07.11.2012 09:23 Uhr in Gesellschaft & Familie von FDP
LINK-Interview für 'dpa Insight EU'
Kurzfassung: LINK-Interview für "dpa Insight EU"Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Staatsminister MICHAEL GEORG LINK, MdB, gab "dpa Insight EU" heute das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS STRÜNKELNBERG: ...
[FDP - 07.11.2012] LINK-Interview für "dpa Insight EU"
Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Staatsminister MICHAEL GEORG LINK, MdB, gab "dpa Insight EU" heute das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS STRÜNKELNBERG:
Frage: Herr Link, wer über Europa spricht, hat derzeit vor allem die Krise im Auge. Was sehen Sie in Europa?
LINK: Natürlich verschließen wir wahrlich nicht die Augen vor der Krise, im Gegenteil. Deshalb haben wir als Bundesregierung hart daran gearbeitet, dass wir aus dem Krisen-Modus in den Krisen-Lösungs-Modus kommen. In dem sind wir: Wir stehen kurz vor Inkrafttreten der Maßnahmen, die wir zur Krisenbekämpfung und Krisenvorbeugung in den letzten eineinhalb Jahren erarbeitet haben - Fiskalpakt, ESM, Wachstumspakt und natürlich die verschärfte Haushaltskontrolle. Andere Maßnahmen wie die europäische Bankenaufsicht werden sehr ernsthaft umgesetzt und zügig aber gründlich verwirklicht.
Frage: Gerade mit Blick auf die Haushaltskontrolle haben viele die Vorstellung, dass die EU-Mitgliedstaaten künftig Souveränitätsrechte abgeben und Eingriffsmöglichkeiten für die europäische Ebene eröffnen sollten. Wie stehen Sie dazu?
LINK: Es geht nicht darum, Souveränität an andere abzugeben, sondern um eine durchsetzungsfähige Kontrolle durch die Europäische Kommission für das, was die Mitgliedstaaten und das EP gemeinsam demokratisch entscheiden. Der Bundestag hat dadurch kein einziges Kontrollrecht weniger. Zusätzlich bekommen wir aber effiziente Kontrolle durch EU-Institutionen. Der Fiskalpakt spielt hier eine entscheidende Rolle, denn er sieht auch die gegenseitige Kontrolle durch die Mitgliedstaaten vor. Außerdem haben wir eine starke Rolle der Europäischen Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich Krisen wie die jetzige nicht wiederholen können und die Handlungsspielräume der Politik gegenüber den Finanzmärkten wieder hergestellt werden. Wir geben also nicht Souveränität ab, sondern wir gewinnen Sicherheit und Gestaltungsfreiheit.
Frage: Dennoch kann man doch nicht leugnen, dass ein gewisses Maß an Selbstbestimmung verloren geht, wenn die Kommission den Mitgliedstaaten in kritischer Lage sagen kann: Bis hierher und nicht weiter.
LINK: Ja, aber das geschieht in einem freiwilligen, demokratischen Prozess. Und das Bundesverfassungsgericht hat die Leitlinien bekräftigt, wie das zu geschehen hat. Deshalb muss jeder Schritt vom Bundestag kontrolliert und auch beschlossen werden. Daher kann es auch nicht sein, dass wir die Entscheidung über die Aufstellung unseres Haushalts abgeben. Haushaltsrelevante Entscheidungen müssen immer vom Bundestag getroffen werden, aber wir können sehr wohl gemeinsame Standards festlegen, wie die Europäische Kommission in allen Staaten der Eurozone diese Entscheidungen kontrollieren kann. Der Bundestag bleibt der zentrale Ort des Geschehens, aber der Sinn des Ganzen ist, dass Fehlentwicklungen in den Mitgliedstaaten in Zukunft vermieden werden können. Denn auch wechselnde politische Mehrheiten in den nationalen Parlamenten werden sich künftig an den Fiskalpakt halten müssen.
Frage: Das heißt, dass Sie eventuelle, weitergehende Schritte wie beispielsweise einen starken Währungs- oder Sparkommissar eher ablehnen?
LINK: Solange der Währungskommissar Kontrollrechte durchsetzt, ist das in unserem Sinne. Er könnte bei Fehlsteuerungen Alarm auslösen und dafür sorgen, dass sich die europäischen Institutionen mit dem betroffenen Mitgliedstaat befassen. Den Bundeshaushalt wird aber immer der Deutsche Bundestag beschließen. Wir könnten uns also durchaus vorstellen, stärkere europäische Durchgriffsrechte zu schaffen, aber immer nur in den Situationen, die wir vorher gemeinsam demokratisch beschlossen haben - mit Zustimmung des Bundestags.
Frage: Sie sagten schon, die Kriseninstrumente seien auf dem Weg. Dennoch ist die zumindest zwischenzeitliche Beruhigung an den Märkten wohl eher der Europäischen Zentralbank zu verdanken. Oder?
LINK: Dass eine Beruhigung an den Märkten aufgetreten ist, begrüßen wir sehr. Sie hat vor allem damit zu tun, dass die vereinbarten Reformmaßnahmen in jenen Ländern in Kraft getreten sind, die wir mit Krediten über die Rettungsschirme unterstützen: In Spanien gibt es entschlossene Reformen, in Griechenland jetzt schrittweise endlich auch, in Portugal und Irland schon seit längerer Zeit. Das ist der Hauptgrund für die Beruhigung. Die Tätigkeit der EZB hat jedoch auch eindeutige immanente Schranken. Sie liegen dort, wo die Geldwertstabilität bedroht ist. Deshalb ist es gut, dass die EZB sehr hohe Hürden für ihr Tätigwerden formuliert hat. Sie hat es im Rahmen ihrer Unabhängigkeit getan, wir begrüßen das. Und die hohen Hürden umfassen zum Beispiel zwingend den Einsatz des ESM: Wenn der ESM nicht tätig wird, wird die EZB auch nicht tätig. Der ESM wird aber nur tätig, wenn vorher vereinbarte Auflagen eingehalten werden. Insofern haben wir es auch selbst in der Hand, wo die EZB stärker tätig wird und wo weniger.
Frage: Neben den Reformen brauchen Länder wie Spanien oder Griechenland Wachstum, um die Krise hinter sich lassen zu können. Helfen können und sollen vor allem verschiedene Programme der EU, mit deren Finanzkraft die Konjunktur angeschoben werden soll. Nun fordert unter anderem Deutschland eine Kürzung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens der EU für die Jahre 2014 bis 2020. Wie passt denn das zusammen?
LINK: Das passt sehr gut zusammen. Denn es geht nicht darum, mehr Geld auszugeben, sondern es zielgenau auszugeben, vor allem für Wachstum und Beschäftigung. Wir nennen das "better spending, not more spending". Den EU-Haushalt wollen wir zum besten Wachstumsprogramm für die EU umbauen. Er ist kein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm. Er finanziert sich bisher ausschließlich aus Eigenmitteln, die der EU von ihren Mitgliedern abgetreten werden. Wer der EU die Möglichkeit geben will, sich z.B. durch die Ausgabe von Eurobonds zu verschulden, zerstört einen der erfolgreichsten Bereiche der EU, denn die EU hat bisher für ihren eigenen Haushalt einen Schuldenstand von Null - besser als jedes ihrer Mitglieder. Das Problem liegt nicht in mangelnden Einnahmen sondern in der Verwendung der Ausgaben. Bisher geben wir das Geld im EU-Haushalt zu stark für Projekte aus, die man "nice to have" nennen kann, die aber nicht wirklich wachstums- und beschäftigungsfördernd sind. Bisher regiert zu sehr das "Prinzip Gießkanne". Stattdessen brauchen wir eine konsequente Konzentration aufs Wesentliche. Die Lösung liegt deshalb nicht in immer höheren Ausgaben sondern in der Konzentration auf zielgenaue Investitionen, zeitlich befristet und degressiv gestaffelt. Sonst wiederholen sich die Fehlallokationen der Vergangenheit. Voraussetzung für diese Umsteuerung im kommenden EU-Haushalt ist die Einigung auf präzise makroökonomische Bedingungen für den Einsatz der Struktur- und Kohäsionspolitik. Wir wollen, dass der EU-Haushalt durch das "better-spending"-Programm umgebaut wird, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Das gilt etwa für die Kohäsionspolitik, aber auch für die zweite Säule Agrarpolitik. Andere Ziele, die wünschenswert wären, müssen die Mitgliedstaaten dann selber fördern. Mit europäischem Geld können wir Wachstum und Beschäftigung in Europa künftig stärker voranbringen. Das sind die Wachstumsimpulse, die viele zu Recht von uns erwarten.
Frage: "Better spending" ist in diesem Zusammenhang ein beliebtes Stichwort. Aber geben Sie doch einmal ein Beispiel: Was bedeutet das konkret?
LINK: "Better spending" heißt beispielsweise in der Kohäsionspolitik, dass das Geld eben nicht für ein nettes, zusätzliches Hallenbad in einer weniger entwickelten Region ausgegeben wird oder dass man aus europäischen Geldern Tourismusförderung betreibt in Gebieten, die ohnehin sehr wohlhabend sind. Ich bin immer der Meinung, man sollte zunächst vor der eigenen Türe kehren. Es gibt genügend Beispiele in Deutschland, wo wir Verbesserungsmöglichkeiten haben. Stattdessen sollte das Geld beispielsweise ganz gezielt für die Förderung dualer Berufsausbildung eingesetzt werden, für verstärkten Sprachunterricht für Jugendliche aus Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, die bereit sind, einen Arbeitsplatz in Deutschland anzunehmen. Wir suchen händeringend - vor allem in Süddeutschland, aber auch in anderen Landesteilen - neue, vor allem junge Arbeitskräfte. Das scheitert manchmal an der Qualifikation, vor allem aber an fehlenden Deutsch-Kenntnissen. Hierfür das Geld einzusetzen - als Beispiel - das wäre ein konkreter Weg. Wir müssen das Geld so einsetzen, dass die Arbeitsplätze, die als Anschub gefördert werden, sich bald selbst tragen.
Frage: Nun ist die Zahl der Länder, die Deutschland in der Frage der Ausstattung des EU-Finanzrahmens unterstützen, zumindest überschaubar. Darüber hinaus muss das EU-Parlament dem Haushalt zustimmen. Und die Signale von dort deuten nicht darauf hin, dass man den Finanzrahmen stutzen möchte. Wie viel wird also wohl letztlich von den deutschen Vorstellungen übrig bleiben?
LINK: In der Tat, das Europäische Parlament muss dem Haushalt zustimmen. Zunächst muss jedoch der Rat entscheiden, wie der mehrjährige Finanzrahmen aussehen soll, und dann müssen wir dafür die Zustimmung des Europäischen Parlaments suchen. Deshalb arbeiten wir schon jetzt sehr intensiv mit dem Europäischen Parlament zusammen, um unsere Vorstellungen einander anzunähern. Wir sind beispielsweise nahe beim Europäischen Parlament in der Frage der Modernisierung der Ausgabenseite. Wir sind aber klar anderer Meinung als das Europäische Parlament bei der Höhe des Haushalts. 1,0 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) ist aus unserer Sicht absolut ausreichend und auch genau richtig. Die Begrenzung ist auch ein Mittel, den Druck zu erhöhen, die Ausgabenseite zu modernisieren. Wer neue Herausforderungen mit der Forderung nach einem größeren Budget beantwortet, wird das Budget niemals modernisieren, sondern einfach nur mehr ausgeben. Und das ist genau der Weg, den wir nicht gehen wollen. Im übrigen: Die jüngsten Beschlüsse des britischen Unterhauses zeigen erneut, dass Rufe nach höheren Ausgaben ins Reich der Phantasie gehören.
Frage: Zum Haushalt gehört immer auch die Frage, woraus er sich zusammensetzt. Die EU-Kommission wünscht sich unter anderem mit der Finanztransaktionssteuer eine eigene Einkommensquelle. Wie denken Sie darüber?
LINK: Meine eigene Partei, die FDP, hat dafür gesorgt, dass wir im Koalitionsvertrag eine klare Absage an EU-Steuern haben - nicht weil wir die EU nicht sicher finanziert haben wollen. Die Bundesregierung steht dazu, dass die EU sicher und transparent finanziert sein muss. Wir glauben aber, man erreicht das am besten, indem man die Einnahmen der Europäischen Union auf zwei Blöcke konzentriert: Die traditionellen Eigenmittel und natürlich die Abführungen vom Bruttonationaleinkommen. Die haben den Vorteil, dass sie nach einer einheitlichen Methode errechnet werden und dass sie das Steueraufkommen sowie die Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten widerspiegeln. Das bedeutet, Starke tragen mehr und Schwächere weniger Lasten. Das ist ein faires Prinzip - und zudem völlig transparent.
Frage: Wenn die EU selber Steuern erheben würde, was wären aus Ihrer Sicht die Folgen?
LINK: Würde die EU selber Steuern erheben, hätten wir zusätzlich zur jetzigen Nettozahlerdebatte eine weitere Debatte: Dann würde noch einmal verglichen werden, wer wie viel bezahlt - und welche Bevölkerungsgruppen wie viel bezahlen. Heute reden wir nur über eine Nettozahlerdebatte unter den Staaten. Schon die hinkt kolossal, weil Deutschland - obschon größter Nettozahler - zweifellos ökonomisch wie politisch enorm von der EU profitiert. Wer jedoch eine Steuer auf EU-Ebene schafft und direkt die Bürger belastet, der würde eine ungleich gefährlichere zweite Nettozahlerdebatte bekommen. Und da eine Steuer nie so genau geplant werden kann, wie eine Abführung vom Bruttonationaleinkommen, gäbe es in der Folge keine Punktlandung bei der geplanten Steuerquelle und zusätzlich immer noch den Bedarf nach Abführung von BNE-Anteilen. Das Resultat wäre ein deutlich komplexeres System, mit weniger Transparenz. Deshalb sage ich hier deutlich: Wehret den Anfängen, keine Schaffung einer zusätzlichen Besteuerungsebene in Form von EU-Steuern.
Frage: Man sieht innerhalb der EU durchaus auch Absetzbewegungen von Europa: Ein Stichwort in diesem Zusammenhang lautet Schengen. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorgen?
LINK: Die Absetzbewegungen sehe ich mit Sorge. Was mir aber vor allem Sorgen bereitet ist, dass manche sich ein Europa à la carte wünschen. Das funktioniert nicht. Wir sollten immer versuchen, dass wir die Gemeinschaft der 27 so stark als möglich erhalten. Ausgehend davon sind wir aber sehr wohl der Meinung, dass einige vorangehen dürfen, auch sollen, wenn nicht sofort alle mitziehen. Wir Deutschen wollen gerne mit anderen gezielt vorangehen bei der Integration. Aber niemals exklusiv, sondern einladend. Vorangehen, nicht entfernen - das ist die Devise. Ich nenne das progressive Integration. Deshalb tritt Deutschland dafür ein, dass auch die Nichtmitglieder der Eurozone bei den Verhandlungen über die Bankenaufsicht Sitz und Stimme haben. Denn ein großer Teil der EU-Staaten möchte Euromitglied werden, vertraglich müssen es alle außer Großbritannien und Dänemark. Deshalb sollten wir die Eurozone der 17 Staaten nicht hermetisch abdichten, sondern uns gegenüber den Nicht-€-Staaten offen zeigen.
Frage: Wie weit sollte denn aus Ihrer Sicht eine europäische Integration gehen?
LINK: Da würde ich gerne als Liberaler antworten: Wir haben gerade im neuen Grundsatzprogramm der Freien Demokratischen Partei nach einer spannenden Debatte unter den Mitgliedern beschlossen, dass wir uns die Zukunft der Europäischen Union langfristig als die eines föderal organisierten Bundesstaats vorstellen. Föderal im Sinne von dezentral organisiert - dezentral, subsidiär, verhältnismäßig. Ein Bundesstaat ist kein Zentralstaat. Ein Bundesstaat bündelt das, was gemeinsam sein soll, und er lässt das bei den Einzelstaaten, was dort besser aufgehoben ist. Wenn die Europäische Union nicht an ihrer Verfassung arbeitet und gespalten statt geeint auftritt, insbesondere wenn es um globale Themen und Herausforderungen geht, dann haben wir die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Deshalb ist die europäische Einigung konsequenterweise auch unsere Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung.
FDP
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Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Staatsminister MICHAEL GEORG LINK, MdB, gab "dpa Insight EU" heute das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS STRÜNKELNBERG:
Frage: Herr Link, wer über Europa spricht, hat derzeit vor allem die Krise im Auge. Was sehen Sie in Europa?
LINK: Natürlich verschließen wir wahrlich nicht die Augen vor der Krise, im Gegenteil. Deshalb haben wir als Bundesregierung hart daran gearbeitet, dass wir aus dem Krisen-Modus in den Krisen-Lösungs-Modus kommen. In dem sind wir: Wir stehen kurz vor Inkrafttreten der Maßnahmen, die wir zur Krisenbekämpfung und Krisenvorbeugung in den letzten eineinhalb Jahren erarbeitet haben - Fiskalpakt, ESM, Wachstumspakt und natürlich die verschärfte Haushaltskontrolle. Andere Maßnahmen wie die europäische Bankenaufsicht werden sehr ernsthaft umgesetzt und zügig aber gründlich verwirklicht.
Frage: Gerade mit Blick auf die Haushaltskontrolle haben viele die Vorstellung, dass die EU-Mitgliedstaaten künftig Souveränitätsrechte abgeben und Eingriffsmöglichkeiten für die europäische Ebene eröffnen sollten. Wie stehen Sie dazu?
LINK: Es geht nicht darum, Souveränität an andere abzugeben, sondern um eine durchsetzungsfähige Kontrolle durch die Europäische Kommission für das, was die Mitgliedstaaten und das EP gemeinsam demokratisch entscheiden. Der Bundestag hat dadurch kein einziges Kontrollrecht weniger. Zusätzlich bekommen wir aber effiziente Kontrolle durch EU-Institutionen. Der Fiskalpakt spielt hier eine entscheidende Rolle, denn er sieht auch die gegenseitige Kontrolle durch die Mitgliedstaaten vor. Außerdem haben wir eine starke Rolle der Europäischen Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich Krisen wie die jetzige nicht wiederholen können und die Handlungsspielräume der Politik gegenüber den Finanzmärkten wieder hergestellt werden. Wir geben also nicht Souveränität ab, sondern wir gewinnen Sicherheit und Gestaltungsfreiheit.
Frage: Dennoch kann man doch nicht leugnen, dass ein gewisses Maß an Selbstbestimmung verloren geht, wenn die Kommission den Mitgliedstaaten in kritischer Lage sagen kann: Bis hierher und nicht weiter.
LINK: Ja, aber das geschieht in einem freiwilligen, demokratischen Prozess. Und das Bundesverfassungsgericht hat die Leitlinien bekräftigt, wie das zu geschehen hat. Deshalb muss jeder Schritt vom Bundestag kontrolliert und auch beschlossen werden. Daher kann es auch nicht sein, dass wir die Entscheidung über die Aufstellung unseres Haushalts abgeben. Haushaltsrelevante Entscheidungen müssen immer vom Bundestag getroffen werden, aber wir können sehr wohl gemeinsame Standards festlegen, wie die Europäische Kommission in allen Staaten der Eurozone diese Entscheidungen kontrollieren kann. Der Bundestag bleibt der zentrale Ort des Geschehens, aber der Sinn des Ganzen ist, dass Fehlentwicklungen in den Mitgliedstaaten in Zukunft vermieden werden können. Denn auch wechselnde politische Mehrheiten in den nationalen Parlamenten werden sich künftig an den Fiskalpakt halten müssen.
Frage: Das heißt, dass Sie eventuelle, weitergehende Schritte wie beispielsweise einen starken Währungs- oder Sparkommissar eher ablehnen?
LINK: Solange der Währungskommissar Kontrollrechte durchsetzt, ist das in unserem Sinne. Er könnte bei Fehlsteuerungen Alarm auslösen und dafür sorgen, dass sich die europäischen Institutionen mit dem betroffenen Mitgliedstaat befassen. Den Bundeshaushalt wird aber immer der Deutsche Bundestag beschließen. Wir könnten uns also durchaus vorstellen, stärkere europäische Durchgriffsrechte zu schaffen, aber immer nur in den Situationen, die wir vorher gemeinsam demokratisch beschlossen haben - mit Zustimmung des Bundestags.
Frage: Sie sagten schon, die Kriseninstrumente seien auf dem Weg. Dennoch ist die zumindest zwischenzeitliche Beruhigung an den Märkten wohl eher der Europäischen Zentralbank zu verdanken. Oder?
LINK: Dass eine Beruhigung an den Märkten aufgetreten ist, begrüßen wir sehr. Sie hat vor allem damit zu tun, dass die vereinbarten Reformmaßnahmen in jenen Ländern in Kraft getreten sind, die wir mit Krediten über die Rettungsschirme unterstützen: In Spanien gibt es entschlossene Reformen, in Griechenland jetzt schrittweise endlich auch, in Portugal und Irland schon seit längerer Zeit. Das ist der Hauptgrund für die Beruhigung. Die Tätigkeit der EZB hat jedoch auch eindeutige immanente Schranken. Sie liegen dort, wo die Geldwertstabilität bedroht ist. Deshalb ist es gut, dass die EZB sehr hohe Hürden für ihr Tätigwerden formuliert hat. Sie hat es im Rahmen ihrer Unabhängigkeit getan, wir begrüßen das. Und die hohen Hürden umfassen zum Beispiel zwingend den Einsatz des ESM: Wenn der ESM nicht tätig wird, wird die EZB auch nicht tätig. Der ESM wird aber nur tätig, wenn vorher vereinbarte Auflagen eingehalten werden. Insofern haben wir es auch selbst in der Hand, wo die EZB stärker tätig wird und wo weniger.
Frage: Neben den Reformen brauchen Länder wie Spanien oder Griechenland Wachstum, um die Krise hinter sich lassen zu können. Helfen können und sollen vor allem verschiedene Programme der EU, mit deren Finanzkraft die Konjunktur angeschoben werden soll. Nun fordert unter anderem Deutschland eine Kürzung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens der EU für die Jahre 2014 bis 2020. Wie passt denn das zusammen?
LINK: Das passt sehr gut zusammen. Denn es geht nicht darum, mehr Geld auszugeben, sondern es zielgenau auszugeben, vor allem für Wachstum und Beschäftigung. Wir nennen das "better spending, not more spending". Den EU-Haushalt wollen wir zum besten Wachstumsprogramm für die EU umbauen. Er ist kein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm. Er finanziert sich bisher ausschließlich aus Eigenmitteln, die der EU von ihren Mitgliedern abgetreten werden. Wer der EU die Möglichkeit geben will, sich z.B. durch die Ausgabe von Eurobonds zu verschulden, zerstört einen der erfolgreichsten Bereiche der EU, denn die EU hat bisher für ihren eigenen Haushalt einen Schuldenstand von Null - besser als jedes ihrer Mitglieder. Das Problem liegt nicht in mangelnden Einnahmen sondern in der Verwendung der Ausgaben. Bisher geben wir das Geld im EU-Haushalt zu stark für Projekte aus, die man "nice to have" nennen kann, die aber nicht wirklich wachstums- und beschäftigungsfördernd sind. Bisher regiert zu sehr das "Prinzip Gießkanne". Stattdessen brauchen wir eine konsequente Konzentration aufs Wesentliche. Die Lösung liegt deshalb nicht in immer höheren Ausgaben sondern in der Konzentration auf zielgenaue Investitionen, zeitlich befristet und degressiv gestaffelt. Sonst wiederholen sich die Fehlallokationen der Vergangenheit. Voraussetzung für diese Umsteuerung im kommenden EU-Haushalt ist die Einigung auf präzise makroökonomische Bedingungen für den Einsatz der Struktur- und Kohäsionspolitik. Wir wollen, dass der EU-Haushalt durch das "better-spending"-Programm umgebaut wird, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Das gilt etwa für die Kohäsionspolitik, aber auch für die zweite Säule Agrarpolitik. Andere Ziele, die wünschenswert wären, müssen die Mitgliedstaaten dann selber fördern. Mit europäischem Geld können wir Wachstum und Beschäftigung in Europa künftig stärker voranbringen. Das sind die Wachstumsimpulse, die viele zu Recht von uns erwarten.
Frage: "Better spending" ist in diesem Zusammenhang ein beliebtes Stichwort. Aber geben Sie doch einmal ein Beispiel: Was bedeutet das konkret?
LINK: "Better spending" heißt beispielsweise in der Kohäsionspolitik, dass das Geld eben nicht für ein nettes, zusätzliches Hallenbad in einer weniger entwickelten Region ausgegeben wird oder dass man aus europäischen Geldern Tourismusförderung betreibt in Gebieten, die ohnehin sehr wohlhabend sind. Ich bin immer der Meinung, man sollte zunächst vor der eigenen Türe kehren. Es gibt genügend Beispiele in Deutschland, wo wir Verbesserungsmöglichkeiten haben. Stattdessen sollte das Geld beispielsweise ganz gezielt für die Förderung dualer Berufsausbildung eingesetzt werden, für verstärkten Sprachunterricht für Jugendliche aus Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, die bereit sind, einen Arbeitsplatz in Deutschland anzunehmen. Wir suchen händeringend - vor allem in Süddeutschland, aber auch in anderen Landesteilen - neue, vor allem junge Arbeitskräfte. Das scheitert manchmal an der Qualifikation, vor allem aber an fehlenden Deutsch-Kenntnissen. Hierfür das Geld einzusetzen - als Beispiel - das wäre ein konkreter Weg. Wir müssen das Geld so einsetzen, dass die Arbeitsplätze, die als Anschub gefördert werden, sich bald selbst tragen.
Frage: Nun ist die Zahl der Länder, die Deutschland in der Frage der Ausstattung des EU-Finanzrahmens unterstützen, zumindest überschaubar. Darüber hinaus muss das EU-Parlament dem Haushalt zustimmen. Und die Signale von dort deuten nicht darauf hin, dass man den Finanzrahmen stutzen möchte. Wie viel wird also wohl letztlich von den deutschen Vorstellungen übrig bleiben?
LINK: In der Tat, das Europäische Parlament muss dem Haushalt zustimmen. Zunächst muss jedoch der Rat entscheiden, wie der mehrjährige Finanzrahmen aussehen soll, und dann müssen wir dafür die Zustimmung des Europäischen Parlaments suchen. Deshalb arbeiten wir schon jetzt sehr intensiv mit dem Europäischen Parlament zusammen, um unsere Vorstellungen einander anzunähern. Wir sind beispielsweise nahe beim Europäischen Parlament in der Frage der Modernisierung der Ausgabenseite. Wir sind aber klar anderer Meinung als das Europäische Parlament bei der Höhe des Haushalts. 1,0 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) ist aus unserer Sicht absolut ausreichend und auch genau richtig. Die Begrenzung ist auch ein Mittel, den Druck zu erhöhen, die Ausgabenseite zu modernisieren. Wer neue Herausforderungen mit der Forderung nach einem größeren Budget beantwortet, wird das Budget niemals modernisieren, sondern einfach nur mehr ausgeben. Und das ist genau der Weg, den wir nicht gehen wollen. Im übrigen: Die jüngsten Beschlüsse des britischen Unterhauses zeigen erneut, dass Rufe nach höheren Ausgaben ins Reich der Phantasie gehören.
Frage: Zum Haushalt gehört immer auch die Frage, woraus er sich zusammensetzt. Die EU-Kommission wünscht sich unter anderem mit der Finanztransaktionssteuer eine eigene Einkommensquelle. Wie denken Sie darüber?
LINK: Meine eigene Partei, die FDP, hat dafür gesorgt, dass wir im Koalitionsvertrag eine klare Absage an EU-Steuern haben - nicht weil wir die EU nicht sicher finanziert haben wollen. Die Bundesregierung steht dazu, dass die EU sicher und transparent finanziert sein muss. Wir glauben aber, man erreicht das am besten, indem man die Einnahmen der Europäischen Union auf zwei Blöcke konzentriert: Die traditionellen Eigenmittel und natürlich die Abführungen vom Bruttonationaleinkommen. Die haben den Vorteil, dass sie nach einer einheitlichen Methode errechnet werden und dass sie das Steueraufkommen sowie die Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten widerspiegeln. Das bedeutet, Starke tragen mehr und Schwächere weniger Lasten. Das ist ein faires Prinzip - und zudem völlig transparent.
Frage: Wenn die EU selber Steuern erheben würde, was wären aus Ihrer Sicht die Folgen?
LINK: Würde die EU selber Steuern erheben, hätten wir zusätzlich zur jetzigen Nettozahlerdebatte eine weitere Debatte: Dann würde noch einmal verglichen werden, wer wie viel bezahlt - und welche Bevölkerungsgruppen wie viel bezahlen. Heute reden wir nur über eine Nettozahlerdebatte unter den Staaten. Schon die hinkt kolossal, weil Deutschland - obschon größter Nettozahler - zweifellos ökonomisch wie politisch enorm von der EU profitiert. Wer jedoch eine Steuer auf EU-Ebene schafft und direkt die Bürger belastet, der würde eine ungleich gefährlichere zweite Nettozahlerdebatte bekommen. Und da eine Steuer nie so genau geplant werden kann, wie eine Abführung vom Bruttonationaleinkommen, gäbe es in der Folge keine Punktlandung bei der geplanten Steuerquelle und zusätzlich immer noch den Bedarf nach Abführung von BNE-Anteilen. Das Resultat wäre ein deutlich komplexeres System, mit weniger Transparenz. Deshalb sage ich hier deutlich: Wehret den Anfängen, keine Schaffung einer zusätzlichen Besteuerungsebene in Form von EU-Steuern.
Frage: Man sieht innerhalb der EU durchaus auch Absetzbewegungen von Europa: Ein Stichwort in diesem Zusammenhang lautet Schengen. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorgen?
LINK: Die Absetzbewegungen sehe ich mit Sorge. Was mir aber vor allem Sorgen bereitet ist, dass manche sich ein Europa à la carte wünschen. Das funktioniert nicht. Wir sollten immer versuchen, dass wir die Gemeinschaft der 27 so stark als möglich erhalten. Ausgehend davon sind wir aber sehr wohl der Meinung, dass einige vorangehen dürfen, auch sollen, wenn nicht sofort alle mitziehen. Wir Deutschen wollen gerne mit anderen gezielt vorangehen bei der Integration. Aber niemals exklusiv, sondern einladend. Vorangehen, nicht entfernen - das ist die Devise. Ich nenne das progressive Integration. Deshalb tritt Deutschland dafür ein, dass auch die Nichtmitglieder der Eurozone bei den Verhandlungen über die Bankenaufsicht Sitz und Stimme haben. Denn ein großer Teil der EU-Staaten möchte Euromitglied werden, vertraglich müssen es alle außer Großbritannien und Dänemark. Deshalb sollten wir die Eurozone der 17 Staaten nicht hermetisch abdichten, sondern uns gegenüber den Nicht-€-Staaten offen zeigen.
Frage: Wie weit sollte denn aus Ihrer Sicht eine europäische Integration gehen?
LINK: Da würde ich gerne als Liberaler antworten: Wir haben gerade im neuen Grundsatzprogramm der Freien Demokratischen Partei nach einer spannenden Debatte unter den Mitgliedern beschlossen, dass wir uns die Zukunft der Europäischen Union langfristig als die eines föderal organisierten Bundesstaats vorstellen. Föderal im Sinne von dezentral organisiert - dezentral, subsidiär, verhältnismäßig. Ein Bundesstaat ist kein Zentralstaat. Ein Bundesstaat bündelt das, was gemeinsam sein soll, und er lässt das bei den Einzelstaaten, was dort besser aufgehoben ist. Wenn die Europäische Union nicht an ihrer Verfassung arbeitet und gespalten statt geeint auftritt, insbesondere wenn es um globale Themen und Herausforderungen geht, dann haben wir die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Deshalb ist die europäische Einigung konsequenterweise auch unsere Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung.
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