02.04.2013 10:59 Uhr in Medien & Presse von FDP
WESTERWELLE-Interview für die "Wirtschaftswoche
Kurzfassung: WESTERWELLE-Interview für die "Wirtschaftswoche" Das FDP-Präsidiumsmitglied, Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "WIRTSCHAFTSWOCHE" (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Frag ...
[FDP - 02.04.2013] WESTERWELLE-Interview für die "Wirtschaftswoche"
Das FDP-Präsidiumsmitglied, Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "WIRTSCHAFTSWOCHE" (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte HENNING KRUMREY:
Frage: Herr Minister, in der Vergangenheit hat die Politik stets gesagt: Wir retten die Banken, um die Gelder der Sparer zu bewahren. Im Falle Zyperns werden jetzt die Anleger rasiert, um die Banken zu retten.
WESTERWELLE: Eine Beteiligung der Anleger war notwendig, weil nur so nachhaltig die Schuldentragfähigkeit Zyperns hergestellt werden kann. Mir war dabei wichtig, dass nicht die Kleinsparer getroffen werden. Das richtet ungleich mehr Schaden an.
Frage: Wer ist abhängiger: Zypern, dass das Hilfspaket auch funktioniert, oder die Euro-Zone, dass kein Mitglied pleite geht?
WESTERWELLE: Wir Europäer sitzen alle in einem Boot. Ein Boot lässt sich mit einer großen Axt leck schlagen, aber auch mit einem kleinen Bohrer. Um das zu verhindern, ist entscheidend, dass die neuen Regeln konsequent eingehalten werden. Sonst würden wir das ganze neu gezimmerte Gerüst der Haushaltskonsolidierung, der Reformen und der Solidarität gefährden. Wir Deutsche sind hier nicht Zuschauer, wir sind mittendrin. Zu glauben, dass es Deutschland gut gehen könnte, wenn es Europa auf Dauer schlecht geht, ist naiv und falsch. Deshalb muss ich Manchem, der sich zum Politiker neu berufen fühlt, ...
Frage: ... Ein Professor aus München?
WESTERWELLE: ... Manchem muss ich sagen: Politik ist mehr als Zahlenwerk und Statistik. Europa ist mehr als ein Binnenmarkt und eine gemeinsame Währung. Europa ist in einem politischen, auch in einem historischen Sinn eine Werte- und Schicksalsgemeinschaft. Zu glauben, wir könnten die gemeinsame Währung aufgeben, ohne Europa Schritt für Schritt zu verlieren, ist eine schwere Fehleinschätzung. Wir können im 21. Jahrhundert im Wettbewerb mit vielen neuen Kraftzentren in der Welt unser freiheitliches, aufgeklärtes Lebensmodell nur gemeinsam als Europäer sichern.
Frage: Die Bundestagswahl naht. Drängen Sie jetzt nach zwei Jahren Abstinenz wieder in die Innenpolitik?
WESTERWELLE: Die Außen- und Europapolitik ist und bleibt meine Aufgabe. Aber ich werde im Sommer mit ganzer Kraft in den Wahlkampf ziehen. Ich bin Spitzenkandidat der FDP in Nordrhein-Westfalen und freue mich über viele Einladungen aus ganz Deutschland. Was für Europa gilt, ist auch für Deutschland richtig: Ein Zurück in die alte Schuldenpolitik, wie sie von der Opposition vorgeschlagen wird, würde auch Deutschland in den Strudel der Schuldenkrise ziehen. Übrigens: Die Schuldenkrise zeigt exemplarisch, wohin es führt, wenn die goldene liberale Regel ignoriert wird: Alles, was verteilt werden soll, muss erstmal erwirtschaftet werden.
Frage: 2009 sind Sie für Steuersenkungen angetreten. Dann kamen die jungen Leute mit dem "mitfühlenden Liberalismus", später der Spitzenmann Brüderle mit den "Brot-und-Butter-Themen". Ist die FDP nun eine wirtschaftspolitische Wundertüte?
WESTERWELLE: Jeder setzt eigene Akzente. Wir werden als FDP im Wahlkampf aber gemeinsam klar machen: Gesellschaftliche Gerechtigkeit und soziale Balance sind für die Zukunft unseres Landes von großer Bedeutung. Aber es geht nicht nur um Verteilungsgerechtigkeit, es muss noch mehr um Chancen- und Leistungsgerechtigkeit gehen.
Frage: Im ersten Entwurf des FDP-Wahlprogramms waren Leistungsgerechtigkeit und Steuerbelastung eher unterbelichtet.
WESTERWELLE: Ich bin froh, dass meine Partei das Thema eines gerechten Steuersystems für die Mittelschicht ins Wahlprogramm aufgenommen hat. Die anderen Parteien reden nur noch über das Verteilen. Wir sagen: Freiheit ist wichtiger als völlige Gleichheit, Privat kommt vor dem Staat und Erwirtschaften kommt vor dem Verteilen.
Frage: Also Rückkehr zur alten Forderung: Einfach, niedrig und gerecht - oder es gibt keinen Koalitionsvertrag?
WESTERWELLE: Natürlich wird der Wahlkampf 2013 anders geführt als 2009. Damals waren Steuersenkungen ein wichtiges Instrument, auch um aus der Rezession zu kommen. Und es hat ja auch eine erhebliche Entlastung für Familien und den Mittelstand gegeben, die zur Belebung der Konjunktur geführt haben. Heute hat die Bewältigung der Schuldenkrise Vorrang. Die drei Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linkspartei schlagen drastische Steuererhöhungen und eine gesamtschuldnerische Haftung in Europa mit Eurobonds vor, wir dagegen fiskalpolitisches Maßhalten und Entlastungen, wo immer möglich. Ich sage nicht, dass wir in den letzten Jahren alles richtig gemacht haben. Aber wir haben das Staatsschiff sicher durch stürmische Gewässer gesteuert. Deutschland geht es so gut wie lange nicht mehr.
Frage: Nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages 2009 hat die Union vieles versucht, um die FDP-Steuerpläne zu vereiteln. Ärgert es Sie, dass die Union jetzt Steuersenkungen ins Wahlprogramm schreibt?
WESTERWELLE: Es ärgert mich nicht, es freut mich. Denn wenn wir die kalte Progression beseitigen wollen, die jede Gehaltserhöhung gleich wieder auffrisst, dann müssen wir das gemeinsam anpacken. Unser großartiges Ergebnis bei den Wahlen 2009 hat die politische Konkurrenz erstmal zu einem Dauerfeuer auf uns angestachelt. Das ist am Ende nicht gelungen, denn die letzten drei Landtagwahlen gingen schon wieder in Richtung zweistelliger Ergebnisse.
Frage: Naja, bei zwei Wahlen zusammen kommen Sie knapp auf 18 Prozent.
WESTERWELLE: Spotten Sie ruhig. Ich amüsiere mich heute selbst über meine frühen Fotos mit der 18 unter der Schuhsohle. Aber ich denke, manch Anderer wundert sich auch über die ein oder andere stilistische Wirrung, zu der er früher fähig war. In aller Bescheidenheit: So weit waren die 14,6 von den 18 Prozent nicht entfernt.
Frage: Ihre Koalition hat die kalte Progression sehr spät angepackt und ist im Bundesrat gescheitert. Warum sollte es nach der Bundestagswahl einfacher sein?
WESTERWELLE: Wenn die christlich-liberale Koalition bestätigt wird, bricht die Koalition von SPD, Grünen und Linkspartei im Bundesrat schnell auseinander. Dann zählen die Landesinteressen wieder mehr als Anweisungen aus den Parteizentralen.
Frage: Die Länder wollen doch gar nicht auf Steuereinnahmen verzichten.
WESTERWELLE: Auch die Mehrheit der Länder wird sehen, dass es schlicht ungerecht ist, dem Arbeitnehmer seine Lohnsteigerungen mit höheren Steuern gleich wieder weitgehend abzunehmen. Dass die von der Opposition geplanten Steuererhöhungen schon bei qualifizierten Facharbeitern greifen, sollte Anlass zum Umdenken sein.
Frage: Mit Leistungsgerechtigkeit begründet die FDP nun auch den Mindestlohn. Warum fällt Ihnen das erst ein, nachdem alle anderen Parteien damit unterwegs sind.
WESTERWELLE: So einfach ist das nicht. Ich habe auch persönlich meine Meinung geändert. In den letzten zehn Jahren hatte ich geglaubt, dass diese Ungerechtigkeiten am Arbeitsmarkt bis hin zu Stundenlöhnen von drei Euro von den Tarifparteien allein gelöst würden. Aber das ist nicht ausreichend geschehen. Ich bin immer noch gegen einen politischen, einheitlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Aber ich teile die Haltung der FDP-Spitze: Wir müssen mit maßgeschneiderten Lösungen auch für Leistungsgerechtigkeit in den untersten Lohngruppen sorgen.
Frage: Wie stellen Sie sich einen Wahlkampf für Leistungsgerechtigkeit vor?
WESTERWELLE: Leistungsgerechtigkeit ist mehr als Lohn, Steuern und Sozialabgaben. Leistungsgerechtigkeit heißt auch, dass wir Tendenzen zur Einheitsrente nicht hinnehmen können. Das ist ein denkbar schlechter Anreiz und auch eine Bestrafung derer, die ein Leben lang unermüdlich schuften, verzichten und vorsorgen. Leistungsgerechtigkeit verpflichtet uns auch, gegen Tendenzen zur Einheitsschule zu arbeiten, einschließlich kuschelpädagogischer Vorschläge wie einer Abschaffung der Notengebung oder des Sitzenbleibens. Hier wollen linke Bildungspolitiker dem Kind das Misserfolgserlebnis der schlechten Note ersparen. Aber sie nehmen ihm damit gleichzeitig auch das heilsame Erfolgserlebnis der guten Note, wenn es sich auf den Hosenboden setzt. Beides, Erfolg und Misserfolg, gehört zum Leben dazu.
Frage: Läuft der Wahlkampf wie 2009: bürgerliches Lagers gegen Rot-Rot-Grün?
WESTERWELLE: SPD, Grüne und Linkspartei haben angekündigt, mit Dutzenden von Steuererhöhungen Mittelstand und Mittelschicht, und damit auch Leistungsbereitschaft und Wachstum in Deutschland zu schaden. Sie wollen zurück zu einer Schuldenpolitik, die uns in Europa in diese ernste Krise geführt hat. Und da, wo sie die Macht haben, wie in Nordrhein-Westfalen, verstoßen SPD und Grüne mit ihren Schuldenhaushalten systematisch Jahr für Jahr gegen die Verfassung. Das darf Deutschland nicht passieren, das wäre eine Schwächung unseres Landes in Europa und der Welt.
Frage: Herr Gabriel beteuert: Keine Koalition mit der Linkspartei, auch keine Tolerierung.
WESTERWELLE: Wer im größten deutschen Bundesland mit der Linkspartei gemeinsame Sache macht, der macht das auch auf Bundesebene. Auch deshalb wird die Bundestagswahl eine Richtungs- und Schicksalsentscheidung für Deutschland und Europa: Können wir unseren vernünftigen Kurs fortsetzen oder kommt Rot-Grün mit den Stützrädern der Linkspartei? Dann werden in Europa die Schulden-Schotten wieder geöffnet. Überall in Europa, wo die Haushalte nicht solide geführt wurden, wächst die Arbeitslosigkeit. Je höher die Schulden, desto größer die Abhängigkeit von der Finanzindustrie, desto kleiner die politische Selbstbestimmung.
Frage: Müsste die FDP dann nicht aus Patriotismus die Ampelkoalition wagen, bevor sie das Land der Linkspartei überantwortet?
WESTERWELLE: Eine Koalitionsaussage wird von Philipp Rösler und Rainer Brüderle vorgeschlagen. Sie haben meine volle Unterstützung. Dass ich ein Anhänger bürgerlicher Mehrheiten bin, ist bekannt. Ich glaube, dass eine bürgerliche Regierung für unser Land die bessere Wahl ist.
Frage: Helmut Kohl hat gesagt, er sei im Wahlkampf wie ein altes Zirkuspferd: Wenn es die Musik hört, kommt es auf Trab.
WESTERWELLE: Das habe ich als junger Generalsekretär das erste Mal von ihm persönlich gehört. Damals habe ich das nicht recht verstanden. Heute muss ich sagen: Nicht nur da hatte er Recht.
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Das FDP-Präsidiumsmitglied, Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "WIRTSCHAFTSWOCHE" (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte HENNING KRUMREY:
Frage: Herr Minister, in der Vergangenheit hat die Politik stets gesagt: Wir retten die Banken, um die Gelder der Sparer zu bewahren. Im Falle Zyperns werden jetzt die Anleger rasiert, um die Banken zu retten.
WESTERWELLE: Eine Beteiligung der Anleger war notwendig, weil nur so nachhaltig die Schuldentragfähigkeit Zyperns hergestellt werden kann. Mir war dabei wichtig, dass nicht die Kleinsparer getroffen werden. Das richtet ungleich mehr Schaden an.
Frage: Wer ist abhängiger: Zypern, dass das Hilfspaket auch funktioniert, oder die Euro-Zone, dass kein Mitglied pleite geht?
WESTERWELLE: Wir Europäer sitzen alle in einem Boot. Ein Boot lässt sich mit einer großen Axt leck schlagen, aber auch mit einem kleinen Bohrer. Um das zu verhindern, ist entscheidend, dass die neuen Regeln konsequent eingehalten werden. Sonst würden wir das ganze neu gezimmerte Gerüst der Haushaltskonsolidierung, der Reformen und der Solidarität gefährden. Wir Deutsche sind hier nicht Zuschauer, wir sind mittendrin. Zu glauben, dass es Deutschland gut gehen könnte, wenn es Europa auf Dauer schlecht geht, ist naiv und falsch. Deshalb muss ich Manchem, der sich zum Politiker neu berufen fühlt, ...
Frage: ... Ein Professor aus München?
WESTERWELLE: ... Manchem muss ich sagen: Politik ist mehr als Zahlenwerk und Statistik. Europa ist mehr als ein Binnenmarkt und eine gemeinsame Währung. Europa ist in einem politischen, auch in einem historischen Sinn eine Werte- und Schicksalsgemeinschaft. Zu glauben, wir könnten die gemeinsame Währung aufgeben, ohne Europa Schritt für Schritt zu verlieren, ist eine schwere Fehleinschätzung. Wir können im 21. Jahrhundert im Wettbewerb mit vielen neuen Kraftzentren in der Welt unser freiheitliches, aufgeklärtes Lebensmodell nur gemeinsam als Europäer sichern.
Frage: Die Bundestagswahl naht. Drängen Sie jetzt nach zwei Jahren Abstinenz wieder in die Innenpolitik?
WESTERWELLE: Die Außen- und Europapolitik ist und bleibt meine Aufgabe. Aber ich werde im Sommer mit ganzer Kraft in den Wahlkampf ziehen. Ich bin Spitzenkandidat der FDP in Nordrhein-Westfalen und freue mich über viele Einladungen aus ganz Deutschland. Was für Europa gilt, ist auch für Deutschland richtig: Ein Zurück in die alte Schuldenpolitik, wie sie von der Opposition vorgeschlagen wird, würde auch Deutschland in den Strudel der Schuldenkrise ziehen. Übrigens: Die Schuldenkrise zeigt exemplarisch, wohin es führt, wenn die goldene liberale Regel ignoriert wird: Alles, was verteilt werden soll, muss erstmal erwirtschaftet werden.
Frage: 2009 sind Sie für Steuersenkungen angetreten. Dann kamen die jungen Leute mit dem "mitfühlenden Liberalismus", später der Spitzenmann Brüderle mit den "Brot-und-Butter-Themen". Ist die FDP nun eine wirtschaftspolitische Wundertüte?
WESTERWELLE: Jeder setzt eigene Akzente. Wir werden als FDP im Wahlkampf aber gemeinsam klar machen: Gesellschaftliche Gerechtigkeit und soziale Balance sind für die Zukunft unseres Landes von großer Bedeutung. Aber es geht nicht nur um Verteilungsgerechtigkeit, es muss noch mehr um Chancen- und Leistungsgerechtigkeit gehen.
Frage: Im ersten Entwurf des FDP-Wahlprogramms waren Leistungsgerechtigkeit und Steuerbelastung eher unterbelichtet.
WESTERWELLE: Ich bin froh, dass meine Partei das Thema eines gerechten Steuersystems für die Mittelschicht ins Wahlprogramm aufgenommen hat. Die anderen Parteien reden nur noch über das Verteilen. Wir sagen: Freiheit ist wichtiger als völlige Gleichheit, Privat kommt vor dem Staat und Erwirtschaften kommt vor dem Verteilen.
Frage: Also Rückkehr zur alten Forderung: Einfach, niedrig und gerecht - oder es gibt keinen Koalitionsvertrag?
WESTERWELLE: Natürlich wird der Wahlkampf 2013 anders geführt als 2009. Damals waren Steuersenkungen ein wichtiges Instrument, auch um aus der Rezession zu kommen. Und es hat ja auch eine erhebliche Entlastung für Familien und den Mittelstand gegeben, die zur Belebung der Konjunktur geführt haben. Heute hat die Bewältigung der Schuldenkrise Vorrang. Die drei Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linkspartei schlagen drastische Steuererhöhungen und eine gesamtschuldnerische Haftung in Europa mit Eurobonds vor, wir dagegen fiskalpolitisches Maßhalten und Entlastungen, wo immer möglich. Ich sage nicht, dass wir in den letzten Jahren alles richtig gemacht haben. Aber wir haben das Staatsschiff sicher durch stürmische Gewässer gesteuert. Deutschland geht es so gut wie lange nicht mehr.
Frage: Nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages 2009 hat die Union vieles versucht, um die FDP-Steuerpläne zu vereiteln. Ärgert es Sie, dass die Union jetzt Steuersenkungen ins Wahlprogramm schreibt?
WESTERWELLE: Es ärgert mich nicht, es freut mich. Denn wenn wir die kalte Progression beseitigen wollen, die jede Gehaltserhöhung gleich wieder auffrisst, dann müssen wir das gemeinsam anpacken. Unser großartiges Ergebnis bei den Wahlen 2009 hat die politische Konkurrenz erstmal zu einem Dauerfeuer auf uns angestachelt. Das ist am Ende nicht gelungen, denn die letzten drei Landtagwahlen gingen schon wieder in Richtung zweistelliger Ergebnisse.
Frage: Naja, bei zwei Wahlen zusammen kommen Sie knapp auf 18 Prozent.
WESTERWELLE: Spotten Sie ruhig. Ich amüsiere mich heute selbst über meine frühen Fotos mit der 18 unter der Schuhsohle. Aber ich denke, manch Anderer wundert sich auch über die ein oder andere stilistische Wirrung, zu der er früher fähig war. In aller Bescheidenheit: So weit waren die 14,6 von den 18 Prozent nicht entfernt.
Frage: Ihre Koalition hat die kalte Progression sehr spät angepackt und ist im Bundesrat gescheitert. Warum sollte es nach der Bundestagswahl einfacher sein?
WESTERWELLE: Wenn die christlich-liberale Koalition bestätigt wird, bricht die Koalition von SPD, Grünen und Linkspartei im Bundesrat schnell auseinander. Dann zählen die Landesinteressen wieder mehr als Anweisungen aus den Parteizentralen.
Frage: Die Länder wollen doch gar nicht auf Steuereinnahmen verzichten.
WESTERWELLE: Auch die Mehrheit der Länder wird sehen, dass es schlicht ungerecht ist, dem Arbeitnehmer seine Lohnsteigerungen mit höheren Steuern gleich wieder weitgehend abzunehmen. Dass die von der Opposition geplanten Steuererhöhungen schon bei qualifizierten Facharbeitern greifen, sollte Anlass zum Umdenken sein.
Frage: Mit Leistungsgerechtigkeit begründet die FDP nun auch den Mindestlohn. Warum fällt Ihnen das erst ein, nachdem alle anderen Parteien damit unterwegs sind.
WESTERWELLE: So einfach ist das nicht. Ich habe auch persönlich meine Meinung geändert. In den letzten zehn Jahren hatte ich geglaubt, dass diese Ungerechtigkeiten am Arbeitsmarkt bis hin zu Stundenlöhnen von drei Euro von den Tarifparteien allein gelöst würden. Aber das ist nicht ausreichend geschehen. Ich bin immer noch gegen einen politischen, einheitlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Aber ich teile die Haltung der FDP-Spitze: Wir müssen mit maßgeschneiderten Lösungen auch für Leistungsgerechtigkeit in den untersten Lohngruppen sorgen.
Frage: Wie stellen Sie sich einen Wahlkampf für Leistungsgerechtigkeit vor?
WESTERWELLE: Leistungsgerechtigkeit ist mehr als Lohn, Steuern und Sozialabgaben. Leistungsgerechtigkeit heißt auch, dass wir Tendenzen zur Einheitsrente nicht hinnehmen können. Das ist ein denkbar schlechter Anreiz und auch eine Bestrafung derer, die ein Leben lang unermüdlich schuften, verzichten und vorsorgen. Leistungsgerechtigkeit verpflichtet uns auch, gegen Tendenzen zur Einheitsschule zu arbeiten, einschließlich kuschelpädagogischer Vorschläge wie einer Abschaffung der Notengebung oder des Sitzenbleibens. Hier wollen linke Bildungspolitiker dem Kind das Misserfolgserlebnis der schlechten Note ersparen. Aber sie nehmen ihm damit gleichzeitig auch das heilsame Erfolgserlebnis der guten Note, wenn es sich auf den Hosenboden setzt. Beides, Erfolg und Misserfolg, gehört zum Leben dazu.
Frage: Läuft der Wahlkampf wie 2009: bürgerliches Lagers gegen Rot-Rot-Grün?
WESTERWELLE: SPD, Grüne und Linkspartei haben angekündigt, mit Dutzenden von Steuererhöhungen Mittelstand und Mittelschicht, und damit auch Leistungsbereitschaft und Wachstum in Deutschland zu schaden. Sie wollen zurück zu einer Schuldenpolitik, die uns in Europa in diese ernste Krise geführt hat. Und da, wo sie die Macht haben, wie in Nordrhein-Westfalen, verstoßen SPD und Grüne mit ihren Schuldenhaushalten systematisch Jahr für Jahr gegen die Verfassung. Das darf Deutschland nicht passieren, das wäre eine Schwächung unseres Landes in Europa und der Welt.
Frage: Herr Gabriel beteuert: Keine Koalition mit der Linkspartei, auch keine Tolerierung.
WESTERWELLE: Wer im größten deutschen Bundesland mit der Linkspartei gemeinsame Sache macht, der macht das auch auf Bundesebene. Auch deshalb wird die Bundestagswahl eine Richtungs- und Schicksalsentscheidung für Deutschland und Europa: Können wir unseren vernünftigen Kurs fortsetzen oder kommt Rot-Grün mit den Stützrädern der Linkspartei? Dann werden in Europa die Schulden-Schotten wieder geöffnet. Überall in Europa, wo die Haushalte nicht solide geführt wurden, wächst die Arbeitslosigkeit. Je höher die Schulden, desto größer die Abhängigkeit von der Finanzindustrie, desto kleiner die politische Selbstbestimmung.
Frage: Müsste die FDP dann nicht aus Patriotismus die Ampelkoalition wagen, bevor sie das Land der Linkspartei überantwortet?
WESTERWELLE: Eine Koalitionsaussage wird von Philipp Rösler und Rainer Brüderle vorgeschlagen. Sie haben meine volle Unterstützung. Dass ich ein Anhänger bürgerlicher Mehrheiten bin, ist bekannt. Ich glaube, dass eine bürgerliche Regierung für unser Land die bessere Wahl ist.
Frage: Helmut Kohl hat gesagt, er sei im Wahlkampf wie ein altes Zirkuspferd: Wenn es die Musik hört, kommt es auf Trab.
WESTERWELLE: Das habe ich als junger Generalsekretär das erste Mal von ihm persönlich gehört. Damals habe ich das nicht recht verstanden. Heute muss ich sagen: Nicht nur da hatte er Recht.
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