22.03.2013 09:29 Uhr in Medien & Presse von FDP
WESTERWELLE-Interview für die "Süddeutsche Zeitung
Kurzfassung: WESTERWELLE-Interview für die "Süddeutsche Zeitung" Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Inte ...
[FDP - 22.03.2013] WESTERWELLE-Interview für die "Süddeutsche Zeitung"
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten STEFAN BRAUN und DANIEL BRÖSSLER:
Frage: Herr Westerwelle, wir wollen über Fehler reden. Fällt Ihnen dazu etwas ein?
WESTERWELLE: Ich bin jetzt 51 Jahre alt. Mir fallen viele Fehler in meinem Leben ein. In der Politik und auch außerhalb. Wie heißt es so schön: Das Leben wird nach vorne gelebt und nach hinten verstanden. Der Unterschied zwischen meinen und Ihren Fehlern ist, dass meine auf offener Bühne stattfinden und ziemlich lange im Gedächtnis bleiben. Aber ich bin mit den wirklich wichtigen Entscheidungen meines Lebens, auch den politischen, im Reinen.
Frage: Sie haben bald nach dem Start der Koalition das Wort von der "spätrömischen Dekadenz" geprägt. Bereuen Sie das?
WESTERWELLE: Wenn man den Aufsatz liest, merkt man, dass ich etwas anderes gemeint habe als dann nach einer Diskussion, die sich verselbständigt hat, hängen blieb. Darüber gräme ich mich heute noch. Ich habe nicht Menschen kritisiert, die ein schweres soziales Schicksal haben. Ich habe zum Ausdruck gebracht, dass wir uns nicht nur an der Verteilungsgerechtigkeit orientieren dürfen, sondern auch die Leistungsgerechtigkeit im Blick behalten müssen. Und wenn ich jetzt die Debatten verfolge über neue Belastungen der Mitte, über Einheitsschulen und Einheitsrenten, dann zeigt sich die Notwendigkeit dieser Debatte. Aber die beiden Worte haben einen Vorhang zugezogen. Hätte ich das gewusst, was die beiden Worte auslösen, hätte ich es gelassen.
Frage: Hat Sie der Überschwang nach der Bundestagswahl zu Fehlern verleitet?
WESTERWELLE: Mein erster Fehler nach der Wahl war die Pressekonferenz am Tag danach.
Frage: Weil Sie einen BBC-Journalisten aufforderten, Fragen auf Deutsch zu stellen?
WESTERWELLE: Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass ich des Englischen mächtig bin. Ich war völlig übermüdet nach einer Siegesfeier, die bis vier Uhr morgens ging und bei der nicht nur Endorphine im Spiel waren, sondern auch Dinge, die man in Promille misst. In dieser Verfassung habe ich falsch reagiert. Als er mich zum dritten Mal fragte, ob ich auf Englisch Stellung nehmen könne, habe ich diese unfreundliche Antwort gegeben. Das hat mich ein Jahr lang geärgert. Seitdem lache ich darüber.
Frage: Hatten Sie es sich einfacher vorstellt, Außenamt und FDP-Vorsitz unter einen Hut zu bekommen?
WESTERWELLE: Ich hatte mir die ganze Regierungsverantwortung etwas einfacher vorgestellt, was sicher auch damit zu tun hat, dass es wohl wenige Legislaturperioden gegeben hat mit solchen historischen Prüfungen: die Schuldenkrise in Europa, die Revolution in der arabischen Welt und auch Fukushima.
Frage: Eine Prüfung kam aus Libyen. War das Eingreifen des Westens ein Fehler?
WESTERWELLE: Ich habe unsere schwierige Abwägungsentscheidung damals ausführlich begründet.
Frage: Die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat rief viel Kritik hervor. War die Entscheidung schlecht vorbereitet?
WESTERWELLE: Sie dürfen nicht glauben, dass Entscheidungen von solcher Bedeutung nicht ausreichend reflektiert sind. Ich habe mit der Bundeskanzlerin und vielen Amtskollegen nicht einmal, zweimal oder dreimal, sondern x-mal darüber gesprochen bis in die letzten Minuten vor der Abstimmung. Das sind sehr schwere Abwägungen. Ich hatte auch mit allen Fraktionen die Lage erörtert. Dass SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier auch nachher noch dazu stand, dass er die Entscheidung nachvollziehbar fand, rechne ich ihm hoch an.
Frage: Den Sturz von Muammar al-Gaddafi hatten Sie als Erfolg auch deutscher Politik gewertet. War das falsch?
WESTERWELLE: Ich will mich gar nicht für alles exkulpieren, was ich gesagt habe. Aber so erinnere ich mich daran: Das war eine Phase, in der ich innenpolitisch unter großem Beschuss stand. Ist es nicht so, dass manche dann alles, was gesagt wird, auch missverstehen wollen? Und ich erinnere mich, dass ich kurze Zeit nach dem Sturz Gaddafis den Erfolg unserer Partner in einem Fernsehinterview gewürdigt habe.
Frage: Nach zwei Jahren Bürgerkrieg werden in Syrien mittlerweile 70000 Tote gezählt. War die Katastrophe vermeidbar?
WESTERWELLE: Manchmal gibt es keinen einfachen und überzeugenden Weg.
Frage: Warum kann sich das Assad-Regime so lange halten?
WESTERWELLE: Abgesehen von der Unterstützung aus anderen Ländern, hat es auch mit der komplizierten inneren Lage zu tun. Viele, besonders die, die nicht zur Mehrheit der Sunniten zählen, haben Angst vor der Zeit danach. Deswegen ist es so wichtig, dass wir einen klaren Plan für die Zeit danach verfolgen. Gerade Alawiten und Christen stellen sich die Frage: Was ist mit meiner Familie und mir in einem Jahr? Man muss sehen, dass auch Dschihadisten, Extremisten und Terroristen in Syrien ihr Unwesen treiben.
Frage: Deshalb wollen Sie auf keinen Fall Waffenlieferungen an die Opposition zulassen?
WESTERWELLE: Ich kann die Empörung verstehen, wenn man das Elend und Leid in Syrien sieht. Deswegen haben wir die Sanktionen zum 1. März wesentlich angepasst. Ob darüber hinaus direkte Waffenlieferungen sinnvoll sind, darüber wird in der EU jetzt beraten. Die einen sehen die Notwendigkeit, die Opposition zügig stärker zu bewaffnen. Andere haben die Sorge, dass diese Waffen in falsche Hände geraten könnten.
Frage: Belastet es nicht das Gewissen, die Opposition schutzlos gegenüber der militärischen Übermacht des Regimes zu sehen?
WESTERWELLE: Es ist doch beides belastend. Es ist belastend, die Opposition leiden zu sehen. Belastend ist aber auch die Aussicht eines Flächenbrandes und die Gefahr, dass Waffensysteme in die falschen Hände geraten. Die Fokussierung auf das Militärische ist verständlich, greift aber zu kurz. Wir müssen beispielsweise den Rückhalt der moderaten Kräfte in der Bevölkerung stärken. Das geht nur, wenn es in den von der Opposition kontrollierten Gebieten aufwärts geht, zum Beispiel mit Wasser, Elektrizität und medizinischer Versorgung.
Frage: Ist dennoch denkbar, dass Deutschland Waffenlieferungen zustimmt?
WESTERWELLE: Wir sind skeptisch und wägen ab. Zugleich wissen wir, dass wir bei einer veränderten Lage zu Veränderungen unserer Politik bereit sein müssen.
Frage: Trifft Sie der Vorwurf des "Billig-Pazifismus" des Grünen Daniel Cohn-Bendit?
WESTERWELLE: Dass Pazifismus für Grüne heute ein Schimpfwort ist, ist bemerkenswert. Ich war nie Pazifist und muss das nicht durch Neo-Bellizismus kompensieren. Ich stehe mit meiner Außenpolitik für eine Kultur der militärischen Zurückhaltung.
Frage: Schwer war es für Sie am Anfang nicht nur im Amt. Mit dem Abstand von zwei Jahren: Haben Sie heute das Gefühl, dass Ihre Ablösung an der FDP-Spitze richtig war?
WESTERWELLE: Die Partei war mit mir durch und ich mit dem Parteivorsitz. So einfach ist das.
Frage: Sie und die FDP waren einander einfach überdrüssig?
WESTERWELLE: Es gibt nur einen in der liberalen Geschichte, der solange an der Spitze stand, und das war Hans-Dietrich Genscher. Es ist doch gesund, wenn irgendwann ein Wechsel stattfindet. Natürlich sind die Umstände nicht erfreulich gewesen. Und natürlich hat man eine Zeit lang auch Phantomschmerzen. Aber ich erinnere mich genau an das Ende des Parteitags in Rostock, wo ich den Vorsitz abgegeben habe. Unmittelbar danach stieg ich ins Flugzeug nach Marokko. Und ich hatte ein sehr befreites und beglücktes Gefühl, nur noch Außenminister zu sein.
Frage: Phantomschmerzen? Was heißt das?
WESTERWELLE: Manchmal fühlt man sich wie ein Beifahrer im Auto, der mit den Füßen selbst Gas geben oder bremsen möchte. Das hat mit der Zeit aber nachgelassen.
Frage: Sind Sie Opfer Ihrer Obsession für Steuersenkungen geworden?
WESTERWELLE: Zunächst einmal haben wir selbst Anfang 2011, also noch unter meinem Vorsitz, Landtagswahlen gewonnen. Wir hatten in Hamburg das beste Ergebnis seit 40 Jahren. Wir waren in allen Landtagen vertreten, das gab es seit 1990 nicht mehr. Dann kam Fukushima mit den bekannten Ergebnissen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Damals haben die ersten ganz hysterisch diskutiert, ob der nächste Kanzler von den Grünen kommen könnte. Dass wir nur mit Steuersenkungen in den Wahlkampf gegangen wären, stimmt nicht. Wir haben nicht nur mit Steuern Wahlkampf gemacht, sondern mit Leistungsgerechtigkeit, Bildungschancen und Rechtsstaatlichkeit.
Frage: Warum ist die FDP in den Umfragen dann so abgestürzt?
WESTERWELLE: Es gab zweifelsohne auch eigene Unzulänglichkeiten und Fehler. Das Gute ist, dass wir die Fehler, die wir in der ersten Legislaturperiode gemacht haben, in der zweiten nicht mehr machen werden.
Frage: Hat die neue Parteiführung Ihnen damals innenpolitische Abstinenz auferlegt?
WESTERWELLE: Natürlich nicht. Ich habe nach der Niederlage in Rheinland-Pfalz und dem gerade so geschafften Landtagseinzug in Baden-Württemberg eine Woche nachgedacht, in die Partei reingehört und gesagt: Nach zehn Jahren ist es jetzt gut. Die Kritik war kein schönes Gefühl. Aber ich habe die Entscheidung am Ende selber gefällt. Ich wollte auch, dass das Amt des Vizekanzlers auf den neuen Vorsitzenden übergeht und ich auch nicht mehr dem Koalitionsausschuss angehöre. Ich wollte einen klaren Schnitt. Ich wollte einen neuen Anfang. Das ist dem Amt gut bekommen und mir selber auch.
Frage: Und trotzdem wollen Sie noch mal den großen Wahlkämpfer geben?
WESTERWELLE: Ich habe mir im letzten Jahr gut überlegt, ob ich nach der Bundestagswahl in der Politik bleiben möchte. Auch da habe ich in die Partei reingehört, habe mit Freunden gesprochen. Ganz überwiegend wurde ich bestärkt, weiter zu machen und die Spitzenkandidatur in NRW zu übernehmen. Damit war klar, dass ich ab Sommer mit allen PS in den Wahlkampf gehe.
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Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten STEFAN BRAUN und DANIEL BRÖSSLER:
Frage: Herr Westerwelle, wir wollen über Fehler reden. Fällt Ihnen dazu etwas ein?
WESTERWELLE: Ich bin jetzt 51 Jahre alt. Mir fallen viele Fehler in meinem Leben ein. In der Politik und auch außerhalb. Wie heißt es so schön: Das Leben wird nach vorne gelebt und nach hinten verstanden. Der Unterschied zwischen meinen und Ihren Fehlern ist, dass meine auf offener Bühne stattfinden und ziemlich lange im Gedächtnis bleiben. Aber ich bin mit den wirklich wichtigen Entscheidungen meines Lebens, auch den politischen, im Reinen.
Frage: Sie haben bald nach dem Start der Koalition das Wort von der "spätrömischen Dekadenz" geprägt. Bereuen Sie das?
WESTERWELLE: Wenn man den Aufsatz liest, merkt man, dass ich etwas anderes gemeint habe als dann nach einer Diskussion, die sich verselbständigt hat, hängen blieb. Darüber gräme ich mich heute noch. Ich habe nicht Menschen kritisiert, die ein schweres soziales Schicksal haben. Ich habe zum Ausdruck gebracht, dass wir uns nicht nur an der Verteilungsgerechtigkeit orientieren dürfen, sondern auch die Leistungsgerechtigkeit im Blick behalten müssen. Und wenn ich jetzt die Debatten verfolge über neue Belastungen der Mitte, über Einheitsschulen und Einheitsrenten, dann zeigt sich die Notwendigkeit dieser Debatte. Aber die beiden Worte haben einen Vorhang zugezogen. Hätte ich das gewusst, was die beiden Worte auslösen, hätte ich es gelassen.
Frage: Hat Sie der Überschwang nach der Bundestagswahl zu Fehlern verleitet?
WESTERWELLE: Mein erster Fehler nach der Wahl war die Pressekonferenz am Tag danach.
Frage: Weil Sie einen BBC-Journalisten aufforderten, Fragen auf Deutsch zu stellen?
WESTERWELLE: Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass ich des Englischen mächtig bin. Ich war völlig übermüdet nach einer Siegesfeier, die bis vier Uhr morgens ging und bei der nicht nur Endorphine im Spiel waren, sondern auch Dinge, die man in Promille misst. In dieser Verfassung habe ich falsch reagiert. Als er mich zum dritten Mal fragte, ob ich auf Englisch Stellung nehmen könne, habe ich diese unfreundliche Antwort gegeben. Das hat mich ein Jahr lang geärgert. Seitdem lache ich darüber.
Frage: Hatten Sie es sich einfacher vorstellt, Außenamt und FDP-Vorsitz unter einen Hut zu bekommen?
WESTERWELLE: Ich hatte mir die ganze Regierungsverantwortung etwas einfacher vorgestellt, was sicher auch damit zu tun hat, dass es wohl wenige Legislaturperioden gegeben hat mit solchen historischen Prüfungen: die Schuldenkrise in Europa, die Revolution in der arabischen Welt und auch Fukushima.
Frage: Eine Prüfung kam aus Libyen. War das Eingreifen des Westens ein Fehler?
WESTERWELLE: Ich habe unsere schwierige Abwägungsentscheidung damals ausführlich begründet.
Frage: Die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat rief viel Kritik hervor. War die Entscheidung schlecht vorbereitet?
WESTERWELLE: Sie dürfen nicht glauben, dass Entscheidungen von solcher Bedeutung nicht ausreichend reflektiert sind. Ich habe mit der Bundeskanzlerin und vielen Amtskollegen nicht einmal, zweimal oder dreimal, sondern x-mal darüber gesprochen bis in die letzten Minuten vor der Abstimmung. Das sind sehr schwere Abwägungen. Ich hatte auch mit allen Fraktionen die Lage erörtert. Dass SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier auch nachher noch dazu stand, dass er die Entscheidung nachvollziehbar fand, rechne ich ihm hoch an.
Frage: Den Sturz von Muammar al-Gaddafi hatten Sie als Erfolg auch deutscher Politik gewertet. War das falsch?
WESTERWELLE: Ich will mich gar nicht für alles exkulpieren, was ich gesagt habe. Aber so erinnere ich mich daran: Das war eine Phase, in der ich innenpolitisch unter großem Beschuss stand. Ist es nicht so, dass manche dann alles, was gesagt wird, auch missverstehen wollen? Und ich erinnere mich, dass ich kurze Zeit nach dem Sturz Gaddafis den Erfolg unserer Partner in einem Fernsehinterview gewürdigt habe.
Frage: Nach zwei Jahren Bürgerkrieg werden in Syrien mittlerweile 70000 Tote gezählt. War die Katastrophe vermeidbar?
WESTERWELLE: Manchmal gibt es keinen einfachen und überzeugenden Weg.
Frage: Warum kann sich das Assad-Regime so lange halten?
WESTERWELLE: Abgesehen von der Unterstützung aus anderen Ländern, hat es auch mit der komplizierten inneren Lage zu tun. Viele, besonders die, die nicht zur Mehrheit der Sunniten zählen, haben Angst vor der Zeit danach. Deswegen ist es so wichtig, dass wir einen klaren Plan für die Zeit danach verfolgen. Gerade Alawiten und Christen stellen sich die Frage: Was ist mit meiner Familie und mir in einem Jahr? Man muss sehen, dass auch Dschihadisten, Extremisten und Terroristen in Syrien ihr Unwesen treiben.
Frage: Deshalb wollen Sie auf keinen Fall Waffenlieferungen an die Opposition zulassen?
WESTERWELLE: Ich kann die Empörung verstehen, wenn man das Elend und Leid in Syrien sieht. Deswegen haben wir die Sanktionen zum 1. März wesentlich angepasst. Ob darüber hinaus direkte Waffenlieferungen sinnvoll sind, darüber wird in der EU jetzt beraten. Die einen sehen die Notwendigkeit, die Opposition zügig stärker zu bewaffnen. Andere haben die Sorge, dass diese Waffen in falsche Hände geraten könnten.
Frage: Belastet es nicht das Gewissen, die Opposition schutzlos gegenüber der militärischen Übermacht des Regimes zu sehen?
WESTERWELLE: Es ist doch beides belastend. Es ist belastend, die Opposition leiden zu sehen. Belastend ist aber auch die Aussicht eines Flächenbrandes und die Gefahr, dass Waffensysteme in die falschen Hände geraten. Die Fokussierung auf das Militärische ist verständlich, greift aber zu kurz. Wir müssen beispielsweise den Rückhalt der moderaten Kräfte in der Bevölkerung stärken. Das geht nur, wenn es in den von der Opposition kontrollierten Gebieten aufwärts geht, zum Beispiel mit Wasser, Elektrizität und medizinischer Versorgung.
Frage: Ist dennoch denkbar, dass Deutschland Waffenlieferungen zustimmt?
WESTERWELLE: Wir sind skeptisch und wägen ab. Zugleich wissen wir, dass wir bei einer veränderten Lage zu Veränderungen unserer Politik bereit sein müssen.
Frage: Trifft Sie der Vorwurf des "Billig-Pazifismus" des Grünen Daniel Cohn-Bendit?
WESTERWELLE: Dass Pazifismus für Grüne heute ein Schimpfwort ist, ist bemerkenswert. Ich war nie Pazifist und muss das nicht durch Neo-Bellizismus kompensieren. Ich stehe mit meiner Außenpolitik für eine Kultur der militärischen Zurückhaltung.
Frage: Schwer war es für Sie am Anfang nicht nur im Amt. Mit dem Abstand von zwei Jahren: Haben Sie heute das Gefühl, dass Ihre Ablösung an der FDP-Spitze richtig war?
WESTERWELLE: Die Partei war mit mir durch und ich mit dem Parteivorsitz. So einfach ist das.
Frage: Sie und die FDP waren einander einfach überdrüssig?
WESTERWELLE: Es gibt nur einen in der liberalen Geschichte, der solange an der Spitze stand, und das war Hans-Dietrich Genscher. Es ist doch gesund, wenn irgendwann ein Wechsel stattfindet. Natürlich sind die Umstände nicht erfreulich gewesen. Und natürlich hat man eine Zeit lang auch Phantomschmerzen. Aber ich erinnere mich genau an das Ende des Parteitags in Rostock, wo ich den Vorsitz abgegeben habe. Unmittelbar danach stieg ich ins Flugzeug nach Marokko. Und ich hatte ein sehr befreites und beglücktes Gefühl, nur noch Außenminister zu sein.
Frage: Phantomschmerzen? Was heißt das?
WESTERWELLE: Manchmal fühlt man sich wie ein Beifahrer im Auto, der mit den Füßen selbst Gas geben oder bremsen möchte. Das hat mit der Zeit aber nachgelassen.
Frage: Sind Sie Opfer Ihrer Obsession für Steuersenkungen geworden?
WESTERWELLE: Zunächst einmal haben wir selbst Anfang 2011, also noch unter meinem Vorsitz, Landtagswahlen gewonnen. Wir hatten in Hamburg das beste Ergebnis seit 40 Jahren. Wir waren in allen Landtagen vertreten, das gab es seit 1990 nicht mehr. Dann kam Fukushima mit den bekannten Ergebnissen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Damals haben die ersten ganz hysterisch diskutiert, ob der nächste Kanzler von den Grünen kommen könnte. Dass wir nur mit Steuersenkungen in den Wahlkampf gegangen wären, stimmt nicht. Wir haben nicht nur mit Steuern Wahlkampf gemacht, sondern mit Leistungsgerechtigkeit, Bildungschancen und Rechtsstaatlichkeit.
Frage: Warum ist die FDP in den Umfragen dann so abgestürzt?
WESTERWELLE: Es gab zweifelsohne auch eigene Unzulänglichkeiten und Fehler. Das Gute ist, dass wir die Fehler, die wir in der ersten Legislaturperiode gemacht haben, in der zweiten nicht mehr machen werden.
Frage: Hat die neue Parteiführung Ihnen damals innenpolitische Abstinenz auferlegt?
WESTERWELLE: Natürlich nicht. Ich habe nach der Niederlage in Rheinland-Pfalz und dem gerade so geschafften Landtagseinzug in Baden-Württemberg eine Woche nachgedacht, in die Partei reingehört und gesagt: Nach zehn Jahren ist es jetzt gut. Die Kritik war kein schönes Gefühl. Aber ich habe die Entscheidung am Ende selber gefällt. Ich wollte auch, dass das Amt des Vizekanzlers auf den neuen Vorsitzenden übergeht und ich auch nicht mehr dem Koalitionsausschuss angehöre. Ich wollte einen klaren Schnitt. Ich wollte einen neuen Anfang. Das ist dem Amt gut bekommen und mir selber auch.
Frage: Und trotzdem wollen Sie noch mal den großen Wahlkämpfer geben?
WESTERWELLE: Ich habe mir im letzten Jahr gut überlegt, ob ich nach der Bundestagswahl in der Politik bleiben möchte. Auch da habe ich in die Partei reingehört, habe mit Freunden gesprochen. Ganz überwiegend wurde ich bestärkt, weiter zu machen und die Spitzenkandidatur in NRW zu übernehmen. Damit war klar, dass ich ab Sommer mit allen PS in den Wahlkampf gehe.
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