19.04.2013 09:35 Uhr in Medien & Presse von FDP
HAHN-Gastbeitrag für die "FAZ
Kurzfassung: HAHN-Gastbeitrag für die "FAZ" Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied JÖRG-UWE HAHN schrieb für die "FAZ" (Freitag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag: Kein normaler Prozess Die internationale Öffentl ...
[FDP - 19.04.2013] HAHN-Gastbeitrag für die "FAZ"
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied JÖRG-UWE HAHN schrieb für die "FAZ" (Freitag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Kein normaler Prozess
Die internationale Öffentlichkeit schaut auf einen Münchener Gerichtssaal. Viele Beobachter fragen sich, ob sich die Performance der deutschen Justiz wohl verbessern wird. Selten gab es einen Prozess, über den bereits im Vorfeld derart viel berichtet wurde. Über die Sitz Verteilung, den Umgang mit der Öffentlichkeit, eine fehlende Sensibilität oder nunmehr die Verschiebung des Termins. Man ist versucht, die Justiz und die verantwortlichen Richter gleichsam in Schutz zu nehmen, stehen sie doch für unabhängige Entscheidungen, ohne sich von der Öffentlichkeit unter Druck setzen zu lassen. Aber so einfach ist das eben nicht. Die Vorgeschichte dieses Verfahrens, die systemischen Pannen der Sicherheitsbehörden, die im besten Fall Unterschätzung der Täter sowie der unsensible Umgang mit Opfern und Öffentlichkeit haben eines gezeigt: Den staatlichen Institutionen fehlt die Sensibilität im Umgang mit politisch motivierter Gewaltbereitschaft. Dies ist keine Kette von Individualversagen, das ist systemimmanent. Wir haben uns mit unserer Auslegung eines funktionierenden Rechtsstaates eine Komfortzone geschaffen und stehen neuen Entwicklungen mit einer Mischung aus Skepsis und Überheblichkeit gegenüber. Nachhilfe in Sachen Rechtsstaat ist nicht erwünscht. Weder von der Zivilgesellschaft noch von Europa oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, zum Beispiel im Fall der Sicherungsverwahrung. Dies führt dazu, dass wir auf Entwicklungen nicht schnell genug reagieren und es bisher nicht gelungen ist, auf staatlicher Seite die notwendige Sensibilität für die neue rechtsextrem motivierte Gewaltbereitschaft und das weltweit öffentliche Interesse nach den Taten des NSU zu entwickeln.
Weil wir uns so bequem eingerichtet haben, waren wir nicht wachsam genug. Wir haben nicht erkannt, dass der Weg vom harmlosen Spinner zum aggressiven und organisierten Täter sehr kurz sein kann - trotz aller Beobachtungsinfrastruktur. Wir haben übersehen, dass wir nicht in einem geschlossenen System sitzen, sondern öffentliches Interesse an nationalen Grenzen nicht haltmacht. Und wir haben übersehen, dass eine Verurteilung nicht das Ende extremistischer Aktivitäten ist. Wir waren als Rechtsstaat unsensibel und haben somit gefährliche Entwicklungen zugelassen. Die neue politisch motivierte Gewaltbereitschaft ist mehr als ein Randphänomen. Sie darf nicht hingenommen oder anderen - teils ebenso Radikalen - die Bekämpfung überlassen werden. Wir dürfen die Verteidigung des Rechtsstaates nicht länger (weg-)delegieren. Deshalb hilft es auch nichts, die NPD per Gericht bekämpfen zu wollen. Alle Demokraten sind aufgerufen, rechtem Gedankengut aktiv entgegenzutreten. Der Rechtsstaat wird auch bei der Postkontrolle in Vollzugsanstalten verteidigt. Mit der Einstellung, man brauche keine rechtsstaatliche Nachhilfe, haben wir - Sicherheitsbehörden, Justiz und auch der Vollzug - in diesem Prozess bisher mit erstaunlich hoher Zielsicherheit jeden medialen Schmerzpunkt erwischt. Deutschland ist im Begriff, sich international zu blamieren. Dabei hätte dieses Verfahren dazu genutzt werden können, international Werbung für einen funktionierenden aber auch modernen Rechtsstaat zu machen. Unsere Vorbildwirkung droht an unserer Selbstgefälligkeit zu scheitern. Dabei können wir stolz auf die Errungenschaften unserer Gerichtsverfassung und der Strafprozessordnung sein, denn sie garantieren, dass wir die Menschenwürde verteidigen, auch dann noch, wenn die Mehrheit längst ihr Urteil gefällt hat. Für abschließende Lehren ist es noch zu früh. Worauf man sich aber schon heute festlegen kann, ist, dass die Wechselbeziehung zwischen staatlichen Strukturen und Gesellschaft eine neue Form der Kooperation erhalten muss. Entlang der inhaltlichen Zuständigkeit staatlicher Institutionen muss ausreichend Offenheit herrschen, gesellschaftliche Strömungen frühzeitiger zu erkennen und diese entsprechend in das eigene Wirken einzubauen. Eine dieser Strömungen ist das gesteigerte öffentliche Interesse. Ich halte es für rechtsstaatlich vertretbar, mittels Videoübertragung in mehrere Sitzungssäle zu verhandeln. Informationsbedürfnis und ein faires Verfahren schließen sich nicht gegenseitig aus.
Bisher steht die Abkürzung NSU für staatliche Unsensibilität. Es wird jetzt auf die Prozessführung ankommen. Sie wird dafür sorgen, dass das Ergebnis später nachvollzogen und somit medial erklärbar wird. Das ist uns bei den Prozessen um die Taten der RAF gelungen, das wird uns hoffentlich auch bei diesen Verfahren gelingen. Das NSU-Verfahren ist schon jetzt der Ausgangspunkt für ein Umdenken und hat damit vielleicht den entscheidenden Impuls für einen rechtsstaatlichen Lernprozess gegeben. Eben kein normaler Prozess.
Abteilung Presse und Öffentlichkeitsarbeit
FDP-Bundesgeschäftsstelle
Thomas-Dehler-Haus
Reinhardtstraße 14
10117 Berlin
T: 030 284958-41/43
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Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied JÖRG-UWE HAHN schrieb für die "FAZ" (Freitag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Kein normaler Prozess
Die internationale Öffentlichkeit schaut auf einen Münchener Gerichtssaal. Viele Beobachter fragen sich, ob sich die Performance der deutschen Justiz wohl verbessern wird. Selten gab es einen Prozess, über den bereits im Vorfeld derart viel berichtet wurde. Über die Sitz Verteilung, den Umgang mit der Öffentlichkeit, eine fehlende Sensibilität oder nunmehr die Verschiebung des Termins. Man ist versucht, die Justiz und die verantwortlichen Richter gleichsam in Schutz zu nehmen, stehen sie doch für unabhängige Entscheidungen, ohne sich von der Öffentlichkeit unter Druck setzen zu lassen. Aber so einfach ist das eben nicht. Die Vorgeschichte dieses Verfahrens, die systemischen Pannen der Sicherheitsbehörden, die im besten Fall Unterschätzung der Täter sowie der unsensible Umgang mit Opfern und Öffentlichkeit haben eines gezeigt: Den staatlichen Institutionen fehlt die Sensibilität im Umgang mit politisch motivierter Gewaltbereitschaft. Dies ist keine Kette von Individualversagen, das ist systemimmanent. Wir haben uns mit unserer Auslegung eines funktionierenden Rechtsstaates eine Komfortzone geschaffen und stehen neuen Entwicklungen mit einer Mischung aus Skepsis und Überheblichkeit gegenüber. Nachhilfe in Sachen Rechtsstaat ist nicht erwünscht. Weder von der Zivilgesellschaft noch von Europa oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, zum Beispiel im Fall der Sicherungsverwahrung. Dies führt dazu, dass wir auf Entwicklungen nicht schnell genug reagieren und es bisher nicht gelungen ist, auf staatlicher Seite die notwendige Sensibilität für die neue rechtsextrem motivierte Gewaltbereitschaft und das weltweit öffentliche Interesse nach den Taten des NSU zu entwickeln.
Weil wir uns so bequem eingerichtet haben, waren wir nicht wachsam genug. Wir haben nicht erkannt, dass der Weg vom harmlosen Spinner zum aggressiven und organisierten Täter sehr kurz sein kann - trotz aller Beobachtungsinfrastruktur. Wir haben übersehen, dass wir nicht in einem geschlossenen System sitzen, sondern öffentliches Interesse an nationalen Grenzen nicht haltmacht. Und wir haben übersehen, dass eine Verurteilung nicht das Ende extremistischer Aktivitäten ist. Wir waren als Rechtsstaat unsensibel und haben somit gefährliche Entwicklungen zugelassen. Die neue politisch motivierte Gewaltbereitschaft ist mehr als ein Randphänomen. Sie darf nicht hingenommen oder anderen - teils ebenso Radikalen - die Bekämpfung überlassen werden. Wir dürfen die Verteidigung des Rechtsstaates nicht länger (weg-)delegieren. Deshalb hilft es auch nichts, die NPD per Gericht bekämpfen zu wollen. Alle Demokraten sind aufgerufen, rechtem Gedankengut aktiv entgegenzutreten. Der Rechtsstaat wird auch bei der Postkontrolle in Vollzugsanstalten verteidigt. Mit der Einstellung, man brauche keine rechtsstaatliche Nachhilfe, haben wir - Sicherheitsbehörden, Justiz und auch der Vollzug - in diesem Prozess bisher mit erstaunlich hoher Zielsicherheit jeden medialen Schmerzpunkt erwischt. Deutschland ist im Begriff, sich international zu blamieren. Dabei hätte dieses Verfahren dazu genutzt werden können, international Werbung für einen funktionierenden aber auch modernen Rechtsstaat zu machen. Unsere Vorbildwirkung droht an unserer Selbstgefälligkeit zu scheitern. Dabei können wir stolz auf die Errungenschaften unserer Gerichtsverfassung und der Strafprozessordnung sein, denn sie garantieren, dass wir die Menschenwürde verteidigen, auch dann noch, wenn die Mehrheit längst ihr Urteil gefällt hat. Für abschließende Lehren ist es noch zu früh. Worauf man sich aber schon heute festlegen kann, ist, dass die Wechselbeziehung zwischen staatlichen Strukturen und Gesellschaft eine neue Form der Kooperation erhalten muss. Entlang der inhaltlichen Zuständigkeit staatlicher Institutionen muss ausreichend Offenheit herrschen, gesellschaftliche Strömungen frühzeitiger zu erkennen und diese entsprechend in das eigene Wirken einzubauen. Eine dieser Strömungen ist das gesteigerte öffentliche Interesse. Ich halte es für rechtsstaatlich vertretbar, mittels Videoübertragung in mehrere Sitzungssäle zu verhandeln. Informationsbedürfnis und ein faires Verfahren schließen sich nicht gegenseitig aus.
Bisher steht die Abkürzung NSU für staatliche Unsensibilität. Es wird jetzt auf die Prozessführung ankommen. Sie wird dafür sorgen, dass das Ergebnis später nachvollzogen und somit medial erklärbar wird. Das ist uns bei den Prozessen um die Taten der RAF gelungen, das wird uns hoffentlich auch bei diesen Verfahren gelingen. Das NSU-Verfahren ist schon jetzt der Ausgangspunkt für ein Umdenken und hat damit vielleicht den entscheidenden Impuls für einen rechtsstaatlichen Lernprozess gegeben. Eben kein normaler Prozess.
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