frage: Aber die etwa in manchen Zeitungen geäußerten antideutschen Stereotypen und Klischees sind doch recht massiv.
WESTERWELLE: Glücklicherweise haben wir in Europa Pressefreiheit. Zeitungen werden nicht gewählt, sondern gekauft. Medien müssen mit ihren Kommentaren nicht die politische Verantwortung für ihre Länder tragen. Wer Verantwortung trägt, muss ihr auch gerecht werden, auch bei der Wortwahl.
Frage: Ist eine akute Währungskrise der richtige Zeitpunkt, um einen grundlegenden Umbau der EU zu beginnen, hin zu mehr Integration und einem weiteren Transfer von Souveränitätsrechten nach Brüssel? Solche Forderungen sind gerade von Kanzlerin Merkel erhoben worden.
WESTERWELLE: Es wäre ein historischer Fehler, wenn wir die Chancen der Krise nicht nutzten. Seit Einführung des Euro gab es Versäumnisse. So war die Aufweichung des Maastrichter Stabilitätspaktes durch die rot-grüne Bundesregierung eine dramatische und folgenschwere Fehlentscheidung. Die Krise ist auch eine Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Lehren zu ziehen. Das ist mindestens so wichtig wie das unmittelbare Krisenmanagement. Deswegen habe ich eine Gruppe von Außenministern eingeladen, darüber nachzudenken, wie wir in der EU unsere Entscheidungen effizienter machen und wie wir das große Versäumnis beheben, dass wir eine Währungsunion haben, aber zu wenig politische Union sind. Der Bericht der Gruppe soll im Herbst vorliegen.
Frage: Wenn es nötig wird, für die Übertragung von Souveränitätsrechten das Grundgesetz zu ändern, sollte dann das deutsche Volk Gelegenheit haben, darüber in einer Volksabstimmung zu befinden?
WESTERWELLE: Ich bin dafür, dass wir uns so bald wie möglich ans Werk machen, eine europäische Verfassung auszuarbeiten. In ihr sollte es mehr Transparenz und eine wirkliche demokratische Gewaltenteilung geben. Wir brauchen ein Europäisches Parlament mit echten Kontrollbefugnissen. Der Rat der Mitgliedsstaaten sollte zu einer zweiten Parlamentskammer weiterentwickelt werden. Die Kommission sollte echte exekutive Kompetenzen erhalten. Der Kommissionspräsident sollte in der ganzen EU direkt gewählt werden und müsste sich dafür allen Europäern zur Wahl stellen. Wenn wir uns auf eine europäische Verfassung einigen, muss darüber auch eine Volksabstimmung stattfinden.
Frage: Könnte die Schweiz zum Einwanderungsland für an demokratiepolitischen Fragen Interessierte werden, auch aus Deutschland, um zu sehen, wie wir es mit der direkten Demokratie halten?
WESTERWELLE: Ich besuche viele Länder. In jedem Land kann man etwas lernen, und in der Schweiz lernt man besonders viel.

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FDP Eine Geschichte als Herausforderung.Der Liberalismus begann seinen historischen Weg als Philosophie der Freiheit und als politische Bewegung für die Rechte des Einzelnen. Die Willkürherrschaft des Absolutismus stand im Widerspruch zur Idee einer freiheitlichen Gesellschaft. Mit dem Verfassungsstaat hat der Liberalismus den Absolutismus überwunden. Als erste politische Bewegung hat der Liberalismus dem einzelnen Bürger, seiner menschlichen Würde und seinen Menschenrechten der Freiheit und Gleichheit Vorrang vor der Macht des Staates eingeräumt. Schritt für Schritt verwirklichten Liberale den modernen Verfassungsstaat mit individuellen Grundrechten, der freien Entfaltung der Persönlichkeit, dem Schutz von Minderheiten, der Gewaltenteilung und der Rechtsbindung staatlicher Gewalt.Der Liberalismus hat als Freiheitsbewegung nicht nur für die Gleichheit vor dem Gesetz gekämpft, sondern auch für Chancengleichheit in der Gesellschaft. Mit der Marktwirtschaft und ihrer sozialen Verpflichtung hat der Liberalismus neue Chancen gegen Existenznot und konservative Erstarrung der gesellschaftlichen Strukturen eröffnet.Die liberale Verfassung unserer Bundesrepublik Deutschland hat mehr demokratische Stabilität, mehr allgemeinen Wohlstand, mehr soziale Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit hervorgebracht, als dies je zuvor in der Geschichte der Fall gewesen ist. Und dennoch ist die Idee der Freiheit den schleichenden Gefahren der Gewöhnung und Geringschätzung ausgesetzt. Weniger Teilhabe am demokratischen Staat, weniger Chancen für ein selbstbestimmtes Leben durch weniger Chancen auf einen sicheren Arbeitsplatz, Entmündigungen durch kollektive Zwangssysteme und bevormundende Bürokratie sind neue Bedrohungen der Freiheit.Liberale haben nach 1945 der Idee der Freiheit zum erneuten Durchbruch verholfen. Die FDP war stets der Motor für Reformen, wenn es um Richtungsentscheidungen zugunsten der Freiheit ging. Nur durch die FDP konnte in den fünfziger Jahren die Soziale Marktwirtschaft gegen die Sozialdemokraten und Teile der Christdemokraten durchgesetzt werden. Nur durch die FDP konnte sich in den siebziger Jahren mehr Bürgerfreiheit gegen konservative Rechts- und Gesellschaftspolitik durchsetzen. Die Liberalen waren Vorreiter für die Demokratisierung und Liberalisierung der Gesellschaft, gegen obrigkeits- staatliche Bevormundung und Engstirnigkeit. Unsere Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung in den achtziger Jahren brachte neue Arbeitsplätze und mehr Wohlstand für mehr Bürger.Ein großer Teil des Widerstands gegen das sozialistische Staatswesen erwuchs aus der Attraktivität des freiheitlich-liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Das in den europäischen Integrationsprozeß eingebettete, vereinte Deutschland ist das freiheitlichste unserer Geschichte.
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